Erhaltenswert und trotzdem vor dem Abbruch: Klinker, Zierglieder, Zwerchhaus verschwinden

Das lokale Postamt mit Fernsprechzelle ganz links, im sich anschließenden Raum ein Tante-Emma-Laden, der viele Jahre auch zur eigentlich guten Nahversorgung des Dorfes beitrug. Anschließend zog auf dieser Fläche im Erdgeschoss ein Friseur ein. Im ersten Stock befindet sich eine Wohnung und vor dem Haus stand die erste Tankstelle Lienzingens: Obwohl im Verhältnis zu den Kulturdenkmalen noch jung, stellt das Gebäude Friedenstraße 12 ein eigenes Stück Lienzinger Ortsgeschichte dar. Jetzt wird das sich ans alte Rathaus anlehnende zweigeschossige Haus abgebrochen. Alle Versuche der Kommune, die das Anwesen vor sieben Jahren erstand, es wieder in private Hände zu bringen, die es hätten sanieren müssen, scheiterten. Also wird es in den nächsten zwei Wochen abgebrochen. Das dann freie Grundstücke soll vermarktet und wieder bebaut werden – mit den gehabten Formen.
Zu achten ist darauf, dass die Proportionen und die Außengestaltung stimmen werden und auch optisch kein Fremdkörper in diesem historischen Straßenzug entsteht. In dem Gebäude war mehr als ein Jahrhundert lang ein Teil der Lienzinger Infrastruktur untergebracht. Von 1929 an führte die Familie Common die Lienzinger Postagentur, zuerst Gottlob Common und dann bis zu ihrem Tod 1966 Frida Stickel, geborene Common. Albert Schnabel betrieb darin von 1927 bis 1929 die Poststelle mit dem kleinen Einkaufsladen. Er war es auch, der vor dem Gebäude die erste Tankstelle in Lienzingen errichtete. Von dem Laden könne man nicht leben, sagte er, verkaufte daraufhin 1929 Grund und Boden.
In ihrem kleinen Laden bot Frida Stickel nicht nur Ess- und Trinkbares gegen Hunger und Durst an, sondern auch lange Zeit auch Drogeriewaren, wie Johannes Bastian im Ortsbuch Lienzingen von 2016 schrieb (S. 224).
Lienzinger Geschichte(n): Diesmal aktuell Abbruch von Friedenstraße 12 nach gut 120 Jahren und seine Geschichte
Im Jahr 1928 erlebte Lienzingen eine Premiere: die erste Tanksäule, ein Jahr später die zweite, beide an der damaligen Hauptstraße, Nummer 16 und 111 (heute Friedensstraße 12 und 26). Pläne, diese zweite Anlage 1937/38 zu erweitern, scheiterten am Nein des Generalinspekteurs für das deutsche Straßenwesen. Die beiden Sprit-Ladestationen überdauerten das Kriegsende von 1945 nicht. Zwar gab es 1928/29 nur zwei amtlich zugelassene Kraftfahrzeuge in dem seinerzeit gut 700 Einwohner zählenden Dorf, doch die Tankstellenbetreiber lebten weitgehend vom Durchgangsverkehr. Die Reichsstraße 35 (heute Bundesstraße 35) führte mitten durch den Ort. Erst seit dem 1. November 1951 nimmt die etwa einen Kilometer lange Umgehung den Verkehr auf, die südwestlich parallel zum Ort verläuft. Ein erster Anlauf zum Bau 1940 musste kriegsbedingt bald wieder eingestellt werden.
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