Lienzingens letzter Gemeindepfleger - und seine beiden Vorgänger
Gemeindepfleger? Gibt es sie noch? Jedenfalls hatte Lienzingen einen - bis zur unfreiwilligen Eingliederung des Dorfes in die Stadt Mühlacker im Jahr 1975. Walter Vogt, der 1961 sein Amt antrat und 14 Jahre später nach dem verlorenen Unabhängigkeitskampf des 1750-Einwohner-Dorfes die Verwaltungsübergabe an die Stadt Mühlacker abwickeln musste.
In der Gemeinde Lienzingen besaß der Bürgermeister die Qualifikation als Fachbeamter im Finanzwesen, weshalb der Gemeindepfleger als Kassenverwalter und rechte Hand des Schultes fungierte. Als Vogt überraschend im Alter von 49 Jahren am 1. Februar 1980 verstarb, war er noch für die Stadt Mühlacker tätig als Chef der Rathaus-Außenstelle und gleichzeitig ehrenamtlicher Vorsitzender des Männergesangvereins "Freundschaft Lienzingen".
Gemeindepfleger kümmern sich darum, dass die Menschen möglichst lange mobil bleiben und gut versorgt zu Hause leben können. Sie sorgen sich ganzheitlich um die Bedürfnisse der Menschen. Diese Informationen erhält der User aktuell, wenn diese Berufsbezeichnung bei einer Suchmaschine wie Google eingegeben wird. Besonders in hessischen Landkreisen sind derzeit offenbar zahlreiche Stellen für Gemeindepfleger (m/d/d) zu besetzen.
Offensichtlich erweitert das Bundesland seinen Bereich für ambulante Pflege. Allerdings führt die Suchmaschine die Nutzer in die Irre, da nicht der ambulante Gesundheitspfleger gemeint ist, sondern eine andere Art von Gemeindepfleger: Eine Person, die die Finanzen einer Gemeinde pflegt, also fürs Kassen- und Rechnungswesen verantwortlich ist. Der Begriff des Gemeinde- oder Stadtpflegers geriet in den vergangenen Jahren fast in Vergessenheit, die Bezeichnung ist zudem eine süddeutsche Besonderheit.
Lienzinger Geschichte(n) - nach längerer Pause wieder ein neuer Beitrag. Diesmal über den fast unbekannten Beruf des Gemeindepflegers. Drei hatte Lienzingen zwischen 1919 und 1975
Die Kommunen hatten schon im Herzogtum, dann im Königreich Württemberg Freiräume. Die 1714 revidierte und erneuerte Rechnungsinstruktion und die Kommunordnung von 1. Juni 1758 enthielten Vorschriften über Führung, formale Gestaltung, Prüfung und Kontrolle der Rechnungen. Die Württembergische Verfassung von 1819, der als erster als echter Verfassungsvertrag zwischen dem Fürsten und dem Volk bezeichnet werden kann, hebt die Gemeinden als Grundlage des Staatsvereins heraus und rückt sie in eine besondere Position. Das Amt des Stadt- oder Gemeindepflegers wurde mit der Württembergischen Gemeindeordnung vom 19. März 1930 eingeführt sozusagen als Finanzminister der Kommune, der gleichzeitig die Kasse leitete. Mit der neuen Gemeindeordnung im Jahr 1948, war zumindest für das Kassen- und Rechnungswesen ein Gemeindepfleger zu bestellen, dem die Bürgervertreter weitere Aufgaben der Gemeindewirtschaft zur Erledigung zuordnen konnten (aus: Gauß, Werner: Der Kämmerer, Sachwalter der kommunalen Finanzen: das ungeliebte und immer missverstandene Wesen. Stuttgart, Staatsanzeiger für Baden-Württemberg. 1999, ISBN 3-929981-25-4. Seite 80 ff.)
Namen wechsle dich. Seit 1819 war Vorstand der Gemeinde und Vorsitzender des Gemeinderats der Schultheiß, hauptamtlich vom Oberamt bestellt mit entsprechendem Gehalt und auf Lebenszeit aus einem Dreier-Vorschlag von der Bürgerschaft gewählt. Bürgermeister hieß der Gemeindepfleger, quasi der Finanzmann im Rathaus. Erst seit 1930 tragen die Verwaltungschefs die Amtsbezeichnung (Ober-)Bürgermeister. Von 1935 bis 1945 wurde aus dem Gemeindepfleger ein Beigeordneter.
Ein Gemeindepfleger tut, was Kämmerer auch tun: Er stellt unter anderem den Haushaltsplan der Kommune auf. Mühlackers Kämmerer nannten sich bis in die siebziger Jahre hinein Stadtpfleger – er war Kämmerer und damit Fachbeamter fürs Finanzwesen. Zum Beispiel Mühlackers früherer Kämmerer Klaus Kreuzberger empfand die Bezeichnung Stadtpfleger als Ehrentitel. Umgekehrt: Dem Gemeindepfleger in Lienzingen fehlte die Befähigung zum Finanzfachbeamten, der war eher reiner Kassenverwalter. Wenn jedoch weder Bürgermeister noch Gemeindepfleger die Qualifikation für einen Fachbeamten fürs Finanzwesen haben, müssen die Gemeinden einen Verwaltungsaktuar bestellen – eine Konstellation, die heutzutage höchst rar ist.
Der Gemeindepfleger, das war die Konstante im Rathaus. Mit Christian Rommel, Emil Geißler und Walter Vogt gab es von 1919 an bis 1975 nur drei Inhaber dieses Amtes. Freilich, die Funktion bestand schon vor 1919, wie sich aus den Akten ergibt. So antworteten am 8. April 1836 im Auftrag des Gemeinderats Schultheiß Geißler und Gemeindepfleger Holzapfel, Ratsschreiber auf eine Nachfrage des Königlichen Forstamtes Bönnigheim, Holz sei teilweise abgängig, stehe außerhalb des Waldes an den Gütern und Wegen. Der Bestand des kommunalen Waldes sei gut, dieser umfasse eine Fläche von 1036 Morgen (= 1 Morgen = 4728 Quadratmeter). Lienzingen wollte mit zusätzlichen Holzeinschlägen den Bau seiner zweiten Schule mitfinanzieren. Strapaziert dies nicht zu stark den Forst? So die besorgte Anfrage aus Bönnigheim.
In der Regel gingen Grundstücksgeschäfte über den Schreibtisch des jeweiligen Gemeindepflegers. Ein Beispiel: Schultheiß Karl Brodbeck und Gemeindepfleger Christian Rommel arbeiteten gemeinsam an einem Pachtvertrag, den der Gemeinderat am 1. Oktober 1927 genehmigte (Auszug aus dem Protokoll des Gemeinderats, S. 98, STAM Li B 322).
Den Gemeinderat wählt(e) den Gemeindepfleger. Einen neuen Amtsinhaber brauchte Mitte Februar 1919 die Gemeinde Lienzingen. Eigentlich ein Job im Nebenamt, aber doch mit viel Vorschriften versehen. Aufschluss über die Konditionen, die die Kommune bot, liefert das Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 14. Februar 1919. In geheimer Abstimmung entfielen sieben Stimmen auf Christian Rommel (1867-1935), Bauer hier. Als Nachfolger des Gemeindepflegers Schneck erklärte der am 30. November 1867 geborene Rommel die auf ihn gefallene Wahl unter den in dem besonderen Dienstvertrag enthaltenen Bestimmungen, anzunehmen. Weiter wurde in der Niederschrift festgehalten: Er wird sofort vom Ortsvorsteher nach Verlesung des gesetzlichen Strafbestimmungen und des Eidesvorbehalts vorschriftsmäßig vereidigt.
Vom Gemeinderat wird nun beschlossen: 1. Dem neuen Gemeindepfleger das Amt für den Ortsvorsteher vorschriftsmäßig übergeben zu lassen. 2. Dem Oberamt einen Protokollauszug vorzulegen mit dem Anfügen, dass der Gewählte kein Wirtschaftsgewerbe treibt und bei ihm auch sonst keine Ausschließungsgründe zutreffen. 3. Die Verwahrung der Wertpapiere ist dem Schultheißen Adolf Fallscheer zu übertragen.
Schon einen Tag danach trat Rommel sein Amt an, in das er für sechs Jahre gewählt worden war. Sein festes Gehalt betrug jährlich 600 Mark (Realwert heute 1300 Euro). Die Gemeinde legte noch 100 Mark drauf, weil der Gemeindepfleger auch die Brandschadenumlage sowie die Beiträge zur landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft und zur Viehversicherung beizubringen hatte. Etwaige weitere Gebühren aus fremden Kassen durfte Rommel behalten. Die Gemeinde bezahlte sämtliche Kanzleibedürfnisse. Schultheiß Adolf Fallscheer hatte das Hauptbuch angelegt und führte es. Die Gemeindeeinkommensteuer und -kapitalsteuer würden vom Gemeindepfleger eingezogen, während Fallscheer die Hundeaufnahme besorgte.
Die im Protokoll aufgeführten ordentlichen veranschlagten Einnahmen der Kommune betrugen 25.834 Mark. Sie lassen Rückschlüsse zu auf die finanzielle Lage von Lienzingen, dem Dorf mit seinerzeit 730 Einwohnern. Im Einzelnen: Gemeindeumlage 9.396 Mark, Gemeindeeinkommenssteuer 4.075 Mark, Staatssteuer 1.589 Mark, staatliche Einkommenssteuer 5.932 Mark, für Beiträge zur landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft 1.989 Mark. Davon also 9.510 Mark nur auf Staatssteuern und Beiträgen zu Genossenschaften, daraus ein Viertel 2.377 Mark, also auf der Einnahmenseite zusammen 41.682 Mark (Realwert heute 54.086 Euro). Der Gemeinderat berechnete daraus die Sicherheitsleistung mit vier Prozent aus den ersten 100.000 Mark, also 1.667 Mark, setzte letztlich 1.800 Mark fest.
Im Dienstvertrag wurde festgelegt, dass der Gemeindepfleger zur Annahme eines Nebenamts oder einer Nebenbeschäftigung, sowie zur Eröffnung eines Gewerbebetriebs die vorgängige Genehmigung des Gemeinderats einzuholen hatte. An dem in der Gemeindeordnung genannten Verbot einzelner Gewerbe wurde nichts geändert. Die Annahme der Wahl in den Gemeinderat war Rommel gestattet.
Anti-Korruptionsmaßnahmen gab es auch vor mehr als 100 Jahren: Die Befolgung der Artikel 101 und 102 der Gemeindeordnung betreffs Nichtannahme von Geschenken und Nichtbeteiligung bei Verkaufs-, Verpachtungs- sowie sonstigen Auf- oder Abstreichs-Handlungen wurde dem Gemeindepfleger zur strengen Pflicht gemacht. Um die ausgesetzte Belohnung hat der Gemeindepfleger sämtliche ihm nach der Gemeindeordnung nebst Vollzugsverfügung hierzu und nach sonstigen Vorschriften obliegenden Geschäfte zu besorgen.
Der Gemeindepfleger hatte keine eigenen Amtstage, jedoch durfte er den Gemeindediener in amtlichen Angelegenheiten in Anspruch nehmen.
Christian Rommel trat gleich nach seiner Wahl der Pensionskasse für Cörperschaftsbeamte in Stuttgart bei. Rund 15 Jahre blieb Rommel im Amt. Doch mit der Zeit hatte der Gemeindepfleger zunehmend gesundheitliche Probleme. Deshalb reichte er im Juni 1934 – zusammen mit dem Attest des Maulbronner Arztes Dr.med. R. Feucht vom 31. Mai 1934 - 66-Jährig im Juni 1934 den Antrag auf Zurruhesetzung auf 30. Juni 1934 ein. Der Gemeinderat stimmte am 12. Mai 1934 zu. Sein letztes Jahresgehalt: 720 Reichsmarkt. Das Ruhegehalt machte jährlich 499,36 Mark aus, für die Zeit vom 10. Juli bis September 1934 gab es einen Übergangszuschlag von 65,62 Mark.
Als er am 13. April 1935 starb, erhielt seine Witwe Maria, geborene Scheck, für die Monate Mai, Juni und Juli 1935 ein Sterbenachgehalt von zusammen, gekürzt 107,34 Mark. Vom 1. August 1935 an bezog sie eine Witwenrente von monatlich 21,47 Mark (wertmäßig heute: 109,50 Euro). Der Bescheid der Pensionskasse vom 10. Mai 1935 war adressiert an Frau Maria Rommel / Gemeindepflegers Witwe / Lienzingen Kreis Maulbronn. Sie selbst starb am 30. April 1948. Damit konnte die Akte bei der Pensionskasse geschlossen werden. (Die gesamte Akte Rommel liegt im Staatsarchiv Ludwigsburg, Pensionskasse für Körperschaftsbeamte – Versorgungsempfänger, mit der Signatur E 180 b I Bü 986).
Immerhin: Rommel musste sich nicht mehr auf die neue Zeit, die Herrschaft der Nazis auch im Rathaus von Lienzingen, umstellen. Ende 1935 trat die völlig umgemodelte, zentralistisch ausgerichtete sogenannte Deutsche Gemeindeordnung in Kraft. Die Folgen für die Verwaltung des Dorfes: ein nur noch vierköpfiger Gemeinderat (Gustav Kontzi, Josef Rueß, Landwirt Wilhelm Link und Hauptlehrer Paul Stimm) sowie zwei Beigeordnete, letztere mit Aufgaben des Gemeindepflegers.
Emil Geißler, Jahrgang 1913, blieb vom 7. Juli 1934 an ohne Unterbrechung bis 31. Dezember 1961 der zweite Mann im Rathaus von Lienzingen, zuerst mit der Amtsbezeichnung Beigeordneter, dann von 1946 an als Gemeindepfleger. Seine Rolle in der NS-Zeit blieb umstritten.
Die Spruchkammer – die Mehrzahl der Deutschen musste sich nach der Befreiung Deutschlands 1945 Entnazifizierungsverfahren stellen, die zunächst die Alliierten, später deutsche Spruchkammern übernahmen - stufte Geißler am 18. Oktober 1946 als Mitläufer ein und verhängte einen einmaligen Sühnebeitrag von 800 RM – eine durchaus spürbare Strafe. Wichtig und entscheidend war die zentrale Aussage der Spruchkammer: Der Betroffene sei aufgrund seiner Tätigkeit als Gemeindepfleger gezwungen worden, in die NSDAP einzutreten und das Amt eines Blockwartes zu übernehmen. Sowohl der Bürgermeister als auch die Gemeinderäte hätten bestätigt, dass Geißler nie die Uniform getragen und sich politisch nicht beteiligt habe. Daraus zog die Spruchkammer die Folgerung, die Mitgliedschaft in der Partei sei nur nominell gewesen – also eine nur formelle Zugehörigkeit zum NS.
Das Protokoll unterschrieben fünf der sechs alten Beigeordneten und Gemeinderäte: Töpfer Otto Knopf (seit 1935 der 2. Beigeordnete, nun von den Franzosen berufener Bürgermeister), Emil Geißler, Bäckermeister Gustav Kontzi (1933 – 1945, NSDAP), Landwirt Josef Rueß (1919 – 1945, zuerst SPD, später auf der NSDAP-Liste) und Wilhelm Link 1931/33 und 1935/45).
Schon im Vorfeld des Kammerverfahrens forderten Bürgermeister Jakob Straub, der von 1945 bis 1947 amtierte, und die acht Gemeinderäte das Landratsamt Vaihingen auf, Geißler auch während des Verfahrens im Amt zu belassen. Dieser habe seinen Dienst in den zwölf Jahren zuvor immer treu und gewissenhaft versehen. In der NS-Zeit habe er nie Uniform getragen, sei politisch nicht beteiligt gewesen, bekräftigten die Briefschreiber. Gleichzeitig reichte die Kommune am 30. Juli 1946 den Antrag ein auf vordringliche Behandlung des Spruchkammerverfahrens zum Fall Geißler, denn die Gemeinde habe keinen Ersatz für den Gemeindepfleger. Der Antrag ging am selben Tag auch an das Staatssekretariat für Sonderaufgaben in Stuttgart.
Zu den ersten Entlastungsschreiben gehörte das von Dr. Otto Schneider aus Stuttgart, dessen Familie (Brauerei Schneider) aus Lienzingen stammte. Er war von Juli 1944 nach Lienzingen evakuiert worden, kam aber schon früher geschäftlich ins Lienzinger Rathaus. Ich hatte immer den Eindruck, dass Herr Geißler als Gemeindepfleger mit den Leuten taktvoll und freundlich verkehrte und nicht nazimäßig, wie es bei vielen Behörden der Fall war, brachte Fabrikant Schneider am 26. August 1946 handschriftlich zu Papier.
Es blieb bei der Einstufung in die Gruppe Mitläufer
Ebenfalls am 22. März legten die Bürgervertreter die Gehälter der Bediensteten fest – die Regelung sollte bis zur Währungsreform gelten: Monatlich netto 88 RM für den Gemeindepfleger. 143,52 RM für jede der beiden Schreibgehilfinnen. 127,60 RM für den Amtsboten sowie 136,72 RM für den Forstwart und 98,66 RM für den Fronmeister. Die Liste zeigt: inklusive Schultes eine siebenköpfige Mannschaft.
Rechte Hand, Konkurrent des Bürgermeisters, Kritiker, Besserwisser? Wahrscheinlich von jedem etwas hatte ein Gemeindepfleger, zumindest der, der Emil Geißler hieß.
Gewerbe- und Stadtpfleger sind als Begriff eher im süddeutschen Raum üblich. Entweder Fachbeamter für das Finanzwesen - im Falle Lienzingen hatte nur der Bürgermeister selbst diese Voraussetzungen, der auch eigenhändig den jährlichen Etat aufstellte – oder aber die rechte Hand des Schultes als Kassenverwalter. 26 Jahre war dies, wenn auch nur in Teilzeit, Emil Geißler (Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Li B 326, S. 122).
Zwischen Geißler, gleichzeitig Landwirt im Ort, und Allmendinger, jüngerer und umtriebiger Fachmann von außen, knirschte es immer wieder, kam es auch zum offenen Streit. Eine heftige Attacke ritt der Schultes in der Gemeinderatssitzung am 11. November 1960. Im Verlauf der Unterhaltung am Schluss der Sitzung – unter Punkt 10 – seien Tätigkeit und Verhalten von Emil Geißler zur Sprache gekommen, heißt es in dem vom Bürgermeister verfassten Protokoll. Er zitierte sich selbst, sprach demnach von einzelnen Mängeln in der Amtsführung des Gemeindepflegers.
Die Vorwürfe hatten es in sich, hätten für den Rausschmiss gereicht. Geißler widersetze sich, so weiter im Protokoll, den Anweisungen des Bürgermeisters, zeige auch kein allzu großes Interesse am Einzug der ihm obliegenden Pflicht beim Einzug der Steuern und Abgaben. So habe Geißler schon wiederholt die Annahme von Zahlungen verweigert oder Gegenforderungen der Gemeinde mit Forderungen der Schuldner nicht verrechnet. Ernsthafte Ermahnungen des Bürgermeisters hätten nicht immer genutzt und stets zu unliebsamen Auseinandersetzungen geführt. Gemeindepfleger Geißler habe in letzter Zeit Zahlungsanweisungen des Bürgermeisters verweigert, weil er das Konto der Gemeinde nicht habe überziehen wollen, obwohl der Gemeinde ein Kassenkredit von 10.000 Mark zur Verfügung stehe.
Die Tische im Saal im ersten Stockwerk des Rathauses waren meist in U-Form gestellt. An der Stirnseite zur heutigen Friedenstraße hin saßen Schultes – Vorsitzender und Protokollführer in einem – und der Gemeindepfleger. Der rathausinterne Krach erledigte sich bald darauf von allein, denn Geißler kündigte alters- und krankheitshalber auf 31. Dezember 1961, wie dem Gemeinderat am 1. Dezember mitgeteilt wurde. Der Gemeindepfleger befinde sich in stationärer Behandlung, versehe deshalb seinen Dienst schon nicht mehr und der Gemeinderat stimmte der Ausschreibung der Stelle zu (STAM, Li B 326, S. 119). Unter dem 22. Dezember 1961 findet sich denn der Eintrag in der Sitzungsniederschrift, in dem ein anderer Ton angeschlagen wurde wie ein gutes Jahr zuvor. Auf Vorschlag des Bürgermeisters genehmigten die Gemeinderäte als Abschiedsgeschenk einen Sessel bis zum Wert von 180 Mark und würdigte damit seine jederzeit treue Kassenführung.
Eine Ära ging zu Ende.
In derselben Sitzung regelte das Ortsparlament auch die Nachfolge. Beworben hatten sich zwei Lienzinger, ein Mann und eine Frau, wobei letztere aber nur halbtags tätig sein wollte. Der Bürgermeister warb für einen 100-Prozent-Arbeitsauftrag für den männlichen Bewerber, dem dann auch andere Verwaltungsaufgaben übertragen werden könnten. Bei Beschäftigung von verheirateten weiblichen Kräften könne oftmals kurzfristig eine Veränderung eintreten – wobei Allmendinger offen ließ, was er damit konkret meinte. Mit zehn zu einer Stimme entschied sich der Gemeinderat für den aus Gnadental im Kreis Schwäbisch Hall stammenden Walter Vogt (Jahrgang 1930). Seine beruflichen Stationen: kaufmännische Lehre bei einer Baufirma in SHA, kaufmännischer Angestellter bei verschiedenen Firmen, seinerzeit angelernter Former in einer Schmuckgießerei in Ötisheim (STAM, LI B 326, S. 120 f). Vogt, der 1960 durch Heirat nach Lienzingen kam, wohnte zusammen mit Ehefrau und ihren gemeinsamen vier Kindern im selbst gebauten Haus im Wohngebiet Gaiern-Neuwiesen.
Als Gemeindepfleger und damit auf neuem beruflichen Boden bestand Vogt die dreimonatige Bewährungszeit: Er hat sich in der Zwischenzeit im Allgemeinen bewährt und scheint ein ruhiger und sachlicher Mitarbeiter zu werden, steht im Ratsprotokoll. Der Gemeinderat stimmte deshalb am 11. Mai 1962 dem Abschluss eines Dienstvertrags zu und legte die Aufteilung der Stelle fest: 60 Prozent Gemeindepfleger und 40 Prozent Verwaltungsangestellter (STAM, Li B 326, S. 148).
Etwa 14 Jahre später wickelte Vogt die Gemeinde Lienzingen ab. Der Staatsgerichtshofs Baden-Württemberg hatte den Zwangsanschluss von Lienzingen an Mühlacker Anfang Mai 1975 auf 5. Juli 1975 festgelegt, nachdem er zuerst die Klage der Gemeinde gegen den Eingemeindungsbeschluss des Landtags abgewiesen hatte. Zur Übergabe der Verwaltung kam dann an jenem Tag Mühlackers Oberbürgermeister Gerhard Knapp ins Lienzinger Rathaus. Weder Lienzingens letzter Bürgermeister Richard Allmendinger noch die vier vom Regierungspräsidium nach Mühlacker entsandten vier Gemeinderäte nahmen daran teil. Einzige Ausnahme: Wilhelm Tochtermann, der als vormaliger Vize-Bürgermeister das Gespräch mit Knapp führte. Mit dabei Gemeindepfleger Walter Vogt und die Verwaltungsangestellte Lieselotte Zach. Tage danach erfolgte der Kontakt auf der eigentlichen Verwaltungsebene, vor allem über den Leiter des Hauptamtes der Stadt Mühlacker, Max Arnold und seinem Stellvertreter Manfred Schmidt.
So loyal Walter Vogt seinem alten Chef Richard Allmendinger gegenüber war, so loyal verhielt er sich auch gegenüber den neuen Herren – und trug damit als Leiter der Rathaus-Außenstelle Lienzingen wesentlich zum weitgehend gelungenen Übergang bei. Die Rolle des Gemeindepflegers endete damit. Doch Vogt - Seiteneinsteiger in der Verwaltung -blieb ein leidenschaftlicher Lienzinger, mit Maß und Ziel. Er starb 1980 im Alter von fast 50 Jahren viel zu früh.






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