Lienzinger Schul-Halle-Kombi: Wünsche in glücklicher Weise erfüllt, aber nie umgesetzt

Wir müssen gestehen, wir haben tatsächlich das zweitschlechteste Schulgebäude im Kreis, schrieb am 14. Mai 1937 Lienzingens Bürgermeister Karl Brodbeck in einem Brief, adressiert - via Landrat in Maulbronn – an die Ministerial-Abteilung für Volksschulen in Stuttgart. Im Betreff: Gesuch um Verwilligung eines Staatsbeitrags, als Anlage drei Lage- und Baupläne sowie zwei Kostenvoranschläge. Er wirkte mit seinen Schilderungen so überzeugend, dass die Ministerialbeamten das später noch steigerten: Das schlechteste Schulgebäude im Kreis sei es, hieß es in einem Schreiben im Jahr 1938 zur Finanzierung eines Neubaues. Trotzdem: Erst 1960 gab es Ersatz.

Die Planung des Stuttgarter Architekten Fritz Müller 1937 für Lienzingen mit seinen 750 Einwohnern: Ein lang gestreckter Kombi-Bau aus Schule und Turnhalle, ein Lehrerwohnhaus (links) und das HJ-Heim (rechts). Der ganze Plansatz liegt im Stadtarchiv Mühlacker.
Gleiches Areal, unterschiedliche Nutzung: In den Nachkriegsjahren entstand auf der jetzigen Fläche mit Gewächshäusern ein florierender Gartenbaubetrieb (Robert, dann Günter und nun Jenny Mannhardt): Doch 1937/38 wollte die 750-Einwohner-Gemeinde Lienzingen dort ein Schul- und Sportzentrum schaffen - doch außer Spesen nichts gewesen.

Gut drei Wochen nach dem Gesuch reichte der Schultes den Finanzierungsplan nach für eine neue Schule, eine Turnhalle und eine Lehrer-Wohnung sowie ein Heim für die Hitlerjugend. Die gesamten Kosten von 100.098 Reichsmark sollten finanziert werden aus einem Zuschuss des Landes Württemberg mit 60.000 RM, verfügbarem Restvermögen von 15.000 RM sowie 25.000 RM Erlös aus einem außerordentlichen Holzhieb von 1000 Festmetern.

Einen Standort für das neue Schul- und Sportzentrum hatte Brodbeck schon ausgeguckt, ein Grundstück am südwestlichen Rand des Dorfes: Dort, wo heute die Gärtnerei Mannhardt steht und einst das 1889 abgebrannte Schafhaus stand. Bei den jetzigen Gewächshäusern am Weg war ein kleiner See zur Schafstränke. Das 43 Ar große Grundstück grenzte westlich an den Vizinalweg Nummer 4 (heute Schelmenwaldstraße), östlich an den Feldweg Nummer 2. Das Schulgebäude sah der Architekt in Nord-Süd-Richtung vor,  ganz im hinteren Teil des Areals und somit das Ortsbild nicht störend, allerdings hätte eine Zufahrt geschaffen werden müssen.

Dach an Dach: Schule links, Turnhalle rechts - der Lienzinger Kombi-Bau (Vorderseite)

Die ersten Pläne lagen im Frühjahr 1937 vor, entwickelt vom Stuttgarter Architekten Diplom-Ingenieur Fritz Müller. Es wäre das dritte Schulhaus in der mehr als 440-Jahr-Schulgeschichte des Ortes geworden – nach den beiden in der heutigen Kirchenburggasse. Doch es wurde nie gebaut.

Lienzinger Geschichte(n), jetzt mit einem weiteren Beitrag in meiner Blog-Serie zu den drei Schulhäusern unseres Dorfes. Mehr als 440 Jahre hiesige Bildungseinrichtungen. Quellen: Diesmal vor allem  Akten im Staatsarchiv Ludwigsburg, fast 200 Dokumente aus der Zeit von 1834 bis 1961. Doch die Pläne, um die es heute geht, wurden nie realisiert. Geldmangel und Krieg kamen dazwischen

Zunächst war es wichtig für den Bürgermeister, als Bittsteller beim Land die Zustände in der 1837 gebauten Schule (heute Kirchenburggasse 15) möglichst krass zu schildern. Die beiden Klassenzimmer im Erdgeschoss würden in keiner Weise mehr genügen. Während der Wintermonate muss den ganzen Tag das Licht brennen, durch die kleinen Fenster kann von außen nicht genügend Licht herein, ist in dem Brief vom Mai nach Stuttgart zu lesen. Zu lüften sei nur durch Öffnen der Fenster, an denen die Schüler bis auf zirka 50 Zentimeter säßen, so dass sie sich häufig erkälten würden. Die Zimmer sind schmal, nieder, düster und unfreundlich. Bei jeder Schulprüfung werden diese ungenügenden Schulräume als Schmerzenskind der Gemeinde bezeichnet. Das Fazit von Brodbeck in seiner Eingabe ans Land: Aus diesem Grunde ist uns schon vor längerer Zeit der Gedanke eines Schulhaus-Neubaus wachgeworden.

Das 1837 errichtete (zweite) Schulhaus sollte ersetzt werden (heute Kirchenburggasse 15).

Nun, 20 Jahre später saß ich als Schüler in dem nördlichen Klassenzimmer. Als so drastisch schlimm empfand ich diesen Raum beileibe nicht. Aber für einen Siebenjährigen wirkt ein solcher  Schulsaal wahrscheinlich immer größer.

Die Ministerialabteilung für die Volksschulen reagierte am 19. Juli 1937 in einem Schreiben an das gemeinsame Oberamt in Schulsachen in Maulbronn. Das Staatliche Gesundheitsamt solle erklären, ob eine Gefährdung der Volksgesundheit vorliege. Der Kreisbaumeister solle sich zum Zustand des Gebäudes äußern. Nachdem der Staatsbeitrag laut den Richtlinien vom 22. Juni 1937 Nr. O 3340 unter den von der Gemeinde erhofften Sätzen liege, sei die Finanzierungsfrage bislang noch ganz ungeklärt. Bevor in der Baufrage weitere Schritte unternommen werden, solle sich das Oberamt mit der Gemeinde ins Benehmen setzen.

Ist das Projekt dringlich? Die meist gestellte Frage in dem Briefwechsel zwischen Lienzingen, Maulbronn, Mühlacker und Stuttgart. Die Ministerialabteilung schrieb dem Bezirksschulrat in Mühlacker, bei den augenblicklichen Verhältnissen  müsse die Dringlichkeit des Bauwesens unbestreitbar nachgewiesen werden, sei es aus baupolizeilichen Gründen oder aus schwerwiegenden hygienischen Gründen. Der Mitarbeiter der Abteilung, Herrmann, stutzte auch hier den Finanzierungsplan der Kommune zurecht: Statt dem von ihr erhofften 60 Prozent Zuschuss für das Gesamtprojekt (auch für das HJ-Heim!), sei beim neuen Schulhaus mit 20 bis 25 Prozent, bei der Turnhalle mit 15 bis 20 Prozent der anrechenbaren Kosten zu rechnen. Brodbeck hatte Ausgaben von 82.856 RM für Schule, Turnhalle und Lehrerwohnungen angegeben, 11.242 RM für das HJ-Heim und 6000 RM für den Grunderwerb. Eine Rechnung, die nach Herrmanns Meinung nicht aufging. Entgegen der Erwartung der Gemeinde ließen sich nach Herrmanns Berechnung die Pläne ohne Kredite nicht finanzieren, es sei denn, sie könne weitere eigene Mittel verfügbar machen. Doch wie sich in den folgenden Jahren zeigte, hatte Lienzingen erhebliche Probleme, selbst den Einnahmeposten aus einem außerordentlichen Holzeinschlag zu realisieren.

Die rechte Nebenseite des geplanten Schul- und Sportzentrums: Fachwerk und Satteldach lösten bei Fachleuten grundsätzlich Zustimmung aus (alle Planzeichnungen von Fritz Müller aus dem Stadtarchiv Mühlacker)

Inzwischen lagen die Pläne zur Stellungnahme dem Württembergischen Landesamt für Denkmalpflege in Stuttgart vor. Der Gutachter, Professor Rudolf Lempp, und der zuständige Referent des Landesamtes, Rudolf Schmidt, waren sich einig: Tatsächlich wirkt das Fachwerk etwas dünn und gestelzt, was aber leicht behoben werden kann. Lempp hatte dazu Vorschläge gemacht. Die Stellung in der Landschaft könne er aber aufgrund nur der Pläne nicht beurteilen.

Dass Brodbeck, was die Finanzierung betraf, nacharbeiten musste, bescheinigte ihm in einem handschriftlich verfassten Brief vom 13. September 1937 noch der Maulbronner Landrat Hermann Röger, der Anfang Oktober ein Schreiben der Ministerabteilung (Aktenzeichen 0.4944) an Kreisbaumeister Aeckerle weiterleitete und um ein Gutachten in doppelter Fertigung ab. Er habe, so Herrmann, bei einem Gespräch mit den Vertretern der Gemeinde Lienzingen den Eindruck gewonnen, dass das gegenwärtige Schulhaus bei seinem schlechten baulichen Zustand besonderer Fürsorge bedürfe. Der Kreisbaumeister solle feststellen, ob und wie lange das Gebäude als Schulhaus und Lehrerwohnung ohne Gefahr für Leib und Leben der Schüler und Bewohner noch weiterbenützt werden könne.

Zumindest in einem Punkt gab Aeckerle Entwarnung: Gefahr für Leib und Leben der Schüler und Bewohner bestehe nicht, so seine schriftliche Bewertung vom 18. Oktober 1937. Das Gebäude habe er wiederholt einer Besichtigung unterzogen(…)  zwecks Prüfung des baulichen Zustandes. Um vom Hausbockkäfer verursachte Schäden zu erkennen, hatte Aeckerle den Zimmermeister Kälber aus Lienzingen hinzugezogen, der einzelne Bretter herausnahm. Ergebnis: Das tannene Holzwerk, insbesondere an den später aufgeführten Aufbauten sei stark befallen sowie der Bühnenboden an einzelnen Stellen derart zerstört, dass dieser beim Betreten durchbreche. Das Holzwerk der eigentlichen Dachkonstruktion bezeichnete er als etwas mangelhaft, zu besonderen Beanstandungen bestehe jedoch kein Anlass. Vereinzelte Ausbesserungen seien an Eichenholz und Mauerwerk über dem Untergeschoss notwendig, auf welchem der Schulsaalboden befestigt sei. Aeckerle ordnete eine sofortige Abspriessung an der gefährlichsten Stelle an, dem Zugang zur Waschküche, bis Ausbesserungsarbeiten erfolgt seien. Die am Äußeren des Mauerwerks vor Jahren zuvor festgestellten und ausgebesserten Setzrisse hätten sich seither nicht mehr gezeigt. Sein Fazit: Es wäre daher wünschenswert, wenn der Schulhausneubau in möglichster Bälde begonnen werden könnte.

Der Lageplan: Zwischen Feldweg entlang des Gärten zur heutigen Knittlinger Straße (rechts) und der jetzigen Schelmenwaldstraße (links) sollten die Müller-Pläne umgesetzt werden. Doch daraus wurde nichts. Nach dem Krieg siedelte sich dort die Gärtnerei Mannhardt an. Oben links das seinerzeitige staatliche Forstamt Lienzingen.

Inzwischen ging es weiter mit den Neubauplänen. Die Kreisbaumeisterstelle Maulbronn in Mühlacker (Aeckerle) forderte noch am 18. Oktober 1937 zur baupolizeilichen Genehmigung des Baugesuchs für das neue Schul- und Sportzentrum im Rathaus Lienzingen die Planunterlagen in dreifacher Fertigung an. Die Bewertung der Hallenpläne durch die Württembergische Landesturnanstalt in der Stuttgarter Holzgartenstraße 11 fiel positiv aus. Im Schreiben des stellvertretenden Vorstandes, Bauer, an die Ministerialabteilung für die Volksschulen hieß es, im Plan seien die wesentlichen Grundforderungen in glücklicher Weise erfüllt. Allerdings regte er an, die vorgesehene Baufläche neu zu gliedern, um im Mittelfeld des Gesamtgeländes die für Turn- und Sportplatz notwendige Fläche zu erhalten.

Als Landrat des Oberamts Maulbronn, dann Vaihingen war Hermann Röger auch für Lienzingen zuständig (Stadtarchiv Maulbronn)

Nicht minder zufrieden war auch der bautechnische Berater der Oberschulbehörden, Winker. Bei der architektonischen Ausbildung ist auf die in Lienzingen ortsübliche Bauweise (Unterstock aus Werkstein, Oberstock höchstens Fachwerk) zurückgegriffen worden. Ich halte dies für sehr glücklich. Er empfahl, die Außenwände des Fachwerks von Schule und Lehrerwohngebäude mit einer Isolierplatte (Fasergipsdielen oder ähnlichem) zu versehen, um Wärme zurückzuhalten. Seiner Stellungnahme lässt sich entnehmen, dass der Architekt die Baukosten inzwischen neu berechnet hatte:  75.789 RM und 73 Pfennige für Schulhaus, Turnhalle und Lehrerwohnung plus 7000 RM für Architekten- und Bauführungsaufgaben. Kein Wort mehr vom HJ-Heim.

Alles gut? Nein! Wenn nur das mit dem lieben Geld nicht gewesen wäre. Bürgermeister Brodbeck verriet, dass die Kommune in der Nähe von Schule, Turnhalle und HJ-Heim später noch ein Bad und einen Sportplatz errichten wolle. In das alte Schulhaus könnten dann der Kindergarten und Vereine untergebracht werden. Diesen Gedanken können wir nur nähertreten, wenn wir weitgehendste Unterstützung und Hilfe bekommen. Wohl habe Lienzingen 344 Hektar Wald, es sei aber meistens Laubwald, der zurzeit nur kleinere Erträge abwerfe. Die Einwohner seien Kleinbauern und Arbeiter, denen höhere Lasten nicht aufgebürdet werden könnten. Hauptursache der kommunalen Schulden sei die 1930 erfolgte Kleinpflasterung der Ortsstraßen mit einem noch vorhandenen Rest an Krediten von 27.000 RM: Zu der waren wir infolge des immer mehr zunehmenden Autoverkehrs gezwungen. Zwar habe das Deutsche Reich die Straßen gesetzlich übernommen, doch der Gemeinde seien die Schulden geblieben. Das sei für die hiesige, nur 725 Einwohner zählende Gemeinde auf Dauer nicht tragbar, sie müsse davon entlastet werden. Sein dringender Wunsch: Verwilligung eines möglichst hohen Staats-Beitrags für Schul- und Sportzentrum.

Was folgte, waren die Klärung von Detailfragen der Planung, so die Anordnung der Mädchen- und Knabenaborte. Dann traf im April 1938 der sehnlichst erwartete Bescheid aus Stuttgart ein. Den 4. April 1938 als Datum trägt das Schreiben von Württembergs Kultminister an das Gemeinschaftliche Oberamt in Schulsachen in Maulbronn, weiterzureichen an die Gemeinde. Für Schulhaus, Lehrerwohngebäude und Turnhalle bewilligte das Ministerium aus Plankapitel 50 A Titel 25 einen Zuschuss von 22.100 RM. Am 18. Juli 1938 hieß es aus der Ministerialabteilung, gegen die Pläne bestünden jetzt keine Bedenken mehr.

Bürgermeister Karl Brodbeck (Stadtarchiv Mühlacker)

Die Ministerialabteilung für das Volksschulwesen hatte sich von den Argumenten der Gemeinde überzeugen lassen. In einem Schreiben an die Forstdirektion Stuttgart vom 11. Februar 1938 ergänzte sie, die Belüftung leide auch darunter, dass das Gebäude von Ställen und Dungstätten umgeben sei. Zudem fehle ein Pausenhof, so dass die Kinder auf die Ortsstraßen  mit der dadurch bedingten Gefährdung angewiesen seien. Sie ersuche daher die Forstdirektion, soweit als  immer möglich der Gemeinde Lienzingen bei der Finanzierung des  Schulbaues durch Bewilligung der beantragten außerordentlichen Holzhiebe entgegenzukommen.

Trotzdem zeichneten sich schon Mitte Mai 1938 erste Probleme ab. Der Bürgermeister beklagte, die im Oktober von der Gemeinde beantragte außerordentliche Holznutzung sei erst am 31. Januar 1938 und dann auch nur mit 750 Festmeter genehmigt worden.  Aber die Kommune blieb selbst auf dem Holz sitzen, weil es zu spät kontrolliert wurde und ihr deshalb das Register zum Verkauf fehlte. Sie hatte noch keine Übersicht über die Höhe des Holzgeldes.

Nun begann das Spiel mit den Rückfragen aus Stuttgart an das Rathaus via Oberamt Maulbonn, dann Landratsamt Vaihingen/Enz oder: Das Ersuchen über den Stand des Schulhaus- und Turnhallenbaufrage in Lienzingen zu berichten – so am 2. Dezember 1938, 6. Juli 1939, 17. August 1939, 1. April 1940, 6. Januar 1941, 5. Oktober 1942, am 15. Oktober 1943. Für die Zeit danach und damit Mitten im Zweiten Weltkrieg finden sich keine Anfragen mehr in den Akten der  Schulbaugeschichte Lienzingen von 1834 bis 1961 (Landesarchiv Baden-Württemberg, StAL FL 20-18_Bü 503).

Unterstock aus Werkstein, darüber Fachwerk

Letztlich scheiterte die Finanzierung am Ausbleiben der ganzen erhofften Erlöse aus einem außerordentlichen Holzeinschlag. In der Waldrücklage waren 1939 nach Gemeinde-Angaben 10.208 RM verzinslich angelegt. Welche Summe hier 1940 anfalle, könne er nicht sagen, so der Bürgermeister am 13. April 1940 an das Oberamt. Ein großer Teil sei Sturmholz, das noch aufbereitet werden müsse. Aber es fehle an Holzhauern, denn das seien meistens örtliche Landwirte, die nun in ihrem eigenen Betrieb zu tun hätten. Im November 1939 hatte er beklagt, für den außerordentlichen Einschlag habe die Forstverwaltung zur Nutzung ganz schlechte Abteilungen zugewiesen, und es ist in der Hauptsache Nadelholz, das kein Geld bringt. (…) Solange wir von den Starkeichen nicht schlagen dürfen, ist an eine Finanzierung nicht zu denken.

Das Württembergische Forstamt in Lienzingen widersprach Ende Juli 1939 schriftlich. Es handle sich hier nicht um schlechte Abteilungen, sondern durchweg um schönes Nadel- und Laubstammholz in bester Abfuhrlage, dessen Preis den zulässigen Höchstpreisen nahekomme. Auch das Nadelstammholz habe sehr gute Erlöse gegeben. Brodbeck sei in puncto Eichen von seinem  Waldschützen falsch informiert worden. Dieser müsse dem Bürgermeister zu Gefallen reden, um seine Entlassung wegen liederlichen Lebenswandels zu entgehen.

Jedenfalls, so Brodbeck, hatte sich die Waldrücklage bis 1. Januar 1941 erhöht. Nun waren 19.191 RM verzinslich angelegt.  Hinzu komme noch eine Sonderrücklage, auch für den Schulhausbau, von 1267 RM. Die beiden Rücklagen wuchsen 1941 um 6104 RM und 1942 um 2160 RM, Stand somit 27.916 RM und Sonderrücklage 1422 RM (Schreiben des Bürgermeisters vom 10. Oktober 1942 an den Landrat in Vaihingen). 1943 kamen noch 4000 RM hinzu.

Schul-Halle-Kombi - Erdgeschoss

Obergeschoss

Eher eine Randnotiz blieb bei dem Hin und Her zwischen Behörden und Kommune, entsprechend des Aktenbündels über die Lienzinger Schulbaugeschichte im Staatsarchiv Ludwigsburg (FL 20-18_Bü 503) zu urteilen, das auf dem Areal, wenn auch räumlich leicht abgesetzt, vorgesehene Heim der Hitlerjugend (HJ). Allerdings findet sich unter der Signatur SPL 502/33 Bü 51 im Staatsarchiv Ludwigsburg eine Mappe zum Thema Vereinsheime für SA und HJ im Raum Mühlacker. So der Brief vom Hitlerjugend Unterbann IV/121 mit Datum 14. Im Lenzing 1934 an die  Gebietsführung Abt. Heime, unterschrieben vom Führer des Unterbanns IV/121, dem Hauptlehrer Erwin Kaiser aus Lienzingen. Einzige Möglichkeit für ein HJ-Heim sei der Ausbau einer Stube in der Lienzinger Kelter. Sie sei geeignet für Kameradschaftsabende, größere Veranstaltungen könnten im Rathaussaal stattfinden. Das Thema tauchte dann doch 1937 im Zusammenhang mit der Planung des Schul- und  Sportzentrums wieder auf. Architekt Fritz Müller sah vor: 80 Quadratmeter Fläche für knapp 11.300 Reichsmark. Bürgermeister und Räte legten im Juni 1938 die Pläne zu den Akten, denn geringere Holzerträge verhinderten die Finanzierung. Der Krieg tat ein Übriges - das Vorhaben ist nie realisiert worden (Ortsbuch Lienzingen, 2016, Verlag Regionalkultur, S. 180 f).

Ein Schicksal, das letztlich die gesamten Pläne von Bürgermeister Brodbeck für das Schul- und Sportzentrum ereilte. Eine Schule und Halle, die nie gebaut wurden. 

War es nur ein lokaler Plan oder ein Plan, der von oben kam? Zweckbau oder NS-Prestigeprojekt? Wollten die Nazis in Lienzingen mit dieser Schule ein NS-Musterprojekt realisieren?  Dies lässt sich nicht belegen - zumindest nicht mit dem Inhalt staatlicher Schulbauakten (1834 bis 1962) für Lienzingen, die im Landesarchiv Baden-Württemberg aufbewahrt werden (StAL FL 20-18_Bü 503). Doch diesen Verdacht aufkommen lässt eine andere Quelle aus Material, das am selben Ort lagert, nämlich dem zum Landesarchiv gehörenden Staatsarchiv Ludwigsburg. In den dort aufbewahrten Akten der zur Entnazifizierung nach 1945 eingesetzten Spruchkammer Vaihingen/Enz (EL 902/23 Bü 6651) finden sich Unterlagen über den 1933 von den Nazis wieder eingesetzten Lienzinger Gemeinderat Josef Ruess, Landwirt an der Alten Steige (heute Schützinger Straße), genauer: dessen Brief vom 22. November 1946 an die Spruchkammer (Adresse: Uhlandbau Mühlacker). Darin verteidigte er sich gegen den Vorwurf des öffentlichen Anklägers der Kammer, ein überzeugtes Mitglied der NSDAP gewesen zu sein. Nach seiner Lesart trat er 1933 nur deshalb der Hakenkreuz-Partei bei, um nach der Gleichschaltung auch der kommunalen Gremien durch die Nazis nach 14 Jahren noch Ratsmitglied bleiben zu können, was ihm – bis 1945 - auch gelang.

NS-Musteranlage für den Kreis

Hier die Ruess-Version dieser Geschichte: Wenige Jahre nach der Machtergreifung sollte in der Gemeinde Lienzingen ein fantastisches Bauprojekt von größtem Ausmaß entstehen, bestehend aus Nationalsozialistischer Volksschule mit Lehrerwohnung, einer Turn- und Festhalle größten Ausmaßes, Schwimm-, Bade- und Sportplatz, was mit Kosten von 120.000 Reichsmark veranschlagt worden sei. Es war laut Ruess als Musteranlage des Kreises gedacht und sollte sozusagen die neue nationalsozialistische Welt versinnbildlichen, schrieb der Landwirt an die Kammer. Die Finanzierung sei mit größter Eile betrieben worden durch außerordentliche Holzhiebe in den Gemeindewäldern und durch Rücklagen verschiedener Bezeichnungen. In einer dazu einberufenen Gemeinderatssitzung, bei der auch einige Bauherren aus Stuttgart anwesend waren, sollte die endgültige Ausführung des Planes perfekt gemacht werden. Die Einwohnerschaft stand demnach zum größten Teil diesem Vorhaben ablehnend gegenüber. Als einziger Gemeinderat habe er den Mut gehabt, die gescheiterte Planung kritisch zu hinterfragen. Als zentrales Beispiel dafür, dass er kein in der Wolle gefärbter Nazi war, verwies er auf seinen Widerstand gegen dies seiner Meinung nach unsinnige NS-Vorhaben.

Freilich, die Probleme mit der Finanzierung waren real. Auch auf den Plänen des Architekten gibt es keine Hinweise auf ein NS-Musterprojekt, so dass die Ruess-Version zumindest mit Vorsicht zu genießen ist. Zumindest gehört sie erwähnt.

Karl Brodbeck verlor mit Kriegsende sein Amt. Doch die Landesverwaltung ließ nicht locker, egal, wie die politischen Verhältnisse gerade waren: Ich ersuche um Bericht, ob der seit Jahren geplante Neubau eines Schulhauses in absehbarer Zeit durchgeführt werden kann, geschrieben am 1. März 1947. Bürgermeister Jakob Straub antwortete zwei Wochen später mit einem Sechszeiler. Es bestehe in absehbarer Zeit  keine Hoffnung.

Doch Ende 1947 hatte Lienzingen mit Richard Allmendinger einen neuen Schultes. Der griff das alte Thema rasch auf. Aber das ist ein anderes Kapitel, das dann letzte in der Schulbaugeschichte von Lienzingen. Womit sicher ist: Fortsetzung folgt.

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