Blockieren Sandlaufkäfer & Co. die Rekultivierung?



Noch ist das gesamte Gelände eingezäunt.


Kann der Deutsche Sandlaufkäfer die längst genehmigte Rekultivierung des inzwischen weitgehend abgebauten Erdzwischenlagers der früheren Baustoffwerke Mühlacker aushebeln? Verhindert die auf der Roten Liste 1 stehende Spezies die Umsetzung der bei der Genehmigung der Erdzwischendeponie 1984 erteilten Auflage, die Fläche im Lienzinger Ziegelhäule wieder im ursprünglichen Zustand der Landwirtschaft zurückzugeben? Das ist die zentrale Frage, die derzeit die Ämter - zuvörderst das Landratsamt Enzkreis als Naturschutzbehörde - und den Gemeinderat von Mühlacker beschäftigt. Ausgelöst wurde dies durch eine Eingabe des BUND-Ortsverbandes Mühlacker, nach dessen Angaben weitere Rote-Liste-Arten auf dem viereinhalb Hektar großen Gelände vorhanden sind wie zum Beispiel die südliche Binsenjungfer und der kleine Feuerfalter. Angeführt werden noch andere Tierarten aus der Richtlinie Flora, Fauna, Habitat (FFH) der Europäischen Union, für die das Areal Fortpflanzungsstätte und Lebensraum sei wie Springfrösche, Gelbbauchunke und spanische Flagge


Über diese Einwände kann nicht mit einer Handbewegung hinweggegangen werden. Sie zeigen aber auch, wie Auflagen für eine Genehmigung plötzlich an Wert verlieren. Der Technische Ausschuss des Gemeinderats hatte sich am 10. Mai 1983, der Gemeinderat eine Woche später mit dem Antrag der Baustoffwerke beschäftigt, das beim Bau der Schnellbahn zwischen Mannheim und Stuttgart im Bereich Illingen/Schützingen anfallende und für die Ziegelherstellung brauchbare Material unter anderem im Ziegelhäule auf Markung Lienzingen, rechts der Landesstraße nach Mühlacker, zwischenlagern zu lassen. Ich hatte am 17. Mai 1983 beantragt, zusammen mit den Baustoffwerken nach einem alternativen Standort zu suchen, damit die landwirtschaftliche Bewirtschaftsfläche der Lienzinger Landwirte nicht geschmälert wird. Mein Antrag war mit 11 Ja- bei 19 Nein-Stimmen abgelehnt worden. Den Ausschlag gaben die Interessen der Baustoffwerke (inzwischen Firma Wienerberger). Eine Woche zuvor erging es einem anderen Antrag von mir genauso: Bürgerversammlungen in Lienzingen und Heidenwäldle fanden keine Mehrheit, sie waren nicht erwünscht.


Der tonreiche Mergel als Rohstoffvorrrat für die Baustoffwerke zur Sicherung des Standorts Mühlacker: Zwischen der ersten und der zweiten Beratung im Mai 1983 waren die Auflagen verschärft worden, um die Zustimmung einer Mehrheit des Gemeinderats zu erreichen. In Punkt fünf der Auflagen hieß es nun: "Nach Beseitigung der Halde ist das vorhandene Gelände zu rekultivieren; das heißt der Humusauftrag muss wieder erfolgen und das Gebiet sollte zur landwirtschaftlichen Nutzung freigegeben werden." Dieser Punkt floss dann so in die Genehmigung durchs Landratsamt ein. Bei meiner Gegenstimme und bei acht Enthaltungen passierte der Antrag der Baustoffwerke den Gemeinderat. Die Revanche kam: Im OB-Wahlkampf 2001 hieß es im gegnerischen Lager, mein Abstimmungsverhalten sei gegen lokale Wirtschaftsinteressen gerichtet gewesen, obwohl nur ein anderer Standort gewünscht war.
Soweit zur formalen Seite. Was taugen solche Auflagen, wenn sich eine Landschaft so verändert, dass plötzlich Rote-Liste-Arten auftauchen? Inzwischen soll der Erdwall zur Landesstraße hin genauso erhalten werden wie eine Vernässungszone auf einer Teilfläche im südwestlichen Bereich. Die Fläche dazwischen würde wieder an die Landwirtschaft zurückfallen, die auch einen Bedarf dafür sieht. Doch der BUND will das gesamte Areal für den Naturschutz sichern, verweist auf eventuelle Landeszuschüsse und die Möglichkeit, Punkte fürs Öko-Konto der Stadt zu verbuchen, die dann bei Engriffen in die Landschaft durch die Stadt an anderer Stelle eingesetzt werden könnten.


Der Gemeinderat ist momentan eher in der Zuschauerrolle, nachdem der BUND eine Umweltschadensmeldung beim Regierungspräsidium Freiburg eingereicht hat und von einem Fachanwalt die eingangs gestellt Frage beantworten lassen will. Ich nehme die Argumente der Naturschützer ernst. Was mich aber dabei beschäftigt ist, wie sehr sich Bürger künftig auf gegebenene Zusagen und Auflagen verlassen können, wenn plötzlich der Deutsche Sandlaufkäfer oder anderes Getier herum krabbelt. Das müssen wir bei künftigen Entscheidungen immer im Hintergrund haben.
Apropos Landwirtschaft: Manche Stadträte und die Verwaltung liebäugeln mit einem Gewerbegebiet in der Hart (mit einer Option Ziegelhäule, wie bei einer früheren Planung?) und damit auf der anderen Seite der Landesstraße. Aber auch dort gibt es landwirtschaftliche Flächen. Weshalb sind diese kommunalpolitisch von geringerem Gewicht, wenn ein Gewerbegebiet entstehen soll, als jene, auf die derzeit die Naturschützer ihr Augenmerk geworfen haben? "Die Landwirtschaft braucht die Fläche", sagte ein Ratskollege bei der Besichtigung der abgeräumten Erdzwischendeponie kürzlich. Dann bitte konsequent.

Hier ein Blick vor und hinter den grünen Saum des bisherigen Zwischenlagers: _blankApropos Landwirtschaft: Manche Stadträte und die Verwaltung liebäugeln mit einem Gewerbegebiet in der Hart (mit einer Option Ziegelhäule, wie bei einer früheren Planung?) und damit auf der anderen Seite der Landesstraße. Aber auch dort gibt es landwirtschaftliche Flächen. Weshalb sind diese kommunalpolitisch von geringerem Gewicht, wenn ein Gewerbegebiet entstehen soll, als jene, auf die derzeit die Naturschützer ihr Augenmerk geworfen haben?



Selten gesehen: der Lienzinger See




Die Natur breitet sich aus






Rund 4,5 Hektar groß ist das Areal



In einem Teilbereich wurde auch abgebaut




So zeigt sich die Erdzwischendeponie von außen - ein hoher grüner Gürtel

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