Worte zur Woche 46: Gut 10,9 statt 10,2 Millionen Euro von Mühlacker, das ist eine der Fragen im Kreistag

Infizierte in Enzkreis, Pforzheim und dem Land (Grafik: Gesundheitsamt Enzkreis, 19. November 2020)

Die Corona-Zahlen sind besorgniserregend. Mehr als 400 Infizierte in Mühlacker. Hier die Liste der Enzkreis-Gemeinden vom Gesundheitsamt mit Stand 19. November 2020.Infizierte_19_11_2020.pdf

Die Regionale Kliniken Holding, unter deren Dach sich auch die Enzkreis-Kliniken gGmbH befindet, stellt tägliche ihre aktuellen Zahlen ins Netz.

Soziale Kontakte sollen wir meiden. Auf Abstand gehen, mit Maske vermummt sein oder am besten daheim bleiben. Die Pandemie erhält plötzlich Namen und Gesichter, wenn zum Beispiel Kollegen die Ansteckung nicht überleben. Wie diese Woche der Pforzheimer Sozialdemokrat und Stadtrat Ralf Fuhrmann, der Kollege war in der Versammlung des Regionalverbandes Nordschwarzwald. Die Einschläge kommen näher. Brauchen Corona-Leugner diese Lektion, um ihren Irrweg zu verlassen? Ich unterscheide zwischen hartnäckigen Leugnern und jenen, die Zweifel hegen, ob einzelne Maßnahmen die notwendigen flankierenden Maßnahmen zur Reduzierung der Ansteckungsgefahren  bringen. Verordnungen des Staates müssen nicht als gottgegeben hingenommen werden, aber umgekehrt ist auch nicht jede/r ist  Experte in Sachen unbekanntem Virus. Auch die Politik braucht die Ratgeber aus der Wissenschaft zu Corvid 19.

Mein Fraktionskollege im Gemeinderat, Matthias Trück, gleichzeitig Vorsitzender des Trägervereines des Jugendhauses Pro Zwo, sieht - zurecht! - Differenzen in den Aussagen von Stadt, die das Jugendhaus und den Jugendtreff Enzberg geschlossen hat, und dem Enzkreis. Was trifft nun zu? Der Landrat äußerte sich im Jugendhilfeausschuss des Kreistages äußerst geschmeidig. Denn sein Jugendamt spricht von der Möglichkeit der Öffnung - doch diese pauschale Feststellung lässt sich so nicht halten. Nur spezielle Angebote mit einem festen und zuvor festgelegten Teilnehmerkreis lassen sich realisieren. Der Antwort auf dem Kreishaus auf meine Anfrage, was denn nun stimme, fehlte erneut die Entschiedenheit. Wenn der Vorsitzende des Jugendhausvereins ein geschlossenes Jugendhaus akzeptieren muss, aber auf seinem Heimweg mit dem Fahrrad regelmäßig junge Leute zwischen DRK-Pflegeheim und Erlenbach beim fröhlichen Treffen sieht - ohne Maske, ohne Abstand, aber mit Alkohol - löst das das große Wundern aus. Ist das eine garantiert von Corona freie Zone? Und kontrolliert wird dort offenbar nicht.

Virtuelle Fraktionssitzung mit den Stadtratskollegen

Es sind die unterschiedlichen Varianten, mit denen auf die Forderung nach Kontaktminimierung geantwortet wird: Einen Tag vor der Aufsichtsratssitzung der Enzkreis-Kliniken am Mittwoch stellte die Geschäftsführung auf Videokonferenz um. Bei einer langen Tagesordnung mit gewichtigen Themen diskutierte das Gremium drei Stunden von Computer zu Computer und traf problemlos die notwendigen Entscheidungen zur Fortentwicklung unserer kommunalen Krankenhäuser. Geht also! Und meist schneller. Man muss nur wollen. Die CDU-Fraktionen in Stadt, Kreis und Region tagten in den vergangenen Wochen immer virtuell. Das wird zunächst so bleiben. Mir fehlt das  Verständnis für das starre Festhalten mancher an Präsenzsitzungen angesichts dieser Zahl: Die 7-Tage-Inzidenz, also Neuinfizierte auf 100.000 Einwohner innert sieben Tagen, lag in Enzkreis und Pforzheim am Freitag bei 173,6 - ein weiterhin alarmierender Wert. 50 sollen es maximal sein. Da fehlt es an der notwendigen Konsequenz, Sitzungen in die virtuelle Welt zu verlegen. Selbst angesichts der latent lauernden Gefahr, dass einen die anderen plötzlich nicht mehr hören - dann endet eine Sitzung der Kreistagsfraktion eben mit einer abschließenden E-Mail des Vorsitzenden.

Immerhin arbeiten die Verwaltungen unter anderem von Enzkreis und Stadt Mühlacker an der Ergänzung der jeweiligen Hauptsatzungen, um über den 1. Januar 2021 hinaus digitale Sitzungen zu ermöglichen. Übrigens: Premiere hatte diese Woche die digitale Form der bewährten Aus- und Weiterbildungsbörse Mühlacker. Ich schaute auch rein. War etwas gewöhnungsbedürftig, aber brachte die Informationen doch kompakter rüber. Dank übrigens an die Wirtschaftsförderung der Region  Nordschwarzwald. Deren Geschäftsführer Jochen Protzer zapfte dafür einen Zuschusstopf des Landes an und holte so 17.000 Euro für das Projekt nach Mühlacker.

Pro-Stadtbau-Kachel
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Was macht Lienzingen aus?

Alt und doch jung: Fachwerkhaus am Bachweg, herausgeputzt

Lienzingen ist in jeder Hinsicht ein exzeptioneller Ort. Das „Rothenburg an der Enz“ ist für seine beeindruckende Fachwerkarchitektur bekannt. Aber ein genauerer Blick lohnt. Denn Lienzingen hat nicht einfach nur einen reichen Fachwerkbestand, der durch einige äußerst gelungene Sanierungsprojekte der vergangenen Jahre an Wert gewonnen hat, sondern ist für historisch wie kulturell Interessierte zudem ein Handbuch der ländlichen Architekturgeschichte. Knapp ein Dutzend Bauwerke haben eine Bausubstanz, die sich in das 15. Jahrhundert zurückdatieren lässt – das alleine mag schon beeindrucken und macht Lienzingen zu einer Ausnahme im Enzkreis. 

Vor der Peterskirche in der Dorfmitte von Lienzingen

Noch beeindruckender sind die beinahe zwei Dutzend Bauwerke mit Fachwerksubstanz aus dem 16. Jahrhundert. Zusammen sind also über 30 Bauwerke in Lienzingen mit Holzkonstruktionen ausgestattet, die älter als 400 Jahre sind. Zudem lässt sich das malerische Lienzingen, das seit den 1990er Jahren zunehmend in seinem historischen Wert erkannt wird, ein zu Stein und Holz gewordenes Handbuch für Baugeschichte betrachten. Denn an vielen Orten – wie vor allem in der Knittlinger Straße – stehen die Bauwerke aus über 400 Jahren Zeitspanne nah oder sogar nebeneinander. Lienzingen ist also ein spannendes Feld, die Veränderung der Wohngebäude unserer Region aufzuzeigen. Aber nicht nur das! Neben dieser baugeschichtlichen Betrachtung eignet sich der Ortsetter ebenso für eine genauere Betrachtung der sozialen Struktur eines Dorfes seit dem Mittelalter. Die soziologische Struktur des Ortes – im Inneren wohnen die sozial höher gestellten Familien, am Rande die ärmeren – spiegelt den Aufbau der Siedlungen bis ins 20. Jahrhundert hinein einprägsam wider. 

In der Liebfrauenkirche Lienzingen

Wer aber Lienzingen hört, kennt, sieht oder besucht, denkt an mehr als an das reiche Fachwerk. Gleich zwei Kirchen von beachtlicher Qualität und eindrucksvollem Erhaltungszustand prägen noch heute das Ortsbild. Die zentral und erhöht gelegene evangelische Pfarrkirche ist Petrus geweiht und bildet mit den erhaltenen Gaden den Typus einer Kirchenburg, wie sie um 1400 vielerorts in der Region entstanden sind. Doch kaum eine Kirchenburg verfügt heute noch über ein derart intaktes Gaden- und Wallsystem. Im Enzkreis ist die Lienzinger Peterskirche demnach das beste Beispiel einer Kirchenburg, malerisch eingebettet in die Fachwerkbauten rings herum. Die zweite Kirche ist die außerhalb gelegene Friedhofskirche, die im Zuge des Ausbaus der im Ortskern gelegenen Pfarrkirche zur Kirchenburg errichtet wurde und bereits kurz nach Erbauung in den Status einer Wallfahrtskirche erhoben wurde. Diese „Liebfrauenkirche“ erfuhr von 1476 bis 1495 einen solch einmaligen Ausbau, dass sie noch heute Besucher aus nah und fern anzieht. Der Chor, seine Gewölbeform mit den Schlusssteinen, die Kanzel, die Holztonnendecke, die Heilig-Grab-Nische und unzählige weitere Details machen die Kirche zu einem besonderen Ort. 

Für mich persönlich ist Lienzingen ein Ort, den man jedem Reisenden empfehlen kann, wenn er einen intakten historischen Ortskern sehen möchte. Lienzingen ist ein Schatz unseres Landkreises und der Einsatz der Menschen vor Ort für den Erhalt der Gebäude ein Glück für uns alle. 

Die Peterskirche im Abendlicht

 

Wie die Gemeinde Lienzingen sich erfolgreich finanzierte: Wir stehen nicht so schlecht da, wie unsere Nachbarn

Das Lienzinger Sport- und Schulzentrum mit Grundschule, Fußballplatz sowie Turn- und Festhalle Mitte der sechziger Jahre (Smlg. Volker Hermle)

Mit 483 Hektar ist Lienzingen unter den Stadtteilen und der Kernstadt in der Gesamtstadt Mühlacker die Nummer eins beim Wald. Für die Finanzen der bis 1975 selbstständigen Kommune war der Wald denn auch ein besonderer Aktivposten. Die grüne Sparkasse brachte zeitweise mehr Mark in die Gemeindekasse als die Gewerbesteuer. Den Forst zu hegen und zu pflegen, gehörte zu den unverbrüchlichen Bestandteilen offizieller Lienzinger Politik. Wer einmal auf den Zeitstrahl der zwischen 1948 und 1975 realisierten Projekte schaut (siehe unten), hier insbesondere auf die Finanzierung des im Herbst 1960 bezogenen Schulgebäudes an der Dr.-Otto-Schneider-Straße, erkennt schnell: Da waren Pfiffige am Werk. 47.308 Mark erbrachten allein drei Sonderhiebe im Wald - 1955, 1956 und 1958 - für die Schulbaurücklage. Wer hat, der hat.

Die Einnahmen aus dem Holzverkauf blieben in den ersten Nachkriegsjahren eine wesentliche Stütze des Haushalts der Gemeinde. Das unterstrich Bürgermeister Richard Allmendinger. So sagte er bei der Ratssitzung am 30. Mai 1952, zwar leide der Etat unter den zunehmenden Preissteigerungen. Doch durch den außerordentlich günstigen Ertrag aus dem Gemeindewald sei es auch heuer noch möglich, den Haushalt auszugleichen, auch wenn größere Instandsetzungen bei Ortsstraßen und Feldwegen vorgesehen seien (Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Li B 324, S.122).


Lienzinger Geschichte(n) – heute über die Frage: Wie finanzierte sich die Gemeinde? Dazu in den vorliegenden Haushaltsplänen, in den Protokollbüchern der Ratssitzungen und in Akten geblättert. Eine Recherche für Unverwüstliche. Das Dorf, das nicht reich war, sich davon aber nicht abschrecken ließ und kräftig investierte


Lienzingen war unter den 42 Gemeinden des Landkreises Vaihingen finanziell kein Krösus, aber auch keine arme Kirchenmaus. Sowohl von der absoluten Summe als auch je Einwohner schien das Dorf auf einen Platz im Mittelfeld der Steuerkraft-Hitliste abonniert gewesen zu sein. Meist ein Rang zwischen 20 und 30 mit seltenen Ausreißern nach oben (7. Platz) und nach unten (38.). Keine reiche Kommune, jedoch eine Kommune, in der Gemeinderat und Bürgermeister den Pfennig zweimal umdrehten.

Dem Bemühen, Betriebe in den Ort zu holen, war zwar nur mäßiger Erfolg beschieden, trotzdem stieg die Gewerbesteuer vor allem in den letzten Jahren vor der Eingemeindung langsam, aber stetig auf – wenn auch bescheidene - Höhen: von 2434 Mark auf 180.000 Mark. Von 1950 bis 1975 setzte das Ortsparlament fünfmal beide Grundsteuer-Arten gleichzeitig oder nur eine von beiden herauf, aber immer in Maßen. Mindestens dreimal sorgte die Rechtsaufsichtsbehörde, also das Landratsamt, für sanften Druck mit dem Argument, wenn die Steuersätze nicht angehoben werden würden, bekäme die Gemeinde weniger Zuweisungen. Sie müsse zunächst immer die eigenen Geldquellen ausschöpfen. Doch an einer einzigen Steuer rührten die Gemeinderäte in 25 Jahren kein einziges Mal: Die Gewerbesteuer wurde 1950 auf 300 Prozentpunkte festgesetzt und so blieb es bis zur Eingemeindung.   

1971: Die Anmeldung von Haushaltsmitteln durch Schulleiter Karl Kießling bei der Gemeinde passte noch auf eine Seite Briefpapier. (Smlg. Stadtarchiv Mühlacker)

Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit fordert die Gemeindeordnung Baden-Württemberg von den Kommunen. Fast schon neidisch blickt ein Mühlacker Stadtrat von heute auf die Klarheit in den Etats der einstigen Gemeinde Lienzingen. Wenn große Projekte geplant waren wie der Bau von Schule und Kindergarten, dann sparte man rechtzeitig darauf. Rücklagen wurden projektbezogen ausgewiesen, genauso wie Darlehen, wenn sie dann doch nötig wurden. Bürgermeister und Gemeinderäte wussten genau, wie ein Vorhaben finanziert wurde, und stellten dies auch transparent öffentlich dar. Dann ließ sich auch leichter argumentieren. Wer war schon gegen den Bau einer neuen Schule oder des so vermissten Kindergartens?

Anachronistisch wirkt allerdings heutzutage die Auffassung, die die Räte bei der Beratung des Haushaltsplans für 1952 vertraten. Über die Frage einer neuen Schule könne erst dann beraten werden, hieß es laut Protokoll, wenn einmal die dringendsten Instandsetzungen an Gebäuden, Ortsstraßen und Feldwegen ausgeführt seien. Vorausgegangen war die Mitteilung des Bürgermeisters, der Ortsschulbeirat habe gefordert, im Etat 1952 eine erste Rücklage für eine neue Schule in größtmöglicher Höhe einzusetzen, die Platzfrage zu klären und bald für den Bauplan zu sorgen (STAM, Li B 324, S. 122).

Das war der Gütesiegel: Auch wenn die neue Schule erst sieben Jahre später gebaut wurde, und zwar fast zeitgleich mit dem Kindergarten, so waren dies wichtige Beiträge zum Ausbau der öffentlichen Infrastruktur von Lienzingen. Die Bilanz der Kommune konnte sich sehen lassen. Sie schuf so viele zusätzlich notwendige Einrichtungen, dass sie als selbstständige Kommune hätte überleben können. Trotz neuer Gemeindehalle, Kläranlage, Wasserhochbehälter, Neubaugebieten, Sportzentrum: Sie kam 1975 fast schuldenfrei zu Mühlacker. Das war das Gütesiegel! Lienzingen stand je Einwohner mit 45 Mark in der Kreide, Mühlacker mit 831,44 Mark. Und in Lienzingen waren die größeren Investitionen erledigt (Quelle: Siegfried Hermle, „Facharbeit Erdkunde“. Die aktuelle Gemeindereform in Baden-Württemberg am Beispiel seiner Heimatgemeinde Lienzingen, Evangelisches Seminar Urach, 1974). Übrigens: Restliche Rücklagen und EVS-Aktien übertrafen die Summe der Kredite.

Nobler Spender: Warum heißt einer der beiden Lienzinger Kindergärten (der ältere) nach dem Mühlacker Fabrikanten Friedrich Münch? Die Antwort findet sich im Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 5. September 1958. Münch, damals Lienzinger Jagdpächter und Besitzer eines Wohnhauses in erstklassiger Lage auf dem Spottenberg, spendete 40.000 Mark für den Bau des Kindergartens. Die Finanzierung der Kinderschule sei ohne größere Schuldaufnahme möglich, protokollierte der Verwaltungschef. Münch taucht als Geldgeber für einzelne Projekte immer wieder in den Sitzungsniederschriften auf (STAM, Li B 325, S. 221 f).

Dies sei nicht verschwiegen: Wer sich mit den Haushaltspänen der Gemeinde Lienzingen in den Jahren seit 1945 beschäftigt, muss mit Lücken leben. Denn einige Jahre lagerten die ausrangierten Akten kreuz und quer im Untergeschoss der Gemeindehalle Lienzingen in einem Raum, der heute zur TV-Klause gehört. Da dürfte manches verloren gegangen sein, bis die Unterlagen ins Stadtarchiv Mühlacker kamen, und geordnet und archiviert wurden. Allerdings sind die meisten Haushaltspläne vorhanden, zudem die Ausführungen zu den Haushaltsplanungen in den Protokollen des Gemeinderats. Wobei Bürgermeister Richard Allmendinger sie in den ersten Jahren meist nur kurz protokolliert hatte, später länger und aussagekräftiger. Sie auszuwerten, lohnt sich allemal.

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Tag der kommunalen Daseinsvorsorge nicht einfach "abtagen"

Trinkwasser - ein Lebensmittel als kommunale Daseinsvorsorge

Tag der kommunalen Daseinsvorsorge - der steht am kommenden Dienstag im Kalender. Hört sich nach einem der Vielzahl von Tagen des Hundes, der Katzen, der Freundschaft oder des Lesens an und was es sonst noch alles an Gedenk- und Aktionsdaten gibt. Doch der Tag der kommunalen Daseinsvorsorge sollte nicht einfach abgetagt werden. Krisen wie die gegenwärtige Corona-Pandemie zeigen, was wirklich zählt und auf wen wir uns verlassen können. Daseinsvorsorge ist eine beruhigende Konstante in Zeiten der Verunsicherung. Was vielleicht verstaubt klingt, ist ein harter Standortfaktor für die Wirtschaft und schafft Lebensqualität für uns alle. Bürgerinnen und Bürger können sich tagtäglich auf ihre Kommune und die kommunalen Unternehmen vor Ort verlassen – auch in Corona-Zeiten. Nun geht es darum, sie langfristig zu sichern und zukunftsfest aufzustellen, erklärten heute Deutscher Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund sowie der Verband kommunaler Unternehmen stellen die Leistungen der Daseinsvorsorge sowie die Notwendigkeit zukunftsweisender Investitionen am Tag der Daseinsvorsorge in den Mittelpunkt.  

Wachsam müssen wir alle sein, wenn irgendwann wieder die Propheten des Neoliberalismus dem staunenden Volk verkünden, es sei besser, kommunale Einrichtungen zur privatisieren. Zum Beispiel Kliniken. Ich bin heute noch stolz darauf, aktiv mitgewirkt zu haben, dass der Enzkreis 2004 seine Krankenhäuser in Neuenbürg und Mühlacker nicht an einen Konzern verkauft sondern in eine kommunale Holding eingebracht hat. Gerade in der Corona-Krise zeigte es sich, wie wichtig die Trägerschaft durch den Enzkreis ist. Das schließt nicht aus, auch bei seiner solchen wichtigen Einrichtung aufs Geld zu schauen. Hauen wir allen auf die Finger, die zum Beispiel die Wasserversorgung privatisieren wollen. Zum Beispiel bei den Stadtwerken Mühlacker ist sie in den besseren Händen. Ein Unternehmen voll in der Trägerschaft und Verantwortung der Kommune.

Allerdings sind Gemeinden, Städte und Kreise dadurch auch gefordert, wie sich derzeit bei den Debatten um die seit Mitte März geschlossene Außenstelle Mühlacker der Kfz-Zulassungsbehörde des Enzkreises zeigt. Hier entwickelte sich ein Konflikt zwischen dem Landrat, der diese Maßnahme in Corona-Zeiten verteidigt, und mir sowie anderen CDU-Kommunalpolitikern, die die Aufhebung dieser Maßnahme angesichts der vielen Lockerungen in anderen Bereichen für zwingend halten. Ein Konflikt, der durchaus zeitweise an Schärfe gewann - bis der Landrat den CDU-Vorschlag aufnahm, zumindest den Nachtschalter an der Außenstelle Mühlacker zu aktivieren und damit ein Signal setzte, das etwas zur Beruhigung der Gemüter beigetragen hat. Denn die Erlebnisse einer Familie in Heimsheim lassen aufhorchen.

 

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Lienzinger Männerclub: Landwirt Bonnets einsamer Stimmenrekord und sein Sturz nach 18 Jahren

Den letzten habhaften Beschluss fasste der Gemeinderat am 9. Mai 1975 hinter verschlossenen Türen: Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den scheidenden Bürgermeister Richard Allmendinger. Bei der Verleihung mit Ehefrau Elsa. (Foto: STAM, W Barth MT

Ich werde in Zukunft Briefmarken sammeln und mich nicht mehr wegen ein paar Pfennigen mit den Gemeinderäten herumschlagen, zürnte Richard Allmendinger, als er gerade eine Niederlage in seinem Gremium erlitten hatte. Obwohl er in all den Jahren, in denen er Lienzinger Bürgermeister war, keineswegs oft den Saal im ersten Stock des Rathauses als Verlierer verließ, saß der Widerstand der zehn Ratsmitglieder im Frühjahr 1971 gegen eine leichte Anhebung der Entwässerungsbeiträge tief. Doch er blieb, ging erst am 4. Juli 1975 und damit einen Tag vor dem unfreiwilligen Anschluss an Mühlacker von Bord. Zum Schluss stand  er fast allein auf der Brücke. Seine zehn Ratsmitglieder protestierten gegen das für Lienzingen negative Urteil des Staatsgerichtshofs mit ihrem gesammelten Rücktritt in der Sitzung vom 24. Mai, in den folgenden drei letzten Sitzungen blieb der Schultes allein im Ratssaal. Den letzten habhaften Beschluss fasste das Gremium am 9. Mai, wie 15 Tage später eim Rücktritt hinter verschlossenen Türen: Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den scheidenden Bürgermeister. Ein freundlicher Akt (Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Li B, 327, S. 359 und 364).

Der Schultes und der Gemeinderat: Gerade von der ersten demokratischen Wahl nach Kriegsende, die im Januar 1946 stattfand, und der Zwangseingemeindung von Lienzingen nach Mühlacker im Juli 1975, lebte die kommunale Selbstverwaltung des Dorfes vom ehrenamtlichen Engagement von insgesamt 43 Ratsmitgliedern in 29 Jahren. Mit Ausnahme der Jahre 1962 bis 1964 reine Männerrunden. Zuerst acht, dann zehn Räte jeweils plus Bürgermeister. Die Tische meist in U-Form gestellt, saßen Schultes – Vorsitzender und Protokollführer in einem – und der Gemeindepfleger an der Stirnseite zur heutigen Friedensstraße hin.


Lienzinger Geschichte(n) als Serie im Blog. Heute mit viel Atmosphäre und einer Portion Statistik: Über den Gemeinderat, dem in fast drei Jahrzenten und zehn Wahlperioden 43 Mitglieder angehörten. Von Erwin Bonnet als dem Gesamt-Stimmenkönig, Krach um die Erhöhung der Erschließungsbeiträge inclusive Rücktrittsdrohung des Bürgermeisters. In Protokollen und Akten geblättert, vor allem aber in meinen Gemeinderatsberichten. Den ersten schrieb ich 1966 – mit 16 Jahren.


Bei kontrovers diskutierten Themen herrschte meist ein Durcheinander. Es redete, wer gerade wollte, da ging es nicht mehr nach der Reihenfolge der Wortmeldungen. Da konnte sich schon einmal in rasendem Tempo ein starker Lärmpegel entwickeln. Allmendinger ließ den Disput, dem die Zuhörer nicht immer leicht folgen konnten, zunächst freien Lauf, bis die Kröpfe geleert waren, hob dann plötzlich seine Stimme, rief Meine Herren, Ruhe bitte! und dann war klar: Jetzt redet nur der Bürgermeister. Irgendwann wurde dann auch abgestimmt. Dann forderte er zum Handaufheben auf, wenn er den günstigsten Zeitpunkt für gekommen ansah. Ein schwäbisches Schlitzohr, dieser gebürtige Horrheimer!

  • Die Rolle des Chronisten der dörflichen Kommunalpolitik

Februar 1946: Auftaktsitzung des ersten frei gewählten Lienzinger Gemeinderats nach den Jahren der Gleichschaltung durch die Nazi-Diktatur.

18. Juni 1975: Letzte Sitzung des Gemeinderats Lienzingen vor der Zwangseingemeindung nach Mühlacker am 5. Juli 1975 - doch ohne Gemeinderäte (Repro: Protokoll-Köpfe (Stadtarchiv Mühlacker)

Die letzten neun Jahre vor dem Verlust der Selbstständigkeit erlebte ich die Bürgervertretung in der Rolle des Berichterstatters zuerst nur für das legendäre Württembergische Abendblatt (WAB) in Vaihingen an der Enz, heutige Ausgabe Mühlacker der Pforzheimer Zeitung, dann auch für Mühlacker Tagblatt und dem Teil Nachbarkreise der Stuttgarter Zeitung, deren Redakteur in Ludwigsburg saß. Zuerst freier Mitarbeiter mit Zeilengeld, dann von 1969 bis 1971 als Volontär bei der Pforzheimer Zeitung/WAB, schließlich vom Juli 1971 an als Redakteur der Ludwigsburger Kreiszeitung (LKZ). Auch wenn Lienzingen nicht zum Verbreitungsgebiet der LKZ gehörte, schlüpfte ich zu Ratssitzungen in die Rolle des Chronisten der dörflichen Kommunalpolitik. Selbst war (und bin) ich Gemeinderat erst nach dem Anschluss an die Senderstadt.

Die Treffen des Lienzinger Ortsparlamentes hatten Informations-, aber auch manchmal Unterhaltungscharakter (soll es auch gelegentlich in Mühlacker geben). So rief ein Rat einem anderen über den Tisch zu, als es um die Lagebezeichnung für die Weinbergen am Eichelberg ging: Dei Wein isch so schlecht, den koisch selber saufa. Für einen ermahnenden Ordnungsruf reichte das bei Allmendinger nicht aus. Ob er sich innerlich dieser Wertung anschloss? Wir werden’s nicht ergründen.

Ein Graus waren die Haushaltsplan-Beratungen. Sitzungsvorlage? Fehlanzeige! Der Bürgermeister rasselte ohne Pause die wichtigsten Positionen herunter. Nicht nur die Zuhörer schauten sich unverständlich an, auch die Gemeinderäte mussten tief durchatmen, in noch einigermaßen in der ganzen Materie durchzublicken. Ich kann leider nicht so schnell mitschreiben wie sie sprechen, rief ein Ratsmitglied dazwischen (WAB, 19. Mai 1969, S. 4). Einigkeit demonstrierten Bürgermeister und Räte bei der Abwehr von Forderungen von Behörden, deren Umsetzung nur unnötige Ausgaben verursachen würden. So verlangte das Staatliche Gesundheitsamt Mühlacker 1968, den Zementboden in der Pumpstation in der Wette herauszureißen und Platten zu verlegen. Seit 1916 nahm niemand an dem Zementboden Anstoß. Ich sehe nicht ein, dass dies auf einmal unhygienisch sein sollte, wehrte der Schultes ab (WAB, 10. Juni 1968, S. 3).

Dorftheater in bestem Sinne lieferte der Gemeinderat an einem April-Abend im Jahr 1971. Es drohte zeitweise gar zu einem Drama auszuwachsen. Der Streitpunkt: Die vom Bürgermeister beantragte Erhöhung des Entwässerungsbeitrags bei Baulanderschließungen von zehn auf fünfzehn Mark je Frontmeter und von einer Mark auf 1,50 Mark pro Quadratmeter. Das Gremium, Verteuerungen von Abgaben, Steuern und Gebühren gegenüber abhold, erlebte an diesem Abend den zweiten Anlauf von Allmendinger, die vorgeschlagenen Sätze doch noch durchzusetzen. Das war sozusagen Grundlage des ganzen Ärgers. Wir werden zu Hampelmännern, rief ein empörtes Ratsmitglied in die Runde. Tatsächlich schrieb das Gesetz vor, dass - wenn keine neuen Argumente auftauchen – ein abgelehnter Antrag erst nach sechs Monaten wieder auf die Tagesordnung kommen darf. Doch der Verwaltungschef bekannte sich auch sonst zu seinem Grundsatz, der Erfolg versprach: Immer wieder nachfassen!

  • Kredite für die Räte genauso ein rotes Tuch wie höhere Gebühren

Der Schultes hatte erst drei Wochen zuvor eine Niederlage in dieser Sache erlitten. Nun versuchte er also wieder mit Engelszungen, die Ratsmehrheit auf seine Seite zu ziehen. Lienzingen liege mit seinen Sätzen im Landkreis Vaihingen bei 38 Kommunen einsam am Ende der Statistik. Wenn das nicht korrigiert werde, müssten künftige Baulanderschließungen über Darlehen finanziert werden – doch Kredite waren für Lienzingens Räte genauso ein rotes Tuch wie höhere Gebühren. Ihr Rezept: aller größte Sparsamkeit. Ein Teufelskreis, der mich in meinem Bericht über Sitzung zu dem – zugegeben sehr pauschalen und gewagten – Urteil verführte: Dass er (der Tagesordnungspunkt) die Gemüter in Wallung brachte, lag sicherlich nicht zuletzt an der Gepflogenheit einiger Volksvertreter, logische Gedankengänge zu ignorieren. Die beantragte Anhebung sei maßvoll, Lienzingen wäre im Vergleich mit dem Gros der anderen Kreiskommunen immer noch günstiger gewesen, was den Bürgermeister veranlasste, gleich zu Beginn der Beratung eines deutlich zu machen: Bei einer Ablehnung sehe er sich außerstande, seine Tätigkeit fortzusetzen.

  • Drückende Stille und die Rücktrittsdrohung des Bürgermeisters
Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 9. Mai 1975

Mehr als 23 Jahre war Allmendinger schon Schultes der prosperierenden Gemeinde, seine Amtszeit lief noch bis 1978. Aber mit seiner Drohung hatte der damals 61-Jährige den Teufel geritten. Die Sitzung drohte schließlich zu platzen, als sich die Gemeinderäte schließlich gegenseitig mit unschönen Ausdrücken belegten, die teilweise noch in Gebrüll untergingen, hielt ich damals die dramatische Situation in meinem Bericht fest (WAB, 3. Mai 1971, Seite 9). Ich lasse mir von Dir nichts sagen, brüllte einer seinem Kollegen zu. Ein anderer vermutete hinter der Haltung der Oppositionellen eigennützige Motive (Mir kommt es vor, als geht es hier nur um die eigenen Nachteile), Ruhe versuchte schließlich einer mit der Drohung zu erreichen, heimzugehen, wenn das nicht gleich aufhört. Geheim wurde sogar abgestimmt und Vize-Bürgermeister Wilhelm Tochtermann gab in seiner ruhigen Art das Ergebnis bekannt: fünf dafür, fünf dagegen. Und Stimmengleichheit bedeutete nach dem Gesetz Ablehnung. Eine drückende Stille, die Ratsherren fühlten sich in der eigenen Haut nicht wohl.

  • Einen Tag danach: Brisante Post aus dem Mühlacker Rathaus

Die Rücktrittsdrohung des Bürgermeisters stand im Raum. Nicht auszuschließen war, dass Richard Allmendinger im Herbst 1971 den Worten auch die Tat folgen ließ. Doch wie es der Zufall so will: Einen Tag nach der Sitzung brachte ihm der Briefträger brisante Post aus dem Mühlacker Rathaus. Kollege Gerhard Knapp schickte den Text der gerade abgeschlossenen Vereinbarung über die Eingliederung von Lomersheim in die Stadt Mühlacker, die erste von letztlich fünf, wie wir heute wissen. Knapp sah in Lienzingen den nächsten, in seine Strategie passenden Kandidaten. Doch just dieser Kandidat machte ihm einen Strich durch die Rechnung. So war eben der Lienzinger Gemeinderat auch: Bei aller gelegentlichen Lust am Streit stand er geschlossen für das Dorf ein. Alle wollten sie Herr im eigenen Rathaus bleiben. Und so redete bald niemand mehr vom Rücktritt des Schultes – auch er nicht. In Allmendinger Worten: Wir wollen die Lösung unserer Probleme, ohne äußeren Einfluss, weiterhin selbst in die Hand nehmen (WAB, 19./20. Januar 1974, S.11).

Obwohl Allmendinger ein Jahr zuvor, am 14. April 1970, bei einer nichtöffentlichen Beratung des Gemeinderats über die Gebietsreform deutlich gemacht hatte, man brauche auf seine Person keine Rücksicht zu nehmen, denn er wolle später nicht dem Vorwurf ausgesetzt werden, den Zusammenschluss der Gemeinde mit der Stadt Mühlacker wegen persönlicher Interessen verhindert zu haben. Eine noble Haltung! Denn da lag die Berechnung der Senderstadt auf dem Tisch, bei einem freiwilligen Anschluss innert fünf Jahren vom Land eine Eingemeindungsprämie von 2,14 Millionen Mark zu erhalten. Diese Summe könne für anstehende Projekte wie Flugbereinigung, Baulanderschließung und Sicherung der Trinkwasserversorgung eingesetzt werden, sagte Allmendinger (STAM, Li B 328, S. 24). Eigentlich hätte das den aufs Geld schauenden Gemeinderat überzeugen können. Doch da gab es für ihn einen höheren Wert, die hieß: Selbstständigkeit.

  • Erwin Bonnet, Viktor Geiger, Erwin Schmollinger und Eberhard Pfullinger dienten am Längsten
Geleitwort des Bürgermeisters auch namens des Gemeinderats zum Heimatfest 1958 (Smlg. Günter Bächle)

Der Gemeinderat von Lienzingen: 43 Mitglieder in knapp 30 Jahren. Gut 30 gehörten dem Gremium nur eine Wahlperiode an. Da galt noch das vom Landtag 1974 aufgehobene rollierende System: Alle drei Jahre stand die Hälfte des Gremiums zur Disposition, die Amtszeit des einzelnen Rates ging somit über sechs Jahre. Zwei Amtsperioden saßen fünf Räte in der Runde, drei sogar sechs. In diesen drei Jahrzehnten waren Erwin Bonnet (1947 bis 1965) und Viktor Geiger (1953 bis 1971) jeweils 18 Jahre dabei, je 17 Jahre Erwin Schmollinger (1951 bis 1968) sowie Eberhard Pfullinger (1951 bis 1956, 1959 bis 1971). Gewicht hatten im Gremium die Landwirte, denn diesem Berufsstand gehörte rund ein Dutzend der Räte in drei Jahrzehnten an. Es gab mit Richard Zink (1968 bis 1970) nur einen Lehrer, genauer: einen Landwirtschaftsoberlehrer. Zwei Kaufleute wirkten mit, doch das Gros der Bürgervertreter arbeitete in Technischen Berufen als Meister (6), sonstiger Angestellter oder Arbeiter.

Einsamer Stimmenkönig, danach über alle 29 Jahre hinweg nie wieder von einem Kandidaten erreicht: Erwin Bonnet, Landwirt und Ortsobmann der Bauern, 1947 mit 704 Stimmen auf der Liste DVP, CDU und Landwirte erstmals gewählt – in den folgenden Wahlen erzielte er dieses Spitzenresultat nicht annähernd mehr, 1965 wählten die Lienzinger ihn sogar ab.

Vize-Stimmenkönig in all den fast 30 Jahren: Ulrich Bäuerle, der 1971 auf Anhieb 514 Stimmen holte. Neun hatten es je einmal über 400 Stimmen geschafft: Viktor Geiger (1965), Friedrich Häcker (1953), Emil Hafner (1962), Friedrich Heinzmann (1946), Reinhold Heinzmann (1956), Hans Lepple (1971), Eberhard Pfullinger (1965), Erwin Schmollinger (1956) und Wilhelm Tochtermann (1968).

Erwin Bonnet schied also nicht freiwillig aus, er scheiterte knapp bei der Gemeinderatswahl im Herbst 1965. Bei der Verabschiedung am 3. Dezember 1965 mutmaßte Bürgermeister Allmendinger laut Protokoll, Bonnet sei wahrscheinlich in den letzten Jahren verfolgten persönlichen Interessen zum Opfer gefallen. Es habe aber auch schon Zeiten gegeben, in der er jedem in Bedrängnis gestandenen Berufskollegen hilfreich beigestanden. Bonnet blieb der Zeremonie fern (STAM, Li B 328, S. 57).

Der Schultes kombinierte meist jeweils Verabschiedung der ausscheidenden Räte und Verpflichtung der wieder- oder neu gewählten in einer Sitzung, legte gleichsam eine Bilanz der geleisteten Arbeit ab. Am 10. Dezember 1956 dankte er für eine ersprießliche Zusammenarbeit zum Wohle der Gemeinde. Dass es dabei auch gelegentlich gewisse Meinungsverschiedenheiten gegeben habe, könne nicht als Beeinträchtigung angesehen werde, denn Arbeit und Erfolg würde man dadurch erkennen, dass in der Gemeinde etwas geleistet worden sei. Drei Jahre später ähnliche Worte: Zwar seien die Meinungen manchmal hart aufeinander gestoßen, aber am Schluss habe man sich immer wieder ausgesöhnt, was anschließend das zuvor verabschiedete Ratsmitglied Rommel bestätigte.

Das Ehrenamt brächte, so Allmendinger an die Neuen am 11. Dezember 1959,  auch Schwierigkeiten. Auch wenn der einzelne Bürger von einem gewissen Hineinleuchten rede, so bestehe doch zwischen Theorie und Praxis oft ein sehr großer Unterschied. Immer wieder betonte der Bürgermeister eines: Das gesetzlich festgelegte Wahlsystem gibt einem möglichst breiten Kreis die Gelegenheit, das Wesen der gemeindlichen Selbstverwaltung kennenzulernen, um so dadurch einen besseren Einblick in die Aufgaben einer Gemeinde zu erhalten (STAM, Li B 325, S. 119, 307). Am 14. November 1971 war wieder ein Wechsel angesagt. Obwohl bisher in der Gemeinde sehr viel getan worden sei, hätten die Räte auch Tadel und Kritik hinnehmen müssen. Aber das Bewusstsein, ein öffentliches Amt in großer Verantwortung getragen zu haben, überwiege die Kritik. Der Außenstehende mache sich oftmals keine Vorstellung darüber, wie schwer manche Entscheidung jedem Mitglied des Gemeinderats falle, denn es müssten oftmals sehr unpopuläre Maßnahmen getroffen werden (STAM, Li B 328, S. 124).

Aber dies war keine Lienzinger Spezialität – eine Erkenntnis, die zudem zeitlos ist.

Einer, der nur von 1968 bis 1970 dabei war: Landwirtschaftsoberlehrer Richard Zink (1939 - 1994), ein Hohenloher, der Ende 1970 nach Ludwigsburg umzog und deshalb sein Mandat niederlegen musste. Er trat 1971 in die CDU ein, wurde 1974 als 35-Jähriger mit 212 von 309 Stimmen zum Vorsitzenden der Christdemokraten im Kreis Ludwigsburg gewählt (LKZ, 18. März 1974, S. 3). Sein Versuch, 1984 die frühere Sozialministerin Annemarie Griesinger als Landtagsabgeordnete im Wahlkreis Vaihingen an der Enz, zu beerben, scheiterte. Die Mehrheit stimmte für Günther Oettinger, späterer Ministerpräsident. Er war Stadtrat und Fraktionsvorsitzender der CDU im Gemeinderat von Ludwigsburg.

  • Unter den 43 nur eine Frau: Die streitbare Charlotte Kussbach
Charlotte Kussbach (Aus: Ortsbuch Lienzingen, 2016)

Der Gemeinderat blieb über all die Jahre reine Männersache. In den 29 Jahren trat bei zehn Wahlen nur ein einziges Mal eine Frau an. Das war 1962 und die Bewerberin holte sich auf Anhieb ein Mandat. Diese einzige Ausnahme: Charlotte Kussbach (1907 – 1992), die in der Brühlstraße wohnte, zog 1962 über die Vertriebenenliste mit 212 Stimmen in den Gemeinderat ein. Die Kriegerwitwe aus Sachsen wohnte seit 1953 in Lienzingen. Sie wechselte 1964 als Pflegerin einer alten Dame nach Bad Säckingen, arbeitete später noch als im Krankenhaus Mühlacker. Im November 1964 gab sie ihr Mandat ab, ihren Nachfolger Volker Ferschel hatte sie 1962 aus dem Ortsparlament verdrängt. Sie galt als selbstbewusst und streitbar (Marlies Lippik in: Lienzingen, Altes Haufendorf, moderne Gemeinde. 2016, Verlag Regionalkultur, S. 192). Ein Portrait.

Aufwandsentschädigung gab es auch für die Räte. In der Hauptsatzung vom 18. Oktober 1946 wurden festgelegt vier Zwei-Stunden-Staffeln, beginnend mit 1,50 Reichsmark und maximal 6 Reichsmark für acht und mehr Stunden an einem Tag. Sätze, die später angepasst wurden. Die Gelder wollten die Bürgervertreter das Jahr über ansammeln und dann für gemeinnützige Zwecke spenden, beschloss das Gremium am 24. August 1948 auf Antrag von Gemeinderat Christian Aichelberger. Am Jahrsende 1948 teilten sie den Betrag erstmals auf, die Hälfte erhielt die Kirchengemeinde für den Kauf eines Ofens im Gotteshaus und für eine neue Glocke, ein Teil floss in die Reserve für Notfälle (STAM, Li B 323, S. 109 und 128).

  • Erste freie Gemeinderatswahl nach Kriegsende im Januar 1946
Stimmzettel der Gemeinderatswahl 1953 in Lienzingen

Nach Kriegsende im Frühjahr 1945 hatte es zunächst keinen Bruch in der örtlichen Kommunalpolitik gegeben: Zwar wurde Bürgermeister Karl Brodbeck von den Franzosen abgesetzt und interniert, aber die von den Nazis im Zuge der Gleichschaltung 1935  eingesetzten Räte blieben im Amt, ergänzt um zwei neu berufene. Am 3. Juli 1945 gab es die erste Sitzung nach der Befreiung. Das Protokoll unterschrieben fünf der sechs alten Beigeordneten und Gemeinderäte: Töpfer Otto Knopf (seit 1935 der 2. Beigeordnete, nun von den Franzosen berufener Bürgermeister), Emil Geißler (seit 1934 Beigeordneter, nach 1945 Gemeindepfleger), Bäckermeister Gustav Kontzi (1933 – 1945, NSDAP), Landwirt Josef Rueß (1919 – 1945, zuerst SPD, später auf der NSDAP-Liste) und Wilhelm Link 1931/33 und 1935/45).

Die letzten freien Kommunalwahlen vor dem Krieg hatten am 25. April 1933 stattgefunden. Von den sechs Ratssitzen in Lienzingen gingen 4 an die NSDAP (Josef Gaupp, Gustav Kontzi, Gottlob Pfullinger und Josef Rueß), 2 an das Bündnis Bauern- und Weingärtnerbund/Kampffront Schwarz-Weiß-Rot (Karl Schneider und Richard Geißler). 1935 schalteten die Nazis alle, Berlin nachgeordneten Instanzen gleich – hinab bis in die letzte Ratsstube. Kommunale Wahlen waren in diesem System nicht vorgesehen, sondern Ernennungen durch die NSDAP (STAM, Li A 2).

  • Parteien nur bei den beiden ersten Gemeinderatswahlen
Die letzten freien Gemeinderatswahlen vor 1945 am 25. April 1933: Protokolliert das Ergebnis in Lienzingen (STAM, Li A 2)

Genau 1964 Stimmen erhielt der Wahlvorschlag Christlich-demokratische Wählervereinigung und damit fünf Sitze in der ersten freien Kommunalwahl im Januar 1946. Und 946 Stimmen entfielen auf den Wahlvorschlag der Demokratischen Einheitsliste und somit drei Mandate. Schon am 7. Dezember 1947 hatte es landesweit die zweite Wahl neuer Gemeinderäte gegeben. In Lienzingen lag die Wahlbeteiligung bei 84 Prozent. Jetzt gab es die Liste DVP, CDU und Landwirte, die sechs statt fünf Sitze holte. Je ein Mandat entfiel auf Vereinte Wählerschaft und Freie Wählergemeinschaft. CDU und DVP (heute FDP) hatten jedoch keine Lienzinger Ortsgruppen. Das zeigt sich auch daran, dass von der 1951er-Wahl an – außer den Vertriebenen-Listen - nur Wählervereinigungen antraten mit Bezeichnungen, die allein der Unterscheidung der zwei, drei oder vier Listen dienten und die keine programmatischen Unterschiede bedeuteten: Freie Wählervereinigung, Vereinigte Wählerschaft, Vereinigte Wählervereinigung, Freie Wähler.

Und wie ging der Streit um die Erhöhung des Entwässerungsbeitrags aus? Lehnte sie der Gemeinderat im April 1971 zweimal ab, so startete Allmendinger im Januar 1972 mit einem leicht modifzierten Antrag den dirtten Versuch und der endete für ihn siegreich: sieben dafür, drei dagegen, einer enthielt sich der Stimme. Also! (STAM, Li B 325, S. 140 f)

"Lienzinger Männerclub: Landwirt Bonnets einsamer Stimmenrekord und sein Sturz nach 18 Jahren" vollständig lesen

So schön und teuer kann Feuerwache sein: Mühlackers jüngstes kommunale Groß-Bauwerk

Grau, schwarz und schlank: Die neue Feuerwache mit Blick auf den Sender (Fotos: Antonia Bächle)

Sichtbare Fortschritte sind zu sehen an Mühlackers Teuer-Wache, äh, pardon: Feuer-Wache. Korrekt: Hauptfeuerwache. Selbst die Außenanlagen an dem 12,1- (oder, je nach Lesart) 12,4-Millionen-Projekt am Senderhang, im Zwickel Senderstraße/Bundesstraße 10, gedeihen prächtig. Der Gemeinderat vergab kürzlich Lieferung und Einbau der Funkausstattung zum Preis von 124.000 Euro, genehmigte noch zwei kleine Kostennachträge. Die nach der Kostenexplosion um 50 Prozent erreichten 12,1 Millionen Euro halten sich schon geraume Zeit. Immerhin. Aber der Schrecken hallt nach.

Ein höchst vorzeigbares Gebäude, hübsche Visitenkarte am Stadteingang aus Osten: Trotz großen Bauvolumens schlank wirkend, schmiegt sich das Domizil der Wehr an den Hang. Grau und Schwarz sind eine klare, zu dem sonst bei Feuerwehrhäusern dominierenden Rot alternative Farblinie. Sie wirkt beruhigend, ist aber gleichzeitig anziehend, da stimmig. Alles von Grün bekränzt - ein schöner Bau! Wenn nur die Kosten nicht wären. Aber das gleichsam prägnante, nicht dominierende, keineswegs protzige Bauwerk entschädigt, bringt eine großartige architektonische Gegenleistung. Ein Vorzeigeobjekt. Ungewöhnlich, aber bei den aktuellen Mühlacker Verhältnissen notwendig ist der Wunsch, dass auch die Menschen von der Feuerwehr positiv sehen, was hier entstand. Sie müssen ja nicht gleich ins Schwärmen geraten.

Ein großes Bauvorhaben, von dem kein Offizieller sagen kann, wann das so kostspielige Gebäude fertig ist, der Betrieb erprobt, umgezogen und eingeweiht wird. Die Feuer, nein Feier lässt noch auf sich warten. Spricht nicht für einen belastbaren Terminplan. Aber was war da schon belastbar. Die Kostenprognosen schon gar nicht.  Der im Dezember 2018 auf Antrag der CDU-Fraktion eingesetzte Ratsausschuss zur Einsichtnahme in die Akten tagte inzwischen – immerhin 18 Monate sind verstrichen – stolze zwei Mal. Jetzt wartet das Gremium auf die juristische Bewertung eines von der Stadtverwaltung eingeschalteten Rechtsanwaltes. Ziel ist, Ursachen der riesigen Kostensteigerung zu finden. und Verantwortliche dafür.

Schlauchturm am Schlüsselweg

Trotz des hohen finanziellen Einsatzes der Stadt wird in der Feuerwehr häufig nicht positiv über das Haus gesprochen. Anfang März stimmte ich in meiner Haushaltsrede versöhnliche Töne in Richtung Wehr an: Wenn sich nun alle Aktiven der Wehr auf ihr neues Domizil freuen und weiterhin mit noch größerer Begeisterung ihren Dienst tun, dann lassen sich auch die Kostensteigerungen leichter ertragen - wiewohl solche Verteuerungen künftig zu verhindern sind. Aber daran arbeiten wir bekanntlich! Jedoch schon das Feuerwehrhaus in Enzberg wurde mit 1,7 Millionen Euro teurer, jetzt sollen in ein Objekt, das in Lomersheim gekauft und baulich angepasst werden soll, etwa 1,2 Millionen Euro gesteckt werden, um der dortigen Abteilung ein – ohne Frage – notwendiges neues Domizil zu verschaffen. Dabei stand am Beginn der Diskussion eine Mietlösung wie bei der Abteilung Lienzingen. Alles wächst sich aus, wird viel teurer. Mietlösung ja! Aber mehr?

Es besteht die gnadenlose Bereitschaft des Gemeinderats, alle Wünsche der Freiwilligen Feuerwehr zu erfüllen. Niemand in der Verwaltung bremst schon vorher ein. Die Abteilung Lomersheim befördert ihr Projekt dezent und effektiv, unaufgeregt und unter vollem körperlichen Einsatz: Sie rückt in voller Mannschaftsstärke und in Ausgehuniform im Gemeinderat an. Kaum eine/r wagt, mit Nein zu stimmen. Welche Chancen hat der Steuerzahler, seine zahlenmäßige Macht zu demonstrieren? Bin gespannt, was uns letztlich für Lomersheim als Ersatz für die jetzige, höchst unbefriedigende räumliche Unterbringung der Abteilung an der Turmstraße präsentiert wird – ausgerechnet in der Corona-Finanz-Krise.

Immer mal wieder denke ich an eine Szene in der CDU-Veranstaltung zur Kommunalwahl 2014 in der Rose in Mühlhausen an der Enz. Da stand Walter Schmierer auf, ehemals Stadtrat der Freien Wähler, Landwirt und selbst einmal Feuerwehrmann – ein rechtschaffender Mann, der an diesem Abend im Mai Stimme und Warnfinger erhob, und uns, speziell mich, angriff, weil wir für den Bau einer neuen Hauptfeuerwache eintraten. Das sei nicht notwendig. Sanieren und bedarfsgerecht erweitern, so sein Ratschlag, von dessen Richtigkeit er zutiefst überzeugt war. So wie wir und die Feuerwehrführung von einem Neubau. Möglicherweise wäre eine intensivere Diskussion über die Architektenstudie zu Sanierung und Umbau der alten Feuerwache im Käppele sinnvoll gewesen.

Blick von der B10 her

Aber wir erlagen den Schalmeienklängen und vor allem überzeugend vorgetragenen Meinungen von Vertretern der Wehr, die neue Feuerwache sei für sechs oder sieben Millionen zu erhalten, wie die in Vaihingen. Je weiter wir von Mühlacker entfernt waren, um so preisgünstiger wurde ein solches Gebäude - besonders günstig in der Pfalz. Der Gemeinderat, begleitet von Verwaltung und beratendem Architekt, nahm vorsichtshalber acht Millionen Euro als Obergrenze. Eine Zahl als Wert mit eingebautem Puffer. Letztlich aber ein Wert ohne Wert.

Zitat aus der Vorlage 224/2014 der Stadtverwaltung für den Gemeinderat 2014:  Im vergangenen Jahr wurde vom Gemeinderat der neue Feuerwehrbedarfsplan verabschiedet. In diesem ist eine Bewertung der vorhandenen Feuerwehrhäuser beinhaltet. Für das Feuerwehrhaus Mühlacker wird als Fazit festgestellt: „Bereits die Tatsache, dass auch mit einem finanziellen Aufwand von 2,5 Mio. EUR die vorhandenen Fahrzeugstellplätze nicht durchgehend zumindest den Anforderungendes Unfallversicherungsträgers entsprechend ertüchtigt werden können, führt zwangs-läufig zu dem Ergebnis, das eine Sanierung des bestehenden Feuerwehrhauses technisch und wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Daher kommt nur ein Neubau eines Feuerwehrhauses in Frage“ (S. 74 Feuerwehrbedarfsplan).

So kam er im September 2018: der erste Spatenstich. Da sollte die neue Hauptfeuerwache noch acht Millionen Euro kosten, bis jetzt sind es 12,4 Millionen Euro. Niemand kann verbindlich sagen, ob mit dieser Summe auch das Projekt abgerechnet wird. Und trotzdem sind manche Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr Mühlacker unzufrieden. Die Bauarbeiten sind gegenüber dem ersten Terminplan aus dem Jahre 2018 um zirka ein halbes Jahr im Verzug. Aktuell gehen wir von einer Fertigstellung des Gebäudes und der zugehörigen Außenanlagen im Juli 2020 aus, antwortete Ende Februar 2020 der OB auf meine Anfrage vom Januar 2020. Ob aus dem Termin Juli 2020 etwas wird? Zweifel sind erlaubt.

Blick übers Dach der neuen Feuerwache
 
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Nach dem Schrecken in der Morgenstunde: 1975 erstmals als Lienzinger im Mühlacker Gemeinderat

CDU, SPD und FW: Drei Listen bei der Gemeinderatswahl am 7. September 1975 in Mühlacker, zwei Monate nach der mit Lienzingen letzten Eingemeindung (Smlg. Günter Bächle)

 

Der Schreck steckte mir noch einige Stunden später in den Knochen. Morgens um 6 klingelte das Telefon in unserem Wohnzimmer im Gemeindehaus Brühlstraße 14. Ich eilte zum Apparat, hatte nicht gut geschlafen, bibberte vor Nervosität.

1975: Sitz Nr. 1 in Lienzingen ging an die CDU...

... Sitz Nr. 2 an die SPD
Erstmals hatte mein Name auf einem Stimmzettel der Stadt Mühlacker gestanden. Am Tag zuvor, am 7. September 1975, wählten auch die Lienzinger, rund zwei Monate nach dem Zwangsanschluss, den Gemeinderat der Großen Kreisstadt mit, die sich bei der Gebietsreform ganz erfolgreich gezeigt hatte – fünf vormals selbstständige Kommunen gingen in ihr auf.  Vier freiwillig, gegen eine dicke Prämie vom Land und mit Anschluss-Vertrag inklusive Investitionskatalog. Eine Gemeinde jedoch ohne all diese Beigaben und erst seit ihrer verlorenen Klage vor dem Staatsgerichtshof Baden-Württemberg gegen das ungeliebte Eingeheimst-Werden per Landtagsbeschluss politisch ein Teil von Mühlacker:  Lienzingen, der älteste Stadtteil nach der ersten urkundlichen Erwähnung. Trotz Niederlage vor dem Kadi waren die meisten Lienzinger doch stolz auf das letzte Aufbäumen gegen den Verlust der Unabhängigkeit.  Und ich wollte einer der zwei Stimmen in der Ratsrunde, die damals im Saal der Feuerwache tagte, weil der größte Raum im alten Rathaus gerade noch einem der Ausschüsse Platz bieten konnte.
  • Marodes Haus in der Herzenbühlgasse

Wer durfte unser Heimatdorf, in dem ich seit meiner Geburt 1950 lebe, in der nicht leichten Situation nach der Zwangseingemeindung in die Ratsrunde einrücken  – obwohl einer der jüngsten Kandidaten und bei Konkurrenten, die einen guten alten Lienzinger Familienname trugen, als Handwerksmeister, ehemalige Gemeinderäte oder Vereinsvorsitzende ein Begriff waren. Und ich, der früher häufig mit Jungenstreichen bei manchen negativ aufgefallen war, der mit 16 sich mit dem Pfarrer überwarf und daraufhin aus der evangelischen Kirche austrat (um zehn Jahre später zurückzukehren), dessen schulische Leistungen eher meist unrühmlicher waren als die anderer, weil überlagert von Kontroversen mit einzelnen Lehrern. Gelebte Rebellion eines Arbeitersohns, also aus dem, was andere einfache Verhältnisse nennen. Der mit 15 einen bösen Brief dem Lienzinger Bürgermeister schrieb, weil er mit seiner Mutter, Witwe seit April 1964, in einem alten Haus in der Herzenbühlgasse wohnen musste, eine Bruchbude mit allen Nachteilen wie feuchte Wände. Ohne Aussicht auf zeitnahe Änderung. Eine Immobilie, die so morsch war, dass sie kurzerhand abgebrochen wurde nach unserem Umzug 1970 in die Brühlstraße 190 (heute 14). Eine Erfahrung, ab und zu in nächtlichen Träumen wiederkehrt und die bei ihm den Hang auslöste, als Mandatsträger zu helfen, wenn sie sich an ihn wenden. Und immer wieder für bezahlbaren guten Wohnraum einzutreten.

  • Schreiben und Politik wichtiger als die Schule

Mit dem Schultes kam ich wieder ins Reine, er duzte mich und ich siezte ihn. Er  übertrug mir, als ich 16 Jahre war, die Leitung der Gemeindebücherei. Und als ich mit meiner Mutter 1984 ins eigene Heim an der Lohwiesenstraße einzog, schenkte er mir eine seiner Zeichnungen mit Ortskirche und alter Schule, das beliebteste Lienzingen-Motiv. In seinem Ruhestand begann er mit der Malerei. Wachsende Wertschätzung auf Gegenseitigkeit. Obwohl noch Schüler, waren mir bald das Schreiben für Zeitungen und die Junge Union wichtiger als der Unterricht bei Lotte H. oder Werner S., schon gar bei Karl H. (oder war es H.M.?), aber nicht vor dem noblen Herrn W. an der Mörike-Realschule, den die Schüler liebten. Ich setzte leider andere Prioritäten, mit verständlichen Folgen (kann deshalb nur raten, schulisch auf Kurs zu bleiben).

Persönliche Werbung

Dann kriegte ich beruflich doch noch die Kurve mit meinem Talent: Von 1969 an Volontär bei der Zeitung, 1971 Redakteur in Pforzheim, dann in Ludwigsburg (letzteres mehr als 45 Jahre) und Jung-Unionist, aktiver Christdemokrat. 1973 kandidierte ich erstmals für ein öffentliches Amt – für das eines Kreisverordneten im Wahlkreis Stromberg im neuen Enzkreis. Zum Mandat reichte es nicht, aber zu einem guten Ergebnis (2625 Stimmen und fünfter von zwölf Plätzen). In Lienzingen holte ich für die CDU auf Anhieb fast 600 Stimmen, exakt so viel wie der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr unseres Dorfes und Gemeinderatsmitglied. Bürgermeister Richard Allmendinger gratulierte mir zum Resultat im Heimatort, nannte es überraschend und erfreulich. Klar war, auf dem lässt sich aufbauen.

  • Leserbriefe für Lienzingens Selbstständigkeit

Dass der Test ausgerechnet bei der ersten Gemeinderatswahl in Mühlacker erfolgte, war die Ironie der Lokalgeschichte. Denn ich schrieb Leserbriefe für die Selbstständigkeit der 1700-Einwohner-Gemeinde, die im Mühlacker Rathaus nervten – OB-Referent Oskar Steinacker musste schriftlich dagegenhalten. Knüpfte Kontakte mit CDU-Landtagsabgeordneten, vermittelte Gespräche mit Allmendinger. Doch der örtliche CDU-Wahlkreisabgeordnete Hans Roth hielt strikt am Eingemeindungskurs der Landesregierung fest, blockte den Fraktionschef im Landtag, Lothar Späth, ab genauso wie Hugo Leicht aus Pforzheim und Hermann Opferkuch aus Crailsheim, die sich durchaus eine Lösung wie bei Ötisheim vorstellen zu konnten: Verwaltungsgemeinschaft mit Mühlacker und gemeinsamer Flächennutzungsplan, aber weiterhin politische Selbstständigkeit – doch gegen den Wahlkreisabgeordneten gab es keine Änderung am

Kein Zweifel am Motto

Konzept.  Das war Konsens in der Regierungsfraktion, die die absolute Mehrheit hatte und auf Geschlossenheit bei diesem umstrittenen Projekt der Verwaltungsreform setzen musste, wollte sie nicht scheitern und zum Gespött der Opposition werden.

  • In Herrgottsfrühe eine Fake-Nachricht

Wann kam nun die Nachricht über das Wahlergebnis? Erst kurz nach Mitternacht war ich vom Mühlacker Rathaus heimgekommen, obwohl sie dort noch immer Stimmen der Gemeinderatswahl auszählten, aber keine Zwischenergebnisse verrieten. War ich in den folgenden fünf Jahren einer der beiden Lienzinger Vertreter? Ich fieberte dem Ergebnis entgegen, war nicht sicher, ob es geklappt hatte und hoffte durch den Anruf in Herrgottsfrühe zu erfahren, ob die Wahl nun auf mich gefallen war oder nicht. Nahm den Hörer ab, am anderen Ende der Leitung meldete sich mit forscher Stimme ein Mann, der seinen Namen nicht nannte, aber mir gleich eröffnete, die CDU bekomme nur drei Sitze und ich sei nicht gewählt. Mir verschlug es die Sprache und während mir noch die Warum-Frage durch den Kopf schoss, legte der Anrufer schon auf. Politisch schien mir der Boden unter den Füßen weggezogen worden zu sein, ich reagierte mit „entsetzlich“ auf die Hiobsbotschaft. Drei oder vier Stunden lang schwankte ich zwischen Scham, Lethargie, Wut und Gleichgültigkeit ob so grandiosen Niederlage. Was hatte die lokale Union falsch gemacht?

Dabei hatte mit der baden-württembergischen Sozialministerin Annemarie Griesinger gut eine Woche vor dem Wahltag ein Mitglied der Landesregierung mit einem nachmittäglichen Besuch die CDU in Lienzingen unterstützt – wegen der vielen Besucher musste  kurzfristig vom kleinen in den großen Saal der Gemeindehalle umgezogen werden. Unter meiner Leitung war das Programm der CDU Mühlacker zur Kommunalwahl ausgearbeitet worden, präsentiert im August als Wahlplattform Mühlacker 75. Die Union wollte sich in Lienzingen für eine Ausgestaltung des neuen Wohngebiets Gaiern-Neuwiesen einsetzen, für den Bau einer Aussegnungshalle und den Ausbau der Ortsdurchfahrt sowie für die Erhaltung der Frauenkirche als Wahrzeichen des Stadtteils.

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