Das Rathaus, das das Verkaufsfieber im Mühlacker Stadtparlament überstand
Die Etterdorfstube steht für uns als gesamte Stadtgemeinschaft, für unsere Geschichte, unser kulturelles Erbe und unsere Verbundenheit mit unserer Heimat. Diese Worte unseres Oberbürgermeisteras Frank Schneider berührten mich. Bei der sonntäglichen Eröffnung der Etterdorfstube im alten Rathaus, in der Friedenstraße 10, war ich ihm auch noch nachträglich dankbar, dass er sich seinerzeit nicht anstecken ließ vom Verkaufsfieber vor allem sozialdemokratischer Stadträte, später eines freidemokratischen Ratsmitgliedes.
Ausgelöst durch die erfolgreiche Vermarktung des Rathauses im Stadtteil Großlattbach sahen vor allem diese Mandatsträger darin die Chance, den städtischen Finanzen durch den Verkauf auch der Stadtteil-Rathäuser in Lienzingen, Lomersheim, Mühlhausen und Enzberg Gutes zu tun. Als Nummer eins auf der Liste stand bei ihnen Lienzingen. Inzwischen waren Verwaltungsaußenstelle und Kinderbücherei in die Grundschule umgezogen. Der Unterschied zu Großglattbach indessen war, dass dort die Stadt die alte Schule für 1,2 Millionen Euro sanieren ließ und damit auch neue Räume für die Verwaltungsaußenstelle entstanden, jedoch für das alte Rathaus an der Vaihinger Straße dadurch keine öffentliche Verwendung mehr vorhanden war.
Für das Fachwerk-Rathaus Lienzingen (Baujahr: 1719) indessen bot sich eine weitere Chance zur öffentlichen Nutzung, nachdem die Sanierung lief. Ein Glücksfall: Die Mannheimerin Heidi Schwarz bot Kommunen der Welt größte Christbaumständersammlung mit zirka 1200 Exponaten als Geschenk an, Mühlacker griff zu und der OB schlug vor, dafür das für knapp eine Millionen Euro herausgeputzte Lienzinger Stadtteil-Rathaus zu nutzen. Er griff meine Anregung auf, daneben in einem Raum eine Etterdorfstube einzurichten. Eine Verbindung zu Glabbich besteht aber doch, denn an einem Eckpfosten steht: Meister Zimmermann Hans Rudershofer von Großenglattbach anno 1719. Darunter finden sich Beil und Winkelmaß, also die Zimmermannszeichen. 1822 ist das Rathaus durch das jetzige Obergeschoss aufgestockt worden.
Just in jenem aufgesetzten Stockwerk befindet sich nun die Etterdorfstube. Lienzingen ist damit der erste Ortsteil, der einen Treffpunkt Lokalgeschichte hat. Nein, kein Museum - das ist der Gesamtkomplex in beiden Etagen. Der Raum war bis zur Eingemeindung nach Mühlacker das Amtzszimmers des Gemeindepflegerss, sozusagen die rechte Hand des Bürgermeisters. Von 1962 an hieß der Gemeindepfleger Walter Vogt.
Eigentlich sollte das alte Rathaus bis zur 1250-Jahr-Feier von Lienzingen 2016 fertig sein. Darauf hatte der ehrenamtlich tätige Jubiläumsarbeitskreis gehofft und darauf auch die Interviews mit Zeitzeugen abgestellt. Doch der Terminplan ging nicht auf. Die Stadt spürte den überhitzten Baumarkt, auf Ausschreibungen gingen öfters keine Angebote ein. Zudem war das Gebäude maroder als zunächst gedacht. Ganze Gefache lösten sich beinahe wie von selbst aus dem Fachwerk. Die Folge: Der Zeitplan war genauso wenig zu halten wie die Kostenschätzung. Fast eine Million (inklusiv Musuem) erforderte die Sanierung, 60 Prozent davon übernahm das Land, weil das Rathaus im Sanierungsgebiet lag. 2019 war alles fertig, das Christbaumständermuseum eröffnet. Doch dann kam Corona.
Jetzt war es höchste Zeit für die Stube. Weil sie relativ klein ist, sind alte Postkarten und Fotos, aber auch die Interviews über den großen Fernseher zu sehen und zu hören. Digitalisierung spart Platz. Die Ortsgeschichte im Flur, die Eingemeindung schriftlich aufbereitet in der Stube. Ein Projekt, das auf eindrucksvolle Weise zeige, wie lebendig Geschichte vor Ort bewahrt, erzählt und weitergegeben werden könne, so der OB. Am Sonntag wurde die Stube offiziell eröffnet – im Beisein von Museumsleiterin Dr. Martina Terp-Schunter.
Ich erinnerte in meiknem Grußwort an ein Erlebnis bei der Eröffnung des Lienziger Museums 2019. Da hat einer gefragt: Was, Lienzingen war mal selbstständig? Mein Schlüsselerlebnis. Ich sagte mir: Das kann nicht sein, dass unsere Vergangenheit in Vergessenheit gerät. Es ist unsere Aufgabe, die Geschichte unseres Dorfes zu bewahren. Heute ist es nicht zuletzt ein Plakat, das an die Zeit Anfang der 1970er Jahre erinnert: „Lienzingen muss selbständig bleiben – leben wir in einer Diktatur?“
Die Etterdorfstube hat zu den gleichen Zeiten geöffnet wie das benachbarte Christbaumständermuseum.



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