Braunes Parteibuch: Lienzinger Bürgermeister und Pfarrer "meldeten 1933 ihren Eintritt in die Partei an"

Wilhelm Kriech, evangelischer Pfarrer in Lienzingen von 1929 bis 1934, und Karl Brodbeck, Bürgermeister der Gemeinde von 1920 bis 1945, taten im Jahr 1933 einen für sie entscheidenden Schritt: Sie unterschrieben Beitrittserklärungen zur NSDAP. Kriech gab sein braunes Parteibuch nach zwei Jahren wieder retour, als Ruheständler in Stuttgart. Brodbeck blieb bis zum bitteren Ende der Bewegung treu. Die beiden verband eines trotzdem noch stärker: der christliche Glaube. Der Schultes besuchte mit seiner Familie regelmäßig den Sonntagsgottesdienst, gehörte zudem dem Kirchengemeinderat an. Die Folge davon, dass sich die beiden zu diesem Schritt entschlossen. Somit hatte das gut 700 Einwohner zählende Lienzingen somit einige Monate sowohl ein NS-Mitglied als Ortsgeistlichen als auch ein weiteres als Schultes. Das ist im Dorf nicht präsent. Sollte  es seinerzeit gewesen sein, hatten die Menschen es verdrängt.

Lienzinger Geschichte(n): Die Serie im Blog. Die Überraschung bei der Recherche. 1933/34 hatten im 700-Einwohner-Dorf Lienzingen sowohl der Bürgermeister als auch der evangelische Pfarrer das braune Parteibuch. Beide gingen 1933 zur NSDAP - zwei Jahre später trat der Geistliche bitter enttäuscht wieder aus

Beide überzeugte Hitler-Anhänger? Brodbecks persönliche und parteipolitische Geschichte verlief anders als die des Theologen. Bürgermeisters und späteren Ortsgruppenleiters der NSDAP der eine, relativ schnell von der Partei enttäuscht der andere. Nicht nur deshalb unterscheiden sich beider Spruchkammer-Akten sowohl vom Umfang als auch vom Verfahren her. Den Fall Kriech wickelte die Kammer zur Entnazifizierung 1947 ausschließlich im schriftlichen Verfahren mit der laufenden Nummer 48/13/847 ab, Brodbeck (48/20/633) musste sich 1947/48 öffentlichen Verhandlungen stellen.

Im Herbst 1933: Erntedankfest Friedenstraße (rechts Krone) links hinten Tanksäule und Gemeindewaage, vorn Musikverein in Uniform links Bürgermeister Brodbeck - (Stadtarchiv Mühlacker. Smlg Paul Straub (002)

Die Kammer stufte in ihren Urteilen beide als Mitläufer der Nationalsozialisten ein. Kriech, inzwischen in Hohenhaslach wohnend, musste als Sühne 50 Reichsmark bezahlen, Brodbeck 500, ihrem jeweiligen Vermögen entsprechend. Sie waren damit in der zweituntersten Gruppe eingestuft: 1 Hauptschuldige (Kriegsverbrecher); 2 Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer); 3 Minderbelastete (Bewährungsgruppe); 4 Mitläufer; 5 Entlastete, die vom Gesetz nicht betroffen waren.

"Braunes Parteibuch: Lienzinger Bürgermeister und Pfarrer "meldeten 1933 ihren Eintritt in die Partei an"" vollständig lesen

Das kleine Haus der Marie Herz

Das ist doch eine glatte Eins. Oder? Ungewöhnlich gut überliefert nennt das Landesamt für Denkmalpflege den bis heute ländlich geprägten Ort. Lienzingen. Doch wie statisch ist Denkmalschutz, wie und wann greift er??  Am Beispiel von Herzenhäusle und die Erfahrung mit Friedenstraße 12.

Tilman Marstaller nimmt mit einem Bohrer Holzproben vom Herzenhäusle.

Die Erhaltung des historischen Ortskernes von Lienzingen darf nicht nur die eingetragenen Kulturdenkmale zum Maßstab nehmen, sondern muss wirklich die Gesamtanlage im Visier haben. Notwendig ist deshalb, bei geplanten Eingriffen in den Bestand nicht nur nach dem 2012 vorgelegten denkmalpflegerischen Werteplan zu entscheiden, sondern den Einzelfall zusätzlich zu untersuchen. Diese Lehre ist aus dem Fall Friedenstraße 12 zu ziehen.

Die Holzproben

Darauf verstärkt zu achten, muss sich die untere Denkmalschutzbehörde bei der Stadt Mühlacker als Ziel vornehmen. Die Crux: Sie besteht aus gerade mal zwei Verwaltungsfachleuten, den denkmalpflegerischen Sachverstand muss die fachkundige Landesbehörde zuliefern. Die zuständige Tina Frühauf sitzt in der Außenstelle Karlsruhe des LDA, betreut als Ein-Frau-Unternehmen sowohl den Enzkreis als auch den Kreis Rastatt.

Vorbildlich die Dokumentation des Herzenhäusle, ganz ohne Landesdenkmalamt. Jetzt griff Tilman Marstaller zum Bohrer.

Lienzingen kann stolz sein über 85 Kulturdenkmale – im Enzkreis stehen mit 110 nur in Knittlingen mehr. Das Ortsbild beherrschen Fachwerkbauten des 16. bis 18. Jahrhunderts. Lienzingen gilt als eines der wenigen sogenannten Etterdörfer, die im deutschen Raum vorhanden sind. Perlen des ländlichen Raumes. Zwar erfolgte die detaillierte Ortsanalyse mit umfangreicher Untersuchung von Bausubstanz und Stadtstruktur vor gut zehn Jahren. Doch die jetzigen Erfahrungen um den fast beendeten Abbruch des Gebäudes Friedenstraße 12 lehren, dass nicht Maßstab ein Beschluss des Gemeinderats für den Abbruch sein kann und darf, sondern eine vorherige genaue Untersuchung des Gebäudes durch Fachleute. Der jedoch fehlt.

"Das kleine Haus der Marie Herz" vollständig lesen

Karl-Adolf Deubler: Lienzinger acht Jahre lang die Nummer 1 beim VfB Stuttgart

Lienzingen, Stuttgart, Bad Honnef, Köln: Lebensstationen von Karl-Adolf Deubler (1888 – 1961). Nicht gerade elektrisierend dieser Lebenslauf, wäre da nicht genau speziell diese eine Sache gewesen: Der Lienzinger war acht Jahre lang die Nummer eins des VfB Stuttgart.  Dem Verein für Bewegungsspiele (VfB) Stuttgart  saß er von 1923 bis 1931 vor, länger als manch anderer später. 16 Namen stehen auf der Liste der Vorsitzenden einschließlich Claus Vogt als der jetzige Präsident.

Dr. Karl-Anton Deubler vor einer Reise nach Zürich im Sommer 1920 (Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg, F 215 Bü 67)

Mit seiner achtjährigen Amtszeit liegt der gebürtige Lienzinger in der 110-jährigen VfB-Geschichte auf Rang 3, den er mit Erwin Staudt (2003-2011) teilt, vor ihnen hielten es nur Gerhard Mayer-Vorfelder (1975 bis 2000) und Fritz Walter (1944 bis 1968) länger auf diesem Chefposten aus.

Lienzinger Geschichte(n):  Was, ein Lienzinger als VfB-Stuttgart-Präsident? Der Überraschungsmoment  beim Gegenüber ist garantiert bei dieser Frage, löst ungläubiges Staunen aus. Deubler, wer? Eine Geschichte mit vielen Updates. Denn wer suchet, der findet immer mehr zu Karl-Anton Deubler, dem vierten Präsidenten des VfB Stuttgart. Ein Lienzinger, der bisher im Dunkeln stand. Zu unrecht

Was amtlich ist: Karl-Adolf Deubler erblickte am 26. Februar 1888 in Lienzingen das Licht der Welt. Seine Eltern sind laut des Familienregisters Lienzingen (Band 1, Blatt 74) der Landwirt und Metzger Christian Jakob Deubler (geboren am 1. November 1857 in Lienzingen) und Julie, am 19. Dezember 1865 in Schwieberdingen) geboren. Sie heirateten am 11. Juni 1887 in Schwieberdingen. Karl-Adolf, der Erstgeborene, hatte mit Karl Gustav, Karl, Anna Maria und Elsa vier Geschwister. Bruder Karl Gustav (geboren 20. März 1891 in Lienzingen) erlag im Alter von fünf Monaten der Brechruhr. Die Jüngste – Elsa – kam am 8. Oktober 1897 in Lienzingen zur Welt.

1912 verschickte Ansichtskarte mit der Lienzinger Schule, heute Kirchenburggasse 19 aus der Sammlung Appenzeller

Elementarschule Lienzingen: Im Hauptstaatsarchiv Stuttgart liegt der Personalbogen Nummer 8195 des Soldaten und Offiziers Karl-Adolf (Adolf als Rufname) Deubler.  

  • Darin finden sich ergänzend die Schul- und Studienstationen in der Rubrik Erziehung:
  • Elementarschule Lienzingen (Bild links),
  • Realschule Dürrmenz
  • 1906 Abitur an der Oberrealschule Stuttgart, Nachreifeprüfung am Oberrealgymnasium Tübingen,
  • Jura-Studium in Tübingen und Leipzig
  • erstes juristisches Staatsexamen, Gerichtsreferendar
  •  Promotion, schließlich Anwalt.

Spurensuche nach Deublers, der Clan, der gut 200 Jahre in Lienzingen lebte und dann nach und nach von 1900 an sich in  Stuttgart ansiedelte. Der (Umzugs-)Prozess einer inzwischen weitverzweigten Familie zog sich teilweise bis 1912 hin. Wer meint, alle seien begütert gewesen, irrt: Taglöhner, Knecht, Magd findet sich zum Beispiel auch als Berufsangabe im Familienregister (STAM, S Li F3).

Im Mittelpunkt dieser Spurensuche: Karl-Adolf. Der junge Mann trat in Tübingen der Studentenverbindung Landsmannschaft Schottland bei, in Leipzig der Afrania. Nach Ende des Studiums und des Kriegsdienstes ließ sich Deubler in Stuttgart als Rechtsanwalt und Syndikus nieder. 1931 zog der Jurist mit seiner Familie berufsbedingt nach Köln um, wo er 1961 starb. Seine erfolgreiche Arbeit für den VfB Stuttgart würdigte der Verein in seinem Nachruf.

"Karl-Adolf Deubler: Lienzinger acht Jahre lang die Nummer 1 beim VfB Stuttgart" vollständig lesen

Dank Scans das Herzenhäusle mit ins Büro genommen - Tilman Riegler und seine Werkzeuge: 3D-Scanner und Tachymeter

Birgt das unscheinbare und marode Herzenhäusle, am Bachweg in Lienzingen, noch weitere Geheimnisse? Bevor es die Stadt wegen Altersschwäche abreißen lässt, griff Bürgermeister Winfried Abicht meinen Vorschlag im Gemeinderat auf, das über Jahrzehnte von seiner ortsgeschichtlichen Bedeutung her unterschätzte Haus im Etterdorf  dokumentieren zu lassen. Gut einen halben Tag lang brauchte dazu jetzt Tilman Riegler. Er nahm die Maße des Gebäudes mit Hilfe von 3D-Scanner und Tachymeter auf. Die Ergebnisse sollen später im Stadtarchiv Mühlacker zugänglich sein.

Das Dach fasziniert als 360-Grad-Scan - aber auch das Herzenhäusle (rechts). Aufgenommen von Thomas Riegler

Der 3D-Scanner erfasst von seinem jeweiligen Standpunkt die gesamte Umgebung und man bekommt für jeden Punkt, von dem der Laser des Scanners reflektiert wird, Koordinaten (X, Y, Z), erläuterte der Chef von Strebewerk-Architekten GmbH in Stuttgart, die 2011 auch die historische Ortsanalyse erarbeiteten, Basis für die Gestaltungssatzung des Etterdorfs Lienzingen.

Mittels der Kugeln und Schwarz-Marken lassen sich über eine Software die einzelnen Scans zusammenstellen. Das  Ergebnis ist ein komplettes Modell.  Nun können beliebig Schnitte (waagrecht gleich Grundrisse oder senkrecht gleich Ansichten oder Schnitte) durch diese Punktwolke gelegt werden, so der Fachmann weiter. Vorteil im Vergleich zu einem Foto sei, dass alles maßlich stimme und es keine Verzerrungen gebe, erläuterte Tillman Riegler dem Mitarbeiter der Stadtverwaltung, Steffen Kazda von der Stadtverwaltung und mir, die auch interessierte Zuschauer waren - neben den Passanten, die gerade vorbeigingen und auf die Gerätschaften vor dem Haus neugierig schauten, sich auch erkundigten, was hier geschehe.

"Dank Scans das Herzenhäusle mit ins Büro genommen - Tilman Riegler und seine Werkzeuge: 3D-Scanner und Tachymeter" vollständig lesen

Klare Ansage der Denkmalschützer: Wieder Lückenschluss in spätestens drei Jahren

Die Denkmalschützer lassen keine Zweifel: Das Ensemble mit Rathaus und zwei weiteren Gebäuden - hier im Jahr 2018 - an der Friedenstraße muss wieder hergestellt, die durch den Abbruch des Gebäudes Nummer 12 entstehende Lücke in spätestens drei Jahren geschlossen werden. Links im Hintergrund die Frauenkirche. (Fotos: Günter Bächle)

 

Vorerst der Schlussakkord:

Die denkmalschutzrechtliche Genehmigung für den Abbruch des Hauses Friedenstraße 12 in Lienzingen durch das Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe ging am heutigen Donnerstag im Mühlacker Rathaus ein. Zwei Auflagen verband die Behörde mit ihrer Zustimmung:

  • Durch den Abbruch dürfen keine Schäden an anderen Kulturdenkmalen entstehen. 
  • Und: Das Grundstück ist innerhalb von drei Jahren wieder zu bebauen. Die Planung des Neubaus bedarf der Zustimmung der zuständigen Denkmalschutzbehörde nach Anhörung des Landesamts für Denkmalpflege (LAD), steht in dem Schreiben an die Baurechtsbehörde der Stadt. 

Damit können die zunächst eingestellten Abbrucharbeiten fortgesetzt werden. 

Lienzinger Geschichte(n): Schlussakkord zu Friedenstraße 12 - Teil der geschützten Gesamtanlage Etterdorf Lienzingen

In ihrer Begründung schreibt die Behörde, bei dem Objekt Friedenstraße 12 handle es sich um ein erhaltenswertes Gebäude innerhalb der geschützten Gesamtanlage Etterdorf Lienzingen - ein Alleinstellungsmerkmal. An der Erhaltung der Gesamtanlage bestehe aus wissenschaftlichen, künstlerischen und heimatgeschichtlichen Gründen ein besonderes öffentliches Interesse. Hieraus erwachse eine besondere Verantwortung der Stadt Mühlacker zum Schutz der erkannten Werte innerhalb der Gesamtanlage. 

Unter Schutz steht laut RP das historische Erscheinungsbild der Gesamtanlage. Dieses Erscheinungsbild setze sich aus vielen Elementen zusammen. Es besteht nicht nur aus den Kulturdenkmalen, sondern auch aus erhaltenswerten Objekten. Dies können Gebäude, aber auch Grün- und Freiflächen, Straßenräume, Gewässer und Ähnliches sein. Sie sind ebenso Bestandteile des historischen Erscheinungsbildes wie die Kulturdenkmale.

Die 2011 durch das Landesdenkmalamt erstellte historische Ortsanalyse zur Gesamtanlage diene als Instrument, die Wertigkeit der einzelnen Elemente besser einordnen zu können, um somit ihren Beitrag zum überlieferten Erscheinungsbild bewerten zu können.  Erst die Einbettung der Kulturdenkmale in das sinnstiftende Umfeld, also die erhaltenswerten Objekte, bildeten die Wertigkeit einer Gesamtanlage.

"Klare Ansage der Denkmalschützer: Wieder Lückenschluss in spätestens drei Jahren" vollständig lesen

Raritäten aus dem Bilderalbum von Lore Rieger: Das schöne Familienfoto von 1930 - mit Gemischtwarenhandel und Tankstelle

Hauptstraße 60, heute Friedenstraße 12 im Jahr 1930 - Foto mit Seltenheitswert. Die erste, zwei Jahre zuvor montierte Benzin-Zapfsäule davor, Im Hintergrund der Gemischtwarenladen von Gottlob und Luise Common, die sich zum Familienfoto aufgestellt hatten zusammen mit Frida Stickel und Lore, die jetzt 92-Jährige als Mädchen. Es war das elterliche Haus (Foto: Sammlung Lore Rieger, Neuwiesenstraße)

Als Lore Rieger den Bericht über den Abbruch des Gebäudes Friedenstraße 12 gelesen hatte, stöberte sie in ihrem Fotoalbum und fand eine Rarität: Eine Aufnahme des Hauses, damals Hauptstraße 60, aus dem Jahr 1930 mit der Benzin-Zapfsäule davor. Im Hintergrund der Gemischtwarenladen von Gottlob und Luise Common, die sich zum Familienfoto in Position gebracht hatten. Neben ihnen Frida Stickel und Lore, die jetzt 92-Jährige als Mädchen. Es war das elterliche Haus.

Lienzinger Geschichte(n) oder Abbruch, die Zweite. Und unerwartete historische Aufnahmen von Friedenstraße 12, die begeistern

Seit Monaten auf der Suche nach einem solchen Foto mit der ersten Tankstelle von Lienzingen, löst das Begeisterung bei mir aus.  Nachdem ich die inzwischen fast in Vergessenheit geratene Geschichte der Zapfsäulen in dem Dorf recherchiert  – eine zweite entstand 1929 ein Stück weiter - und für den Blog aufgearbeitet hatte, suchte ich ein Foto mit einer dieser beiden Benzin-Ladestationen in Lienzingen als Motiv. Bei meiner Recherche stieß ich auf das Historische Archiv von BP/Aral in Bochum. Die hatten eine mit Lienzingen typengleiche Zapfstelle im digitalen Fundus,  allerdings in einem Ort im Harz. Immerhin ließ sich damit eine Lücke überbrücken, so dass die User wenigstens sahen, wie eine solche Tankstelle in den Anfangsjahren der Motorisierung aussah.

Tankstelle weg: Aufnahme vermutlich um 1950, links die Post, rechts der Tante-Emma-Laden, Daneben das Rathaus. (Foto: Sammlung Lore Rieger)

Deshalb kam bei Lore Riegers Fund die Riesen-Freude auf. Unerwartet.  Eine große Rarität, freute  sich auch Stadtarchivarin Marlis Lippik, die das kostbare Stück Ortsgeschichte inzwischen ihrem Bildfundus hinzugefügt hat.

In dem Gebäude Hauptstraße 60, heute Friedenstraße 12, war mehr als ein Jahrhundert lang ein Teil der Lienzinger Infrastruktur untergebracht, wie sich auch in dem 2016 erschienenen Ortsbuch Lienzingen nachlesen lässt. Albert Schnabel betrieb darin von 1927 bis 1929 in dem um 1900 errichteten Haus mit der, für den historischen Ortskern eher ungewohnten und wohl erst einige Jahre später angebrachten Klinkerfront die Poststelle und den Gemischtwarenhandel. Er war es auch, der 1928 vor dem Gebäude die erste Tankstelle in Lienzingen errichtet hatte – die Marke „Olex“ stand für die Aktiengesellschaft für österreichische und ungarische Mineralölprodukte, der heutigen BP. Immerhin führte durch den Ort die Reichsstraße 35 (heute Bundesstraße 35).  Als Schnabel 1929 verkaufte, übernahm die Familie Common den Laden und die Postagentur, zuerst Gottlob Common und dann bis zu ihrem Tod 1966 Frida Stickel, geborene Common.

Die Mitte voriger Woche begonnenen Abbrucharbeiten - mehr als 90 Jahre nach diesem Fototermin - mussten nach wenigen Tagen auf Anordnung des amtlichen Denkmalschutzes eingestellt werden, weil die notwendige Genehmigung durchs Regierungspräsidium fehlte. Das Gebäude Friedenstraße 12 sei zwar, steht in der  Antwort des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12. Januar an mich, ein erhaltenswertes Gebäude, aber kein Kulturdenkmal nach dem Denkmalschutzgesetz. Da das Gebäude im Geltungsbereich der Gesamtanlage "Etterdorf Lienzingen" liege, bedürften Veränderungen laut Gesamtanlagensatzung der Genehmigung durch die untere Denkmalschutzbehörde bei der Stadt Mühlacker. Bei diesem Verfahren sei dann das Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium (RP) Stuttgart zu beteiligen, das die fachlichen Belange der Denkmalpflege vertrete, ließ Markus Breithaupt von der Abteilung Denkmalpflege des Regierungspräsidiums mich weiterwissen. Worauf ich als Ratsmitglied im Rathaus nachfragte, ob das so beschriebene Verfahren für das Gebäude Friedenstraße 12 abgeschlossen sei. Das sei zwar zunächst mündlich bejaht worden, aber wohl eher vorschnell.

"Raritäten aus dem Bilderalbum von Lore Rieger: Das schöne Familienfoto von 1930 - mit Gemischtwarenhandel und Tankstelle" vollständig lesen

Erhaltenswert und trotzdem vor dem Abbruch: Klinker, Zierglieder, Zwerchhaus verschwinden

Drei Häuser-Front im Jahr 2018 an der Friedenstraße in Lienzingen: Rathaus - Friedenstraße von Hausnummer 10 bis 14. Foto: Günter Bächle

Das lokale Postamt mit Fernsprechzelle ganz links, im sich anschließenden Raum ein Tante-Emma-Laden, der viele Jahre auch zur eigentlich guten Nahversorgung des Dorfes beitrug. Anschließend zog auf dieser Fläche im Erdgeschoss ein Friseur ein. Im ersten Stock befindet sich eine Wohnung und vor dem Haus stand die erste Tankstelle Lienzingens: Obwohl im Verhältnis zu den Kulturdenkmalen noch jung, stellt das Gebäude Friedenstraße 12 ein eigenes Stück Lienzinger Ortsgeschichte dar. Jetzt wird das sich ans alte Rathaus anlehnende zweigeschossige Haus abgebrochen. Alle Versuche der Kommune, die das Anwesen vor sieben Jahren erstand, es wieder in private Hände zu bringen, die es hätten sanieren müssen, scheiterten. Also wird es in den nächsten zwei Wochen abgebrochen. Das dann freie Grundstücke soll vermarktet und wieder bebaut werden – mit den gehabten Formen.

Zu achten ist darauf, dass die Proportionen und die Außengestaltung stimmen werden und auch optisch kein Fremdkörper in diesem historischen Straßenzug entsteht.  In dem Gebäude war mehr als ein Jahrhundert lang ein Teil der Lienzinger Infrastruktur untergebracht. Von 1929 an führte die Familie Common die Lienzinger Postagentur, zuerst Gottlob Common und dann bis zu ihrem Tod 1966 Frida Stickel, geborene Common. Albert Schnabel betrieb darin von 1927 bis 1929 die Poststelle mit dem kleinen Einkaufsladen. Er war es auch, der vor dem Gebäude die erste Tankstelle in Lienzingen errichtete.  Von dem Laden könne man nicht leben, sagte er, verkaufte daraufhin 1929 Grund und Boden.  

In ihrem kleinen Laden bot Frida Stickel nicht nur Ess- und Trinkbares gegen Hunger und Durst an, sondern auch lange Zeit auch Drogeriewaren, wie Johannes Bastian im Ortsbuch Lienzingen von 2016 schrieb (S. 224).

Lienzinger Geschichte(n): Diesmal aktuell Abbruch von Friedenstraße 12 nach gut 120 Jahren und seine Geschichte

Im Jahr 1928 erlebte Lienzingen eine Premiere: die erste Tanksäule, ein Jahr später die zweite, beide an der damaligen Hauptstraße, Nummer 16 und 111 (heute Friedensstraße 12 und 26). Pläne, diese zweite Anlage 1937/38 zu erweitern, scheiterten am Nein des Generalinspekteurs für das deutsche Straßenwesen. Die beiden Sprit-Ladestationen überdauerten das Kriegsende von 1945 nicht. Zwar gab es 1928/29 nur zwei amtlich zugelassene Kraftfahrzeuge in dem seinerzeit gut 700 Einwohner zählenden Dorf, doch die Tankstellenbetreiber lebten weitgehend vom Durchgangsverkehr. Die Reichsstraße 35 (heute Bundesstraße 35) führte mitten durch den Ort. Erst seit dem 1. November 1951 nimmt die etwa einen Kilometer lange Umgehung den Verkehr auf, die südwestlich parallel zum Ort verläuft. Ein erster Anlauf zum Bau 1940 musste kriegsbedingt bald wieder eingestellt werden.

"Erhaltenswert und trotzdem vor dem Abbruch: Klinker, Zierglieder, Zwerchhaus verschwinden" vollständig lesen