Von der Amtsversammlung zum Kreistag - Schwindsüchtig oder nicht: Dürrmenz-Mühlacker die eigene Sparkasse und dem Lienzinger Schultes den Aktuarjob in Schmie verwehrt
Die Württemberger hatten den Badenern eines voraus: Sie waren beim Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung viel schneller. Doch auch in Württemberg gab es immer wieder Versuche, die Freiheiten der Städte und Gemeinden zu reduzieren. Bis der erste Wilhelm, der Reformer und der Württemberger zweiter König, 1816 diese Rechte ausbaute. Das wirkt sich bis heute aus - den Amtsversammlungen folgten die Kreistage. Beispiel: das Oberamt Maulbronn. Spurensuche.
Alles begann mit den Oberämtern und einem König, der viel von der kommunalen Selbstverwaltung hielt. Daraus entstand eine Erfolgsgeschichte. Nicht der Egoismus der einzelnen Städte und Gemeinden zählt, sondern das Wir: gemeinsame Aufgaben sollen gemeinsam gelöst werden. Zum Beispiel die Suche nach Aktuaren - inzwischen aus der Mode gekommen. Die Zeiten und Aufgaben wandeln sich, die Idee bleibt.
Bewerber-Aufruf steht über der Stellenanzeige in der Maulbronner Tageszeitung Bürgerfreund. Das Königliche Oberamt sucht Verwaltungshilfsbeamte. Zu besetzen ist die Stelle eines besonderen Rechnungsverständigen für den Verwaltungsbezirk Schmie zum folgenden Dezember, entscheiden werde die Amtsversammlung. Die Annonce erschien im November 1907.
Lienzinger Geschichte(n) – ein neuer Beitrag in meiner Internetserie. Kreistage - wer hat sie erfunden? Was ist ein Aktuar? Welche Stellenbeschreibung passt zu einem Rechnungsverständigen? Was hat es mit dem Verwaltungsbezirk Schmie auf sich? Wie war Lienzingen auf Kreisebene vertreten? Der Amtsschaden als das Maß der Dinge? War Lienzingens Schultheiß nicht ausgelastet? Warum scheiterte der Versuch, einen eigenen Mühlacker Sparkassen-Weg zu beschreiten? Und andere spannende Themen aus einer mehr als 200jährigen Geschichte - von der Amtsversammlung zum Kreistag gibt es nicht nur Fragen, sondern auch Antworten.
Ins Heute übertragen, würde sich das so lesen: Das Landratsamt Enzkreis (stünde für Oberamt) sucht einen Verwaltungsaktuar/ Gemeindefachbediensteten (für besonderen Rechnungsverständigen) und die Entscheidung trifft der Kreistag (für Amtsversammlung). Wäre gänzlich unvorstellbar! Die Gemeinderäte würden sich vom Landkreis keinen Bediensteten vor die Nase setzen lassen. Wenn eine solche Suche überhaupt noch notwendig wäre – ein ganz und gar fiktiver Fall, denn nichts spricht für den Bedarf an einem Aktuar.
Doch egal, wer solche Posten vergab: Sie waren begehrt, brachten ein zusätzliches Gehalt. Einer, der darauf erpicht war: das Lienzinger Ortsoberhaupt Adolf Fallscheer (1907-1920). Denn eine Kommune braucht seit jeher einen ausgebildeten Fachmann, der fehlerfrei einen Haushaltsplan aufstellen und andere Verwaltungsgeschäfte erledigen kann. Fehlt solches Fachpersonal, muss die Gemeinde sich externen Sachverstand einkaufen.
Schultheiß und Aktuar – lukrativer Nebenjob
Das war in jenen Zeiten vielfach der Fall, in denen sich kleinere Ort keinen hauptamtlichen Schultes leisten konnten oder wollten, deshalb das Amt nebenberuflich erledigen ließen. Häufig wählten sie Bauern in das Amt. So August Glöckler 1937 in Zaisersweiher. Karl Brodbeck war in den Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts nicht nur Bürgermeister in Lienzingen, sondern daneben in Zaisersweiher zeitweise auch besonderer Rechnungsverständiger, geläufiger als Aktuar.
Dagegen waren in Lienzingen zumindest vier der sechs Rathauschefs von 1880 bis zur Eingemeindung 1975 vom Fach: Richard Allmendinger, Karl Brodbeck und Adolf Fallscheer sowie Link (1880 bis 1907). Die beiden Ausnahmen waren der nach der Befreiung vom Nazi-Joch von den Franzosen im April 1945 eingesetzte Otto Knopf, von Beruf Töpfer, den die Amerikaner als Besatzungsmacht drei Monate später durch Jakob Straub, Stellwerkmeister, ersetzten. Straub trat im Herbst 1946 zurück, im Dezember 1946 folgte ihm der Steuersekretär Allmendinger aus Wernau als Verwaltungschef, der nach seiner Wahl einen vom Innenministerium Württemberg-Baden angebotenen Kurs absolvierte, um als richtiger Kommunal-Fachmann anerkannt zu sein – übrigens der einzige Fachmann im Lienzinger Rathaus bis zum Zwangsanschluss an Mühlacker im Jahr 1975.
Praxis hat den Paragrafen der Gemeindeordnung überholt
Selbst in der aktuellen Gemeindeordnung für Baden-Württemberg steht: Zur sachgemäßen Erledigung der Verwaltungsgeschäfte müssen die Gemeinden mindestens einen Bediensteten mit der Befähigung zum gehobenen oder höheren Verwaltungsdienst haben – einen Gemeindefachbediensteten. Doch die Praxis hat den Paragrafen längst überholt. Selbst wenn der Bürgermeister diese Voraussetzungen nicht bieten kann - spätestens Kämmerer oder Kämmerin füllen diese Lücke, so sie überhaupt besteht.
Der Abschied vom Bauern-Schultes, ließ auch den kommunalen Aktuarjob verschwinden. In den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts verabschiedeten sich nach und nach die Nicht-Fachleute von der Spitze der Verwaltung, schon gar, als die Gemeindereform größere Einheiten schuf, deshalb die Anforderungen ans Bürgermeisteramt wuchsen. Friedrich Conradt, letzter dieser Spezies im Landkreis Vaihingen, amtierte bis 1968 in Schützingen, erstmals gewählt 1946, galt er als Ausnahmefall unter den nicht gelernten Verwaltungschefs. Doch ohne Aktuar ging es bei ihm trotzdem nicht.
Verwaltungsbezirk Schmie heiß umkämpft
Ob nun der Verwaltungsbezirk IV der Aktuare, der nur aus der Gemeinde Schmie bestand, besonders schwierig war, muss offen bleiben. Jedenfalls war er umkämpft. Auf die Stellenausschreibung im Bürgerfreund meldeten sich drei Bewerber: die Schultheißen – so hießen bis 1929 die Bürgermeister - Kauderer (Ötisheim), Bausch (Maulbronn) und Fallscheer (Lienzingen). Bei der geheimen Wahl in der Sitzung vom 28. November 1907 siegte Bausch mit 13 Stimmen (Kauderer 11, Fallscheer 2). In allen anderen der sieben Bezirke besetzte die Amtsversammlung per Akklamation, da jeweils nur ein Kandidat angetreten war.
Fein säuberlich listete die Regierung des Neckarkreises in einem Schreiben vom 27. März 1908 die Belohnung der Verwaltungsaktuare auf. Auf der Grundlage des Ergebnisses der Volkszählung von 1905 gab es für die ersten 800 Einwohner jeder Gemeinde des Bezirks fünf Pfennige pro Kopf, für die nächsten 500 Einwohner drei Pfennig je Kopf und von 1001 an zwei Pfennig für den Kopf. Ein lukrativer Nebenjob.
Sternenfelser Schultheiß ließ Lienzinger hinter sich
In der Sitzung vom 22. Juli 1915 der Amtsversammlung stand wieder die Wahl eines Verwaltungsaktuars für den Bezirk Schmie an. Die Position war erneut umstritten. Der Bezirksrat plädierte für Fallscheer im Hinblick auf die bestehenden sachlichen und persönlichen Beziehungen zwischen Lienzingen und Schmie sowie die Gemengelage der Güter beider Gemeinden mit Wirkung vom 1. November 1914. Doch die Entscheidung fiel anders aus als vom Bezirksrat gewünscht. Mit 17 Stimmen siegte Schultheiß Schweitzer aus Sternenfels. Sein Kollege aus Lienzingen und bis dato Stellvertreter von Bausch als Aktuar, Adolf Fallscheer, unterlag mit 11 Stimmen. Für Schweitzer bedeutete dieser Job als Aktuar 500 Reichsmark, die auch die späteren Pensionsansprüche steigerten, und 30 Mark als Entschädigung für den Dienstaufwand.
War Fallscheer in Lienzingen langweilig, fühlte er sich in dem 720 Einwohner zählenden Dorf nicht ausgelastet? Gebürtig in Köngen, Stadtschultheißenassistent in Großsachsenheim, dann Schultheiß in Lienzingen. Immerhin war sein Vorgänger Link von 1902 bis 1907 Verwaltungsaktuar. Jedenfalls machte Fallscheer später Sparkassen-Karriere, wie sich aus einer von Siegfried Keller gefertigten Liste der Vorstandsmitglieder, stellvertretenden Leitern und so weiter der Sparkasse Pforzheim Calw und ihrer Vorgängerinstitute ergibt, Schultheiß von Lienzingen (1907-1920), Gegenrechner (Zweiter Beamter), Rechnungsrat (1928) der Oberamts- beziehungsweise Kreissparkasse Maulbronn. Vom 16. Oktober 1934 Leiter der Zweigniederlassung Mühlacker und (vom 7. Juni 1935 an) Stellvertreter des Sparkassenleiters für den Bereich der Zweigniederlassung Mühlacker. Vom 1. Oktober 1938 an Beamter der Kreissparkasse Vaihingen/Enz.
Dürrmenz-Mühlacker legt nach
Das mehrseitige Protokoll der Amtsversammlung vom 22. Juli 1915 (Seite 205 ff) erlaubt Einblicke in Struktur und Aufgabengebiet des Gremiums. Jede der 23 Städte und Gemeinden bestimmte mindestens einen Vertreter für das Gremium. Derdingen, Illingen, Knittlingen und Maulbronn standen jeweils zwei zu - meist schickten sie den jeweiligen Schultheiß, ansonsten Gemeinderäte. In dieser Sitzung im Juli 1915 verlor Knittlingen ein Mandat (nun zwei statt drei) an Dürrmenz-Mühlacker, das sich zuvor beschwert hatte über die Zuteilung zu weniger Abgeordneter. Mit Erfolg. In der laufenden Wahlperiode durfte die Doppel-Gemeinde nun neun statt acht Vertreter entsenden. Immerhin.
Einen garantierten Sitz für jede Kommune im Kreistag gibt es in Baden-Württemberg nicht. Im Enzkreis stellen von den 28 Städten und Gemeinden derzeit eine Handvoll kein Kreistagsmitglied, 15 der 28 Bürgermeister sind seit der Wahl am 9. Juni 2024 auch Kreisräte (zuvor 20). Lienzingen hat angeblich mit zwei Kreisräten bei 2050 Einwohnern die höchste Dichte an Abgeordneten beim Enzkreis.
Auch ein Leo in der Abordnung von Dürrmenz-Mühlacker
Für Lienzingen saß Schultheiß Fallscheer in der Amtsversammlung, für Dürrmenz-Mühlacker sein Kollege Händle sowie unter anderem die Gemeinderäte Spörr, Rösler, Leo und Bürgerausschuss-Mitglied Mahler. Namen, die heutzutage noch geläufig sind.
Die Zeit erfordere höchste Pflichterfüllung von jedem Einzelnen, sie mahne alle Versammelten zu einmütiger Arbeit im Dienst zum Wohle der Mitbürger und des Bezirks, sagte in der Juli-1915-Sitzung zum Auftakt Oberamtmann Johannes Elsenhans (1905 bis 1921). Schließlich stand das Kaiserreich schon im dritten Kriegsjahr. Was heutzutage der Haushaltsplan des Landkreises ist, war seinerzeit der Voranschlag der Amtskörperschaft. Der Vorsitzende gab demnach einen allgemeinen Überblick zu den Positionen im Etat für 1915 und seine Erfordernisse, wie sie sich in der Kriegszeit feststellen lassen. Einnahmen von 93.283 Reichsmark standen 207.283 Mark an Ausgaben gegenüber. Der sich ergebende Abmangel von 114.000 Reichsmark soll durch Umlage aufgebracht werden, heißt es weiter im Protokoll. Nicht anders als heutzutage, doch findet sich im Protokoll kein Wort, ob über die Umlagehöhe so heftig gerungen wurde wie in unserer Zeit über die Kreisumlage, ebenfalls von den Städten und Gemeinden zu finanzieren.
Bezirk nahm Kredite zur Finanzierung der Kriegsfolgen auf
Der Krieg belastete auch das Oberamt und seine Gemeinden. Die Amtsversammlung beschloss, Aktien von 10.000 Mark der Württembergischen Kriegskreditbank AG in Stuttgart zu erwerben. Der Krieg und seine finanziellen Folgen waren denn auch Schwerpunkt der Agenda. Der Vorsitzende berichtete über die aufgenommenen Kredite für Kriegsaufgaben des Bezirks. Diese Leistungen würden weit über die Tragfähigkeit des amtskörperschaftlichen Haushalts hinausgehen und ließen sich ihrer Art und außerordentlichen Höhe nach in dem ordentlichen Jahreshaushalt nicht unterbringen. Der Ersatz seitens des Staates oder Reiches sei nach Ende des Krieges zu erhoffen.
Tatsächlich verschuldete sich das Oberamt bis Mitte 1915 um 700.000 Reichsmark, vor allem zur Unterstützung von Angehörigen der im Feld liegenden Soldaten aus Württemberg. Von dem Betrag seien 400.000 Mark tatsächlich Angehörigen von Soldaten aus dem Oberamt Maulbronn zugeflossen. Allein im Juni 1915 hätten sie 41.739 Mark erhalten. Die einzelnen Kriegs-Kredite des Oberamtes bewegten sich zwischen jeweils 100.000 und 250.000 Mark, aufgenommen unter anderem bei der Genossenschaftszentralkasse in Stuttgart und bei der Handwerkerbank in Tuttlingen zu Zinsen von 4,5 oder 5,5 Prozent. Hinter den gesetzlichen Familienunterstützungen gegenüber würden die übrigen sachlichen und persönlichen Aufwendungen aus Kriegsaufgaben zurück bleiben.
Staat oder Reich sollen für Ausgaben der Bezirke geradestehen
Für die Regelung des Verbrauchs von Brotgetreide und Mehl bedürfe es eventuell eines amtskörperschaftlichen Hilfsbeamten, ganz so wie bei der Kriegskrankenfürsorge, der Wochenhilfe, der Beteiligung an außergewöhnlichen Familienunterstützungen und so weiter. Doch nähmen auch diese Aufgaben in steigendem Maße die Mittel der Amtskörperschaft in Anspruch. Einstimmig genehmigte die Amtsversammlung sowohl die 700.000 Mark Darlehen für außerordentliche Kriegsausgaben, insbesondere der gesetzlichen Familienunterstützung als auch den Auftrag an den Bezirksrat, die abgerufenen und ausbezahlten Mittel von Staat oder Reich einzufordern.
Der Krieg blieb zunächst das zentrale Thema. Regierungsassessor Hermann Röger, später letzter Landrat des Oberamtes Maulbronn (1921 bis 1938) , listete in einem gesonderten Punkt der Agenda die – vor allem gesetzlichen - Fürsorgemaßnahmen für die Kriegsteilnehmer, ihre Angehörigen und Hinterbliebenen auf. Das Gremium genehmigte, die Kriegskrankenfürsorge im Bezirk einzurichten, dafür die für diesen Zweck von der Versicherungsanstalt Württemberg ausgeworfenen Mittel auch für den Bezirk Maulbronn nutzbar zu machen sowie den sich daran beteiligenden Gemeinden zehn Prozent des Aufwandes aus der Kasse des Oberamtes zu erstatten. Zudem sollte ein Bezirksausschuss für Kriegshilfe bestellt werden. Indirekt mit dem Ersten Weltkrieg hatte Punkt 8 zu tun: Neuregelung der Belohnungsverhältnisse des Amtsblattverlegers insbesondere mit Rücksicht auf die Kriegsverhältnisse. Verleger Mayer – auch Herausgeber des Bürgerfreundes – erhielt unter Beibehaltung des bestehenden Vertrags von 1914 eine höhere Entlohnung, damit nun 500 Mark.
Tüchtigen besonderen Beamten für die Sparkasse
Ein weiterer Schwerpunkt der Amtsversammlung: die Sparkasse – ein Thema, das den später gebildeten Landkreisen liebend und gern geblieben ist. Der Tagesordnungspunkt: Bestellung eines Oberamtssparkassiers im Hauptamt, Wiedervereinigung der bis 31. Dezember 1915 genehmigten Gemeindesparkasse Dürrmenz-Mühlacker mit der Oberamtssparkasse.
Der Vorsitzende argumentierte, gleichzeitig für Oberamtspflege und Oberamtssparkasse zu arbeiten, gehe über die Leistungsfähigkeit des einzelnen Beamten hinaus. Die Wiederherstellung des ursprünglichen Einzugsgebiets und die Übertragung der Kassenverwaltung an einen tüchtigen besonderen Beamten seien für die Lebensfähigkeit der dahinsiechenden Kasse von entscheidender untrennbarer Bedeutung. Als Hemmschuh erwies sich, dass sich der Inhaber beider Stellen nicht für eine der Funktionen entscheiden konnte oder, so der Vorsitzende, billigerweise in seinen alten Tagen der Gesamtgehalt, als Unterlage seiner Existenz, nicht oder nicht wesentlich verkürzt werden kann. Immerhin stünden neben dem derzeitigen Gehilfengehalt von 1300 Mark ihm noch 200 Mark an Bezügen als Gegenrechner zu, wobei letztere sehr nieder dotiert worden seien.
Regierung des Neckarkreises kontra Gemeinde Dürrmenz-Mühlacker
Wiederum Dürrmenz-Mühlacker beharrte auf seinem eigenen Weg, aber unterlag letztlich. Am 7. März 1906 hatte die Königliche Kreis-Regierung in Ludwigsburg der Gründung der Gemeindesparkasse Dürrmenz-Mühlacker zugestimmt, die Genehmigung aber auf den 31. Dezember 1915 befristet. Die Regierung des Neckarkreises – ähnlich den jetzigen Regierungspräsidien – sah die Zukunft nicht in einem eigenen Mühlacker Weg, sondern in einem Anschluss an die Oberamtssparkasse in Maulbronn. Gerade in der Sitzung der Amtsversammlung mit insgesamt nicht leichter Kost sollte sich das Schicksal der Gemeindesparkasse entscheiden, für die die Vertreter der Gemeinde Dürrmenz-Mühlacker noch kämpften. Eine eingehende, teilweise lebhafte Aussprache gab es, wie im Protokoll vermerkt wurde, bei der die Befürworter der Fusion vor einer Zersplitterung der Sparorganisation warnten, zumal das Oberamt Maulbronn zu den drei ärmsten Bezirken des Landes gehöre. Die Entscheidung fiel mit 19 gegen 11 Stimmen eindeutig aus: Die Gemeindesparkasse musste ihre ganzen Bestände zum 1. Januar 1916 der 1883 gegründeten Oberamtssparkasse nach Maulbronn überstellen. Der Rechner der nun erweiterten Oberamtssparkasse sei als ein amtskörperschaftlicher Beamter im Hauptamt als Oberamtssparkassier anzustellen.
Und dann schwenkte das Gremium zu dem beliebten Thema aller Kreistage und ihrer Vorläufer, den Kreisstraßen. Das so genannte Stellesträßle zwischen Hohenklingen und Maulbronn ging in die Unterhaltung des Oberamtes über. Allerdings vorausgesetzt, so die Amtsversammlung, dass etwaige bei einer Besichtigung durch die Königliche Straßenbauinspektion festgestellte Anstände von der Gemeinde Freudenstein anstandslos erledigt werden.
Aufgaben hielten sich bis heute, so der Schöffenwahlausschuss
Bevor die Abgeordneten den Sternenfelser Schweitzer als neuen Aktuar für den Bezirk Schmie wählten, beschloss das Gremium, einen höheren Jahresbeitrag des Oberamtes für die Häuser der Barmherzigkeit in Staigacker und Wildberg zu bezahlen.
Allein drei der acht Seiten des Protokolls gelten einer Vielzahl von Wahlen, allesamt auf Zuruf vorgenommen, aber vorbereitet vom Bezirksrat. Ausschüsse, Vertreter im Verwaltungsrat der Pensionskasse…. Schultheiß Händle von Dürrmenz-Mühlacker durfte mit entscheiden über die Amtsenthebung dienstunfähiger Körperschaftsbeamter, Fabrikant Rudolf Leo aus Dürrmenz-Mühlacker war als Sachverständiger benannt zum Zweck der Neubildung der Bezirkskommission, der Delegierte für die Gebäudebrandversicherung findet sich in der Liste genauso wieder wie der Ausschuss zur Wahl der Schöffen, letzterer liegt bis heute in der Zuständigkeit des Kreistages. Freilich: In all diesen weiteren Wahlen blieb der Lienzinger Vertreter Fallscheer außen vor.
Lehrkurs in weiblichen Handarbeiten beschlossen
Das Protokoll der Sitzung Ende November 1907 soll ebenfalls exemplarisch stehen für die Aufgaben der Amtskörperschaft. Beschlossen:
- Der Bezirk stellt einen Gehilfen für die Oberamtspflege und Oberamtssparkasse an. Im Gegenzug wird das fixe Gehalt des Amtspflegers von 3000 auf 2500 Mark gekürzt.
- Erneut einen Lehrkurs für den Unterricht in weiblichen Handarbeiten anzubieten
- Dem Deutschen Nationalmuseum in Nürnberg einen Jahresbetrag von 10 Mark zu verwilligen.
- Oberamtspfleger Müller für sechs Jahre als Vertreter des Bezirks in die Landesarmenbehörde für den württembergischen Neckarkreis zu entsenden.
Ein Schuldentilgungsplan soll vom Bezirksrat noch verfeinert werden.
Soweit das Protokoll.
Amtsversammlung und die Kreistage als Folgemodell
Und wer hat dieses Konstrukt neu entdeckt? Vor fast 200 Jahren ein württembergischer König, der erste Wilhelm.
Die Amtsversammlung – der Vorläufer des Kreistags – erwies sich als wirksames Instrument der kommunalen Selbstverwaltung, wie sie Wilhelm I. nach seinem Regierungsantritt im Jahr 1816 neu aufgelegt hatte, die unter seinem zu absolutistischen Tendenzen neigenden Vater Friedrich eingeschränkt worden war. Sie erlebte unter Wilhelm I. eine Renaissance. Die Ende Dezember 1818 von ihm erlassenen Edikte regelten die Ausgestaltung der Selbstverwaltung vor Ort. Die Schultheißereien – also die Gemeinden – wurden Selbstverwaltungskörper.
Die kommunale Selbstverwaltung und mit ihr die Amtsversammlungen gab es in Württemberg jedoch schon viel länger; sie entstand im Spätmittelalter und wurde durch den Dreißigjährigen Krieg verstärkt, ist bei Enzkreis-Archivar Konstantin Huber zu lesen. So wie die württembergischen Herzöge seit 1514 nur im Zusammenspiel mit den Landständen als Vorgänger des Landtags regieren konnten, gab es auf Amts- und Gemeindebene eine ausgeprägte kommunale Selbstverwaltung: Die Institution Stadt und Amt hatte in Altwürttemberg eine starke Stellung, wobei der Oberamtmann zugleich Schultheiß der Amtsstadt war. In Baden übrigens sah das ganz anders aus. Hier gab es weder starke Landstände noch eine ausgeprägte kommunale Selbstverwaltung, so Huber in seinem Erstlingswerk Bezirksverwaltung im badisch-württembergischen Grenzraum von 1993 auf den Enzkreis bezogen zusammengefasst.
Innerhalb des Gefüges der württembergischen Verfassung (1819-1919), das auf den Gemeinden als Grundlage des Staatsvereins aufgebaut war, kam den Oberämtern die Aufgabe zu, die unmittelbar die einzelnen Bürger berührenden Verwaltungsangelegenheiten, die die Gemeinden weitgehend in eigener Verantwortung behandelten, in die staatliche Verwaltung einzubringen, schreibt Dr. Franz Mögle-Hofacker in den Einleitungen zum Findbuch F 190 II des Staatsarchivs Ludwigsburg, somit zur Verwaltungsgeschichte der württembergischen Oberämter. Ihnen hätten sich die Aufgabe der größtmöglichen Integration aller von Verwaltungsmaßnahmen Betroffenen gestellt. Sie waren gleichzeitig Wahlkreise für die Wahlen zur Abgeordnetenkammer.
Bezirksrat durfte mehr mitreden in staatlichen Aufgaben als der Kreistag heute
Das Ministerium des Innern übertrug die Verantwortung für die Oberamtsverwaltungen jeweils einem Oberamtmann, seit den 1830er Jahren in der Regel einem Juristen mit abgeschlossenem Hochschulstudium. Er war als Staatsbeamter zuständig für alle Verwaltungsgeschäfte, die nicht den Gerichts- oder Finanzbehörden oblagen, handhabte die Polizei- sowie (bei Übertretungen) die Strafgewalt und übte die Aufsicht über die Gemeindeverwaltungen aus, so Mögle-Hofacker.
Als Verwaltungsbeamte unterstanden dem Chef des Oberamtes ein Oberamtssekretär und (in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts) ein Amtmann als Stellvertreter. Aufgabe von Oberamt damals und Landratsamt heute: Die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Handels der Kommunen. Allerdings darf der Kreistag dabei nicht mitreden, der vormalige Bezirksrat schon.
Nach dem Amtsschaden errechnete sich die Abgeordnetenzahl
Neben dieser Verwaltung stand als Organ mit Koordinations- und Integrationsfunktionen die Amtsversammlung. In ihr waren die einzelnen Gemeinden eines Oberamtsbezirks als Amtskörperschaft zusammengefasst. Die Zahl der Abgeordneten, die eine Gemeinde jeweils stellte, hing von ihrem Anteil an den gemeinsam zu tragenden öffentlichen Lasten, dem Amtsschaden, ab. Als Obergrenze durfte dabei eine Gemeinde höchstens ein Drittel der Angehörigen der Amtsversammlung stellen, während Kleinstgemeinden einen gemeinschaftlichen Verordneten entsandten.
Grundlegende Änderungen brachten unter König Wilhelm II. die gemeinsam am 28. Juli 1906 erlassene Gemeindeordnung und Bezirksordnung sowie die Verfügung vom 30. Oktober 1907 des Königreiches Württemberg, wodurch der bisherige Amtsversammlungsausschuss unter der neuen Bezeichnung Bezirksrat, durch Laien ergänzt, nun auch zu den Geschäften der staatlichen Verwaltung herangezogen wurde. Zudem durfte die Amtsversammlung jetzt Ausschüsse zur Kontrolle von Anstalten und Einrichtungen der Amtskörperschaft einsetzen.
Amtspflege – das eigene Vermögen des Bezirks
Die Gemeinden eines Oberamtes bildeten zusammen die Amtskörperschaft, diese mit der Amtsversammlung als Parlament und der Amtspflege als eigenem Vermögen. Der Oberamtmann hatte nun eine Doppelfunktion: staatlicher Beamter einerseits, Organ der Amtskörperschaft andererseits,
Die Amtsversammlung trat zweimal jährlich zusammen. Aus ihrer Mitte wählte sie einen geschäftsführenden Ausschuss, einen Aktuar (der zugleich Rechnungsrevisionsgehilfe des Oberamts war) und bestimmte in Eigenverantwortung für die Kassen- und Rechnungsführung den Oberamtspfleger sowie die übrigen Beamten der Amtskörperschaft. Entsprechend der konstitutionalistischen Theorie lag damit, so Mögle-Hofacker, die Zuständigkeit für eine kontinuierliche, aktive Verwaltungsarbeit bei den Regierungsbeamten, während die Regulierung der Finanzen sowie Kontrollfunktionen von einer Körperschaft ausgeübt wurden, in der die von Verwaltungsmaßnahmen Betroffenen und die, die sie finanzierten, zusammengefasst waren. Ansätze, die über ein rein auf Kontrolle und Finanzfragen ausgerichtetes Repräsentativsystem hinauswiesen, zeigten sich zwar nicht im Verwaltungssektor, dafür aber doch im Bereich sozialer Aufgaben und Dienstleistungen, wo Beamte der Amtskorporation tätig waren.
Wenn Landratsamt draufsteht…
Apropos Geschäfte der staatlichen Verwaltung: Dieses duale System hält sich vehement. So bestehen die Landratsämter aus dem kommunalen Teil, dem Kreisverbund aller Städte und Gemeinden, und dem staatlichen Teil. Von den rund 900 Beschäftigten des Enzkreises fällt gut ein Drittel auf den kommunalen Sektor. Zuständig ist der Landrat für beide Bereiche, der Kreistag nur für den kommunalen. Für die Menschen draußen nicht immer nachvollziehbar. Wenn Landratsamt drauf steht, muss Landratsamt drin sein – zur Kontrolle wählen sie schließlich Kreisräte, aktuell 60 an der Zahl. Jedenfalls achten die Landräte peinlichst genau darauf, dass die Kreisräte auf ihrem Feld nicht wildern. Eindeutig ein Rückschritt gegenüber der Reform von 1906/07 im Königreich Württemberg.
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurden Amtsversammlung und Bezirksrat am 25. April 1933 zunächst aufgelöst, dann als auf Beratungsfunktionen beschränkter sogenannter Kreisverband mit Erlaß der neuen Kreisordnung vom 27. Januar 1934 sowie der Verfügung vom 23. April 1934 nach den Grundsätzen der Partei erneut eingerichtet. An der Spitze des Kreisverbands stand der Landrat, der auch den Kreistag (bisher Amtsversammlung) und den Kreisrat (bisher Bezirksrat) leitete. Die Aufgaben des Oberamtspflegers nahm jetzt der Kreispfleger wahr.
Vier Kreis-Regierungen als Vorläufer der Regierungspräsidien
Als Mittelbehörden zwischen den einzelnen Oberämtern und der Ministerialebene standen die vier Kreisregierungen, die 1817 an die Stelle der 1806 eingerichteten zwölf Landvogteien getreten waren. Heute sind dies die Regierungspräsidien. Der entscheidende Störfaktor für eine einheitliche Verwaltungsorganisation auf Bezirksebene wurde 1849 beseitigt. Ebenso das Sonderrecht selbstständiger königlicher und adliger Güter, die vor 1849 nicht in die Gemeindeverbände und damit auch nicht in die Bezirksverwaltung eingegliedert waren (Mögle).
Wichtigstes Merkmal für das System in den vergangenen zwei Jahrhunderten: Bezirk und später der Kreis waren durch Umlage finanziert. Die Kommunen blieben durchweg wesentlicher Geldgeber. Über die Höhe der Zahlungen wurde im politischen Kollektiv in Maulbronn, Vaihingen, jetzt in Pforzheim und Ludwigsburg entschieden. Typisch blieb auch die Klage über Lasten, die Staat, Reich oder Bund bei Bezirk/Oberamt oder Landkreis ablegten und für die die Landkreise und Gemeinden vollen Ersatz forderten – ob nun Folgen aus den beiden Weltkriegen oder jetzt aus dem Überfall Russlands auf die Ukraine, Flüchtlingsströme als Folge. Alles schon einmal da gewesen. Auch die Aufgaben schälten sich rasch heraus: Soziales, berufliche Schulen, Hospitäler, Straßen, Sparkasse. Ein durchgängiger roter Faden von den zuerst 63 Oberämtern in Württemberg bis zu den 35 Landkreisen Baden-Württembergs.
(Quellen: Dr. Franz Mögle-Hofacker: Einleitungen zum Findbuch F 190 II des Staatsarchivs Ludwigsburg, somit zur Verwaltungsgeschichte der württembergischen Oberämter. Siegfried Renner: Von der Städtischen Sparkasse Pforzheim zur Sparkasse Pforzheim Calw 1834 - 2002. Herausgegeben von der Sparkasse Pforzheim Calw, S. 55 f, 57 f. Protokolle der Amtsversammlung November 1907 und Juli 1915, Oberamt Maulbronn – aus dem Staatsarchiv Ludwigsburg, Signatur F 183 I Bü 117 und Bü 113. Konstantin Huber: Bezirksverwaltungen im badisch-württembergischen Grenzraum. Beiträge in meiner Blog-Serie Lienzinger Geschichte(n) mit den Ergebnissen eigener Recherchen)
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