Annemarie Griesinger: Eine Frau voller Tatkraft und ansteckender Fröhlichkeit

MARKGRÖNINGEN

Noch am Mittwochnachmittag war sie beim Seniorenstammtisch der Markgröninger CDU, den ihr Ehemann Heinz organisiert hatte. Gemeinsam fuhren sie anderntags in ihr Haus auf die Schwäbische Alb, am Freitag fühlte sie sich plötzlich nicht wohl, ein Krankenwagen brachte sie in die Klinik Bad Urach. Dort schlief sie am Montagabend im 88. Lebensjahr friedlich ein: die frühere Ministerin Annemarie Griesinger.

Sie wird den Menschen nicht nur in ihrer Heimatstadt Markgröningen fehlen, deren Ehrenbürgerin sie war. Tatendrang, Hilfsbereitschaft, Idealismus, gepaart mit Herzlichkeit und ansteckender Fröhlichkeit – all dies zeichnete sie aus. Noch bis ins hohe Alter blieb sie aktiv, ging auf die Menschen zu, auch wenn es zuletzt für sie beschwerlich wurde. Die Beine machten nicht mehr so richtig mit. Beim Markgröninger Schäferlauf 2011 fehlte sie auf dem Stoppelfeld.

Das Hauen und Stechen in der Politik war ihre Sache nie. „Man muss schon mal den Mund aufmachen zur rechten Zeit; aber auch andere Meinungen gelten lassen“, sagte sie und lebte danach. Annemarie Griesinger machte trotzdem Karriere in Bonn und Stuttgart. Eine Frau, die nicht polarisierte, sondern zusammenführte.

Der Harmonie wichtiger war als der harte Schlagabtausch. Die couragierte Tochter des Professors und Pfarrers Dr. Hermann Roemer aus der Markgröninger Gartenstraße hörte den Menschen zu. Im Bundestagswahlkreis Ludwigsburg und im späteren Landtagswahlkreis Vaihingen fuhr sie allerbeste Stimmergebnisse ein.

Behauptet hat sich „d’ Annemarie“, wie sie liebevoll genannt wurde, allemal. Gute „Lehrjahre“ dürfte die gemeinsame Zeit mit fünf älteren Brüdern gewesen sein. Eigentlich wollte die gebürtige Bietigheimerin nach dem Abitur an der Markgröninger Aufbauschule, dem jetzigen Helene-Lange-Gymnasium, 1942 auf die Schauspielschule. Nicht etwa, weil sie als Schülerin Mittelmaß war, scheiterte dieser Plan, sondern am Krieg. Nachdem zwei ihrer Brüder als Wehrmachtsoffiziere in Russland gefallen waren und ein weiterer Bruder schwer verwundet in Krakau lag, entschied sie für sich: „Solange der Krieg dauert, werde ich auch Soldat sein.“

Nach Arbeitsdienst in einer Flachszwirnerei und Haushaltsschule war sie Schwesternhelferin beim Roten Kreuz, pflegte verletzte Soldaten in den Lazaretten von Nagold, Freudenstadt und Konstanz. Just in Konstanz erlebte die junge Annemarie 1945 das Kriegsende, ging dann zu Verwandten in die Schweiz, verdingte sich als Haus- und Zimmermädchen – als „Büffetmaidli“ – in einer Pension in Arosa.

Im Jahr 1952 examinierte sie an der Sozialen Frauenschule in Stuttgart, war Berufsberaterin beim Arbeitsamt, dann Fürsorgerin beim Landratsamt Ludwigsburg, bis sie über die CDU-Landesliste 1964 in den Bundestag nachrückte. Zu den Christdemokraten stieß die zunächst politisch eher zurückhaltend interessierte Markgröningerin über ihren um fünf Jahre jüngeren Mann Heinz, den sie an der Evangelischen Bauernschule in Hohebuch kennengelernt hatte.

Im Jahr 1969 nahm die einzige Frau im Landwirtschaftsausschuss des Bundestages, die sich dort speziell der Anliegen der Landfrauen annahm, der SPD den Wahlkreis Ludwigsburg ab. Eine Sensation. Sie stieg zur stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf, betrieb nun auch Sportpolitik – als erste Abgeordnete schaffte sie nebenbei das goldene Sportabzeichen – und wechselte 1972 als erste und für zehn Jahre einzige Frau in die Landesregierung von Baden-Württemberg: zuerst als Sozial-, dann als Bundesratsministerin.

Das Sozialressort war ihr wie auf den Leib geschnitten. Mit Charme und Geschick, aber auch als fest auf dem Boden der Realität stehende Frau machte sie später die baden-württembergische Landesvertretung zur ersten Adresse in Bonn, führte ein gastfreundliches Haus. 1984 nahm sie freiwillig Abschied von der Politik, als Bundesvorsitzende der Lebenshilfe setzte sie sich noch einige Jahre für Behinderte ein. Zusammen mit ihrem Mann rief sie eine Stiftung ins Leben.

Vor sechs Jahren gab der Freiberger Journalist Martin Hohnecker die Lebenserinnerungen von Annemarie Griesinger heraus: „Heidenei, Frau Minister“. Ihre Lesungen waren nicht nur bei Landfrauen gefragt, sie habe während ihrer Zeit als Rotkreuzschwester, so verriet sie, öfters einer Bemerkung ein kräftiges „Donnerwetter“ angefügt, worauf eine Diakonisse ihr den Rat gab: „Saget Sie halt Stuagert-Blechle oder Heidenei.“ Das damalige Fräulein Roemer entschied sich für Letzteres.

Am 21. April wäre Annemarie Griesinger 88 Jahre alt geworden


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