Gelungene Premiere in der Frauenkirche: Zur Pietà eingeladen

Bewundert: Pietà-Replik in der Liebfrauenkirche in Lienzingen

Pietà - Prominenz aus Lienzingen. Doch meist bleibt die Holztüre in ihrem neuen Heim verschlossen. Wer sie sehen will, ist weitgehend auf Konzerte oder Begräbnisgottesdienste angewiesen, die in der der Stadt Mühlacker gehörenden Frauenkirche stattfinden und für die sie aufgeschlossen wird. Pietà als Nebeneffekt. Mir war das zu wenig.

Heute gab es den ersten offiziellen Besuchstag, ganz der Mutter Gottes gewidmet. Und der war gefragt.

Eine Idee wird zum Programm: einmal im Monat an einem Sonntagnachmittag wegen der  Pietà die Lienzinger Frauenkirche öffnen. Das wär’s doch!  Buchstäblich aufzuschließen. Die Replik von Maria, der Mutter Gottes mit dem toten Jesus in den Armen, interessiert nicht nur, sie berührt die Menschen. Seit November 2022 steht die vom Bildhauer Thomas Hildenbrand geschaffene Statue aus Holz links vom Chor auf einem Podest.

Zusammen mit Hans-Peter Walther vom Historisch-Archäologischen Verein (HAV) Mühlacker entstand der Vorschlag für regelmäßige Pietà-Sonntage in der Frauenkirche, ehemalige Wallfahrtskirche des Klosters Maulbronn – doch wer hat den Schlüssel, ist die Stadt überhaupt einverstanden, wer haftet…?

Kruzifix wurde 1977 gestohlen

Die Idee und der Wunsch, die Frauenkirche für die Öffentlichkeit zur Besichtigung der Pietà-Replik zu öffnen, sind bei der Stadtverwaltung auf große Begeisterung gestoßen. Antworten gab prompt Museumsleiterin Dr. Martina Terp-Schunter, die die Idee noch verfeinerte. Nicht ein einziges mal im Monat, sondern an bestimmten Tagen, die meist eine Bedeutung für die Marienverehrung haben:  Karfreitag. Deutscher Museumstag, Maria Heimsuchung (2. Juli), Himmelfahrt (15. August)  und Sonntag nach Maria Himmelfahrt, Maria Empfängnis (8. Dezember). Fünfmal also im Jahr, jeweils von 14 bis 17 Uhr. 

Der nächste Termin: Museumstag, 21. Mai 2023, 14.00 bis 17.00 Uhr. 

Hans-Jakob Fechinger gilt als wahrscheinlicher Baumeister des Gotteshauses
Ausblick

Heute war sozusagen Premiere. Und sie gelang. Mehr als 50 Besucher in den ersten einhalb Stunden von Walthers Dienstzeit, nochmals so viel in meiner. Als ich 20 nach 5 die Tür schloss, kamen weitere neugierige Besucher: Eine Familie aus Spanien auf den Spuren der (Groß-)Eltern, die 38 Jahre lang Gastarbeiter in Niefern-Öschelbronn waren und dann in ihre Heimat zurück gingen. Keine Frage, dass die Frauenkirche nochmals geöffnet wurde, interessiertes Nachfragen, doch mit der sprachlichen Verständigung haperte es. Da hilft, die am Friedhofseingang angebrachte Tafel zur Kirchengeschichte abzufotografieren und von Herrn Google übersetzen zu lassen.

Doch heute war alles mehr als nur Pietà-Beschau. Die Frauenkirche selbst, ihre Baugeschichte, interessierte die Menschen intensiver als gedacht. Wir unterschätzen das geneigte Publikum bisweilen.

Gelegenheiten machen neugieriger. Der von Hans-Peter Walther verfasste zweiseitige Text zu Gebäude und Marienstatue ging rasch zur Neige. Irgendwie hatten wir doch nicht mit einer solch starken Resonanz gerechnet. Nicht nur Auswärtige lockten Pietà und Frauenkirche an, selbst die Lienzinger lassen dieses bauliche Kleinod nicht links liegen, auch wenn es für sie Alltag ist.

Offen für Besucher (alle Fotos: Günter Bächle)

Die Sakristei

So entwickelte sich aus der Pietà als Denk(mal)anstoß ein lockerer Kirchenrundgang, bei dem es Neues zu entdecken gab. Sakristei, Chor, Langhaus, Empore, Wandmalereien. Natürlich durfte der kleine Junge auf die Kanzel, von seinen Eltern fest im Blick. Manche Frage mussten auch unbeantwortet bleiben, so jene nach dem Alter des farbigen Fensters nach Süden (bis zum nächsten Mal lässt sich das recherchieren).

Aber es fielen auch die Spuren auf, die die Tauben hinterlassen – trotz Reinigung. Wann setzt die Verwaltung den Auftrag des Gemeinderates um und löst das Problem? Zudem lösten sich wieder Ziegel – aber Mühlacker ist weit, meine nächste Anfrage sicher.

Da war doch noch etwas. Als im Beirat der Regionalgruppe Stromberg/Enztal des Schwäbischen Heimatbundes, der in der gemütlichen Stube von Luise Lüttmann in Schützingen tagte, das Jahresprogramm für 2023 gezimmert wurde, stand rasch fest: Der wegen Corona verschobene Vortrag von Dr. Andreas Butz, Archivar beim landeskirchlichen Archiv Stuttgart, wird nachgeholt, gemeinsam mit der Stadt Mühlacker. Und so heißt es am 14. Juli 2023 um 19 Uhr: Wallfahrt und Marienverehrung in der Liebfrauenkirche Lienzingen. Natürlich in der Frauenkirche. Noch eine Gelegenheit, die Pietà zu bewundern.

 

Rückblende (am 24. April 2022 gebloggt:

Vergessen, unterschätzt, nicht beachtet, nicht einmal einen Hinweis erschien sie wert zu sein: die etwa einen Meter und sechzig Zentimeter hohe Skulptur aus der Frauenkirche in Lienzingen. Als aus dem Gotteshaus inmitten des Lienzinger Friedhofs 1977 das Altarkruzifix gestohlen wurde - das dem in der Maulbronner Klosterkirche ähnlich sah - und bis heute verschollen ist, ließ die Stadtverwaltung dieses Holz-Kunstwerk sicherheitshalber ins Heimatmuseum nach Mühlacker transportieren.

Vorher stand sie in der Sakristei, in der bis zum Bau der Leichenhalle die Särge mit den Toten vor der Beerdigung aufgebahrt wurden. Das war also nicht gerade der Umschlagplatz für Besucher der ehemaligen Wallfahrtskirche des Klosters Maulbronn. Und so fristete die Pietà im wahrsten Sinne des Wortes ein Schattendasein. Nicht viel anders erging es ihr im Museum in der historischen Kelter in Mühlacker: In einer Vitrine im Obergeschoss, ohne Beschriftung. 

Doch dann entdeckten Mitglieder des Historisch-Archäologischen Vereines um Wolfgang Rieger und Hans Peter Walther den unterschätzten Schatz. Seitdem steht er im Mittelpunkt kunsthistorischer, fast schon kriminalistischer Spurensuche. Ist die Pietà aus der Frauenkirche, eine Skulptur mit Maria, die ihren am Kreuz gestorbenen Sohn Jesus in den Armen hält, wenn auch kopflos bald als Leihgabe im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe und im CentrePompidou in Paris zu bestaunen? 

Jedenfalls beeindruckt ein Hinweis des HAV besonders: Die Pietà stehe seit der Einweihung der Liebfrauenkirche ums Jahr 1486 in eben dieser.  Wer schlug dem jetzigen Torso einst den Kopf ab? Bilderstürmer in der Reformation? Österreichische Truppen, die 1796 in dem Gotteshaus ihr Quartier aufschlugen und das Gestühl verbrannten?

 

 

 

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