Gesammeltes aus dem Bretonen-Land - eine Serie

Das Auge von Plomodiern - in der Strandmauer von Pors ar Vag

„In der Mauer, auf der Lauer, glotzt des kalte Auge“, twitterte ich, leicht despektierlich, über das einsame Auge in der Strandmauer von Plomodiern in der Bretagne. Erst Ende Juli enthüllte der Künstler Pierre Chanteau dieses mosaikartige Auge, das aus vom Meer polierten Fayence-Fragmenten besteht, an der  Festung von Pors Ar Vag, einem winzigen Stück des kommunalen Flickenteppichs, der  Plomodiern heißt.  Diese Glas- und Steingutarbeit soll eine künstlerische Hommage an die Tausenden von Frauen und Männern sein, die Seeleute in Schwierigkeiten getragen und gerettet haben.Dieses Auge stellt das Bild dar, das in der Antike den Bug der Boote schmückte, um die Besatzungen zu schützen. 

Werfen wir damit auch ein Auge auf diese bretonische Gemeinde, zu der Pors Ar Vag gehört und versuchen, sie einzuordnen, ein (Größen-)Vergleich zwischen drei Kommunen in Bretagne, Württemberg und Thüringen - ein Trio, das mir aus nachvollziehbaren Gründen naheliegt. Den Anstoß dazu gab ausgerechnet ein grafisch gut gestalteter Stadt- respektive Gemeindeplan in Strandnähe von Pors Ar Vag. Ein bisschen Statistik gefällig? Die Gemarkung von Lienzingen ist elf Quadratkilometer groß und darauf leben etwa 2100 Menschen, demnach 190 auf einem Quadratkilometer. In der Gesamtstadt Mühlacker kommen auf einen Quadratkilometer (insgesamt 54,32 sind es) laut Statistik 480 Personen (zusammen gut 26.000 Einwohner). In unserer thüringischen Partnerstadt Schmölln wohnen 12.200 Menschen - bei einer Gesamtmarkung von 94,7 Quadratkilometer ergibt dies pro Quadratkilometer 145 Leute. Im bretonischen ländlichen Plomodiern sieht die Welt ganz anders aus: 46,7 Quadratkilometer Gemarkung und 45 Personen je Quadratkilometer ergibt 2100 Einwohner- so viel wie Lienzingen, aber dessen Gemarkung passt fünfmal in die des Badeortes an der Atlantikküste. Mühlacker zählt sechs Stadtteile, Schmölln 44 Orte - und Plomodiern? 

Das alles ist Plomodiern

Die gelben Flecken

Wer versucht, auf dem Ortsplan von Plomodiern im Weiler Pors Ar Vag (mit Strand, Campingplatz, zwei Lokalen, schönen Häusern und an vier oder fünf Straßen ein paar Lampen, die nachts allesamt ausgeknipst werden) die gelben Fleckchen zu zählen, kapituliert spätestens beim hunderten Gelbklecks. Sie zieren in unterschiedlicher Größe die etwa einen Meter lange Karte: Jeder steht mindestens für ein Haus in Alleinlage, für eine kleine Häuseransammlung, einen Weiler, eine Siedlung, aber auch für den Hauptort mit Kirche, Rathaus, einem für Ferienwohnungen umgenutzten Gebäude, das einst Bahnhof war, mit zwei Bankfilialen (immerhin!), einem prächtigen Wochenmarkt freitags, Lokalen, Bäckerei, einem Discounter mit Tankstelle  und anderen Geschäften. Die Infrastruktur stimmt - der Tourismus ist neben der Landwirtschaft der wichtigste Wirtschaftsfaktor. 

Trotzdem zerbrechen sich die Menschen nicht den Kopf über Flächenverbrauch. Verdichtung - gar Nachverdichtung - und klein geschnittene Bauplätze sind kein Thema. Gefragt ist eine zumeist große Fläche rund ums Haus. Eigentlich passen auf nicht wenige Areale noch mühelos ein oder zwei weitere Gebäude. Planer in bundesdeutschen Rathäusern würden sich bei einer so massiven Zahl von Streusiedlungen die Haare raufen, Regionalverbände strengste Steuerung einfordern. Doch die Gemeinde fast am westlichsten Ende der Europäischen Union plagen andere Sorgen, sie leidet unter Einwohnerschwund. Mehr als sechs Prozent Minus seit 2011. Die Bretonen als Leidensgenossen der Thüringer.

Das Gefühl von Weite

300 Meter vom Atlantik entfernt

Aber die Formel heißt hier auf dem Dorf: Relativ wenig Menschen auf relativ großen Flächen lassen die Probleme von Verdichtungsräumen vergessen, geben das Gefühl von Weite, fast Unendlichkeit und frischer Luft. Weshalb ich auf Plomodiern gestoßen bin? Weil wir hier schon zum dritten Mal im Sommer urlauben. Just in Pors Ar Vag. Mit freiem Blick auf den Atlantik. 300 Meter vom Strand entfernt. Das hat was, da ist die unverbaubare weite Sicht auf Meer und Festland gegenüber, die Großzügigkeit, das Durchatmen können. Plomodiern liegt an der Bucht von Douarnenez, die sich zwischen der Halbinsel Crozon im Norden und Cap Sizun im Süden erstreckt.16 Kilometer breit, 20 Kilometer lang. Allein Plomodiern bietet drei lange Strände. 

Nicht recht loslassen können in der Vakanz. Irgendwie ist man doch immer Kommunalpolitiker, zudem mit der natürlichen Neugier eines Journalisten ausgestattet, fragt angesichts eines Ortsplanes mit gewaltig vielen Streusiedlungen, wie sich eine solche Gemeinde verwalten lässt, staunt beim Googeln über niedrige Einwohnerzahlen, vergleicht, alles ganz ohne Hintersinn, aber mit einer Freude daran, Größen ins Verhältnis zu setzen, ohne sozio-kulturellen Tiefgang zu versuchen. Mit der überraschenden Erkenntnis staunend zu notieren: so groß - oder so klein - wie Lienzingen. Ein Maßstab, der sicherlich nicht für alles taugt.

Weg vom Hitzestau 

Fünfmal schon Urlaub in der Bretagne. So gerechnet zusammen 15 Wochen, also deutlich mehr als ein Vierteljahr. Bei inzwischen rund 3666 Wochen Lebenszeit sicherlich eine zu vernachlässigende Größe. Aber immerhin. Zweimal südlich von Quimper, Sitz der Präfektur des bretonischen Départements Finistère, nun zum dritten Mal in Plomodiern, zwischen Quimper im Süden und Brest im Norden. Das Bretonen-Land als Frische-Land, 1200 Kilometer entfernt vom Hitzestau in Deutschland.

Vor allem in den vergangenen drei Jahren habe ich Besuche, Haltepunkte, Sehenswürdigkeiten, interessante Ziele notiert, fotografiert und auf Facebook, Instagram und Twitter gepostet - mit durchaus positiven Reaktionen in der Heimat. Zum Leidwesen meiner Frau, wenn ich wieder an einer Ecke stehen blieb, um den Post abzusetzen. 

Sozusagen recycelt 

In meinem Blog sollen sie als bretonische Serie wieder aufbereitet werden. Tipps, Top-Tipps oder aber nur kleine Hinweise, Notizen, manchmal garniert mit ein paar Daten zu Geschichte & Co, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Detailgenauigkeit, schon gar kein Reiseführer: Meine ganz persönliche Sammlung von Stationen in der Bretagne, ein kleiner Auszug der vielen Möglichkeiten, häppchenweise in den nächsten Tagen gebloggt. Sozusagen recycelt. Mit Links zum Vertiefen. Kompakt, wider die Schnelllebigkeit von Facebook und anderen Diensten. Auf dass sie bleiben, meine kleinen Texte. Passend zu einem elektronischen Tagebuch.

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