Daube Zwetschga und bachelige Rät – Protokollstreit im Vaihinger Stadtparlament

Albrecht Müller, beileibe keiner der Vielredner, die auch in den Reihen der drei Fraktionen im gedämpft wirkenden Vaihinger Ratssaal - ebenso wie andernorts – zu Hause sind, konnte sich da nicht mehr zurückhalten. Der sonst schweigsame Auricher FFW-Mann spürte den Ernst der Stunde, kramte in seinem wohl breiten, bislang unbekannten Fundus knitzer schwäbischer Sprüche, fragte dann leicht spitzbübisch in die Runde: Ihr kennt alle den Onderschied zwischa ’m Zwetschgaboom on’ am Gmoiderat – beim Zwetschgaboom senn dia Daube onna uff’m Boda.

Doch seine Kollegen im erlauchten Rat der Großen Kreisstadt Vaihingen fanden solch’ Worte, die gar schnell die Pointe erraten ließen, offenbar gar nicht spaßig, geschweige denn hilfreich. Jedenfalls verzogen sie nicht einen Millimeter ihre Mienen. Dabei gedachte Müller, durch den nicht alltäglichen Vergleich die Ehre des Gemeinderates, speziell aber die des Ortschaftsrates im Stadtteil Gündelbach zu retten. Denn, so sein Gedankengang, die Verwaltung solle doch bittschön nicht glauben, im Stadtparlament säßen nur taube Früchte. Man sei immerhin wer, nämlich die gewählten Abgesandten der Bürgerschaft: On dia senn net bachelich, dia mist ihr ernschter nehma.

Wer glaubt, im historischen Vaihinger Rathaus habe es sich in so ernsten Stunden um Jahrhundertbeschlüsse, vielleicht gar um Unumstößliches gedreht, sieht sich freilich trotz gewichtiger Worte enttäuscht. Der Gegenstand, der ons saumäßig gschtonka hoat (Ortsvorsteher Klein), ließ sich mit zwei Fingern fassen; nämlich zwei eng beschriebene weiße Schreibmaschinenblätter. Der Inhalt: Protokoll einer Waldbegehung just in jenem beschaulichen Strombergort Gündelbach.

Zu eben diesem samstäglichen Rundgang drängten die Ortschaftsräte, derweilen sie gar Fürchterliches argwöhnten. Nach dem letzten Holzverkauf habe es so ausgesehen, daß die Gündelbacher nicht genügend Brennholz erhalten, erinnerte sich Stadtrat Jakob Menauer (CDU). Zudem brachte die Ortschaftsräte das Forstamt auf die Tannen- und sonstigen Bäume, weil dessen Mannen angeblich beim Durchforsten des Waldbestandes zu häufig zu Axt und Säge gegriffen haben. FFW-Ratsmitglied Schillinger artikulierte den Kummer der Gündelbacher: Mir henn Angscht, daß es bald gar koin Holzverkauf mehr gibt.

Holzverkauf immer einen Streit wert. (Foto: Günter Bächle)

Um nun Positionen zu klären, fand selbiger Rundgang statt. Uber diesen wiederum fertigte Amtmann Bahmer von der Stadtpflege, selbst Gündelbacher, fein säuberlich eine Niederschrift an. Und plötzlich drehte sich der Streit nicht mehr um die angebliche Gefahr, eines Tages in der kalten Stube sitzen oder gar auf teures Öl umsteigen zu müssen, sondern um einige Passagen in dem Bahmerschen-Schriftstück. Darüber ließ es sich dann trefflich parlieren. Menauer zweifelte an des Autors Demokratieverständnis, Ortsvorsteher Klein (SPD) regte sich über gewisse Spitzen gegen d’Ortschaftsrat auf und Ratsherr Schillinger beschied in einer vorher wohlformulierten Rede vor dem Plenum: Das ischt einseitig.

So ganz unrecht hatten die erzürnten Ortschaftsrepräsentanten freilich nicht. Bahmer (was d’Ortschaftsrät zehn Meter henter miar sprecha, kann i net ens Protokoll aufnehma) bescheinigte den Ortschafts- und Stadträten wohl nicht gerade hohen Sachverstand, denn den Leiter des zuständigen Forstamtes stufte er per Protokoll als wirklichen Fachmann ein, der letzten Endes fast alle überzeugt und - als Seitenhieb – der früheren Gemeinde Gündelbach wegen mangelnder Durchforstung und allzu sparsamem Ausbau von Waldwegen gar Unterlassungssünden bescheinigt habe.

Die Gündelbacher vermißten nicht nur eine Wiedergabe ihrer Äußerungen, vollends in Harnisch brachte der Vermerk, außer von verschiedenen Ortschaftsräten seien weder bei ihm noch bei der Revierförsterstelle Klagen eingegangen. Menauer, ob des Verdachtes, seine Kollegen und er im Ortschaftsrat hätten sich alles aus den Fingern gezogen, wetterte zurück: Die Leut’ komma doch zu ons, net emmer gleich zu Euch. Womit wiederum bestätigt war, wie nützlich und bürgernah die Ortschaftsräte ihres schweren Amtes walten – auch wenn sie zwar viel palavern, aber wenig beschließen dürfen. 

PS.

Die Geschichte trug sich so zu. Einige der Protagonisten leben nicht mehr. Aber das Thema ist weiter aktuell. Und daran dürfte sich auch künftig nichts ändern. Beim Ordnen meiner Bestände fiel mir mein, vor fast 43 Jahren geschriebener Artikel in die Hände. Zu schade, um ihn wegzustecken oder zu entsorgen. Denn ganz aktuell geht wieder die Angst um, beim Holzverkauf mit leeren Händen dazustehen. Der Originaltext, unverändert nach den seinerzeitigen Regeln der Rechtschreibung. Dr Text wurde nicht angepasst. Erschienen: Ludwigsburger Kreiszeitung, Ausgabe vom 12. April 1980)

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