Zielgruppe "Mühlacker 16 bis 65+": Kommunalpolitische Seelenlage

Einsatz beim Mühlacker Frühling

Der letzte Informationsstand auf dem Wochenmarkt ist vorbei, die letzte Ortsbegehung ebenfalls, der letzte beworbene Beitrag in Facebook beendet. Morgen entscheiden mehr als 19.000 Einwohner der Stadt Mühlacker über die Zusammensetzung von Gemeinderat und Kreistag. Vor fünf Jahren machten 45 Prozent von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Bis gestern gaben schon mehr als 2700 Mühlackerer per Brief ihre Stimmen ab. Der Wahlkampf verlief sachlich, hatte mit der Diskussion um ein Gewerbegebiet Welsche Wiesen einen zeitlich begrenzten Konflikt, der jedoch  durch eine Entscheidung des Gemeinderats gegen die Planung der Stadtverwaltung entschärft wurde. Weitere Aufregerthemen blieben weitgehend aus - abgesehen von dem Generalvorwurf, zu viel offene Baustellen in der Stadtpolitik zu haben, die nicht rasch genug abgearbeitet werden würden. Wir haben - die konkrete Entscheidung über ein größeres Gewerbegebiet einmal ausgeklammert - kein Beschlussdefizit des Gemeinderates, sondern ein Umsetzungsdefizit der Verwaltung.

Insgesamt war das Interesse an unseren Lokalterminen größer als 2014. Die richtigen Themen gesetzt, brachte den gewünschten Erfolg und das erhoffte Besucherecho. Nichts ist demotivierender als Einladungen, denen niemand folgt. Das Echo in Dürrmenz war verhalten, offenbar fehlen dort die zündenden Punkte.

Dass die Zahl der Briefwähler um mehr als 400 über der zum gleichen Zeitpunkt  2014 liegt, ist zunächst ein gutes Zeichen. Ob das insgesamt auf eine höhere Wahlbeteiligung schließen lässt oder ob es nur eine Verlagerung vom Wahllokalen zur Post bedeutet, wird sich morgen zeigen. Der Trend in Mühlacker dürfte von dem im Land kaum abweichen - zumindest beschleicht mich dieser Endruck.

Jedenfalls ist das Interesse an der Kommunalwahl auch diesmal sehr hoch, ergab der aktuelle BW-Trend. 69 Prozent der Befragten sagen, dass sie sich sehr stark oder stark für die Wahlen in ihrer Gemeinde interessieren. Das sind fünf Prozentpunkte mehr als vor der Kommunalwahl 2014. Dagegen gaben 26 Prozent (minus 4 Prozentpunkte) an, sich weniger für die Kommunalwahl zu interessieren und 5 Prozent (minus vier Prozentpunkte) interessieren sich gar nicht dafür.

Die gestern veröffentlichten Umfrageergebnisse - BW-Trend von Infratest dimap im Auftrag des Südwestrundfunks (SWR) - förderten weitere Erkenntnisse zu Tage: Auffällig ist, dass sich vor allem ältere Wahlberechtigte  stark oder sehr stark für die Wahl interessieren. In der Altersgruppe der 16- bis 39-Jährigen sind es nur etwas mehr als die Hälfte (54 Prozent). Wahlentscheidung zum Gemeinderat: Kandidaten spielen wichtigste Rolle. Bei ihrer Wahlentscheidung zum Gemeinderat orientieren sich die Wählerinnen und Wähler in erster Linie an den Kandidatinnen und Kandidaten (81 Prozent) und den Positionen der Parteien zu den lokalpolitischen Sachfragen (74 Prozent). Weniger wichtig für die Wahlentscheidung sind die langfristige Parteibindung (34 Prozent) und der Wahlkampf der Parteien (31 Prozent). Aktuell sind 70 Prozent der Befragten mit der Arbeit ihrer Stadt- und Gemeinderäte sehr zufrieden oder zufrieden. - wohlgemerkt im Landesdurchschnitt. Ob in Mühlacker der umstrittene Mühlehof-Abbruch nachwirkt?

Jedenfalls war nicht nur Kritik zu hören. Ein zugezogener junger Familienvater sagte, seine Frau und er hätten sich bewusst für Mühlacker entschieden, weil sie die Stadt schätzen und gerne hier wohnen. Beide arbeiten in Stuttgart und Mühlacker habe gute Verbindungen. Ihre Wohnung an der Goldshaldenstraße liegt in Bahnhofsnähe. Was interessierte nun die Leute am meisten? Zunächst das Problem vor der eigenen Haustüre wie die Kosten der Fertigstellung der Höhenstraße in Enzberg oder fehlende Feinjustierungen wie im Baugebiet "Pforzheimer Weg" in Großglattbach - im letzteren Fall hielt auch ein kräftiger Regen nicht vom Kommen ab. Einen weiteren Einblick in die kommunalpolitische Seelenlage lieferte die Ideen-Karten-Aktion der CDU Mühlacker im Vorfeld der aktiven Phase des Werbens um Wählerstimmen. Schon da zeichnete sich ab, dass in den Augen von Bürgern manche Projekte einfach zu lange dauern. Dazu gehört in erster Linie die Bebauung des Areals der früheren Ziegelei und damit die Schaffung bezahlbaren Wohnraums. Das zog sich durch wie ein roter Faden. "Zielgruppe "Mühlacker 16 bis 65+": Kommunalpolitische Seelenlage " vollständig lesen

Mehr Brüssel-TV, weniger Kochsendungen

Günther Oettinger, der schwäbische EU-Kommissar, auf vielen Kanälen mit seiner Europa-Rede in Berlin bei  der Bertelsmannstiftung, die Europa-Projekte bietet. Für ein Europa der Bürger.

Die Europawahl muss uns genauso wichtig sein wie die Bundestagswahl. Ein ähnlich engagierter Wahlkampf wie im Bund und eine hohe Wahlbeteiligung seien wichtig, schon, damit Populisten weniger Stimmen bekämen. Denn die Europäer müssten zusammenarbeiten, um sich im globalen Wettbewerb von Werteordnungen zu behaupten, sagte Günther Oettinger in Berlin.

Wie wichtig mehr Informationen und auch mediale Berichterstattung über die Europäische Union seien, betonte der EU-Kommissar: Ich würde mir manchmal weniger Kochsendungen und mehr Berichte aus Brüssel wünschen. Gewiss, Nachrichten aus Brüssel wirkten für viele Deutsche thematisch weniger relevant als Beschlüsse aus dem Berliner Bundestag. Doch das sollte sich ändern. Europa darf nicht das Freiluftmuseum von morgen werden. Wir brauchen mehr und gemeinsame Investitionen zum Beispiel in Bildung und Forschung, um mit China und dem Silicon Valley zu konkurrieren.

Angesichts vielfältiger Konflikte in aller Welt und nationalistischer Tendenzen in Europa rief Oettinger die Deutschen und Europäer bei einer Grundsatzrede bei der Bertelsmann Stiftung in Berlin dazu auf, wahrnehmbar und überzeugend für die Werteordnung der EU mit parlamentarischer Demokratie, sozialer Marktwirtschaft, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Presse-, Glaubens- und Religionsfreiheit einzutreten. Es ist in diesem Jahr wichtiger als jemals zuvor, sagte Oettinger mit Blick auf die Europawahl im Mai und die Besetzung zahlreicher EU-Spitzenposten.

Am 26. Mai 2019 sind Europawahlen.

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Die Schuldigen? Anträge!

Zu viele Anträge von Fraktionen?
Jeder neue Antrag haut die Prioritätenliste durcheinander. Anträge zu formulieren, ist legitim, aber man sollte sich bewusst sein, dass sie an anderer Stelle zu Stillstand führen, sagt Mühlackers OB Frank Schneider im MT-Interview von gestern. Und an anderer Stelle wird er zitiert mit dem Satz: Ein Drittel der Punkte (der Tagesordnungen des Gemeinderates) beruht inzwischen auf Anträgen, die wir immer schneller bearbeiten müssen, obwohl es teils um komplexe Fragestellungen geht. In dieser Zeit bleibt etwas anderes liegen. Den Ball nimmt  Beigeordneter Winfried Abicht auf und spielt ihn weiter: Wir sind uns durchaus bewusst, dass es ein paar Kernthemen gibt, von denen vieles abhängt. Aber zwischendurch kommen wieder neue Anträge …   Die Botschaft wird zwar nicht ausgesprochen, soll aber heißen: Anträge aus dem Gemeinderat verzögern die Aufgabenerledigung. Schöne Demokratie. Ein Recht wird als Bremsschuh definiert  - ein Alibi, dass die Verwalttung selbst in manchen Projekten nicht zügig vorankommt. Die Schuldigen? Anträge! Als ob ein Antrag, den das Ordnungsamt bearbeitet, weil in seiner sachlichen Zuständigkeit, den Hochbau lahm legt ...

Die neue Taktik von Verwaltungschefs, den Gemeinderäten den Schneid abzukaufen, ihre gesetzlich verankerten Rechte wahrzunehmen? In der jüngsten Ausgabe des Staatsanzeiger findet sich auf Seite 10 ein Beitrag mit ähnlichem Tenor: In Nürtingen und Freiburg beklage die Verwaltung, Anträge und Anfragen hielten vom Tagesgeschäft ab. Doch Arne Pautsch, Professor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg, hält dagegen: Antragsflut sei im Interesse der lokalen demokratischen Willensbildung, selbst wenn sie zunächst vor allem Mehrarbeit für die Verwaltung verursache.

Der Gemeinderat ist die Vertretung der Bürger und das Hauptorgan der Gemeinde, steht in § 24, 1 der Gemeindeordnung Baden-Württemberg. Er legt die Grundsätze für die Verwaltung der Gemeinde fest und entscheidet über alle Angelegenheiten der Gemeinde, soweit nicht der Bürgermeister kraft Gesetzes zuständig ist oder ihm der Gemeinderat bestimmte Angelegenheiten überträgt. Der Gemeinderat überwacht die Ausführung seiner Beschlüsse und sorgt beim Auftreten von Mißständen in der Gemeindeverwaltung für deren Beseitigung durch den Bürgermeister.   Um nicht zum zahnlosen Tiger zu machen, verschaffte ihm der Landtag notwendige Instrumente: das Auskunfts-, Informations-  und Antragsrecht. Nicht nur das: Die Verwaltungsspitze darf nicht nach Taktik und eigenem Gutdünken den Gemeinderat unterrichten - sie ist dazu verpflichtet.

Zum Rund-um-Paket kommunale Selbstverwaltung - Verfassungsrang! - gehören nicht nur die fest besoldeten Menschen im Rathaus, sondern auch jene, die ihre Freizeit für diese Arbeit opfern - ehrenamtlich.

Das zunehmende Gejammere, Anträge und Anfragen kämen obendrauf und verhinderten die Erledigung anderer Aufgaben, verraten, dass die Rechte des Gemeinderats wohl als störend empfunden werden. Solche Litaneien sollen den Ratsmitgliedern ein schlechtes Gewissen einreden, sie vom schnellen Schreiben eines Antrags abhalten, auf dass nur noch die Verwaltung die Beratungspunkte bestimmt. Eine Selbstverwaltung mit Schlagseite.  Natürlich werden solche Verwaltungschefs dies heftigst von sich weisen, aber dann sollen sie ihre Dauer-Kritik wie in den vergangenen Monaten in Mühlacker  einstellen. Anfragen und  Anträge kommen nicht so quasi auf 100 Prozent drauf - sie gehören zu diesen 100 Prozent.

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Forschungsobjekt Mühlacker

Mühlacker war dabei, zusammen mit bundesweit acht anderen Kommunen: Germersheim, Goslar, Ilmenau, Michelstadt, Saarlouis, Steinfurt, Weißenfels und Zittau. Sie alle Kommunen mit relativ hohem Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund, machten mit beim Forschungs-Praxis-Projekt "Vielfalt in den Zentren von Klein- und Mittelstädten – sozialräumliche Integration, städtische Identität und gesellschaftliche Teilhabe", das das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) von Juli 2015 an drei Jahre lang bearbeitete. Trotz einer Information im Gemeinderat lief aber alles in Mühlacker kaum in der Öffentlichkeit ab, die Arbeitssitzungen blieben eher im fachspezifischen Rahmen. Jetzt erschien in der Edition Difu der Ergebnis-Band.  Sein Inhalt bietet wissenschaftliche Beiträge, Essays und persönliche Positionierungen. Sie berücksichtigt theoretisch-konzeptionelle Überlegungen zu Integration und  Stadtentwicklung ebenso wie Fragen der alltäglichen Praxis kommunaler Stadtentwicklungspolitik und Integrationsarbeit. Im 364 Seiten dicken  Buch taucht Mühlacker 56 Mal auf.

Das Projekt startete mit folgender Annahme: Maßnahmen zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Integration können positive Entwicklungsimpulse für die Stabilisierung von Innenstädten/Zentren gerade in jenen Kommunen auslösen, die innerstädtische Funktionsmängel aufweisen. Vor allem an Akteure aus der Stadtverwaltung waren gefragt, zweimal auch die Gemeinderatsfraktionen.

Aus der Ergebnis-Sammlung: Der mit Abstand höchste Anteil an Migrantinnen und Migranten findet sich mit 58,1 Prozent in Germersheim. Der überdurchschnittlich hohe Anteil erklärt sich zum einen durch die industriell geprägte Wirtschaftsstruktur (Binnenhafen, Logistikstandort). Zum anderen ist Germersheim ein Universitätsstandort für Translationswissenschaften. Ein ebenfalls vergleichsweise hoher Anteil an Personen mit Migrationshintergrund ist in Mühlacker vorhanden (36,5 Prozent). Die Forscher sehen in der industriell geprägten Wirtschaftsstruktur die Ursache für den hohen Zuwandereranteil.

Für Mühlacker ist, so ist zu lesen, ein recht hoher Anteil an Zuwanderern aus Westeuropa (6,2 Prozent) kennzeichnend; Germersheim, Michelstadt und Mühlacker haben zwar relativ hohe Bevölkerungsanteile an Zuwanderern, aber eine deutlich geringere Segregation, also weniger Ungleichverteilung über die Gesamtstadt. In mehreren Kommunen ragen einzelne Stadtgebiete  mit einem besonders hohen Anteil an Bevölkerung mit Migrationshintergrund heraus: In Mühlacker, Germersheim und Michelstadt liegt in den Wahlbezirken der maximale Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund bei über 50 Prozent. Rechnet man die Gebiete mit einem Anteil von über 30 Prozent hinzu, so weisen mit Ausnahme von Zittau alle Projektkommunen mindestens einen Wahlbezirk auf, in dem ein Drittel oder mehr der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat. Daraunter ist der Wahlbezirk Rathaus Mühlacker - mit einer Wahlbeteiligung von 22 Prozent bei  der Gemeinderatswahl 2014.

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Baugebiete weggekreuzt

Bürgerentscheid

Seit in den Kommunen Baden-Württembergs geplante Baugebiete in Bürgerentscheiden weggekreuzt werden können, gibt es Rufe aus den Rathäusern, dieses Element der direkten Demokratie wieder abzuschaffen. Allerdings fehlt in der Landespolitik die Mehrheit, die seit 1. Dezember 2015 bestehende Regelung zu streichen. So will eine Bürgerinitiative Freiburgs neuen Stadtteil Dietenbach kippen. Mit Spannung wird das Ergebnis des Bürgerentscheids im Februar 2019 erwartet. Besteht genügend Akzeptanz, die Pläne von Gemeinderat und Stadtverwaltung der Breisgau-Metropole in einer Zeit akuten Wohnraummangels umzusetzen? Just um diese Neubauakzeptanz drehte sich die Regionalkonferenz in Stuttgart, veranstaltet vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), dem Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung und dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung gemeinsam mit dem Verband Region Stuttgart. Freibugs Baubürgermeister Professor Dr. Martin Haag - übrigens ein gebürtiger Mühlackerer - wagte jedenfalls keine Prognose zum Ausgang des Bürgerentscheids. 

Wir brauchen mehr Bauland, so Gunther Adler (SPD), Staatssekretär im Bundesinnenministerium, bei der Tagung. Dazu Aufstockung und Dachgeschossausbau. Gegen Wohnungsnot hilft nur Bauen, betont Esslingens Baubürgermeister Wilfried Wallbrecht (Freie Wähler). Doch der Widerstand wächst. Wer ein Häusle hat, will sich kein neues vor die Augen setzen lassen. Bürgerentscheide werden zum Volkssport, beklagt Peter Bresinski vom Verband kommunaler Wohnbauunternehmen Baden-Württemberg beim Kongress. Und Ottmar Wernicke von Haus und Grund in Stuttgart unternimmt einen Ausflug in die Semantik: Flächenverbrauch ist das falsche Wort. Fläche bleibt, sie wird nicht verbraucht oder gefressen, sondern umgenutzt.

Die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger ist beim Wohnungsbau, insbesondere bei der Nachverdichtung, die entscheidende Voraussetzung,  betont der Staatssekretär aus Berlin und verweist auf eine am selben Tag vorgelegte Studie mit 13 Fallbeispielen. Das Gutachten zeigt eindrucksvoll, dass qualitätsvoller und bezahlbarer Wohnungsbau im Rahmen der Innenentwicklung dann möglich ist, wenn er von einer engen Kooperation mit allen Beteiligten und einem offenen Dialog begleitet wird. Ähnlich argumentiert eine CDU-Politikerin: Wir müssen eine breite Akzeptanz für städtebauliche Entwicklungen schaffen und Vorurteile ausräumen helfen. Wir müssen gemeinsam an Ideen für eine integrierte Stadt- und Gemeindeentwicklung arbeiten und für deren Umsetzung werben, so Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau des Landes Baden-Württemberg. Ziel dürfe nicht sein, Projekte mit Zwang durchzusetzen. Stattdessen müssten die Bürger stärker eingebunden, Interessen frühzeitig diskutiert und abgewogen werden. In Mannheim etwa sei die Beteiligung bei der Aktivierung von brachliegenden Konversionsflächen erfolgreich verlaufen, im früheren Benjamin-Franklin-Village etwa entstehe jetzt Wohnraum für 10 000 Menschen.

Frust klingt bei Wallbrecht durch. Die Stadt habe das  Verfahren zum neuen Flächennutzungsplan (FNP) mit dem klaren Schwerpunkt Innenentwicklung schon vor sechs Jahren auf den Weg gebracht und mittlerweile 600 000 Euro für die von externen Büros moderierte Bürgerbeteiligung ausgegeben, so der Bürgermeister. Die Region habe diese intensive Einbindung der Bevölkerung als vorbildlich gelobt, aber in Esslingen sei er gesteinigt worden. Ackerbauflächen würden bis auf den letzten Blutstropfen verteidigt, Bürgerinitiativen wehrten sich nach wie vor gegen die Bebauung der innerstädtischen Flächen. Trotz aller Bemühungen: Ich kann nicht feststellen, dass die Bürgerbeteiligung zur Befriedung geführt hat. Der Flächennutzungsplan hat bis heute keine Akzeptanz. Trotzdem geht der Bürgermeister davon aus, dass der FNP in den nächsten Wochen beschlossen wird.

 

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Die Alternative

Als Chorleiter in seiner heimischen Neuapostolischen Kirchengemeinde schwingt er schon mal den Taktstock, um Disharmonie zu verhindern: Der neue Enzkreis-Landrat Bastian Rosenau wird Missklänge zwischen Kreistag und Kreisverwaltung vermeiden wollen, wenn er vom 1. Februar 2018 an den Takt im Pforzheimer Landratsamt angeben wird. Zunächst unterschätzt, holte der Noch-Bürgermeister der 4500-Seelen-Gemeinde Engelsbrand und Kreisrat der Freien Wähler in der Endphase vor der Wahl auf. 

Vor allem SPD und Grüne wollten neben einem CDU-OB in Pforzheim nicht auch noch einen CDU-Landrat, obwohl Mitbewerber Dr. Björn Kleih zwar das christdemokratische Mitgliedsbuch besitzt, aber das Gegenteil eines Parteisoldats ist. Die Ursache ist im Oberzentrum zu suchen. Wenn im Pforzheimer Rathaus gerade in dieser Zeit wieder heftig gestritten wird und daraufhin im Kreistag die Meinung wächst, dieser parteipolitische Streit solle nicht auf den Enzkreis überschwappen, schwinden die Chancen selbst eines unabhängigen Geistes wie Kleih. Auch wenn ihm selbst von Rosenau-Wählern höchste Kompetenz fürs Amt bescheinigt wird. Unter Wert geschlagen.

Die Lust in Parteien, lieber auf einen Parteilosen zu setzen, wenn die Konkurrenz - hier die CDU - einen eigenen Bewerber unterstützt, müsste eigentlich junge Menschen von einem Parteieintritt abhalten, um nicht später beruflich in eine solche Situation zu geraten. Parteilosigkeit schmückt mehr als abgestempelt zu sein. Dass dann auch noch gestreut wurde, hinter allem stecke eh der Mappus, verschreckt, auch wenn der frühere Ministerpräsident zu keiner Zeit an der Personalentscheidung der CDU-Kreistagsfraktion beteiligt war. Doch dieses Feindbild wirkt stärker als die noch vor Wochen in der Breite des Gremium vorhandene Überzeugung, diesmal müsse unbedingt ein Externer auf den Chefposten im Kreishaus. Dem setzte Rosenau geschickt ein vor allem emotional starkes Wir-Gefühl entgegen, sendete die wirkungsvolle Botschaft an den Kreistag, einer von Euch zu sein, präsentierte sich als Kommunaler und damit als Kontrast zu einem, der in der Landesverwaltung seine Meriten erwarb - eine Laufbahn beim Land, wie gemacht, um Landrat zu werden. Bilderbuchkarriere heißt das.  Die Wahl von Rosenau ist ungewöhnlich: Bauamtsleiter, dann Bürgermeister, jetzt Landrat. Erstmals steht kein Jurist an der Spitze des Landkreises, kein höherer Laufbahn-Beamter, dafür ein kommunaler Praktiker. 

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Eine Prise Glanz-Verlust

OB-Wahl am 22. Oktober 2017 in Mühlacker: Auch in Lienzingen das Warten auf den Wähler.
Wenn man nur wüsste, warum Wahlbeteiligungen bei Bürgermeisterwahlen so ausfallen wie sie ausfallen. Manches lässt sich erklären, aber ein Teil bleibt Kaffeesatzleserei. Einleuchtend ist, wenn es an der Auswahl auf dem Stimmzettel mangelt -  Allleinkandidaten drücken auf des Bürgers Lust zum Besuch des Wahllokals wie jetzt in Mühlacker: 18,27 Prozent stimmten ab in einer Stadt mit 26.000 Einwohnern. Dagegen am selben Tag in der 3000-Seelen-Gemeinde Vörstetten im Landkreis Emmendingen fast 46 Prozent Beteiligung trotz eines Alleinkandidaten, ebenso Titelverteidiger nach den ersten acht Jahren wie in Mühlacker. Wenn man im Staatsanzeiger die Stimmbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen verfolgt, fällt auf: Je kleiner die Gemeinde umso höhere Beteiligungen selbst bei einer One-Man-Show (m/w). Der Bezug zur Kommune, die Identifikation mit ihr ist größer. Umgekehrt, je größer umso niedriger: Vor einem Jahr Nagold, nur Amtsinhaber angetreten, 20,5 Prozent oder Nachbar Vaihingen vor gut drei Jahren 19,1 Prozent. Selbst Pforzheim brachte es nur auf 38 Prozent trotz starker Konkurrenz zum Titelverteidiger. Und in Ulm, wo sich 2015  gleich mehrere Bewerber um die Nachfolge des nicht mehr angetretenen OB bemühten, herrschte Unzufriedenheit mit 42,5 Prozent. Wahlbeteiligung sinkt weiter und weiter, titelte dort die Lokalzeitung. Wenn überhaupt, ist die Wahlbeteiligung in diesem Fall höchstens ein Indiz für das Freizeitverhalten der Bevölkerung, kommentierte das MT nach dem Wahltag in Mühlacker. Wirklich? Ist es in der Senderstadt  nicht auch der hohe Migrantenanteil allein in der Innenstadt mit fast 40 Prozent (die Wahlbeteiligung bei der Kommunalwahl 2014 im Stimmbezirk Rathaus: 22 Prozent - jetzt bei der OB-Wahl halbierte sich die Zahl  der Abstimmenden). Wenn wir dann die weitere Gemengelage sehen ("der wird doch gewählt", "ich hätte gerne einen Gegenkandidaten", "ich bin (un)zufrieden, aber der Sieger steht schon fest"), rutscht man schnell auf 20 Prozent oder darunter. Dabei sollte von einem Bürger erwartet werden können, dass er einmal in acht Jahren ein paar Minuten für eine Bürgermeisterwahl aufwendet, ob er/sie mit dem Alleinkandidaten zufrieden ist oder nicht. Der Gesetzgeber weiß, weshalb er für Bürgermeisterwahlen kein Quorum vorschreibt wie bei Bürgerentscheiden, sonst bekäme manch  größere Kommune keinen OB mehr. Oder das Quorum könnte Anreiz sein zum Urnengang zumindest für all jene, denen dies nicht egal wäre. Sehen wir getrost, dass manche das (BM-)Wählen nicht verlernt haben, so  in dem 3000-Einwohner-Ort Au am Rhein im Kreis Rastatt: 73,4 Prozent im April. 
Wahlbeteiligungen sind Momentaufnahmen, bezogen auf sie verliert der Sieg im ersten Wahlgang ein wenig an Glanz - oder gewinnt zusätzlich. Nur: Bald redet kaum noch jemand von diesem Prozentsatz, je größer der Abstand zum Wahltag, um so mehr verblasst die Erinnerung. Entscheidend ist allein, wer auf dem Chefsessel im Rathaus Platz nehmen darf.