Die Lienzinger kennen ihn wohl zumeist nur als Namensgeber für eine Straße im ihrem Dorf, die hinter der Grundschule hoch führt zu ein paar Häusern oberhalb des Bierkellers und die als Sackgasse endet: Dr.-Ing. Otto Schneider (1877-1952), der Mann aus der Brauereifamilie, der selbst nie Brauer war, sondern später Chef einer Maschinenbaufirma in Ludwigsburg. Seine Familie zog zwar weg, als er noch Kind war, doch der Ingenieur blieb seinem Geburtsort immer verbunden, spendete großzügig zum Beispiel für eine Kirchenglocke. 1953 verkauften seine Erben den gesamten Besitz in Lienzingen an die Gemeinde: die ehemalige Brauerei mit zwei Wohngebäuden, zwei Hektar Land (darunter das Gelände, auf dem die heutige Grundschule steht) und 4,5 Hektar landwirtschaftliche Grundstücke. Zu den von der Kommune erworbenen Erb-Stücken zählte auch ein besonderes Objekt: der Bierkeller.
Hoch gepokert und gewonnen
Ein ganzes Paket voller Land und Immobilien, das der Gemeinderat aber weiterverkaufte. So beschloss er, kaum Eigentümer, zwei Gebäude öffentlich zu versteigern. Gebäude Nr. 43 mit Scheune sowie Nr. 44 mit Scheune und Nebengebäude (heute Knittlinger Straße 13 und 15) brachten bei zwei Anläufen zwei Gebote von zusammen 29.100 Mark. Ein gutes Geschäft. Denn damit sei eine Summe erreicht, der fast die ganzen Kaufkosten für das gesamte Schneider‘sche Anwesen decke, heißt im Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 26. Februar 1954 (Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Li B 324, S. 201). Den Zuschlag an die Bieter – beide Lienzinger - erteilten sie trotzdem nicht gleich, sondern erst nach Nachweis der Bonität. Zudem wollte die Männerrunde im Rathaus ein noch besseres Geschäft für die Gemeinde machen. Die anwesenden acht Räte und Bürgermeister Richard Allmendinger beschlossen, einen dritten Versteigerungstermin anzusetzen, verwarfen die Alternative, die Häuser in Gemeindebesitz zu erhalten, obwohl dadurch – wie zu lesen ist - die noch wenigen, aber schwierigen Wohnungsfälle zu bereinigen gewesen wären.
Schwerer wog für die Ratsherren die Aussage des Bürgermeisters, die Gebäude befänden sich in einem nicht gerade guten baulichen Zustand. Behalte die Gemeinde die Objekte, entstünden erhebliche Kosten für Instandsetzung und zweckmäßigen Ausbau. Das entscheidende Argument, in einem dritten Versteigerungstermin möglichst noch höhere Gebote zu erhalten, wird im Protokoll so formuliert: Aus Gründen der Rentabilität hält es der Gemeinderat für zweckmäßiger, die Gebäude wieder abzusetzen, zumal bereits bei der zweiten Versteigerung ein unerwartet hoher Kaufpreis erzielt wurde. Der Beschluss fiel einstimmig.
Ein Bombengeschäft
Gepokert und gewonnen. „Vermögenszuwachs“ steht im Protokoll der Ratssitzung vom 5. September 1958, bei der Bilanz gezogen wurde: 18.463 Mark als Gewinn, lieber „Mehrerlös“ genannt, die ins allgemeine Kapitalvermögen der Kommune wanderten, zu verwenden für die Finanzierung des Baus von Volksschule und Kinderschule, wie der Bürgermeister in der Niederschrift festhielt und die Genehmigung durchs Landratsamt Vaihingen beantragte (STAM, Li B 325, S. 222f). Die Erben Schneiders hatten für das ganze Paket mit Immobilien und Liegenschaften rund 35.000 Mark erhalten, der schlitzohrige Bürgermeister öffnete das Paket, verkaufte den Inhalt quasi einzeln für mehr als 53.000 Mark. Ein Bombengeschäft von Schultes und Räten zum Vorteil der Gemeindekasse. Als die Schneider-Erben Wind davon bekamen, forderten sie, nachzuverhandeln oder ihnen wenigstens 1000 Mark nachzubezahlen, was Allmendinger schroff von sich wies.
Kratzer bekam das Bild von Dr. Otto Schneider als Wohltäter und Förderer seines Geburtsortes, auch wenn er längst in Ludwigsburg wohnte, im April 1954 durch teilweise garnicht so freundliche Worte Allmendingers über ihn. Trotzdem wird das unbeschädigte Bild des Ingenieurs und Unternehmers auch heute noch in der Öffentlichkeit gepflegt. Deshalb sei ein Blick ins Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 30. April 1954 empfohlen, als die oben erwähnten Nachforderungen der Erben zum Kaufvertrag als zehnter Punkt auf der Tagesordnung standen. Die Schneider-Erben argumentierten, ihr Vater habe sich als ehemaliger Lienzinger Bürger immer heimatlich gefühlt und seiner engeren Heimatgemeinde manches Anerkennungswerte zukommen lassen. Aus diesem Grunde dürfe es wohl der Gemeinde nicht schwer fallen, auch ohne rechtliche Verpflichtung eine gewisse Summe für die Grundstücks- und Gebäudeverkäufe nachträglich zu leisten. Gleichzeitig warfen sie dem Bürgermeister vor, sie bei den Kaufverhandlungen irregeführt zu haben, was dieser mit offensichtlich großem Vergnügen ins Ratsprotokoll aufnahm. In der Debatte entgegneten die Räte, die Erben hätten freiwillig ihren Grundbesitz verkauft und nicht unter Zwang.
Otto Schneiders andere Seite: Unnachgiebg - sagt der Bürgermeister
Klartext sprach Bürgermeister Allmendinger. Otto Schneider habe zwar in kultureller Beziehung für die Gemeinde manches Schöne und Wertvolle gefördert, andererseits sei aber sein unnachgiebiges Wesen für den Ort nicht gerade förderlich gewesen. Besonders wenn es darum gegangen sei, Grundstücke zum Bau von Wohnungen oder Gemeindeeinrichtungen zu gewinnen. Einstimmig lehnte der Gemeinderat die Forderung der Erben ab, den Lastenausgleich - der nicht näher im Protokoll erläutert wird - von 6000 Mark, zumindest aber die Hälfte davon zu übernehmen. Einstimmig lehnte der Gemeinderat selbst die 1000 Mark Nachzahlungen ab, auf die der Rechtsvertreter der Erben, Direktor Vogler aus Stuttgart, die Erben-Forderung selbst zurückgeschraubt hatte (STAM, Li B 324, S. 210 f). Nichtsdestotrotz benannte der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 10. April 1959 den Ortsweg Nummer 15, einen Seitenweg des Mühlwegs (heute Friedrich-Münch-Straße, bei der Grundschule) nach Dr. Otto Schneider (STAM, Li B 325, S. 259 f).
Immerhin entsprach der Gemeinderat am 4. September 1959 dem Wunsch der Schneider-Erben, eine Dachrinne über der Grabstätte an der Frauenkirche anbringen zu lassen, um die dortige Ruhestätte ihrer Eltern zu schützen. Die Familie sollte aber die Kosten übernehmen und das Denkmalamt müsse der Rinne zustimmen (STAM, Li B 325, S. 289).
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