Lienzinger Männerclub: Landwirt Bonnets einsamer Stimmenrekord und sein Sturz nach 18 Jahren

Den letzten habhaften Beschluss fasste der Gemeinderat am 9. Mai 1975 hinter verschlossenen Türen: Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den scheidenden Bürgermeister Richard Allmendinger. Bei der Verleihung mit Ehefrau Elsa. (Foto: STAM, W Barth MT

Ich werde in Zukunft Briefmarken sammeln und mich nicht mehr wegen ein paar Pfennigen mit den Gemeinderäten herumschlagen, zürnte Richard Allmendinger, als er gerade eine Niederlage in seinem Gremium erlitten hatte. Obwohl er in all den Jahren, in denen er Lienzinger Bürgermeister war, keineswegs oft den Saal im ersten Stock des Rathauses als Verlierer verließ, saß der Widerstand der zehn Ratsmitglieder im Frühjahr 1971 gegen eine leichte Anhebung der Entwässerungsbeiträge tief. Doch er blieb, ging erst am 4. Juli 1975 und damit einen Tag vor dem unfreiwilligen Anschluss an Mühlacker von Bord. Zum Schluss stand  er fast allein auf der Brücke. Seine zehn Ratsmitglieder protestierten gegen das für Lienzingen negative Urteil des Staatsgerichtshofs mit ihrem gesammelten Rücktritt in der Sitzung vom 24. Mai, in den folgenden drei letzten Sitzungen blieb der Schultes allein im Ratssaal. Den letzten habhaften Beschluss fasste das Gremium am 9. Mai, wie 15 Tage später eim Rücktritt hinter verschlossenen Türen: Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den scheidenden Bürgermeister. Ein freundlicher Akt (Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Li B, 327, S. 359 und 364).

Der Schultes und der Gemeinderat: Gerade von der ersten demokratischen Wahl nach Kriegsende, die im Januar 1946 stattfand, und der Zwangseingemeindung von Lienzingen nach Mühlacker im Juli 1975, lebte die kommunale Selbstverwaltung des Dorfes vom ehrenamtlichen Engagement von insgesamt 43 Ratsmitgliedern in 29 Jahren. Mit Ausnahme der Jahre 1962 bis 1964 reine Männerrunden. Zuerst acht, dann zehn Räte jeweils plus Bürgermeister. Die Tische meist in U-Form gestellt, saßen Schultes – Vorsitzender und Protokollführer in einem – und der Gemeindepfleger an der Stirnseite zur heutigen Friedensstraße hin.


Lienzinger Geschichte(n) als Serie im Blog. Heute mit viel Atmosphäre und einer Portion Statistik: Über den Gemeinderat, dem in fast drei Jahrzenten und zehn Wahlperioden 43 Mitglieder angehörten. Von Erwin Bonnet als dem Gesamt-Stimmenkönig, Krach um die Erhöhung der Erschließungsbeiträge inclusive Rücktrittsdrohung des Bürgermeisters. In Protokollen und Akten geblättert, vor allem aber in meinen Gemeinderatsberichten. Den ersten schrieb ich 1966 – mit 16 Jahren.


Bei kontrovers diskutierten Themen herrschte meist ein Durcheinander. Es redete, wer gerade wollte, da ging es nicht mehr nach der Reihenfolge der Wortmeldungen. Da konnte sich schon einmal in rasendem Tempo ein starker Lärmpegel entwickeln. Allmendinger ließ den Disput, dem die Zuhörer nicht immer leicht folgen konnten, zunächst freien Lauf, bis die Kröpfe geleert waren, hob dann plötzlich seine Stimme, rief Meine Herren, Ruhe bitte! und dann war klar: Jetzt redet nur der Bürgermeister. Irgendwann wurde dann auch abgestimmt. Dann forderte er zum Handaufheben auf, wenn er den günstigsten Zeitpunkt für gekommen ansah. Ein schwäbisches Schlitzohr, dieser gebürtige Horrheimer!

  • Die Rolle des Chronisten der dörflichen Kommunalpolitik

Februar 1946: Auftaktsitzung des ersten frei gewählten Lienzinger Gemeinderats nach den Jahren der Gleichschaltung durch die Nazi-Diktatur.

18. Juni 1975: Letzte Sitzung des Gemeinderats Lienzingen vor der Zwangseingemeindung nach Mühlacker am 5. Juli 1975 - doch ohne Gemeinderäte (Repro: Protokoll-Köpfe (Stadtarchiv Mühlacker)

Die letzten neun Jahre vor dem Verlust der Selbstständigkeit erlebte ich die Bürgervertretung in der Rolle des Berichterstatters zuerst nur für das legendäre Württembergische Abendblatt (WAB) in Vaihingen an der Enz, heutige Ausgabe Mühlacker der Pforzheimer Zeitung, dann auch für Mühlacker Tagblatt und dem Teil Nachbarkreise der Stuttgarter Zeitung, deren Redakteur in Ludwigsburg saß. Zuerst freier Mitarbeiter mit Zeilengeld, dann von 1969 bis 1971 als Volontär bei der Pforzheimer Zeitung/WAB, schließlich vom Juli 1971 an als Redakteur der Ludwigsburger Kreiszeitung (LKZ). Auch wenn Lienzingen nicht zum Verbreitungsgebiet der LKZ gehörte, schlüpfte ich zu Ratssitzungen in die Rolle des Chronisten der dörflichen Kommunalpolitik. Selbst war (und bin) ich Gemeinderat erst nach dem Anschluss an die Senderstadt.

Die Treffen des Lienzinger Ortsparlamentes hatten Informations-, aber auch manchmal Unterhaltungscharakter (soll es auch gelegentlich in Mühlacker geben). So rief ein Rat einem anderen über den Tisch zu, als es um die Lagebezeichnung für die Weinbergen am Eichelberg ging: Dei Wein isch so schlecht, den koisch selber saufa. Für einen ermahnenden Ordnungsruf reichte das bei Allmendinger nicht aus. Ob er sich innerlich dieser Wertung anschloss? Wir werden’s nicht ergründen.

Ein Graus waren die Haushaltsplan-Beratungen. Sitzungsvorlage? Fehlanzeige! Der Bürgermeister rasselte ohne Pause die wichtigsten Positionen herunter. Nicht nur die Zuhörer schauten sich unverständlich an, auch die Gemeinderäte mussten tief durchatmen, in noch einigermaßen in der ganzen Materie durchzublicken. Ich kann leider nicht so schnell mitschreiben wie sie sprechen, rief ein Ratsmitglied dazwischen (WAB, 19. Mai 1969, S. 4). Einigkeit demonstrierten Bürgermeister und Räte bei der Abwehr von Forderungen von Behörden, deren Umsetzung nur unnötige Ausgaben verursachen würden. So verlangte das Staatliche Gesundheitsamt Mühlacker 1968, den Zementboden in der Pumpstation in der Wette herauszureißen und Platten zu verlegen. Seit 1916 nahm niemand an dem Zementboden Anstoß. Ich sehe nicht ein, dass dies auf einmal unhygienisch sein sollte, wehrte der Schultes ab (WAB, 10. Juni 1968, S. 3).

Dorftheater in bestem Sinne lieferte der Gemeinderat an einem April-Abend im Jahr 1971. Es drohte zeitweise gar zu einem Drama auszuwachsen. Der Streitpunkt: Die vom Bürgermeister beantragte Erhöhung des Entwässerungsbeitrags bei Baulanderschließungen von zehn auf fünfzehn Mark je Frontmeter und von einer Mark auf 1,50 Mark pro Quadratmeter. Das Gremium, Verteuerungen von Abgaben, Steuern und Gebühren gegenüber abhold, erlebte an diesem Abend den zweiten Anlauf von Allmendinger, die vorgeschlagenen Sätze doch noch durchzusetzen. Das war sozusagen Grundlage des ganzen Ärgers. Wir werden zu Hampelmännern, rief ein empörtes Ratsmitglied in die Runde. Tatsächlich schrieb das Gesetz vor, dass - wenn keine neuen Argumente auftauchen – ein abgelehnter Antrag erst nach sechs Monaten wieder auf die Tagesordnung kommen darf. Doch der Verwaltungschef bekannte sich auch sonst zu seinem Grundsatz, der Erfolg versprach: Immer wieder nachfassen!

  • Kredite für die Räte genauso ein rotes Tuch wie höhere Gebühren

Der Schultes hatte erst drei Wochen zuvor eine Niederlage in dieser Sache erlitten. Nun versuchte er also wieder mit Engelszungen, die Ratsmehrheit auf seine Seite zu ziehen. Lienzingen liege mit seinen Sätzen im Landkreis Vaihingen bei 38 Kommunen einsam am Ende der Statistik. Wenn das nicht korrigiert werde, müssten künftige Baulanderschließungen über Darlehen finanziert werden – doch Kredite waren für Lienzingens Räte genauso ein rotes Tuch wie höhere Gebühren. Ihr Rezept: aller größte Sparsamkeit. Ein Teufelskreis, der mich in meinem Bericht über Sitzung zu dem – zugegeben sehr pauschalen und gewagten – Urteil verführte: Dass er (der Tagesordnungspunkt) die Gemüter in Wallung brachte, lag sicherlich nicht zuletzt an der Gepflogenheit einiger Volksvertreter, logische Gedankengänge zu ignorieren. Die beantragte Anhebung sei maßvoll, Lienzingen wäre im Vergleich mit dem Gros der anderen Kreiskommunen immer noch günstiger gewesen, was den Bürgermeister veranlasste, gleich zu Beginn der Beratung eines deutlich zu machen: Bei einer Ablehnung sehe er sich außerstande, seine Tätigkeit fortzusetzen.

  • Drückende Stille und die Rücktrittsdrohung des Bürgermeisters
Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 9. Mai 1975

Mehr als 23 Jahre war Allmendinger schon Schultes der prosperierenden Gemeinde, seine Amtszeit lief noch bis 1978. Aber mit seiner Drohung hatte der damals 61-Jährige den Teufel geritten. Die Sitzung drohte schließlich zu platzen, als sich die Gemeinderäte schließlich gegenseitig mit unschönen Ausdrücken belegten, die teilweise noch in Gebrüll untergingen, hielt ich damals die dramatische Situation in meinem Bericht fest (WAB, 3. Mai 1971, Seite 9). Ich lasse mir von Dir nichts sagen, brüllte einer seinem Kollegen zu. Ein anderer vermutete hinter der Haltung der Oppositionellen eigennützige Motive (Mir kommt es vor, als geht es hier nur um die eigenen Nachteile), Ruhe versuchte schließlich einer mit der Drohung zu erreichen, heimzugehen, wenn das nicht gleich aufhört. Geheim wurde sogar abgestimmt und Vize-Bürgermeister Wilhelm Tochtermann gab in seiner ruhigen Art das Ergebnis bekannt: fünf dafür, fünf dagegen. Und Stimmengleichheit bedeutete nach dem Gesetz Ablehnung. Eine drückende Stille, die Ratsherren fühlten sich in der eigenen Haut nicht wohl.

  • Einen Tag danach: Brisante Post aus dem Mühlacker Rathaus

Die Rücktrittsdrohung des Bürgermeisters stand im Raum. Nicht auszuschließen war, dass Richard Allmendinger im Herbst 1971 den Worten auch die Tat folgen ließ. Doch wie es der Zufall so will: Einen Tag nach der Sitzung brachte ihm der Briefträger brisante Post aus dem Mühlacker Rathaus. Kollege Gerhard Knapp schickte den Text der gerade abgeschlossenen Vereinbarung über die Eingliederung von Lomersheim in die Stadt Mühlacker, die erste von letztlich fünf, wie wir heute wissen. Knapp sah in Lienzingen den nächsten, in seine Strategie passenden Kandidaten. Doch just dieser Kandidat machte ihm einen Strich durch die Rechnung. So war eben der Lienzinger Gemeinderat auch: Bei aller gelegentlichen Lust am Streit stand er geschlossen für das Dorf ein. Alle wollten sie Herr im eigenen Rathaus bleiben. Und so redete bald niemand mehr vom Rücktritt des Schultes – auch er nicht. In Allmendinger Worten: Wir wollen die Lösung unserer Probleme, ohne äußeren Einfluss, weiterhin selbst in die Hand nehmen (WAB, 19./20. Januar 1974, S.11).

Obwohl Allmendinger ein Jahr zuvor, am 14. April 1970, bei einer nichtöffentlichen Beratung des Gemeinderats über die Gebietsreform deutlich gemacht hatte, man brauche auf seine Person keine Rücksicht zu nehmen, denn er wolle später nicht dem Vorwurf ausgesetzt werden, den Zusammenschluss der Gemeinde mit der Stadt Mühlacker wegen persönlicher Interessen verhindert zu haben. Eine noble Haltung! Denn da lag die Berechnung der Senderstadt auf dem Tisch, bei einem freiwilligen Anschluss innert fünf Jahren vom Land eine Eingemeindungsprämie von 2,14 Millionen Mark zu erhalten. Diese Summe könne für anstehende Projekte wie Flugbereinigung, Baulanderschließung und Sicherung der Trinkwasserversorgung eingesetzt werden, sagte Allmendinger (STAM, Li B 328, S. 24). Eigentlich hätte das den aufs Geld schauenden Gemeinderat überzeugen können. Doch da gab es für ihn einen höheren Wert, die hieß: Selbstständigkeit.

  • Erwin Bonnet, Viktor Geiger, Erwin Schmollinger und Eberhard Pfullinger dienten am Längsten
Geleitwort des Bürgermeisters auch namens des Gemeinderats zum Heimatfest 1958 (Smlg. Günter Bächle)

Der Gemeinderat von Lienzingen: 43 Mitglieder in knapp 30 Jahren. Gut 30 gehörten dem Gremium nur eine Wahlperiode an. Da galt noch das vom Landtag 1974 aufgehobene rollierende System: Alle drei Jahre stand die Hälfte des Gremiums zur Disposition, die Amtszeit des einzelnen Rates ging somit über sechs Jahre. Zwei Amtsperioden saßen fünf Räte in der Runde, drei sogar sechs. In diesen drei Jahrzehnten waren Erwin Bonnet (1947 bis 1965) und Viktor Geiger (1953 bis 1971) jeweils 18 Jahre dabei, je 17 Jahre Erwin Schmollinger (1951 bis 1968) sowie Eberhard Pfullinger (1951 bis 1956, 1959 bis 1971). Gewicht hatten im Gremium die Landwirte, denn diesem Berufsstand gehörte rund ein Dutzend der Räte in drei Jahrzehnten an. Es gab mit Richard Zink (1968 bis 1970) nur einen Lehrer, genauer: einen Landwirtschaftsoberlehrer. Zwei Kaufleute wirkten mit, doch das Gros der Bürgervertreter arbeitete in Technischen Berufen als Meister (6), sonstiger Angestellter oder Arbeiter.

Einsamer Stimmenkönig, danach über alle 29 Jahre hinweg nie wieder von einem Kandidaten erreicht: Erwin Bonnet, Landwirt und Ortsobmann der Bauern, 1947 mit 704 Stimmen auf der Liste DVP, CDU und Landwirte erstmals gewählt – in den folgenden Wahlen erzielte er dieses Spitzenresultat nicht annähernd mehr, 1965 wählten die Lienzinger ihn sogar ab.

Vize-Stimmenkönig in all den fast 30 Jahren: Ulrich Bäuerle, der 1971 auf Anhieb 514 Stimmen holte. Neun hatten es je einmal über 400 Stimmen geschafft: Viktor Geiger (1965), Friedrich Häcker (1953), Emil Hafner (1962), Friedrich Heinzmann (1946), Reinhold Heinzmann (1956), Hans Lepple (1971), Eberhard Pfullinger (1965), Erwin Schmollinger (1956) und Wilhelm Tochtermann (1968).

Erwin Bonnet schied also nicht freiwillig aus, er scheiterte knapp bei der Gemeinderatswahl im Herbst 1965. Bei der Verabschiedung am 3. Dezember 1965 mutmaßte Bürgermeister Allmendinger laut Protokoll, Bonnet sei wahrscheinlich in den letzten Jahren verfolgten persönlichen Interessen zum Opfer gefallen. Es habe aber auch schon Zeiten gegeben, in der er jedem in Bedrängnis gestandenen Berufskollegen hilfreich beigestanden. Bonnet blieb der Zeremonie fern (STAM, Li B 328, S. 57).

Der Schultes kombinierte meist jeweils Verabschiedung der ausscheidenden Räte und Verpflichtung der wieder- oder neu gewählten in einer Sitzung, legte gleichsam eine Bilanz der geleisteten Arbeit ab. Am 10. Dezember 1956 dankte er für eine ersprießliche Zusammenarbeit zum Wohle der Gemeinde. Dass es dabei auch gelegentlich gewisse Meinungsverschiedenheiten gegeben habe, könne nicht als Beeinträchtigung angesehen werde, denn Arbeit und Erfolg würde man dadurch erkennen, dass in der Gemeinde etwas geleistet worden sei. Drei Jahre später ähnliche Worte: Zwar seien die Meinungen manchmal hart aufeinander gestoßen, aber am Schluss habe man sich immer wieder ausgesöhnt, was anschließend das zuvor verabschiedete Ratsmitglied Rommel bestätigte.

Das Ehrenamt brächte, so Allmendinger an die Neuen am 11. Dezember 1959,  auch Schwierigkeiten. Auch wenn der einzelne Bürger von einem gewissen Hineinleuchten rede, so bestehe doch zwischen Theorie und Praxis oft ein sehr großer Unterschied. Immer wieder betonte der Bürgermeister eines: Das gesetzlich festgelegte Wahlsystem gibt einem möglichst breiten Kreis die Gelegenheit, das Wesen der gemeindlichen Selbstverwaltung kennenzulernen, um so dadurch einen besseren Einblick in die Aufgaben einer Gemeinde zu erhalten (STAM, Li B 325, S. 119, 307). Am 14. November 1971 war wieder ein Wechsel angesagt. Obwohl bisher in der Gemeinde sehr viel getan worden sei, hätten die Räte auch Tadel und Kritik hinnehmen müssen. Aber das Bewusstsein, ein öffentliches Amt in großer Verantwortung getragen zu haben, überwiege die Kritik. Der Außenstehende mache sich oftmals keine Vorstellung darüber, wie schwer manche Entscheidung jedem Mitglied des Gemeinderats falle, denn es müssten oftmals sehr unpopuläre Maßnahmen getroffen werden (STAM, Li B 328, S. 124).

Aber dies war keine Lienzinger Spezialität – eine Erkenntnis, die zudem zeitlos ist.

Einer, der nur von 1968 bis 1970 dabei war: Landwirtschaftsoberlehrer Richard Zink (1939 - 1994), ein Hohenloher, der Ende 1970 nach Ludwigsburg umzog und deshalb sein Mandat niederlegen musste. Er trat 1971 in die CDU ein, wurde 1974 als 35-Jähriger mit 212 von 309 Stimmen zum Vorsitzenden der Christdemokraten im Kreis Ludwigsburg gewählt (LKZ, 18. März 1974, S. 3). Sein Versuch, 1984 die frühere Sozialministerin Annemarie Griesinger als Landtagsabgeordnete im Wahlkreis Vaihingen an der Enz, zu beerben, scheiterte. Die Mehrheit stimmte für Günther Oettinger, späterer Ministerpräsident. Er war Stadtrat und Fraktionsvorsitzender der CDU im Gemeinderat von Ludwigsburg.

  • Unter den 43 nur eine Frau: Die streitbare Charlotte Kussbach
Charlotte Kussbach (Aus: Ortsbuch Lienzingen, 2016)

Der Gemeinderat blieb über all die Jahre reine Männersache. In den 29 Jahren trat bei zehn Wahlen nur ein einziges Mal eine Frau an. Das war 1962 und die Bewerberin holte sich auf Anhieb ein Mandat. Diese einzige Ausnahme: Charlotte Kussbach (1907 – 1992), die in der Brühlstraße wohnte, zog 1962 über die Vertriebenenliste mit 212 Stimmen in den Gemeinderat ein. Die Kriegerwitwe aus Sachsen wohnte seit 1953 in Lienzingen. Sie wechselte 1964 als Pflegerin einer alten Dame nach Bad Säckingen, arbeitete später noch als im Krankenhaus Mühlacker. Im November 1964 gab sie ihr Mandat ab, ihren Nachfolger Volker Ferschel hatte sie 1962 aus dem Ortsparlament verdrängt. Sie galt als selbstbewusst und streitbar (Marlies Lippik in: Lienzingen, Altes Haufendorf, moderne Gemeinde. 2016, Verlag Regionalkultur, S. 192). Ein Portrait.

Aufwandsentschädigung gab es auch für die Räte. In der Hauptsatzung vom 18. Oktober 1946 wurden festgelegt vier Zwei-Stunden-Staffeln, beginnend mit 1,50 Reichsmark und maximal 6 Reichsmark für acht und mehr Stunden an einem Tag. Sätze, die später angepasst wurden. Die Gelder wollten die Bürgervertreter das Jahr über ansammeln und dann für gemeinnützige Zwecke spenden, beschloss das Gremium am 24. August 1948 auf Antrag von Gemeinderat Christian Aichelberger. Am Jahrsende 1948 teilten sie den Betrag erstmals auf, die Hälfte erhielt die Kirchengemeinde für den Kauf eines Ofens im Gotteshaus und für eine neue Glocke, ein Teil floss in die Reserve für Notfälle (STAM, Li B 323, S. 109 und 128).

  • Erste freie Gemeinderatswahl nach Kriegsende im Januar 1946
Stimmzettel der Gemeinderatswahl 1953 in Lienzingen

Nach Kriegsende im Frühjahr 1945 hatte es zunächst keinen Bruch in der örtlichen Kommunalpolitik gegeben: Zwar wurde Bürgermeister Karl Brodbeck von den Franzosen abgesetzt und interniert, aber die von den Nazis im Zuge der Gleichschaltung 1935  eingesetzten Räte blieben im Amt, ergänzt um zwei neu berufene. Am 3. Juli 1945 gab es die erste Sitzung nach der Befreiung. Das Protokoll unterschrieben fünf der sechs alten Beigeordneten und Gemeinderäte: Töpfer Otto Knopf (seit 1935 der 2. Beigeordnete, nun von den Franzosen berufener Bürgermeister), Emil Geißler (seit 1934 Beigeordneter, nach 1945 Gemeindepfleger), Bäckermeister Gustav Kontzi (1933 – 1945, NSDAP), Landwirt Josef Rueß (1919 – 1945, zuerst SPD, später auf der NSDAP-Liste) und Wilhelm Link 1931/33 und 1935/45).

Die letzten freien Kommunalwahlen vor dem Krieg hatten am 25. April 1933 stattgefunden. Von den sechs Ratssitzen in Lienzingen gingen 4 an die NSDAP (Josef Gaupp, Gustav Kontzi, Gottlob Pfullinger und Josef Rueß), 2 an das Bündnis Bauern- und Weingärtnerbund/Kampffront Schwarz-Weiß-Rot (Karl Schneider und Richard Geißler). 1935 schalteten die Nazis alle, Berlin nachgeordneten Instanzen gleich – hinab bis in die letzte Ratsstube. Kommunale Wahlen waren in diesem System nicht vorgesehen, sondern Ernennungen durch die NSDAP (STAM, Li A 2).

  • Parteien nur bei den beiden ersten Gemeinderatswahlen
Die letzten freien Gemeinderatswahlen vor 1945 am 25. April 1933: Protokolliert das Ergebnis in Lienzingen (STAM, Li A 2)

Genau 1964 Stimmen erhielt der Wahlvorschlag Christlich-demokratische Wählervereinigung und damit fünf Sitze in der ersten freien Kommunalwahl im Januar 1946. Und 946 Stimmen entfielen auf den Wahlvorschlag der Demokratischen Einheitsliste und somit drei Mandate. Schon am 7. Dezember 1947 hatte es landesweit die zweite Wahl neuer Gemeinderäte gegeben. In Lienzingen lag die Wahlbeteiligung bei 84 Prozent. Jetzt gab es die Liste DVP, CDU und Landwirte, die sechs statt fünf Sitze holte. Je ein Mandat entfiel auf Vereinte Wählerschaft und Freie Wählergemeinschaft. CDU und DVP (heute FDP) hatten jedoch keine Lienzinger Ortsgruppen. Das zeigt sich auch daran, dass von der 1951er-Wahl an – außer den Vertriebenen-Listen - nur Wählervereinigungen antraten mit Bezeichnungen, die allein der Unterscheidung der zwei, drei oder vier Listen dienten und die keine programmatischen Unterschiede bedeuteten: Freie Wählervereinigung, Vereinigte Wählerschaft, Vereinigte Wählervereinigung, Freie Wähler.

Und wie ging der Streit um die Erhöhung des Entwässerungsbeitrags aus? Lehnte sie der Gemeinderat im April 1971 zweimal ab, so startete Allmendinger im Januar 1972 mit einem leicht modifzierten Antrag den dirtten Versuch und der endete für ihn siegreich: sieben dafür, drei dagegen, einer enthielt sich der Stimme. Also! (STAM, Li B 325, S. 140 f)

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Ringscheuern, merkwürdige Kammern, unterkellerte Flüchtlingsräume oder ganz einfach: Lienzinger Gaden, das Markenzeichen

Die Gaden dien(t)en als Vorratskammern (2020)

Zunächst irritiert die Passage im Protokoll der Lienzinger Gemeinderatssitzung am Vorabend des Heiligabends anno 1957. „Erneuerung der Ringscheuern um die Dorfkirche“, lautet der zweite Punkt der Tagesordnung. Doch rasch wird klar, dass damit die Gaden rund um die Peterskirche gemeint sind. Ob die vorweihnachtliche Stimmung die Bescherung beförderte oder die Überzeugung, ein „kultur- und heimatgeschichtlich wertvolles Baudenkmal“ zu sichern, sei dahingestellt. Möglicherweise kam beides zusammen. Jedenfalls beschlossen die Räte, dass sich die Kommune an den Baukosten der Instandsetzung der Ringscheuern maßgeblich beteiligen werde und beauftragten Bürgermeister Richard Allmendinger, die Verhandlungen fortzusetzen.

Ringscheuern, Gaden oder „merkwürdige Kammern auf dem Kirchhof“, wie sie Friedrich Wißmann im „Ortsbuch von Lienzingen“ (1970, Walter-Verlag, Ludwigsburg, S. 34ff) nannte, oder "unterkellerte Flüchtlingsräume" als "eine besondere Merkwürdigkeit dieser (Kirchenburg-)Anlage", so Dr. R.W. Schmidt, Konservator beim Württembergischen Landesamt für Denkmalpflege in Stuttgart, in "Lienzingen, ein Dorfbild im Unterland" (in: Schwäbisches Heimatbuch, Stuttgart, 1927, S. 112-126): Die eineinhalb Dutzend Gaden stammen aus dem 15. Jahrhundert.

Sie seien, heißt es in dem Ratsprotokoll von 1957, in einem so bedenklichen Zustand, dass eine möglichst baldige Erneuerung nicht zu vermeiden sei. Das Landratsamt Vaihingen an der Enz startete deshalb eine Initiative beim Landesamt für Denkmalpflege, das einen eventuellen Zuschuss von 3000 Mark in Aussicht stellte. Auch der Landkreis wolle sich an den Kosten beteiligen, wenn dies die damals 1100 Einwohner zählende Gemeinde auch tue.

Eigentümer fragen

Kreisbaumeister Vogelmann sagte zu, so ist der Sitzungsniederschrift zu entnehmen, einen Kostenvoranschlag zu fertigen. Doch: Zunächst wäre festzustellen, inwieweit sich die beteiligten Eigentümer der 17 Gaden entschließen, die erforderlichen Instandsetzungsarbeiten an ihren Anteilen durchführen zu lassen.  -(Stadtarchiv Mühlacker, Li B 325,  S. 181)

Das Modell der Lienzinger Kirchenburg steht im Heimatmuseum Mühlacker, Kelterplatz

Über einen Erfolg der Bemühungen von Bürgermeister Allmendinger in dieser Sache ist nichts bekannt. Trotzdem endete das Projekt erfolgreich, wenn auch unter veränderten politischen Rahmenbedingungen und durchaus verspätet - zwölf Jahre nach der Anfang Juli 1975 erfolgten Eingemeindung nach Mühlacker, vom Staatsgerichtshof Baden-Württemberg im Mai 1975 durchgewunken. Letztlich ist die Gadensanierung ein Vorhaben der gesamten Stadt geworden. Lienzingen brachte dieses Juwel in die größere Kommune ein.

Kirchenburg im Denkmalbuch

Die Kirchenburg mit ihren Gaden ist Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung gemäß § 2 in Verbindung mit § 12 des Landesdenkmalschutzgesetzes, eingetragen ins Denkmalbuch.  Höchster Schutzstatus also. Am 20. März 1979 hatte ich in einer Gemeinderatsanfrage (Nr. 43/79) auf den „teilweise erbärmlichen Zustand“ der Gaden hingewiesen und auf bei Reparaturen verwendetes Material, das absolut nicht zur Anlage passe. Ich regte an, die Stadtverwaltung solle „entweder über Land oder Kreis oder selbst nach Wegen suchen, um eine Erhaltung zu erreichen“. In der Antwort schrieb die Verwaltung am 28. Mai 1979, sie habe schon vor einiger Zeit Kontakt mit den Eigentümern aufgenommen, doch als diesen die relativ hohen Baukosten bekannt geworden seien, sei keiner mehr bereit gewesen, mitzuarbeiten,  sie nähmen die Reparaturen in eigener Regie vor. Ein Rückzug, den auch das baden-württembergische Innenministerium in einer Antwort vom 5. August 1982 (V 746 Mühlacker/1)  auf ein Schreiben von mir als Stadtrat bedauerte hatte.

 

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Lienzinger Geschichte(n) um die Alte Steige - Bereits1958 ärgert der Schleichverkehr den Gemeinderat

Alte Steige/Schützinger Straße schon vor 60 Jahren ein Problem bei der Gemeinde Lienzingen. Lösung: Lightboys sollen dem Schleichverkehr das Abkürzen verleiten

Als Richard Allmendinger (1910-1992) im Lienzinger Rathaus regierte, da zählte der Gemeinderat zehn Mitglieder. Die sparsam besetzte Verwaltung bestand aus Bürgermeister, Gemeindepfleger, einer Sekretärin, dem Amtsboten und dem Fronmeister. Letzterer war so etwas wie der Bauhof in Person. Und weil das Personal knapp und die Kommune sparsam war, musste der Bürgemeister auch das Protokoll der Ratssitzungen schreiben. Allmendinger tat dies mit Akribie und Können, führte sehr genau das Register. Sechs Bände füllen seine Niederschriften, beginnend 1947 und endend 1975 mit der Zwangseingemeindung nach Mühlacker, in deren Stadtarchiv (STAM) sie inzwischen stehen.

Zuletzt gut 1700 Einwohner
Der Verwaltungsfachmann Allmendinger war der elfte Schultes der Gemeinde Lienzingen seit 1801 (damals etwa 600 Einwohner) und gleichzeitig ihr Letzter. Gut 1700 Menschen lebten in dem Ort im Jahr des vom Landtag angeordneten Verlustes der Unabhängigkeit, heute sind es 2100.

In den Protokollbüchern zu blättern, ähnelt einer Reise durch die Lienzinger Nachkriegsgeschichte. Die großen Themen wie Wohnungsnot, Markungstausch mit Mühlacker, Bau von Schule, Kindergarten und Gemeindehalle mischen sich mit den kleinen Dingen wie dem Verkauf von alten Schulbänken an die Nachbargemeinde Schmie, die Entschädigung für den Farrenhalter, das Pfarrbesoldungsholz und der "unvermutete Kassensturz" im Rathaus. Oder mit Geschichten über Streitfälle und Versöhnungsgesten.

Schleichverkehr seit 60 Jahren
Plötzlich taucht ein Thema auf, das aktuell und einem dadurch bestens bekannt ist, das 1958 den Lienzinger Gemeinderat beschäftigte und heute noch die Stadtverwaltung Mühlacker: Der Schleichverkehr auf der alten Steige, dem Ortsweg Nummer 11, der seit der Eingemeindung 1975 Schützinger Straße heißt. Dass der obere Teil nur frei ist für landwirtschaftliche Fahrzeuge, schert manche Autofahrer nicht. Ich war heute Morgen nur kurz zu Fuß auf der alten Steige, da fuhren zwei Fahrzeuge, eines mit KA und eines mit BB völlig unbeeindruckt und schneller als 30 km/h durch. Ich bin unendlich sauer, schrieb mir ein Anwohner im Juni vorigen Jahres. Immer wieder beschweren sich Bürger über den verbotenen Ausweichverkehr im morgendlichen und abendlichen Berufsverkehr (morgens zwischen 6 und 8 Uhr), durch den die kurvenreiche Landesstraße somit auch "tempohemmende“ Lkws umgangen werden, notierte ich in einer Anfrage an die Stadt.

Schwere Regenfälle
Eine unendliche Geschichte. Sie begann vor über 60 Jahren. Eine Art Déjà-vu-Erlebnis, denn in seiner Sitzung vom 14. November 1958 beriet der Lienzinger Gemeinderat über die Sperrung der alten Steige. Nachdem sie wieder instandgesetzt sei und eine Teerdecke erhalten habe, werde die Straße von auswärtigen Fahrzeugen in zunehmendem Maße befahren, steht im Protokoll. Die Arbeiten waren im Juli 1957 beschlossen worden, nachdem schwere Regenfälle diese Gefällstrecke unterspült hatten (STAM, Li B 325, S.157).

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Weihnachten: Jetzt in Lienzingen nicht nur zur Weihnachtszeit

Blick ins alte Rathaus Lienzingen

Von wegen, alle würden gleich aussehen. Christbaumständer sind so verschieden wie die Menschen. Wer das nicht glaubt, muss das einzigartige Museum im Mühlacker Stadtteil Lienzingen besuchen. Seit gestern ist das möglich. Ich bin begeistert von dem Kleinod. Nicht nur ich. Das ist ja toll! Krieg ich eine Privatführung? kommentierte eine Kollegin aus Stuttgart in Instagram meine kleine Fotoserie gestern Abend. Gusseisen dominiert die Sammlung, dazu Ständer aus Eisenblech, Schmiedeeisen, Keramik und Kunststoff, aus Holz in Form faszinierender Spieluhren oder in schlichter funktionaler Form. Die meisten Stücke sind in ihrem Ursprung in den vier Jahrzehnten zwischen dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 und dem ersten Weltkrieg entstanden.

Das weltweit wohl erste und einzige Christbaumständer-Museum im alten Rathaus von Lienzingen:  Auf zwei Stockwerke des historischen Fachwerkgebäudes sind ausgewählte Stücke aus der Sammlung der Mannheimerin Heidi Schwarz zu sehen. Sie trug 1200 seltene Exemplare zusammen und vermachte sie der Stadt Mühlacker, nachdem sich einige Kommunen für die Exponate interessierten, die von ihr angeschrieben worden waren. Den Zuschlag bekamen wir. Das neue Museum soll eine Attraktion im Etterdorf werden – und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Die Dauerausstellung wird mit Wechselausstellungen ergänzt.
 

Auf dem Podest

Friedenstraße 10. 1719 erbaut. 2015/16 entschied der Gemeinderat, es für etwa 310.000 Euro sanieren zu lassen, nachdem die Stadtverwaltung wenige Jahre Jahren zuvor den Verkauf vorgeschlagen hatte, dafür aber keinen Gemeinderatsbeschluss bekam. Ich wehrte mich dagegen. Ein Glücksfall: Eine Mannheimerin bot Kommunen der Welt größte Christbaumständersammlung  als Geschenk an, Mühlackers OB Frank Schneider griff zu, fand so einen neuen Nutzungszweck fürs Rathaus Lienzingen, nachdem Verwaltungsaußenstelle und Kinderbücherei in freie Räume der Grundschule umgezogen werden. Ergänzt wird das Christbaumständer-  durch ein Etterdorfmuseum, das 2020 folgen soll.

Die Schäden am Gebäude waren größer als erwartet, die Kosten stiegen (einschließlich denen fürs Museum) auf 960.000 Euro, zur Hälfte getragen vom Land Baden-Württemberg, weil das Rathaus im Sanierungsgebiet liegt. Auch ein Glücksfall.

Nachdem 1692 das alte Rathaus an der Einmündung der jetzigen Kirchenburggasse in die Friedenstraße abgebrannt war, hatte die Gemeinde 1719 das heutige Rathaus gebaut. An einem Eckpfosten steht: "Meister Zimmermann Hans Rudershofer von Großenglattbach anno 1719." Darunter finden sich Beil und Winkelmaß, also die Zimmermannszeichen. 1822 ist das Rathaus durch das jetzige Obergeschoss aufgestockt worden. In der Beschreibung des Oberamts Maulbronn von 1870 wird das Baujahr insgesamt mit 1822 angegeben. Wie es das Schicksal so will: Die jetzigen Sanierungsarbeiten begleitete als Hauptverantwortlicher wieder ein Großglattbacher, der Leiter der Hochbauabteilung der Stadtverwaltung Mühlacker, Joachim Dick.

Engel-Halterung
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Voraussichtlich Ende 2019 wieder Ausfahrt zur B 10

Nicht alle Nutzer de Tiefgarage Rathaus befahren gerne die Spindel zur Hindenburgstraße, weiß der Vorsitzende der CDU-Gemeinderatsfraktion, Günter Bächle, auch aus eigener Erfahrung. Doch seit Stilllegung der Mühlehof-Tiefgarage gibt es die direkte Ausfahrt zur  Bundesstraße 10 nicht mehr. Deshalb wollte Günter Bächle von der Stadtverwaltung wissen, wann der angekündigte Umbau der Zufahrt von der B10 her in die Rathaus-Tiefgarage erfolgt, so dass sowohl ein- als auch ausgefahren werden kann. Darauf antwortete jetzt Oberbürgermeister Frank Schneider laut Mitteilung der CDU-Fraktion: „Die Vorbereitungen für den Umbau der Zufahrt laufen.“ Aufgrund des hohen Abstimmungs- und Koordinierungsbedarfes benötigten die Arbeiten einen erheblichen Vorlauf. Es seien sowohl bauliche Maßnahmen (Entfernen von Schrammborden, Markierungsarbeiten) als auch technische Abstimmungen (Ampelschaltung B 10, Anpassung der Kontaktschleife) notwendig. Die Verwaltung gehe davon aus, dass die Arbeiten bis Ende des Jahres 2019  vorgenommen werden. 

Eine kleine gelbe Fläche und ihre große Geschichte

Mobiler Hühnerstall auf den besten Böden

Wir befinden uns im Jahre 2019 nach Christus. Ganz Mühlacker ist im Regionalplan 2015 mit bunten Strichen, dünne und dicke, gerade und schrägen, mit Kreisen und Flächen, sogenannte Restriktionen und Nutzungsarten, belegt... Ganz Mühlacker? Nein! Eine gelbe Fläche ist fast frei davon. Südlich des Gewerbegebiets Waldäcker (blau) und der B10, im Osten der Markung. Ein von unbeugsamen Mitgliedern bestehender Gemeinderat hörte nicht auf,  Änderungswünschen für dieses längliche, etwas unförmige Rechteck Widerstand zu leisten, zuletzt  2016. Aber das Leben mit der schönen gelben Fläche beidseits  der Fuchsensteige ist nicht leicht. Was tun damit, fragen sich die Stadträte. Nichts, sagt eine Mehrheit von ihnen. Dort könnnte ein Gewerbe- und Industriegebiet entwickelt werden. Doch das will diese Mehrheit nicht. Wie kam dann dieses gelbe Rechteck in den Regionalplan?

Das Wie zeigt die Antwort der Stadtverwaltung auf meine Anfrage S19-010-60-23-62. Am 13. November 2001 stimmen im Rahmen des  Stadtentwicklungsplans (STEP) 2020 genau 26 Stadträte für eine gewerbliche Entwicklung beidseits der Fuchsensteige, drei sind dagegen, einer enthält sich der Stimme. Vorausgegangen war 1988 eine Studie des Regionalverbandes Nordschwarzwald, bei der dieser Standort mit 383 die höchste Punktzahl erhielt - gefolgt von Schönenberger Tal/West (342) und Hart (340).

Also gelangte die gelbe Fläche bei Lug-Fuchsensteige in den Regionalplan,  der damals im Aufstellungsverfahren war und der heute noch gültig ist.  Am 7. Juli 2015 votierte der Gemeinderat mit 13 gegen 11 Stimmen und zwei Enthaltungen dagegen, dieses gelbe Rechteck im Regionalplan  zum Vorranggebiet Landwirtschaft aufzustufen, denn dann wäre dort nur noch eines möglich gewesen: Ackerbau.

Ausschnitt aus der Raumnutzungskarte des Regionalplanes 2015

Die Entscheidung am 13. November 2001 fiel nicht vom Himmel. Vorgeschaltet im Juni und Juli 2001: Bürgerversammlungen in Kernstadt und allen Stadtteilen. Zustimmend für einen Gewerbepark Fuchsensteige meldeten sich Besucher zu Wort, andere sahen ihn kritisch. Kontrovers eben verlief die Debatte. Wie heute auch gab  es Stimmen, die den Bedarf an weiteren Gewerbeflächen bezweifelten (wenn dem so gewesen wäre, müssten die Waldäcker heute von gähnender Leere und ohne Arbeitsplätze sein - tatsächlich sind sie ausgebucht).

Der Gemeinderat entschied sich also klar für Lug-Fuchsensteige. Aber das war es dann auch. Mit jeder in die Zeitung getragenen Kritik an dem Standort schrumpfte die Mehrheit, bis sie kippte. Fraktionen setzten auf Applaus und Stimmen mit einem strammen Nie-und-nimmer-kommt-das-Gelände-für-uns-in-Frage. Garantien wie in Stein gemeißelt. Davon lässt sich schwer abkommen. Ja, so hieß es nun, mit der Bebauung der Waldäcker sei der Sprung über die B10 nicht inklusive gewesen. Wirklich nicht?

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Mein Onkel, der Orden und der Erste Weltkrieg

Ordensurkunde mit Anmerkungen.

Ahnenforschung. Im Hauptstaatsarchiv Stuttgart liegen Akten (HStA Stuttgart M 477 Bd. 28), die einen meiner Vorfahren betreffen und auf die ich schon vor längerer Zeit stieß: Kriegsstammrollen des (württembergischen) Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 120 / 1914-1918., genauer die Kriegsstammrolle der 8. Kompanie.

Unter der laufenden Nummer findet sich der Eintrag: Res[ervist] Gotthilf Ernst Schrodt, ev. [= evangelisch], Schützingen O.A. [= Oberamt] Maulbronn / 26.10.[18]87, Gipsermeister / Schützingen, Ehefrau Maria geb. Bahnmeier, Schützingen, 1 Kind, Vater: + [= verstorben] / Christine geb. Fritz, Schützingen. Vom 15.11. – 18.11.[19]15 im Revier [?] an Bronchitis.

Am 15.9.[19]16 gefallen südwestlich Peronne. Die Richtigkeit beglaubigt. Recelaire, den 10. Oktober 1916 [eigenhändige Unterschrift] Leutnant u[nd] Komp[anie] Führer.

Zu seinem militärischen Dienst im damaligen Königreich Württemberg finden sich wenige Zeilen: [= 8. Kompanie. Res[erve] Inf[anterie] Regts. [= Regiment] Nr. 120 . Frühere Dienstverhältnisse: 12.10.[19]07 als Rekr[ut] 8. Komp[anie] I[nfanterie] R[egiment] 121 Entl[assung ?]: 20.9.[19]09 zur Res[erve] nach Schützingen, 25.8. bis 21.9.[19]11 ..bg. [?] b 5./ I[nfanterie] R[egiment] 121. Mit der Mobilmachung rückte Gotthilf Schrodt am 5.8.[19]14 ein.

Er fiel gut einen Monat, nachdem seine Tochter Emilie (1916-1998) geboren war, in Péronne - einer französische Gemeinde mit heute 7652 Einwohnern im Département Somme in der Region Hauts-de-France. Der Ort wurde im Ersten und Zweiten Weltkrieg zerstört. In seinem Historial de la Grande Guerre ist dieses traurige Kapitel der Geschichte aufgearbeitet mit einem Menüpunkt Die Schlachtfelder der Somme, ein Rundgang. Als der Schützinger Schrodt an der Somme kämpfte, lag dort auch Wilhelm Bächle in den Schützengräben. Ob sie sich begegnet sind, wird nie jemand wissen. Aber so kreuzen sich Linien in zwei Familiengeschichten. Gotthilf Schrodt war mein Großvater, Wilhelm der Bruder meines Vaters. Der Württemberger und der Badener.

Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben Sich unter dem 15. Dezember d.J. (1917) gnädigst bewogen gefunden, die Silberne Verdienstmedaille am Bande der  Militärischen Karl-Friedrich-Verdienstmedaille zu verleihen. Hiervon setzte die Großherzogliche Ordens-Kanzlei in Karlsruhe am 16. Dezember 1917 die 52. Infanterie-Division  im Felde unter Bezug auf deren mit Schreiben vom 24. Oktober 1917 an den Generaladjutanten eingereichten Vorschlagsliste  in Kenntnis - gegen Empfangsbestätigung.

Aber schon am 21. November 1917 hatte der Generaladjutant Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs von Baden in einem Vermerk beklagt, dass es auffallend und nicht voll gerechtfertigt sei, dass die Regimenter in einer Eingabe so zahlreiche Nichtbadener namhaft gemacht hätten, dass die Zahlen beim Infanterie-Regiment 111 selbst nach Abzug der in den letzten Kämpfen gefallenen und vermissten Mannschaften noch 20,5 Prozent betragen, bei Infanterie-Regiment 169 sogar 36,5 Prozent und bei Infanterie-Regiment 170 noch 31 Prozent. Er habe deshalb verschiedene Nichtbadener heute nicht befürwortet, deren Dekorierung evenetuell einem späteren Zeitpunkt, wenn sie wieder eingegeben werden, überlassen werden müsse, steht in dem Dokument, gerichtet an das Großherzoglich geheime Kabinett in Karlsruhe i.B.. Schriftstücke, die heute im Generallandesarchiv Karlsruhe lagern. (GLA Karlsruhe  456 C Nr. 1984)

Der skuril wirkenden Statistik über die Nationalität von Soldaten, die Seite an Seite in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges lagen, oft in Totesängsten. Immerhin: Die laufende Nummer 39 erhielt die Badische silberne Verdienstmedaille am Bande der  Militärischen Karl-Friedrich-Verdienstmedaille. Es war der Gefreite im Infanterie-Regiment 170, Wilhelm Bächle, wohlgemerkt ein Badener, geboren am 9. Mai 1891 im Ortsteil Langenordach in  Neustadt/Baden, dem heutigen Titisee-Neustadt. "Mein Onkel, der Orden und der Erste Weltkrieg" vollständig lesen