"Schneller Rückkanal - Innerhalb von 24h steht es 300:100".

Boris Palmer: Unterwegs auf Facebook

Er kam, sah und schoss ein Selfie für seine Facebook-Seite: Boris Palmer, Tübinger OB und Garant sowohl für unterhaltsame als auch informative Reden. Just damit war er ohne rhetorische Umwege bei seinem Thema auf dem Symposium des Staatsanzeigers in Stuttgart: Der Bürgermeister im Shitstorm, unterwegs auf Facebook. Als Amtsperson, gesetzlicher Vertreter der Unistadt, als Privatmann oder eine Mischung aus allem? "Diese Seite gehört mir als öffentlicher Person. Die Stadt Tübingen war lange Jahre entsprechend einer Festlegung des Gemeinderates nicht in sozialen Netzwerken. Deswegen ist diese Seite nicht städtisch. Ich habe daher keine Ressourcen, um offizielle Anfragen zu beantworten. Diese bitte auf dem Dienstweg: ob@tuebingen.de" Eine gewisse Unschärfe, die aber höchstens Juristen interessiert. Leider habe er das Limit für Freunde erreicht, schreibt der Grünen-Politiker auf seiner Seite und empfiehlt: "Bitte daher das Abo wählen."

Freunde? Alles Freunde? Er muss einstecken können ("Zecken wie Dich"), aktiviert seine Fans, postet sich schon mal durch einen zugespitzten Beitrag über Flüchtlinge in die Tagesthemen, stellt Fotos von Falschparkern auf seine Seite und muss sich dafür anmachen lassen, wirbt für Tempo 30, bastelt virtuelle Umfragen und schreibt schon mal über den neuen Bio-Supermarkt zur Stärkung der Innenstadt.  Ein OB als Lokalreporter? Das örtliche Blatt sieht einen Medien-Konkurrenten in ihm, sagt er. Der "Spiegel" wiederum sieht den "Oberboris" bei Facebook auf der Suche nach dem Volkswillen: 40.000 Leserinnen und Leser, cirka 7000 Beiträge, etwa eine halbe Million Kommentare, letztere nicht immer vom Feinsten. Man muss Palmer sein, um das zu verkraften. Viele, die ihm im Saal 3 der IHK Region Stuttgart lauschen, würden das kaum ein paar Tage durchhalten, sondern rasch entnervt kapitulieren.

#Amt@SocialMedia - Kommunikation mit dem vernetzten Bürger! Palmer kommuniziert heftig und lebt das Thema des Tages. Er habe wohl nichts zu tun, wenn er bei Facebook so aktiv sei, kommentieren manche.  Der OB hält dagegen: Er fahre Bus, Bahn oder Taxi, nutze dabei sowieso das Handy. Posts als Nebenprodukt? Er lerne durch das Feedback jedenfalls viel dazu. "Facebook-OB" (Spiegel) Palmer bilanziert in der IHK vor den Mitarbeitern anderer Kommunen und (Ober-)Bürgermeistern sein Engagement unter "Bürgerbeteiligung 2.0" und zieht als Fazit: Shitstorms sind beherrschbar, neue Zielgruppen werden erreicht, das Meinungsspektrum lässt sich erweitern, der schnelle Rückkanal ist garantiert, Umfragen und Stimmungstests auch, Bürgernähe, Wahlkampfmedium, politische Initiativen, schließlich fördert sie Nachwuchs für die Demokratie. Tübingens OB schlägt Nägel ein. Und während in seinem Rathaus an einer speziellen App für Bürgerbeteiligung geschafft wird, diskutieren wir in Mühlacker noch eine Bürger-App, fahren Facebook auf Sparflamme, lassen Twitter links liegen, obwohl seit Oktober 2016 selbst die Ludwigsburger Polizei zwitschert.

 

Streiflichter der Tagung:

Social-Media-Plattformen: YouTube, Instagram, Facebook, Twitter, Xing - die 20- bis 29-Jährigen lieben Youtube (90 Prozent),  Facebook (89), Instagram (71), Twitter (30 Prozent), ermittelten Marktforscher. Und bei den 50- bis 59-Jährigen? 72 Prozent Facebook, 55 Prozent YouTube, 16 Prozent Twitter und 12 Prozent Instagram. Beispiel Konstanz: Die Bodensee-Stadt nutzt alle Kanäle. "Mit dem Bürger auf Augenhöhe", heißt das Motto der Öffentlichkeitsarbeiter im Rathaus - digital auf allen Wegen. GR-Podcast, Pressemitteilung, Website, soziale Medien, Mängelmelder . . . Keine Angst vor dem Bürger, digital statt analog.

Stuttgart startete im Oktber 2017 sein Online-Portal für Bürgerbeteiligung der Landeshauptstadt. Der Steckbrief zeigt die wesentlichen Infos eines Vorhabens an. Diese  Infos finden sich auch in  der Vorhabenliste wieder. Neben den reinen Informationen zeigt ein Foto oder eine Grafik, "worum es bei dem Vorhaben geht oder worum es sich handelt.  Ein modulares Baukastensystem erspart einzelne Webseiten für Verfahren, bündelt Vorhaben auf einem Portal, verfügt über eine Archivfunktion, ermöglicht direkte Online-Interaktion".

Wie sich unser "Geschichten erzählen" verändert. Die Infodesignerin Daniela Vey nennt das mobile Evolution. Bei den 14- bis 29-Jährigen gehen 75 Prozent der Zeit am Smartphone für Facebook-Apps drauf: Facebook, Messenger, Whatsapp, Instagram (Quelle: Statista).

Ein Realist will Basiswissen vermitteln, stößt auf großes Echo: Steffen Becker, seit 2017 Redenschreiber im Landtag von Baden-Württemberg. Zuvor war der gelernte Tageszeitungsredakteur stellvertretender Pressesprecher und Social-Media-Referent der Grünen-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg sowie Referent für Öffentlichkeitsarbeit im Verkehrsministerium Baden-Württemberg und Pressesprecher des Rems-Murr-Kreises.  Nüchtern, ohne blendende Euphorie fixiert Becker einige wichtige Eckpunkte (hier gekürzt zitiert):

  • "Social Media ist nicht einfach nur ein weiterer Vertriebskanal. Funktioniert nur, wenn man umdenkt. Den Dialog anstrebt (wenn er denn zustande kommt). Und sich an den Interessen des Gegenüber orientiert.
  • Bürger*innen haben wenig Frustrationstoleranz bei der Suche nach Antworten/Ansprechpartnern, wollen in ihrer Lebenssphäre abgeholt werden, wünschen sich einen einheitlichen Ansprechpartner. Diese Erwartung kann zum Beipiel  eine Facebook-Seite erfüllen.
  • Erreichen neuer Zielgruppen, die mit bisherigen Kommunikationsinstrumenten nicht oder nur schwer erreicht wird.  Social Media Plattformen bieten ein niedrigschwelliges Kontaktangebot. Zielgruppe kann durch gezielte Werbung und durch zielgruppengerechte Ansprache erreicht werden.
  • Social Media Plattformen bieten die Chance, Feedback direkt von den Bürger*innen zu erhalten. Positionen und Themen kann man hier testen.  Mit Online-Bürgersprechstunden kann man den Dialog  führen, die es zeitlich und organisatorisch nicht zu Sprechstunden und Veranstaltungen schaffen.
  • Soziale Plattformen ermöglichen es, gerade laufende Debatten mitzubekommen und direkt zu beeinflussen. Beispiel Facebook-Gruppe Frickenhausen. Wenn abgesehen von höherer Reichweite keines dieser Ziele gewünscht ist, lohnt sich der Aufwand eher nicht.
  • Der Erfolg von Social Media liegt in der Schnelligkeit. Social Media braucht also Priorität im Gefüge der sonstigen Aufgaben." O-Ton Becker.

Bei Boris Palmer heißt das so: "Schneller Rückkanal - Innerhalb von 24h steht  es 300:100". 300 für die eine, 100 für die andere Variante eines, na?, Leitsystems durch Tübingen.

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