Erinnerung an den Anfang – Konrad Adenauer 1945–1953
Günter Bächle, 1965 schrieb ich auf das erste Innenblatt des rund 580 Seiten umfassenden Bandes, der in jenem Jahr bei der – mittlerweile nicht mehr existierenden – Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart erschien. Konrad Adenauers erste Erinnerungen kaufte ich als 15-Jähriger. Jetzt, fünfzig Jahre später, las ich ihn erstmals, fand ihn höchst interessant und entdeckte Gemeinsamkeiten mit der Politik von heute. Debatten um die Höhe des deutschen Verteidigungsbeitrags, die Anfänge der Europäischen Union, Sicherheitsgarantien der USA für Europa, die Sehnsucht nach Frieden und die sowjetische Bedrohung.
Hat sich etwas geändert? Jedenfalls nicht meine Begeisterung für den ersten Kanzler der Bundesrepublik, der mich so faszinierte, dass ich den Weg in die Union fand und Adenauer-Fan blieb.
Der geschichtliche Hintergrund war ein anderer. Nach dem Zusammenbruch des Zweiten Weltkriegs steht Deutschland vor einer neuen politischen Herausforderung: Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Stabilität gleichzeitig zu etablieren. Adenauer sieht sich als Architekt einer Westbindung, die nicht nur die Außenpolitik bestimmt, sondern auch den inneren Sinn politischer Verantwortung klar darlegt. Die Zukunft gehört denen, die sie gestalten – so lässt sich seine Grundstimmung in dieser Zeit zusammenfassen: pragmatisch, verantwortungsvoll, oft realpolitisch, aber stets über den reinen Machtstrukturen transzendental.
Die Jahre 1945 bis 1949 markieren den Aufbau einer demokratischen Ordnung in fragmentierter Heimat. Adenauer schärft den Blick auf eine normative Linie: Rechtsstaatlichkeit, Würde des Einzelnen, sowie der Wille, Deutschlands Wiederkehr in die Freiheit nicht durch Zwang, sondern durch Rechtsstaatlichkeit zu legitimieren. In dieser Phase wird die CDU/CSU zu einer verlässlichen Brücke zwischen Zerstörung und Erneuerung, zwischen Entnazifizierung und politischer Neubestimmung. Sein Anspruch: Deutschland müsse sich selbst neu begründen, ohne die Verantwortung gegenüber der Vergangenheit zu verleugnen.
Das Grundgesetz und die Bundesrepublik erscheinen als logische Folge einer politischen Logik, die auf Westbindung, europäischer Stabilität und transatlantischer Sicherheit beruht. Adenauer betont den Zusammenhang von wirtschaftlicher Erholung und politischer Ordnung: Wirtschaftswunder ist kein altes Privileg, sondern der praktische Beweis, dass Freiheit und Marktordnung zusammengehören. Die Verbindung zu Frankreich, die Aufnahme in die NATO, die Öffnung Europas – all das wird von ihm als notwendige Bedingungen gesehen, damit Deutschland nicht erneut in Isolation verfällt, sondern als verlässlicher Partner mitgestaltet.
Innenpolitik bleibt eine Geduldsprobe: Wiedergutmachung, Entnazifizierung, Wiederaufbauinstitutionen – all das braucht Zeit, klare Prinzipien und den Willen zu Kompromissen. Die Memoiren vermitteln eine Haltung, die an Prinzipien festhält, auch wenn die Umstände widrig sind: Rechtsstaat zuerst, dann politische Gestaltung im engen Bündnis mit den Westmächten. Die frühen Jahre zeigen eine Kernidee: Deutschlands Grundordnung muss europäisch sein und im Bündnis mit den USA und Frankreich Wirklichkeit werden.
Was bleibt, ist der Eindruck einer verantwortungsvollen, zukunftsorientierten Politik, die aus der Vergangenheit lernen will, ohne in ihr zu erstarren. Adenauers Erinnerungen an diese Zeit klingen wie eine Einladung: Handeln im Gegenüber von Zwängen, aber mit Blick auf eine gemeinsame, friedliche Ordnung in Europa. Die Gründung der CDU, die Überwindung des Besatzungsstatutes durch den Deutschlandvertrag und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG), die später scheiterte. Friedensstifter wie der Lothringer Robert Schumann, Frankreichs Außenminister, der die Montan-Union anstieß – Deutschland sollte sowohl mit seiner Armee als auch mit Kohle und Stahl, die Produktionsmittel für die Kriege, eingebunden werden.
Adenauer – Der mit 74 Jahren ins Amt des Kanzlers gekommene frühere Kölner Oberbürgermeister blieb zwölf Jahre Regierungschef. Ihn zeichnete ein klares Konzept aus, die großen Linien, ein festes Bild von der Zukunft Europas in Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit. Bei der SPD fiel das unschöne Wort von Adenauer als dem Kanzler der Alliierten (Kurt Schumacher). Die Außenpolitik in dieser Periode war geprägt von einer grundlegenden Spannung: Adenauers Vision eines stabilen, westlich ausgerichteten Deutschlands gegenüber einer SPD, die soziale Sicherung, demokratische Teilhabe und eine kritisch-wohlwollende Ostpolitik forderte.
Diese Erinnerungen bringen viele seiner Gespräche in ungewohnter Breite wieder, macht seine Memoiren zu einer wichtigen Geschichtsquelle - der aktuellen Politik sehr zu empfehlen.
Mit dem Deutschlandvertrag sei im Mai 1952 mehr abgeschlossen worden als die Nachkriegsphase der letzten sieben Jahre. Eine ganze Epoche wurde beendet, die Epoche der Feindschaften und Kriege zwischen den Völkern des Westens. An diesem tragischen Nebeneinander waren Frankreich und Deutschland besonders stark beteiligt gewesen. Für den Schlussstrich unter diese Vergangenheit war die Unterzeichnung in Bonn und Paris ein Symbol. Die SPD jedoch verweigerte sich. Adenauer: Die von mir angeführten, tief verletzenden Ausführungen Dr. Schumachers verrieten eine erschütternde Unkenntnis der ganzen politischen Situation. Dass die Vertreter der SPD dem Akt der feierlichen Unterzeichnung des Deutschlandvertrages am 26. Mai 1952 in Bonn fernblieben, war noch erschütternder. Dabei endete damit – sieben Jahre nach Kriegsende – das Besatzungsregime der Alliierten in Westdeutschland.
Im April 1953 reiste Adenauer zum ersten Mal in die USA. Ich will drei Passagen über Stationen seines Besuches zitieren, die mich berührten.
Im Auswärtigen Ausschuss des Senats: Bemerkenswert fand ich eine Äußerung, die Senator Mansfield, ein Demokrat aus Montana im Anschluss an meine Ausführungen machte. Er sagte, das amerikanische Volk hätte mit Genugtuung von der Stetigkeit Kenntnis genommen, mit der Deutschland zur europäischen Verteidigungsgemeinschaft stünde, und er hoffe, der Tag möge nicht mehr fern sein, an dem Deutschland Mitglied der Nato würde, seine Einheit zurückgewinne, alle Besatzungstruppen abgezogen werden könnten und Deutschland wieder ein vollkomme sicherer Teil der europäischen Gemeinschaft würde (Seite 588).
Grab des unbekannten Soldaten: Ich hatte die Absicht geäußert am Grab des Unbekannten Soldaten auf dem Nationalfriedhof in Arlington einen Kranz niederzulegen. Die amerikanische Administration gestaltete diese Kranzniederlegung zu einer überaus eindrucksvollen Zeremonie. Sie nahm sie zum Anlass, in einer sehr zu Herzen gehenden Weise einen Schlussstrich zu ziehen unter die Jahre der Feindschaft, vor der ganzen Welt zu zeigen, dass diese Zeit vorüber sei, dass nun eine Ära der Freundschaft begonnen habe, und dass die Bundesrepublik Deutschland wieder aufgenommen in den Kreis und in die Gemeinschaft der freien Völker. (…)
Am Grabmal legte ich, während Kommandos durch die Luft halten, einen Kranz mit schwarz-rot-goldener Schleife nieder, er galt den Toten beider Völker. Eine amerikanische Militärkapelle spielte die deutsche Nationalhymne. Ich sah, wie einem meiner Begleiter die Tränen herunterliefen, und auch ich war von tiefer Bewegung ergriffen. Es war ein weiter und harter Weg von dem totalen Zusammenbruch von des Jahrs 1945 bis zu diesem Augenblick des Jahres 1953, in dem die deutsche Nationalhymne auf dem Ehrenfriedhof der Vereinigten Staaten erklang (S. 589)
Es war die Zeit, als Staatsbesuche in den USA ein großes Ereignis waren, angetreten auch per Schiff.
Am 2. April 1953 begann die Reise nach Amerika von Le Havre aus mit der United States, zur damaligen Zeit das schnellste Passagierschiff der Welt, wie der Kanzler notierte. Es war vollständig aus feuerfestem Material gebaut, zum größten Teil aus Leichtmetall, schreibt Adenauer. Die Überfahrt war äußerst stürmisch. Er zitiert den Kapitän, wonach die Wogen nach Abflauen des Sturmes, der am ersten und zweiten Tag der fünftägigen Reise tobte, eine Höhe bis zu 14 Metern erreichten. Da das ganze Schiff nur aus Metall bestand, war der Lärm, der durch die Erschütterungen verursacht wurde, wenn eine der Schiffsschrauben aus dem Wasser herausragte, unbeschreiblich groß. Ich hatte mir von der Schiffreise eine kleine Erholung erhofft. Doch daraus wurde nicht viel. Fast alle Mitglieder seiner Begleitung waren seekrank und wünschten die Stunde der Landung in New York am 6. April. Beim Einlaufen der United States gab es ohrenbetäubendes Hupen. Adenauer vermerkte eine eindrucksvolle Begrüßungszeremonie, die, wie ihm gesagt worden sei, außergewöhnlich gewesen sei.
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