Max Frisch im zerstörten Pforzheim

Eine neue Rubrik hier im Blog: Bücher-Funde. Durchaus doppeldeutig gemeint: In Büchern Gefundenes und Bücher, die für sich schon Fundstücke sind. Zum Auftakt: Max Frisch und Pforzheim.
Er war ein  begnadeter Tagebuchschreiber. Max Frisch (1911-1991) vertrat die Auffassung, dass die Tagebuchform die einzige ihm entsprechende Prosaform sei und er sie daher ebenso wenig wählen könne wie die Form seiner Nase [Sybille Heidenreich: Max Frisch. Joachim Beyer Verlag, 1978, Seite 126]. Und er forderte ununterbrochenes Interesse ein. In seinem "Tagebuch 1946-1949" [Ausgabe für die DDR im Verlag Volk und Welt, Berlin, 1987]  mahnt der Schriftsteller und Architekt: "Der Leser täte diesem Buch einen großen Gefallen, wenn er, nicht nach Laune und Zufall hin und her blätternd, die zusammensetzende Folge achtete; die einzelnen Steine eines Mosaiks, und als solches ist dieses Buch zumindet gewollt, können sich allein kaum verantworten." (Zürich, Weihnachten 1949). Frisch bereiste nach Kriegsende die zerstörten Städte Warschau, Berlin, Prag, München, Frankfurt - und Pforzheim.
Ein halbe Seite, überschrieben mit "Unterwegs". Anfang 1947 erreicht Max Frisch im Schlafwagen, von Straßburg kommend, die zerbombten Geleise von Karlsruhe, beschreibt verbrannte Eisenbahnwagen. "Später öffnen wir das Fenster im Korridor; wir sind in Pforzheim, wo man kaum noch ein Dach sieht, nichts als verzackte Mauern, Ruinen voll Schnee. Irgendwo raucht es aus einem Keller, und Kinder stehen auf einer verschneiten Straße, blicken zu uns." Constanze, seine Begleiterin, schüttelt den Kopf, als sie das sieht und Frisch zitiert sie: "Vollkommen kaputt:" Und weiter aus dem Buch: "Ein Sieger, ein junger Offizier, der gerade durch den Korridor kommt und in den Speisewagen will, blickt sie an: 'Gott sei Dank, Madame -'" Betroffenheit bleibt zurück.
Ein Streiflicht auf Seite 139 (von 412 Seiten). Frankfurt und München nach der Zerstörung schildert er in seinem Tagebuch umfangreicher, kehrt später auch dorthin zurück. Sein Besuch in Pforzheim bleibt einmalig. Doch seine Schilderung realer Fakten und die Sachlichkeit, mit denen er die zerstörten Städte beschreibt, machen betroffen. Sind Mosaiksteinchen neben Elementen seiner Romane und Dramen, Werkstücke in den Tagebüchern. So gesehen ist die knappe Schilderung des vor 70 Jahren im Februar zerstörten Pforzheim ein ganz kleines Steinchen in Frischs literarischem Mosaik. Eines, an das zu erinnern war.    

Trackbacks

Trackback-URL für diesen Eintrag

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!


Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.