Wird Friedenstraße 12 zum Sündenfall der Denkmalpflege?

Familie Common - aufgereiht an der 1928 errichteten Tankstelle. Im Hintergrund das Gebäude (später) Friedenstraße 12. Davor rollte der Verkehr auf der Reichs-, dann Bundesstraße 35. Erst 1951 konnte die Umgehungsstraße eingeweiht werden (Foto aus dem Besitz von Martin Schaufelberger).

Droht die Baulücke Friedenstraße 12 zum denkmalpflegerischen Sündenfall zu werden? Trotz der Auflage des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg, die Fläche nach dem von der Stadt im Januar 2022 beantragten und -zunächst widerrechtlich – vollzogenen Abbruch in spätestens drei Jahren wieder zu bebauen, tat sich bisher nichts. Eigentlich müsste im Januar 2025 schon der Rohbau stehen, aber das ist unrealistisch. Denn die Stadt sucht noch händeringend einen Käufer für das Areal und fand bisher wohl keinen. Sie unternimmt deshalb Anläufe, die Auflage der Denkmalsschützer für einen Ersatzbau zu „glätten“.

Dabei war das Gebäude, in dem sich zuletzt das Friseurgeschäft Wiest befand, ein Unikat. Das zeigt auch das historische Foto, das Martin Schaufelberger in die Hände fiel, der es mir (und dem Stadtarchiv Mühlacker) überließ. Aufnahmen aus der Zeit, als vor dem Anwesen eine Tankstelle stand, sind rar. Stolz auf die neue Technik zeigte sich jedenfalls die Familie Common, die sich um die 1928 montierten Zapfsäule gruppierte, um sich ablichten zu lassen. Im Hintergrund der Klinkerfassadebau mit dem seitlichen Ziergiebel, den die Stadtverwaltung gerne aus der behördlichen Auflage zum Wiederaufbau streichen lassen würde. Dabei machte unter anderem dieser den besonderen Reiz des Objekts aus.

In einer Gemeinderatsanfrage griff ich das Thema auf:  Bei der Einwohnerversammlung im Oktober gab es für die Frage nach Friedenstraße 12 von der Verwaltung nur ein Schulterzucken, haben manche der Zuhörer empfunden. Die Aussage, man sei in Abstimmung mit dem Denkmalamt, ob die denkmalrechtlichen Vorschriften gelockert werden könnten, hätten manche als ein Schlag ins Gesicht empfunden für alle, die ihr Objekt nicht von der Stadt Mühlacker erworben und daher keine Lockerung von denkmalrechtlichen Genehmigungen bekommen hätten. Dieser Kurs des Denkmalamtes ist auch richtig, denn so wird geschützt, was das Etterdorf unter anderem so schützenswert macht - die Gesamtanlage des historischen Ortskerns.

Januar 2022: Da war die Häuserfront noch geschlossen (rechts, Mitte, Friedenstraße 12)

Wie geht es nun konkret weiter, wenn sich kein Käufer findet? Die Antwort der Verwaltung: Der Bauplatz in der Friedenstraße 12 habe wesentliche Einschränkungen, die eine Vermarktung bisher nicht ermöglicht hätten. Die Verwaltung listet die ihrer Ansicht nach erschwerenden Punkte auf: Die Lage an der vielbefahrenen Hauptstraße, die Größe des Grundstücks mit gerade einmal 295 Quadratmeter, die denkmalrechtlichen Bebauungsvorschriften sowie der allgemeine Einbruch des Wohnungsbaus aufgrund zu hoher Zins- und Baukosten. Wie in der Einwohnerversammlung bereits mitgeteilt, sei die Vermarktung des Bauplatzes an die Sparkasse Pforzheim Calw übertragen werden. Da dort ein großer Kundenstamm vorhanden sei, erhoffe sich die Verwaltung, dass hier ein Käufer/in gefunden werden kann. Aus städtebaulicher und denkmalfachlicher Sicht sei es erforderlich, die Baulücke zu schließen. Um die Einschränkungen des Grundstücks zu kompensieren, gebe es zwei Optionen: Die Verringerung des Kaufpreises oder die Anpassung denkmalrechtlichen Bebauungsvorschriften.

Hinsichtlich einer Anpassung der denkmalrechtlichen Vorgaben für den Wiederaufbau strebe die Verwaltung keineswegs eine Sonderbehandlung der Stadt Mühlacker an, bekundet die Stadtverwaltung in der Antwort. Ohnehin würde diese durch die für die denkmalrechtliche Entscheidung zuständige obere Denkmalschutzbehörde zurecht nicht gewährt werden. Schließlich erfüllt die Stadt in diesem Fall nicht zuletzt auch eine Vorbildfunktion. Zitat aus der Antwort auf die Anfrage. Allerdings habe die Verwaltung eine abweichende Auffassung zu einer städtebaulich- und denkmalfachlich verträglichen Wiederbebauung. Nach den Auflagen zur denkmalschutzrechtlichen Genehmigung müsse ein Neubau die Kubatur des Vorgängerbaus abbilden. Dieser habe eine trauf- als auch durch das Zwerchhaus gebildete giebelständige Bauweise aufgewiesen. Die übrigen Gebäude an der Friedenstraße stünden aber entweder trauf- oder giebelständig. In der Kombination der beiden Bauweisen stellte der Vorgängerbau ein Unikat dar, anerkennt die Verwaltung.

Friedenstraße 12: der Klinkerbau steht nicht mehr (Fotos: Günter Bächle

Insofern ist die Verwaltung der Auffassung, dass sich eine giebelständige Bauweise, wie sie im Verlauf der Friedenstraße häufig vorkommt (zum Beispiel beim benachbarten Rathaus), besser in das Etterdorf einfügen würde. Weiterhin fordere die denkmalschutzrechtliche Genehmigung die Aufnahme der Gestaltung des Vorgängerbaus, welcher eine Klinkerfassade aufgewiesen habe. Auch dies sei für das Etterdorf untypisch. Dort fänden sich vorwiegend Fachwerk- und Putzfassaden. Bislang ließ sich das Landesamt für Denkmalpflege – es hat die denkmalfachliche Zuständigkeit - und die obere Denkmalschutzbehörde – die denkmalrechtliche Zuständigkeit - nicht von dieser Argumentation überzeugen, räumt die Verwaltung ein. Stattdessen sei angeregt worden, einen Architekturwettbewerb für die Wiederbebauung vorzunehmen.

 In dem Gebäude war mehr als ein Jahrhundert lang ein Teil der Lienzinger Infrastruktur untergebracht. Von 1929 an führte die Familie Common die Lienzinger Postagentur, zuerst Gottlob Common und dann bis zu ihrem Tod 1966 Frida Stickel, geborene Common. Albert Schnabel betrieb darin von 1927 bis 1929 die Poststelle mit dem kleinen Einkaufsladen. Er war es auch, der vor dem Gebäude die erste Tankstelle in Lienzingen errichtete.  Von dem Laden könne man nicht leben, sagte er, verkaufte daraufhin 1929 Grund und Boden.  In ihrem kleinen Laden bot Frida Stickel nicht nur Ess- und Trinkbares gegen Hunger und Durst an, sondern auch lange Zeit auch Drogeriewaren. Später richtete Paul Wiest seinen Friseurgeschäft ein, bis die Stadt 2015 das Anwesen kaufte.

Der freie Platz muss wieder bebaut werden

Die besondere Note: das gelbe Klinkermauerwerk. Zierglieder aus rotem Klinker befanden sich zwischen Erd- und erstem Obergeschoss sowie auf der Giebelseite des Zwerchhauses, bestehend aus Bändern und einfachen geometrischen Formen, steht in der Ortsanalyse von 2011. Das Gebäude unterscheide sich von den meisten anderen in der Friedenstraße durch seine vorgeblendete Klinkerfassade und die ungewöhnliche Kubatur. Es sei im Vergleich mit anderen Häusern dort jung. Errichtet worden ist es um 1900. Es unterscheidet sich innerhalb des historischen Straßenzuges der Friedenstraße durch seine Kubatur und durch seine Trauf-Ständigkeit. Die Denkmalexperten stuften das Haus aus sozialgeschichtlichen und siedlungstopografischen Gründen als erhaltenswert ein. Versuche, wenigstens die Fassade zur Friedenstraße in stehen zu lassen, scheiterten im Gemeinderat.

Im Januar 2022 begann die Stadt mit dem Abbruch des Hauses. Zunächst ohne Genehmigung des Denkmalamtes, weshalb die Arbeiten behördlich zunächst eingestellt wurden. Doch dann stimmte die Landesbehörde zu, aber mit den Auflagen. Wie stabil sind diese Vorgaben aus dem Regierungspräsidium Karlsruhe?

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