Weshalb gehören dem Land auch Pfarrhäuser wie das in Lienzingen?

Nachwehen der Reformation. Damit beschäftigte sich jetzt der Knittlinger Gemeinderat. Thema: Das sogenannte Pfarrbesoldungsholz als in Naturalien bezahlter Teil des Einkommens des Pfarrers. Das beruht auf den Pfründerechten der örtlichen Pfarrstelle. Kämmerer Roland Dieterich: Der Anspruch sei beurkundet und von den damals Verantwortlichen anerkannt. An der Vereinbarung sei niemals gerüttelt worden. Freilich stelle die Stadt nicht mehr das Holz zu Verfügung – 56 Raummeter werden pro Jahr fällig –, sondern bezahle den Wert abzüglich der Aufarbeitungskosten aus. Die Stadt möchte diese Last gerne ablösen. Der Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche präsentierte einen Schlüssel zur Beendigung der Pfarrbesoldungsleistungen. Aus den Zahlungen der Stadt Knittlingen von 1954 bis zum Jahr der Ablösung sei ein Durchschnittswert zu bilden. Der 25-fache Jahresdurchschnitt bilde dann den Ablösungsbetrag. 13000 Euro wären auszubezahlen, war nun in der Lokalpresse nachzulesen.

Das Pfarrhaus in Lienzingen, Kirchenburggasse 4 (Fotos: Günter Bächle)

Freilich, das ist kein Sonderfall. Siehe Lienzingen. Aktuell kostet das Pfarrbesoldungsholz Lienzingen die Stadt Mühlacker jährlich 1141,41 Euro (Auskunft der Stadtverwaltung vom 27. April 2021 an den Autor). Allerdings erneuerte der Evangelische Oberkirchenrat am 25. April 1984 in einem Schreiben an die Stadt Mühlacker das Angebot auf eine Ablösung auch im Fall Lienzingen – offenbar ohne Reaktion.

Beim Geld hört die Freundschaft auf, heißt es im Volksmund.  Und so war es in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder zu Konflikten zwischen politischer und kirchlicher Gemeinde gekommen.

Doch um größere Summen geht es zwischen dem Land Baden-Württemberg und der evangelischen Landeskirche in Württemberg. Weshalb gehören dem Land Pfarrhäuser wie jenes in Lienzingen?

Landeswappen über der Tür

Die rechtliche Grundlage der Bewirtschaftung für die Baulastverpflichtung des Staates an einem kirchlich genutzten Gebäude liegt in der Regel in der Säkularisierung im Jahr 1803 begründet. Den Kirchen sind Rechte und Vermögen durch den Staat entzogen worden, damit sind die mit dem Vermögen und territorialen Gebieten verbundenen Lasten ebenfalls auf den Staat übergegangen. Die historischen Rechte und Verpflichtungen wurden im evangelischen Kirchenvertrag von 2007/ 2008 nochmals bestätigt. Die Abwicklung dieser staatlichen Baulasten sind in den Baulastrichtlinien vom 11. Juli 1963 (BLR) geregelt.

Diese gilt für alle Baupflichten, die das Land an kirchlichen Gebäuden in Württemberg gegenüber den Landeskirchen zu erbringen hat. Aufgrund des zwischenzeitlich veränderten baulichen Standards sind diese Richtlinien nicht mehr zeitgemäß., meint jedenfalls die Staatssekretärin im baden-württembergischen Finanzministerium, Gisela Splett von den Grünen.  Ein Einvernehmen mit den Landeskirchen für eine Anpassung dieser komplexen Regelungen konnte bisher nicht erreicht werden.

Für die bauliche Verkehrssicherung in Dach und Fach am Pfarrwesen sei während einer Vakanz der Grundstücks-Eigentümer verantwortlich. Objektbegehungen und sogenannte Bauschauen würden von den Ämtern des Landesbetriebs Vermögen und Bau Baden-Württemberg (VB-BW) insbesondere bei Stellenwechseln und Vakaturen, wenn die Notwendigkeit besteht, vorgenommen, so das Mitglied Grün-Schwarzen-Regierung weiter.

Die kirchlichen Gebäude (Pfarrhäuser) steht in der ausschließlichen Nutzung der Kirchen für den kirchlichen Zweck. Sofern eine zweckentsprechende Nutzung als Wohn-/Amtssitz eines/r Stelleninhabers/-inhaberin für eine längere Zeit nicht vorgesehen ist, kommt eine einvernehmliche Vermietung in Betracht, sofern dies auch für das Land wirtschaftlich darstellbar ist, so die Staatssekretärin. Alternativ kann sich das Land von der Baulast durch Zahlung eines seiner Höhe nach einvernehmlich festzusetzenden Geldbetrages an die Kirche befreien (wie Knittlingen beim Pfarrbesoldungsholz jetzt), wäre die Kirche in vollem Umfang für das Objekt verantwortlich. Splett: Diese sogenannte Kirchenbaulastablösung wird aktuell auch immer wieder im Einvernehmen zwischen Land und Kirche sowie im Rahmen der vorhandenen Haushaltsmittel vorgenommen.

An Glanz verloren

Auslöser waren Anfragen der Landtagsabgeordneten des Enzkreises, Stefanie Seemann, auch meine Kollegin im Gemeinderat, und von mir an das Finanzministerium. Denn seit 2014 steht das Obergeschoss des Pfarrhauses in Lienzingen, das dem Land Baden-Württemberg gehört, leer. Das ist angesichts der Wohnungsnot ein Ärgernis. 

Das zweigeschossige Wohngebäude Kirchenburggasse 4 aus dem Jahr 1775 ist ein Kulturdenkmal. Ein für ein barockes Pfarrhaus charakteristische Gebäude mit Krüppelwalmdach: verputzter Fachwerkbau auf massivem Erdgeschoss mit Sandsteineckquadern und traufseitigem Kellerrundbogentor. Nach oben mit zwei Dachgeschossebenen unter einem breiten Krüppelwalmdach abschließend. Giebelseitig befindet sich eine zweiläufige Außentreppe als Hauptzugang. Die Eingangstür ist mit geschweifter Rahmung und Segmentbogen ausgestattet.

Die Räume könnten ganz einfach mit Geflüchteten belegt werden, so die Staatssekretärin und zeigt die Wege auf: Entweder miete die Stadt die Räumlichkeiten an. Andernfalls könne die örtliche Kirchengemeinde, der grundsätzlich die Nutzung des Gebäudes zustehe, selbst im Einvernehmen mit dem Landesbetrieb Vermögen und Bau unentgeltlich Flüchtlinge im Pfarrhaus aufnehmen. Der Abschluss eines Mietvertrages sei nicht notwendig. Die Kirchengemeinde hole dazu die Zustimmung ihrer kirchlichen Oberbehörde ein.

Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind viele Menschen auch nach Deutschland geflohen. Uns ist es daher wichtig, schnelle und pragmatische Lösungen zur Unterbringung zu finden und Helfende zu unterstützen, wo es möglich ist. So können Geflüchtete aus der Ukraine auch vorübergehend in (leerstehenden) Pfarrhäusern wohnen (Splett) – so auch in Lienzingen.

Ein Anachronismus ist diese Regelung trotzdem. Sie gehört abgeschafft.

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