Mittelständler schreibt sich den Ärger von der Seele

Das passiert Kommunalpolitikern höchst selten:  Dass sich ihre Arbeit in einem Buch niederschlägt. Aber jetzt schafften dies fünf meiner Kreistagskollegen und ich mit der Einsicht in die Akten zur Vergabe der Buslinien im westlichen Enzkreis (2017/2021). Unser Abschlussbericht legte Versäumnisse von Stadt und Kreis offen, Fehler, Falschinformationen, Fragwürdiges, Arroganz von Beamten gegenüber einem Mittelständler.  Die Kreisverwaltung sah anschließend nicht gut aus.  Das wird jetzt im Kapitel 7: 2017-2020: Die Ausschreibungen und die Folgen des im August im J.S. Klotz Verlagshaus erschienenen Bandes Müller-Reisen. Das Haus im Herzen von Europa aufgearbeitet – auf 100 von mehr als 220 Seiten.

Druckfrisch: Die Müller-Geschichte

Was zunächst als Firmengeschichte beginnt, endet in einer scharfen Abrechnung mit jenen, die verantwortlich sind für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im Enzkreis, der Stadt Pforzheim und – am Rande – im Kreis Calw.

Müller Reisen wurde zum 1. April 1929 aus einer Fahrrad- und Nähmaschinenhandlung von Eugen Müller in Birkenfeld in der Hauptstraße gegründet, dem Großvater des jetzigen Chefs Hartin Müller.  Das Unternehmen wuchs und gedieh. In dem druckfrischen Buch zeichnet Autor Hartin Müller die Erfolgsgeschichte des mittelständischen Betriebs nach, dem der Vergabeskandal der Buslinien im westlichen Enzkreis 2020 fast das wirtschaftliche Aus beschert hätte. Vom Gestalter zum Subunternehmer, vom Inhaber der Konzessionen zum billigsten Bieter. In diesem Passus des Briefes an mich, dem das Buch beilag, klingt Bitterkeit heraus. Und diese ist allzu verständlich. Den Siegen Müllers vor Gericht folgte ein Aussitzen seiner Entschädigungsansprüche, die er gegenüber den drei Stadt- und Landkreisen geltend machte, durch die einstigen Auftraggeber.

Natürlich ist Müller parteiisch. Eine EU-Ausschreibung wird am 15.02.2017 veröffentlicht als Vorinformation – die erste Ausschreibung im ÖPNV im Westlichen Enzkreis. Dies bestimmt unsere angestammte Hauslinie 718, die 1948 von meinem Großvater und Vater aufgebaut wurde, pünktlich und zuverlässig durchgeführt wurde, bis zu dem Termin, an dem die Politik eingreift. Was wir in der Kreispolitik als notwendig ansahen, nämlich Konzessionen nicht mehr im Abo oder quasi auf Lebenszeit zu vergeben, sondern durch eine Ausschreibung, die die aktuellen Marktkonditionen erkundet und schlussendlich dem Steuerzahler auch Geld sparen soll, empfindet Müller als stille Enteignung eines Aufgabenfeldes im ÖPNV.

 

Die Firma bot an, die Linien eigenwirtschaftlich zu fahren, also auf eigenes Risiko gegen Festpreis, den die Aufgabenträger Stadt und Kreis bezahlten. Doch Müller verkalkulierte sich – aber nur, so beklagte er, weil ihm wesentliche Daten vom Verkehrsverbund Pforzheim/Enzkreis vorenthalten worden seien. Die weiteren Stationen: Die Kreise lehnten eine höhere Dotierung ab, lösten dadurch die Rückgabe des Auftrags durch Müller nach Genehmigung durch das Regierungspräsidium Karlsruhe aus, es folgten Notbetrieb, Notvergabe. Enzkreis und Stadt Pforzheim verweigerten Müller die Teilnahme an dieser (Not-) Ausschreibung, er klagte, siegte in beiden Instanzen, das Oberlandesgericht hob die Vergabeentscheidung auf.

Selbst beim zweiten Anlauf patzten die Verwaltungen wieder, nahmen erst in letzter Sekunde die Kurve. Müller Reisen hatte nicht eingegeben. Derweilen wurde in den Beratungen deutlich, dass zumindest ein Teil des Kreistages seiner Kontrollaufgabe nachkommen und in die Akten Einsicht nehmen will. In einem gemeinsamen Antrag von CDU, Grünen und FDP erzwangen dies die drei Fraktionen, im 14. Dezember 2020 setzte der Kreistag in Remchingen einstimmig einen Ausschuss zur Akteneinsicht ein, in dem jede der sechs Fraktionen vertreten war, ich für die CDU, zudem Joachim Wildenmann (Grüne); Helge Viehweg (SPD), Steffen Bochinger (FWV), Professor Dr. Erik Schweickert (FDP) und Dr. Christoph Wichardt (AfD). Wir klickten uns durch mehr als 3600 Seiten, brachten jeweils 40 bis 50 Stunden dafür auf, verständigten uns auf einen rund zehnseitigen Bericht, der im Mai 2021 dem Kreistag, bald darauf auch der Öffentlichkeit vorgelegt wurde – eine weitere Ohrfeige für die Verantwortlichen in den drei Verwaltungen.  Der Landrat räumte Fehler ein, bat um Entschuldigung. Auf den Autor und Firmenchef machte dies offensichtlich wenig Eindruck, auf mich schon.

Müller beklagt in seinem Buch, dass all diese Verfehlungen ohne Folgen für die Personen blieben.

Von einer Entschuldigung des Landrats Bastian Rosenau ihm gegenüber oder seiner Familie sei nie die Rede gewesen. Den zuständigen Dezernenten im Enzkreis-Landratsamt und Ersten Landesbeamten, Wolfgang Herz, nennt er eine Persönlichkeit mit Umgangsformen nach Gutsherrenmanier, der seine Kompetenzen jahrelang überschritten habe. Tatsächlich fand sich in den Akten eine E-Mail von Herz mit einer nicht gerade feinen Bemerkung über Müller, der wiederum dem Landrat das Etikett schwach anhängt.

Mit diesem schriftlichen Bericht im Original endet das Buch. Subjektiv, einseitig sicherlich, doch nicht frei erfunden. Man mag Teile daraus als zu parteiisch empfinden, es bleibt ein harter Kern von Fakten. Ein Mittelständler schreibt sich den Ärger von der Seele – einer von jenen, die das Rückgrat sind unserer Wirtschaft und der Gesellschaft.

Die Konsequenzen? Eine zentrale Vergabestelle im Landratsamt, frühzeitigere Information des Kreistags…  Doch die Dienstaufsichtsbeschwerde meines Kollegen Wildenmann gegen den Landrat, begründet mit Erkenntnissen aus dem Schlussbericht, liegt seit einem Jahr beim Regierungspräsidium Karlsruhe, Abteilung Kommunalaufsicht. Bei Rückfragen gebe es nur Vertröstungen, so der Kollege heute.  Für Hartin Müller wird dies ein weiterer Beleg sein für seine Passagen über die Arroganz von Behörden.

 

Info:  

Müller-Reisen. Das Haus im Herzen von Europa. Herausgeber Ewald Freiburger und Jeff S. Klotz von Eckartsberg, J.S. Klotz Verlagshaus (Neulingen).

Hier die Dokumente zum

- Vergabestreit im Netz bei Müller-Reisen 

- Seine Zahlen und Forderungen an den VPE

 

Zur Vorgeschichte hier im Blog:

Fazit der Einsicht in 3600 Seiten Akten

Grenzen der Einsicht

Bus-Desaster hat noch kein Ende: Juristische Ratgeber patzten beim Rechnen

 

 

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