Mühlacker hat ein Luxusproblem

Die Stadtverwaltung will für die Spedition als Minimal-Lösung die etwa sechs Hektar große Fläche östlich der Waldäcker, noch auf Mühlhäuser Markung, zum Gewerbegebiet umwandeln - ein Areal, das aber von einer Hochspannungsleitung gekreuzt, im Regionalplan als landwirtschaftliche Fläche gesichert wird.
Der entscheidende Fehler passierte 2008, als der Gemeinderat Mühlacker beschloss, die Ausweisung eines neuen größeren Gewerbegebiets wegen Uneinigkeit im Gremium auszuklammern und später aufzurufen. Das passte dem damaligen Grünen-OB ganz gut ins Konzept, zumal es seinerzeit genügend Reserven im Gewerbe- und Industriegebiet "Waldäcker" gab.

Jetzt, mehr als zehn Jahre später, sind diese weg, obwohl inzwischen die Westerweiterung der Waldäcker um mehr als fünf Hektar realisiert und ganz für die Ansiedlung von ThyssenKrupp verwendet wurde. Der jetzige FDP-OB liegt ganz auf dem Kurs jener, die ein neues Gewerbeareal in der Größe von 25 Hektar für notwendig halten - nur die LMU lehnt dies ab. Doch genauso wie 2008 ist kein Standort mehrheitsfähig. Nichts Neues im Rathaus.

Zu unserer aller Überraschung stellte der OB das umstrittene Thema vergangenen Monat an die Spitze seiner Haushaltsrede:  Lassen Sie uns gemeinsam an das Geld denken, welches wir zukünftig brauchen werden. Dabei gehe ich persönlich davon aus, dass wir für mehr Einnahmen neue Gewerbeflächen brauchen. Wobei - so mein Einwurf - ständig verschwiegen wird, dass von einer zusätzlichen weiteren Million Gewerbesteuer nur 250.000 bis 300.000 Euro in der Stadtkasse bleiben. Brutto wird hervorgehoben, Netto gerne übergangen.

Der OB weiter: Ich habe das immer betont und bin auch bereit, dafür die bittere Pille des Landschaftsverbrauchs und andere bittere Pillen zu schlucken - dennoch ist eine solche Entwicklung bislang gescheitert. (...) Der Bürgerentscheid brachte keine Entscheidung. Der Gemeinderat hat sich dann, wie gesagt und meiner Meinung nach zu Recht,  in großer Mehrheit für eine neue Gewerbegebietsentwicklung ausgesprochen. Leider ist dann eine gemeinsame gewerbliche Entwicklung mit unserer Nachbargemeinde Illingen am Votum des dortigen Gemeinderates gescheitert. Wir respektieren das selbstverständlich. Ich denke aber, wir können gesprächsbereit bleiben, sollte der Gesprächsfaden seitens unserer Nachbarn wieder aufgenommen werden. Das bliebe abzuwarten. Eine Entscheidung in Mühlacker für eine Gewerbefläche auf der Gemarkung Mühlacker wird in diesem Jahr (2018)  nicht mehr getroffen. So ist es beschlossen.  Perspektive also: ungewiss.

Zur Dringlichkeit schwieg der Verwaltungschef. Dabei wissen wir aus den nichtöffentlichen Beratungen (über die jüngst die lokalen Medien informierten), dass der Logistiker an der Vetterstraße den dortigen Standort gerne aufgeben würde, um spätere Konflikte aus dem 24-Stunden-Betrieb mit der auf dem benachbarten Ziegeleiareal geplanten Wohngebiet zu vermeiden. Der Standortwechsel wäre auch im Interesse der Stadt, da die Wohnbaufläche größer, eine Lärmquelle weg, das Wohnen dort also noch attraktiver wäre. Gleichzeitig brächte dies eine Entlastung der Lienzinger Straße. Unabhängig vom Preis: Wohin mit dem traditionsreichen Logistiker, der in Mühlacker bleiben möchte? Gleichzeitig wünscht ein Autohändler händeringend eine Erweiterungsmöglichkeit, spielt offenbar mit dem Gedanken, notfalls der Stadt den Rücken zu kehren.

Die Stadtverwaltung will für die Spedition als Minimal-Lösung die etwa sechs Hektar große Fläche östlich der Waldäcker, noch auf Mühlhäuser Markung, zum Gewerbegebiet umwandeln - ein Areal, das aber von einer Hochspannungsleitung gekreuzt, im Regionalplan als landwirtschaftliche Fläche gesichert wird. Zumindest ein Zielabweichungsverfahren, wenn nicht eine Änderung des Regionalplanes wären notwendig. Beides kostet Zeit. Und das Autohaus? Soll in die Welsche Wiesen oder soll dort, wie im MT zu meiner Überraschung zu lesen war, möglicherweise besagter Logistiker hin? Wenn Lidl doch noch von der Industriestraße an die Goethestraße umzöge, könnte das Autohaus am alten Lidl-Platz wachsen?
Eine Strategie ist nicht zu erkennen. Was tun, wenn ein weiteres Unternehmen anklopft und dringend eine größere Fläche will?

Welche Varianten lassen sich da ablesen?

- Wir verteilen Zipfel und Zwickel über die Markung und lassen auf jedem etwas Gewerbe zu. Ein Flickerlteppich. Ein bisschen hier, ein bisschen dort, hinterm Eckenweiher, neben den Waldäckern, an der B35. So lässt sich eine Markung kaputt planen. Neue Konflikte mit Siedlungen, obwohl bestehende gerade beendet werden sollen?

Oder

- Wir nehmen jetzt Waldäcker-Ost und Welsche Wiesen. Das wäre es dann. Egal, was an interessanter Nachfrage aus Mühlacker und darüber hinaus noch kommt.

Oder

- Wir nehmen jetzt Waldäcker-Ost und Welsche Wiesen. Begeben uns dann wieder auf Suche, wenn ein neues Unternehmen aus der Stadt mit Abwanderung droht, weil wir aktuell nichts anbieten können.

Oder

- Wir nehmen einen Standort wie Hart, für den der Regionalplan in einem etwa zwei Jahre dauernden Verfahren geändert werden müsste, wobei offen ist, ob es dafür im Regionalverband eine Mehrheit gäbe und ob die oberste Landesplanungsbehörde am Ende zustimmen würde.

Oder

- Wir warten gleich auf den neuen Regionalplan mit neuen Freiraumsicherungen. Aber unter drei Jahren läuft da nichts. Offen ist, was dabei heraus kommt.

Oder

- Wir nutzen die bestehenden  Möglichkeiten des Regionalplanes, die vor Jahren auf Wunsch der Stadt Mühlacker geschaffen wurden: Ein Gewerbegebiet an der Lug/Fuchsensteige. Einzig dieses Areal ließe sich sofort in Angriff nehmen, hier müsste der Regionalplan nicht geändert werden. Das  Bebauungsplanverfahren könnte sofort gestartet werden für  25 Hektar am Stück, mit  Reserven. Erste Eigentümer liebäugeln mit einem Verkauf von guten Böden an die Stadt für Betriebe. Die Hürde: Dafür eine Mehrheit im Gemeinderat zu finden.

Gerade da beginnt es widersprüchlich zu werden. Die FDP-Ratsfraktion wirft den anderen Fraktionen vor, nicht aktiv auf ein neues Gewerbegebiet hinzuarbeiten. Wir wollen kein weiteres Jahr verlieren, sagte ihr Fraktionssprecher im August 2018 im MT. Und fügte hinzu: Niemand will wirklich ein Gewerbegebiet in der Landschaft, aber die Stadt Mühlacker, die schon lange kein Areal für Firmen mehr ausgewiesen und außerdem auch noch Gewerbeflächen in der Innenstadt verloren hat, braucht Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinnahmen, um die anstehenden kostenträchtigen Projekte finanzieren zu können.

OB-Argumentation im Original. Da müsste die FDP sich an die Spitze des Zuges stellen und für die am schnellsten erreichbare Variante kämpfen. Möglicherweise fänden sich weitere Mitstreiter für den Sprung über die B10 im Gemeinderat. Die schnellste Lösung! Oder doch nicht? Im August sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende, seine Fraktion tendiere zur Hart. Just die käme aber wegen Freiraumsicherung und Grünzug nicht schnell, wenn sie sich überhaupt realisieren ließe.

Ob jene, die einen Handlungsdruck erkennen und kein Jahr mehr verlieren wollen, den Worten auch Taten folgen lassen? Dann müssten sie einen Antrag für Lug-Fuchsensteige stellen. Oder nicht weiter mit dem Finger auf andere zeigen.

Mühlacker, so sagte der Direktor des Regionalverbandes, habe ein Luxusproblem. Der Regionalplan halte eine Fläche für ein zukunftsträchtiges Gewerbegebiet frei, nur die Stadt wolle dieses Areal nicht nutzen. Andere Mittelzentren in  der Region wären froh, wenn sie diese Chance hätten, stattdessen müssten sie auf langwierige Änderungsverfahren des Regionalverbandes hoffen.

Glückliches Mühlacker. Vorausgesetzt, eine Mehrheit sieht diesen Glücksfall. Vor allem jene, die von einem dringenden Bedarf sprechen, der es nicht erlaube, ein weiteres Jahr zu verlieren. Aber vielleicht ist der Nachfragedruck doch nicht so stark, wie Haushaltsrede und Anträge vermuten lassen. Statt der großen Lösung setzt die FDP inzwischen auf Stückwerk und will Waldäcker-Ost.

Die Nagelprobe steht bevor.

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