"Die gerügten Übelstände seit Jahren tief empfunden und im Stillen beklagt"

Die Bauakte über die Volksschule Lienzingen: Fast 200 Dokumente aus der Zeit von 1834 bis 1960 - beginnend mit dem Bau des zweiten Lienzinger Schulhauses 1837, endend mit der Einweihung der neuen Schule im Oktober 1960, somit der dritten in 460 Jahren Lienzinger Schulgeschichte. Ein Konvolut von alten Bauplänen, Kostenberechnungen, Briefwechseln zwischen den kirchlichen und weltlichen Ämtern, Protokollen und Anweisungen, die auch viel Bürokratie verraten und das Bild ungewöhnlicher Hierarchien in der örtlichen Bildungspolitik. Die Zeit, als der Pfarrer noch der Chef des Schulleiters war.

 

Blatt 101: [unteres Drittel: Kommentar des Oberamtbaumeister Pfäfflin vom 5.8.1889 an das Königliche Oberamt Maulbronn] „Kgl. Oberamt Maulbronn Beehre ich mich in Folgenden zu äußern: Aus der Zeichenbeilage ist ersichtlich, wie sich die Stellung der Subsellien in zweckentsprechender Weise in beiden Schulklassen bewerkstelligen läßt. Veränderungen sind nur in Jahren nöthig, als, wie bereits in meiner Aeußerung vom 12. Juni betont, der Ofen gedreht, & dabei am besten von innen geheizt wird; ferner, daß ja drei viersitzige Subsellien in der Mitte versägt, & daraus 6 zweisitzige Subsellien gemacht werden. Die Abschrägung der Geläufe [?]27 bringt entschieden mehr Licht in die Schulzimmer, wodurch die Einrichtung weiterer Fenster westlich & östlich von selbst in Wegfall kommt. Daß sich weitere Fenster anbringen lassen, will ich nicht bestreiten, man kann ja alles machen; aber der Aufwand hiefür steht in dem vorliegenden Fall nicht im Verhältniß zu dem dadurch Erreichten. Die von dem Herrn Amtsarzt eingeschriebenen Gangbreiten wäre nicht ausführbar, dieselben geben zusammen 1.8‘‘, & nicht 1.18‘‘, was eine Differenz von 62‘‘ ist. Hochachtungsvoll Maulbronn, 5. Aug. 1889 Ober[bau]meister Pfäfflin
Sie lässt auch erahnen, wie es seinerzeit knarrte und knarzte im Behördengetriebe, wobei der Oberkirchenrat häufig das letzte Wort hatte. Ein Beispiel für Bildung auf dem Dorf in Württemberg. Die Kladde ward einst beim Oberamt Maulbronn geführt worden, nach 1938 beim Landratsamt Vaihingen/Enz. Sie wanderte schließlich in die Regale des Staatsarchivs Ludwigsburg, ist dort registriert unter der Signatur FL 20/18 I Bü 503. Ach ja, die schon fertigen Pläne für ein Schulzentrum, das am gedachten Standort in der Wette nie gebaut wurde, fanden immerhin im Stadtarchiv Mühlacker ihren festen Platz.
1957: Stolzer Erstklässler, der ich war, auf der alten Schulbank in der Volksschule Lienzingen, erster Stock, links.

Württemberg erlebte schon vor 1870 einen Umbruch in seinem Bildungswesen, der natürlich auch Lienzingen erfasste. Das Land kümmerte sich mit immer neuen Verordnungen selbst um die Möblierung der Klassenräume, aber auch um die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler, schreibt Friedrich Wißmann im Jahr 1970 erschienenen Ortsbuch Lienzingen (Walter-Verlag, Ludwigsburg, S. 262). Die Organisation der Dorfschule und die Aufsicht über sie unterstand der Landeskirche auch noch im 18. Jahrhundert. Ohne Erlaubnis des Konsistoriums – heute Oberkirchenrat - durfte keine neue Schule gegründet und kein Lehrer angestellt werden. Der Pfarrer saß dem Ortsschulrat vor. Schulversäumnissen wurden im Kirchenkonvent behandelt und geahndet – das System kannte keine Ausnahmen, wie eine Schilderung aus Enzweihingen im benachbarten Oberamt Vaihingen an der Enz zeigt (Gudrun Aker: Enzweihingen – Das Buch zur Ortsgeschichte. 2002. Stadt Vaihingen, S. 84 f).

Um bei diesem Exkurs ins nationale Bildungswesen zu bleiben, Lienzingen somit in den größeren Rahmen zu stellen: Ein Merkmal für die Entwicklung der Volksschule war immer ihre Volks- und Lebensnähe. Auch der Reif der Reaktion, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Verordnungswege diese Entwicklung hemmte, konnte sie auf die Dauer nicht verhindern. Nach der Reichsverfassung vom 16. April 1871 gehörte die Pflege des Unterrichts und Erziehungswesens nicht zu den Aufgaben des Reiches, sie wurde den Ländern überlassen. Und die hatten unterschiedliche Regelungen (Franz Köbele in: Baden-Württemberg - Staat, Wirtschaft, Kultur. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart. 1963. S. 311 f). Württemberg ersetzte mit dem Volksschulgesetz von 1909 das von 1836, die geistliche Schulaufsicht oblag nun hauptamtlicher und fachmännischer staatlicher Bezirksschulämter. Die Örtliche Aufsicht führte der Ortsschulrat, dessen Vorsitz in Gemeinden bis zu sechs Schulklassen jedoch weiterhin der Pfarrer hatte. Der Klassenteiler lag nun bei 60 anstatt 90 Kindern. In Württemberg bestand noch nicht, im Gegensatz zu fast allen anderen deutschen Staaten, eine achtjährige, sondern eine siebenjährige Schulpflicht, die die Gemeinden auf acht Jahre ausdehnen konnten. 1915 besuchten annähernd 92 Prozent der Kinder im schulpflichtigen Alter die Volksschulen (Karl und Arnold Weller, Württembergische Geschichte im Südwestdeutschen Raum. Konrad Theiss Verlag. 1975. S. 277 f).

Das zweite Schulhaus (heute Kirchenburggasse 15, Wohngebäude)

Mit einer ersten Neuerung begann ein heftiges Tauziehen um die richtige Lösung. 1868 verfügte der Staat die Einrichtung der Subsellien, also Schulbänke mit klappbaren Pultdeckeln. An solche erinnere ich mich gut. Wir hatten sie noch bis zum Umzug ins heutige Schulgebäude 1960, also in meinen ersten drei Jahren in der Lienzinger Volksschule. Stabil und unverrückbar.

Doch von Mai 1889 bis April 1890 bestimmte der Disput um die richtige Aufstellung der Sitzbänke das Geschehen, der in einer allgemeinen Debatte über die Möblierung der Schulsäle in Lienzingen gipfelte – bis hin zur Farbe der Vorhänge. Posse, Problem, Peinlichkeiten oder von allem ein bisschen? Wahrscheinlich letzteres. Jedenfalls schwangen heftig persönliche Eitelkeiten mit.

Respektspersonen, teilweise gleichzeitig Amtschefs, und Behördenvertreter allgemein als Mitspieler mit tragenden Rollen: vom Königlichen Oberamt Maulbronn, dem Bezirksarzt, Schulinspektor, der Schule, dem Ortsschulrat sowie dem verehrten Schultheißenamt Lienzingen. Vor allem im Oktober und November 1889 drohte der Streit zu eskalieren. Der Ton zwischen Schulamt, Oberamt, Schultheißenamt, Ortsschulinspectorat und Oberamtsarzt Dr. Sauter verschärfte sich. Der Schriftwechsel bestand zum Teil nur aus Randnotizen, mit baulichen Details, Abmessungen, Stellmöglichkeiten der Bänke, der Bank des Lehrers, der Anordnung der Öfen, der Farbe der Vorhänge und Lichteinfall. So ging es hin und her zwischen Lienzingen, Maulbronn und Knittlingen.

Stehen die Bänke richtig, haben Schüler und Lehrer genügend Tageslicht? Durchaus wichtige Fragen lösten den Behörden-Krach aus. Das Königliche Oberamt Maulbronn überließ am 19. Mai 1889 dem Schultheißenamt Lienzingen zur Kenntnis die vom Oberamtsphysikus hinaus gegebenen Akten & Äußerung, zu welcher Zeit die Einsicht der räumlichen Verhältnisse in den Schulen seitens des Oberamtsarztes vorgenommen werden könnte. Am 15. Juni ließ Oberamtsarzt Dr. Sauter wissen, er habe sich überzeugt, dass eine Änderung der Bankstellung möglich sei und Rücksprache genommen bei Schullehrer Schlegel (1884 bis 1905 Lehrer in Lienzingen). Offenbar schwelte der Konflikt schon einige Zeit.


Lienzinger Geschichte(n) - die Serie im Blog. Ein weiteres Kapital zur Volksschule, die heute Grundschule ist. Quelle vor allem die Bauakten im Staatsarchiv Ludwigsburg: FL 20/18 I Bü 503

Das lässt sich schließen aus einem am 28. Juni 1889 verfassten Brief des Königlichen  Oberschulinspektors Reinhardt ans Hochlöbl[iche] Schultheißenamt hier. Er beehrte sich mitzuteilen, daß ich die gerügten Übelstände, betreffend die Stellung der Schulbänke gegen die äußere Langwand der Schulzimmer, von wo das meiste Licht einfällt, seit Jahren tief empfunden und im Stillen beklagt habe, aber eine gründliche Abhilfe schien mir unmöglich, so lange die Öfen in den beiden Schulzimmern an derselben Stelle wie bisher stehen bleiben.  Gegen den Versuch durch Änderung der Bankstellung eine wenigstens teilweise Abhilfe zu ermöglichen, wenn derselbe durchführbar ist, hat weder einer der Lehrer noch der Unterzeichnete etwas einzuwenden.

Die Rückseite der alten Schule, heute Kirchenburggasse 15. (Foto: Günter Bächle, Nov. 2022)

Oberamtsbaumeister Pfäfflin aus Maulbronn blieb es vorbehalten, am 12. Juni 1889 in einem Schreiben an das Schultheißenamt Lienzingen das Problem grundsätzlich zu beleuchten. Seine Sicht der Dinge:

Dem erhaltenen Auftrage zufolge habe ich die Stellung der Möbel in den dortigen 2 Schulsälen im Hinblick auf die gesetzlichen Vorschriften einer genauen Besichtigung unterworfen, und bin nun in der Lage, hierüber Folgendes zu berichten:

Zur Zeit stehen die Subsellien gegen die äußere Langwand des Schulzimmers, was deshalb verwerflich ist, weil die Fenster in derselben das meiste Licht bieten, jedoch wegen dem schädlichen Einwirken auf die Augen der Kinder meistens bedeckt bleiben müssen. Wenn nun genügendes Licht von den Schmalseiten der Schulzimmer einfallen würde, so ließen sich die Subsellien umdrehen, d[as] h[eißt] gegen die Gangwand stellen, was jedoch nicht der Fall ist, da die 4 Fenster auf der hinteren Umfassungswand des Hauses nur indirektes und daher spärliches Licht einlassen. Der Katheder (Platz des Lehrers) hätte auch bei dieser Anordnung einen schlechten Standort, entweder stände er hinter dem Kamin & Ofen in der düsteren Ecke, oder neben der Thüre, wo derselbe bei jedem Oeffnen der Türe verdeckt würde.  Die Stellung der Subsellien gegen die Langseiten, Fenster = oder Gangwand, ist also verwerflich.

Richtig wäre nach Meinung von Pfäfflin, das Licht von der linken langen Wandseite und von hinten auf die Bänke fallen zu lassen, wobei nur die zwei Fenster vor den Sitzmöbeln, also in der Kathederwand, zu bedecken seien. Die Mehrzahl der Bänke stünden den Fenstern am nächsten, eine Veränderung der ersteren hätte – so der Oberamtsbaumeister weiter - nur darin zu bestehen, aus 2 viersitzigen Bänken 4 zweisitzige zu machen, was keinen besonderen Aufwand verursachen würde. Dabei rate er dazu, da sich weitere Fenster in die schlechten Umfassungsmauern nicht gut anbringen lassen, die Geläufe bedeutend schräger zustellen, was den Schatten hinter den Pfeilern, die zum Aufhängen von Karten nötig seien, bedeutend reduziere (Blatt 105).

Fachmann Pfäfflin hatte noch weitere Varianten parat. Hier im Originaltext (Blatt 104 bis 106):

Eine weitere Verbesserung bestände darin, die Thüren gegen die Fensterwand aufschlagen zu lassen, so daß die Kinder direkt auf die Gänge zwischen den Subsellien zulaufen können, ohne vorher stets einen Umweg zu machen, und endlich, daß der Ofen, der zu weit in das Innere des Zimmers ragte, gedreht wird. Diese Stellung der Subsellien, wie solche in einem Schulzimmer sofort vorgenommen wurde, zeigte sich als zweckentsprechend, und dürfte deshalb auch dauernd beibehalten werden. Nur der Lehrer wird dadurch mehr in Anspruch genommen, da derselbe wegen der größeren Entfernung der hintersten Subsellien vom Katheder lauter sprechen muss, was bei den bescheidenen Dimensionen der dortigen Schulzimmer nicht in Betracht kommen kann.

Blatt 106: Königl[iches] Ortschulinspectorat hier Beehre ich mich entsprechendes Gutachten unter Anschluß des Ruggerichtsrecessbuches 29 ergebenst zu übersenden mit der Bitte umgefl. 30 Mitteilung , was nach Ansicht …..[?] …..[?] Stelle nun zur Erledigung der Recesse 31 § 19, 21 & 24 zu geschehen hat. - Hochachtungsvoll - Lienzingen 14. Juni 1889, Gemeinderath Vorstand Link Hochlöbl[iches] Schultheißenamt hier: Beehre ich mich mitzuteilen, daß ich die gerügten Übelstände, betreffend die Stellung der Schulbänke gegen die äußere Langwand der Schulzimmer, von wo das meiste Licht einfällt, seit Jahren tief empfunden und im Stillen beklagt habe, aber eine gründliche Abhilfe schien mir unmöglich, so lange die Öfen in den beiden Schulzimmern an derselben Selle wie bisher stehen bleiben. Gegen den Versuch durch Änderung der Bankstellung eine wenigstens teilweise Abhilfe zu ermöglichen, wenn derselbe durchführbar ist, hat weder einer der Lehrer, noch der Unterzeichnete etwas einzuwenden. L[ienzingen] den 28. Juni 1889 Hochachtungsvoll Königl. Ortschulinsp[ectorat] Reinhardt

Die Debatte setzte sich fort, so dass Pfäfflin einen Monat später die Sache gegenüber dem Oberamt so kommentierte:

Aus der Zeichenbeilage ist ersichtlich, wie sich die Stellung der Subsellien in zweckentsprechender Weise in beiden Schulklassen bewerkstelligen läßt. Veränderungen sind nur in Jahren nöthig, als, wie bereits in meiner Aeußerung vom 12. Juni betont, der Ofen gedreht, & dabei am besten von innen geheizt wird; ferner, daß ja drei viersitzige Subsellien in der Mitte versägt, & daraus 6 zweisitzige Subsellien gemacht werden. Die Abschrägung der Geläufe bringt entschieden mehr Licht in die Schulzimmer, wodurch die Einrichtung weiterer Fenster westlich & östlich von selbst in Wegfall kommt. Daß sich weitere Fenster anbringen lassen, will ich nicht bestreiten, man kann ja alles machen; aber der Aufwand hierfür steht in dem vorliegenden Fall nicht im Verhältniß zu dem dadurch Erreichten.  Die von dem Herrn Amtsarzt eingeschriebenen Gangbreiten wäre nicht  ausführbar, dieselben geben zusammen 1.8‘‘, & nicht 1.18‘‘, was eine Differenz  von 62‘‘ ist.

Blatt 107: [unterer Teil] Dem Schult[heißen] Amt Lienzigen - Zur Kenntniß Anschluß der vom Oberamtsphysikus hinaus gegebenen Akten & Äußerung, zu welcher Zeit die Einsicht der …..lich 34 räumlichen Verhältnissen in den Schulen seitens des Oberamtssarztes vorgenommen werden könnte. Maulbronn 19. Mai 1889 K. Oberamt Gambs

Nun ging es auch um die Breite des Ganges zwischen den Bankreihen. Ergo: Die Spannung wuchs. Welche Platzierung der Bänke in welchem Klassenzimmer hatte welche Vor- und Nachteile?

Ortsschulinspektor Reinhardt verfasste am 27. Juni 1889 eine längere Aktennotiz an das Königl[iche] Oberamt über die vorgenommenen Änderungen, zur Kenntnis schickte er sie auch dem Oberamtsphysikus (Bezirksarzt) Dr. Sauter, der anderntags mit lila Tinte seine Anmerkungen auf dem Dokument anbrachte. Reinhardts schriftliche Fall-Schilderung:

I. In dem Schulzimmer für die 7–10-jährigen Kinder (1te – 3t Schuljahr) stehen die Bänke seit Ende vorigen Monats entsprechend dem bautechnischen Gutachten von 12. Juni 1889.

II. in dem Schulzimmer für die Kinder von 10 – 14 Jahren (4t – 7t Schuljahr) ist ebenfalls die den obgenannten Gutachten entsprechende Stellung der Subsellien vorgenommen worden.  Nach einigen Tagen erklärte der Lehrer Schlegel, daß ihm bei dieser Bankstellung das Schulhalten sehr erschwerd, fast unmöglich gemacht werde. Derselbe hat eine die Raumverhältnisse veranschaulichende Zeichnung, welche im Anschlusse mitfolgt, nebst Erläuterungen zu den Acten gegeben. Den von Schullehrer Schlegel angegebenen Gründen konnte auch die Ortsschulbehörde nicht entgegentreten.  Nach Maßgabe der vom Königlichen Oberamtsphysikat am 17. Juli dieses Jahres erteilten Ratschläge wird für genügend breite und dunkelgrün gefärbte Vorhänge an den Fenstern auf der Kathederseite gesorgt werden. Mit Bezugnahme auf die schriftliche Aeußerung des Bautechnikers d.d. (mit Datum vom) vom 12. Juni 1889, daß sich weitere Fenster in die schlechten Umfassungsmauern nicht gut anbringen lassen, bittet die Ortschulbehörde, daß vor Anbringung weiterer Fenster an den Seitenwänden der Schulzimmer Umgang genommen werden möchte.

Unterzeichnet mit

Hochachtungsvoll Lienzingen Königl[ich] Ortschulinspect[orat] den 24. Juni 1889 Reinhardt (Blatt 99 f)

Blatt 98: der Plan von (97) ist nach oben weggeklappt, darunter der Zustand im August 1889] - Jetzige Aufstellung der Subsellien. Maulbronn, im Aug[ust] [18]89 Obamtbmst 25 Pfäfflin

Doch Lienzingens Schultheiß Adolf Link (1880 bis 1907 im Amt) korrigierte in einem Punkt den Ortsschulinspektor und ließ das Oberamt am 23. September 1889 wissen, nachdem er sich die Situation einen Tag zuvor vor Ort angeschaut hatte:  Ganz genau habe der Plan nicht eingehalten werden können, da die in demselben enthaltenen Maßgehalte der Gänge unrichtig seien. Es müssten deshalb an der Oberklasse die nördlich vom Ofen stehenden Bänke an die Wand gerückt werden, auch hätten die Öfen nicht abgebrochen werden können, da sie sonst unbrauchbar geworden wären. Am Übrigen seien die getroffenen Anordnungen genau befolgt worden.  Die Maße in dem Plan seien richtig, nur seien die 2.4‘‘ langen Subsellien geteilt worden anstatt die 2.5‘‘ langen, was nun korrigiert worden sei.

Blatt 97: Der Plan zeigt die Veränderung] [Planskizze, Himmelsrichtungen eingetragen: oben = Osten, links = Norden, unten = Westen, rechts = Süden] In Vorschlag gebrachte Aufstellung der Subsellien - Den 22. Oktb. [18]89

Am 1. April 1890 schaltete sich aus Knittlingen der Bezirksschulinspektor Haug ein. Sein Adressat: das Oberamt Maulbronn:

Mache ich die Mitteilung, daß ich nach meinen Wahrnehmungen bei der Schulvisitation in Lienzingen die in dem Local der dortigen Oberklaße aus Anlaß eines oberamtlichen Receßes (Bescheid) angeordneten und ausgeführten Veränderungen als den Schulbetreib entschieden schädigend ansehen mußte. Von der Ecke aus, in dem der Katheder steht, konnte der Lehrer kaum unterrichten, da die Diagonale 12-13 Meter beträgt, wie dieses wiederholt, so viel ich hörte, von Seiten des Ortsschulinspektorats vor der Durchführung der Anordnung geltend gemacht wurde. Die Kinder auf der fensterlosen Seite – 12 an der Zahl – hatten gar kein Licht, da die Vorhänge auf der Kathederseite nach Anordnung ganz dunkelgrün – statt lichtgrau – sind und selbst, wenn die Sonne scheint, gar kein Licht einlaßen, was umso fataler ist, als diese Local überhaupt einen sehr geringen Lichteinfall hat trozdem, daß die Fensterwände erweitert worden sind. Ferner wurde die Subsellien auf der fensterlosen Seite in Folge eines Rechnungsfehlers ganz an die Wand gerückt, um einen einigermaßen erträglichen Gang in der Mitte offen zu laßen.

Wie ihm gesagt worden sei, habe Oberamtsbaumeister Pfäfflin selbst erklärt, es sei schlechter als vorher - trotz der Ausgabe um 120 Mark. Unter diesen Umständen könne es sich nur darum handeln, entweder zur vormaligen Anordnung der Bänke zurückzukehren oder aber einen Klassentausch vorzunehmen. Die größere Oberklasse samt Subsellien solle in das andere Klassenzimmer wechseln, das viel mehr Platz habe. Die Unterklasse zähle weniger Kinder, die so gesetzt werden könnten, dass sie mehr Licht hätten und keine Bank an die Wand gerückt werden müsse. Nach seinen Informationen hat sich dieser Tausch bewährt, obschon in beiden Räumen vom Katheder aus kaum unterrichtet werden könne.

Ob Haug auf Franz Gambs, Jurist und von 1887 bis 1895 Vorsteher des Oberamtes Maulbronn, reagierte, der am 9. April 1890 zu Papier brachte? Chef des Dekanats Knittlingen war von 1876 bis 1892 Karl August Haug

Die Einrichtungen in den Schulzimmern von Lienzingen sind auf Grund meiner Anordnung getroffen worden. Zu solchen Anordnungen bin ich zuständig. Daß dieselben erlassen worden ist nach Einvernehmen aller der dabei in Frage kommenden Behörden, zeigen die angeschlossenen Akten, nach denselben war … (?) mit den dort schließlich getroffenen Anordnungen einverstanden.

Ich begreife daher nicht wie das [Orts]schulinspectorat oder der Oberamtsbaumeister eine Unzufriedenheit mit derselben solle äußern können; wenn aber eine Anordnung stattfinden soll, so darf sie nach meiner Ansicht nicht vorgenommen werden, ehe ich davon Kenntnis habe. Denn was hätte dann die oberamtliche Anordnung für einen Wert, wenn sie einfach als zweckwidrig hintangesetzt u[nd] abgeändert werden könnte.  Bevor ich in der Sache weiter gehe, ersuche ich daher Sie um Aeußerung, wann die Visitation war, bezw. die vom Oberamtsphysikat im Interesse der Gesundheit der Kinder für nötig erachteten, von mir nach Einvernahme des Ortsschulinspectorats u[nd] des Bautechnikers getroffene Anordnung u[nd] der Einrichtung der Schulzimmer beseit…. [?] worden ist.  

An anderer Stelle des Dokuments ergänzte Gambs: Eine Anordnung meinerseits zur Beschaffung dunkelgrüner Vorhänge ist nicht ergangen.

Die Reaktion von Haug ließ keinen Tag auf sich warten und fiel umfangreich aus:

1.) Von irgendwelcher Änderung der getroffenen Anordnungen ist entfernt keine Rede; die angeordnete Stellung der Subsellien und des Katheders ist in beiden Schulen ganz beibehalten, nur die Klassenzimmer sind gewechselt worden. In meinem Schreiben vom 1. April ist nichts anders als dem dieser gesagt, aus dem Schlußsatz geht deutlich hervor, daß die angeordnete Stellung der Katheder und – folgerichtig – auch die Stellung der Subsellien eben die angeordnete ist. Mein Vorschlag kommt so wenig in Conflikt mit der getroffenen Anordnung, daß diese vielmehr vollständig erst durch den ersteren [?] zum Vollzuge kommt, indem nunmehr in beiden Localen, kein einziger Subsellium ist das an die Wand gerückt werden müsste.

2.) Zu Ausführung dieses Vorschlags war nach meiner Ansicht die Ortsschulbehörde, das Ortsschulinspektoratund das Bezirksschulinspektorat vollkommen berechtigt. Das K. Oberamt wird diesen Vorschlag nicht als einen Eingriff in seine Kompetenz betrachten wollen. Das Bezirksinspektorat hat etwas gethan, wozu es streng genommen gar nicht verpflichtet war, wenn es dem K. Oberamt Mitteilung gemacht hat von diesem Vorschlag, nachdem die Probe gemacht war, daß auf diesem Weg zwei wesentliche Mängel der getroffenen Anordnung wegfallen.

3.) Daß das K. Oberamt zu solchen Anordnungen zuständig ist, habe ich entfernt nicht bezweifelt, es fällt mir auch nicht ein, dies in Zukunft irgend anzweifeln zu wollen. Dies konnte und dürfte mich aber nicht abhalten, meiner Überzeugung Ausdruck zu geben, daß die getroffenen Anordnungen wesentliche Mängel anhaften und im Hinblick auf die durch dieselben verursachte Störung des Schulbetriebs mit aller Bestimmtheit zu erklären, daß es so nicht bleiben dürfe. Dies umso mehr, als mir bestimmt mitgeteilt wurde bei der am 25. Januar gehaltenen Visitation aus deren Anlaß die Locale zur Probe gewechselt wurden, daß der Bautechnikerselbst erklärt habe es sei jetzt schlechter als vorher.

4.) Wenn das Ortsschulinspektorat, wie au[ch] der Lehrer und Ortsvorstand schließlich sich dahin aussprachen, daß sie die Ausführung des mitgeteilten Project für ausführbar halten, später aber erklärten, daß die angeordnete Änderung schwer zu ertragen sei, so wird sich dieses einfach dadurch erklären, daß ein Unterschied ist zwischen dem, was man in Gedanken und auf dem Papier hat, und der wirklichen vollzogenen Ausführung. So scheint es auch dem Bautechniker gegangen zu sein. Zudem muß ich mir erlauben, hinzuzufügen, daß auch ich selbst die Ansicht des Bautechnikers vollkommen teile. Bei der früheren Stellung hatten allerdings die Kinder das Licht von vorne auf der Kathederseite, in der Oberklasse. Aber der Schaden war bei Verhängung eines Fensters unmittelbar hinter dem Katheder so groß nicht, weil diese Seite die Nordseite ist. Bei der angeordneten Veränderung haben die Kinder zwar das Licht von links, aber auch zugleich von vorn wieder auf der Kathederseite, und zwar von Osten her, daher das Königliche Oberamtsphysikat sich anfangs nach den Akten dahin aussprach, daß diese beiden Fenster immer mit einem „dunkelgrünen“ Vorhang verhängt bleiben müßen. Jedoch später die Verhängung nur an sonnenhellen Tagen verlangte, weil bei dem schwachen Lichteinfall von links die Schüler auf der fensterlosen Seite geradezu – ich habe die Probe gemacht – in der Finsternis sitzen.

Allein die dunkelgrünen Vorhänge laßen auch an sonnenhellen Tagen so wenig Licht herein, daß die Augen der Schüler auf der fensterlosen Seite entschieden notleiden müßen. Vorher hatten alle genügendes Licht, bei der angeordneten Änderung sitzt ein Teil der Schüler in der Finsternis. Zieht man aber die Vorhänge auf der Kathederseite auf, so haben die Schüler wieder, wie vorher, zwei Fenster von vorn, und zwar von Osten her, wo der Lichteinfall trotz der umstehenden Häuser ein stärker ist als von Norden her. Als zweiter Mangel stellte sich heraus, daß – in Folge eines Rechnungsfehlers – die Subsellien an die Wand gerückt wurden. Der dritte Mangel war u[nd] ist, daß der Lehrer mit seinen kranken Augen und bei seinem Halsleiden den Katheder gar nicht benützen kann, weil die Entfernung, zumal wenn man die Diagonale in Betracht zieht, zu groß ist. Insofern mußte ich der Aeußerung des Bautechnikers beistimmen, daß es schlechter wurde als vorher, durch die angeordnete Änderung.

5.) Wenn das K. Oberamt sich dahin ausspricht, daß die getroffene Anordnung nach Einnehmen aller dabei in Betracht kommenden Behörden gemacht worden sei, so kann ich mich damit nicht einverstanden erklären. Der Receß wurde zwar seinerzeit dem Bezirksschulinspektorat

mitgeteilt, aber von der Ausführung u[nd] Anordnung erhielt er keine Kenntnis. In dem … Erlaß hat die hohe Oberschulbehörde ausdrücklich „auf Grund der Ausführungen des Bezirksschulinspektorats“ entschieden. Bei der Stellung der Katheder u[nd] Subsellien hat das Bezirksschulinspektorat auch ein Wort zu reden, ehe Anordnungen definitiv getroffen werden, weil es sich, wie die Erfahrung sattsam lehrt, um die Frage handelt, ob nicht der Schulbetrieb geschädigt wird. Bei dieser Frage ist das Bezirksschulinspektorat kompetent.

6.) Wenn [jen]seits [?] die Akten sämtlich der hohen Oberschulbehörde vorgelegt werden wollten, so könnte mir dieses nur sehr erwünscht sein.

Oberamtsarzt Dr. Sauter hatte sich aus Anlass des Impfgeschäfts überzeugt, dass der Subsellien in den Schulen von Lienzingen unserem Antrag entsprechend gestellt sind u[nd] was mir gesagt wurde mit Einverständniß des Herrn Bezirksschulinspektors, sogar zweckwidrig, wird also mein Antrag recht gewesen sein. Wenn es sich nun ferner gestellt hat, daß es für den Schulbetrieb besser ist, die Lokale zu wechseln, habe ich dagegen nichts einzuwenden, da mich diese Frage nicht berührt. Bei Klassenzimmern wie denen in Lienzingen, sei es unmöglich, allen Interessen gerecht zu werden - was ich früher schon einmnal andeutete, dass Oberamtbaumeister Pfäfflin sich geäußert haben sollte, es sei jetzt schlechter als früher, ist nach seinem Gutachten vom 23. Oktober 1889 nicht anzunehmen.

Das Oberamt habe das angeordnet, was der Physikat beantragt habe. Wenn nun dem Antrage der Absicht des Bezirksschulinspektors entsprechend die Aufstellung erfolgt ist, so weiß ich nicht, woher der Rat gefunden wurde. Da die Sache aber nun erledigt war, hieß es: a a (ad acta, zu den Akten).

Ich ersuche in Zukunft die Anträge so zu formulieren, daß nicht die auf Grund derselben getroffenen Oberamt[iche] Anordnungen als zweckwidrig erkannt & sie vom Bez[irks]Schulinspector  als mit wesentl[ich] Mängel behaftet werden können…  schrieb Franz Gambs als Chef des Oberamtes allen Beteiligten ins Stammbuch (Blatt 89). Ein deutlicher Rüffel.

Blatt 109: Konsistorium an das gem[einschaftliche] Oberamt Maulbronn / Knittlingen Auf m[einen] Bericht v. [= vom] 11 d. M. 39 erhält das gem[einschaftliche] Oberamt m[einen] Auftrag, vor dem 20. Juni d. J. hieher anzuzeigen, bis wann es eine Lehrerwohnung in Lienzingen bezogen werden kann. Stuttgart den 12. Mai 1876 [eigenhändige Unterschrift] G….

 

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