Die Angst vorm bösen Blick

Google Street View - das aktuelle Reizwort. Soll, ja darf man zulassen, dass das eigene Haus im Internet abgebildet wird. Sozusagen wie im Familienalbum. Mit dem einzigen Unterschied, dass die Aufnahme weltweit zu betrachten ist. Ich gebe zu, die Einschätzungen in unserer Familie gehen auch auseinander. Es gibt nichts, was an Google Street View schlecht ist, schreibt der Pforzheimer Besim Karadeniz, Autor von netplanet, in seinem Weblog: Für ihn sind die Reaktionen Zeichen einer deutschen Paranoia. Bei seiner tief sitzenden Abneigung als Sozialdemokrat gegen alle Schwarze wird ihn womöglich verwirren, dass CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach in Street View keine Verletzung von Persönlichkeitsrechten erkennen kann: "Häuser-Fassaden haben keine Persönlichkeitsrechte." Wie sieht es aber um die Verknüpfung von Fotos und Adressen aus, um Daten für die Werbewirtschaft zu gewinnen? Oder ist es nur die schiere Furcht vor Einbrechern, die in aller Ruhe am Bildschirm ihre Objekte auskundschaften können?

In manchen Kommunalparlamenten werden Debatten über die Fotolandschaften bei Google und den Datenschutz vom Zaun gebrochen. Städte und Gemeinden wie Mühlacker bieten auf ihren Internetseiten die Formulare für den Einspruch bei Google an - doch wenn der Platz eng wird, verschwindet ausgerechnet diese Datei von der Seite wie just bei der Stadt Mühlacker. Im Rathaus scheint die Sorge doch nicht so groß zu sein. (Wenn das gelesen wird, kommt es womöglich wieder drauf).

Politiker von CDU und FDP wollen rechtliche Regelungen. Von der Notwendigkeit einer Rechtsgrundlage spricht der FDP-Bundestagsabgeordnete Erik Schweickert aus unserem Enzkreis und macht damit ungewollt deutlich: Gerade Liberale, die sonst gerne von der Freiheit des Einzelnen reden, Privatisierung proklamieren und die Deregulierung fordern, sind dermaßen durch Google verunsichert, dass sie ganz allein auf den Staat setzen.

Dieser Tage las ich einen interessanten Text über Norwegen: Jedes Jahr im Oktober werden alle privaten Steuererklärungen offengelegt. Man stelle sich solches in Deutschland vor. Die versammelte Hysterie der Datenschützer würde ausbrechen. Die skattelister (Steuerlisten) anonym auf der Internetseite des Finanzministeriums abzurufen - bei uns undenkbar.

Gleichzeitig aber sammeln wir Kundenkarten wie die mühlackercard, die vom örtlichen Gewerbe-, Handels- und Verkehrsverein als Erfolgsgeschichte bejubelt wird. Ich nehme sie auch. Sogar gern. Welcher Schwabe lässt sich schon die Möglichkeit, einen Rabatt zu ergattern, entgehen, auch wenn Dritte dadurch die Vorlieben im Einkaufsverhalten durch Blick auf die Daten erkennen können? Mühlackercard ist da noch harmlos.

Wo bleibt die Aufregung über die klassischen Satellitenbilder bei Google Map, obwohl sich dadurch ein Blick in den Garten des Nachbarn werfen lässt (der aber meist gar nicht so geheim ist)? Machen wir weiter: Wer twittert, verrät auch einiges über sich. Und Blogger? Die öffnen einen Blick in ihr Seelenleben. Alles ganz öffentlich.

Thomas Darnstädt hält die Aufregung um Google Street View für die "provinzielle Furcht vor der allgegenwärtigen Öffentlichkeit". Denn dass nun selbst das Fotografieren von Hausfassaden eine Verletzung der Menschenwürde darstellen soll, macht "den Datenschutz lächerlich, den wir so dringend an anderer Stelle brauchen", so der 61-jährige "Spiegel"-Redakteur in einem Beitrag über die lächerliche Angst vorm bösen Blick.

Wetten, dass bald Street View zu einem Teil unseres Alltags wird?



Was momentan abläuft in der öffentlichen Debatte lässt sich doch wie eine Schablone auch auf andere Dinge legen. Es ist die pure Angst vor Veränderung, vor dem Neuen. Wenn Google Street View seinen Schrecken verloren hat, wird es einen neuen Protest-Tourismus zu anderen Themen geben - einen realen und einen virtuellen. Nur noch wenige werden sich über die straßenweisen Bildergalerien aufregen. Was momentan abläuft in der öffentlichen Debatte lässt sich doch wie eine Schablone auch auf andere Dinge legen. Es ist die pure Angst vor Veränderung, vor dem Neuen. Wenn Google Street View seinen Schrecken verloren hat, wird es einen neuen Protest-Tourismus geben - einen realen und einen virtuellen. Heben wir doch unsere Kraft auf gegen alles, was Persönlichkeitsrechte verletzt. Fangen wir nicht an, Häuser, Autos und den Goldfisch im Teich das Nachbarn auch noch unter Datenschutz zu stellen. Werden wir lieber misstrauisch, wenn Politiker das Netz reglementieren wollen. Nicht etwa aus Nächstenliebe, sondern weil sie überall mitmischen und die Gouvernanten spielen wollen. Als ob wir nicht selbst auf uns aufpassen können.


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