Armes Mühlacker! Armes Mühlacker?

Die Stadt hat kein Geld. Ein sehr beliebter Satz, verwendet in allerhand Variationen. Ein Satz, der Begehrlichkeiten und Wünsche an die Adresse von Gemeinderat und Stadtverwaltung abwehren soll. Die Steigerungsform dazu: Die Stadt ist arm wie eine Kirchenmaus. Der FW-Fraktionssprecher im Gemeinderat legte noch einen drauf - er verstieg sich zur flotten Aussage: Fakt ist, die Stadt Mühlacker ist arm. Und gleich glaubten das welche, zumal die größere der beiden Lokalzeitungen auf ihrer Lokalen 1 für eine Verbreitung sorgte.  Der lokale Aufmacher mit einer solchen Botschaft liest sich gut, schnell, glaubhaft, denn irgendwie fühlen sich die Leute bestätigt angesichts manchen Sanierungsstaus bei kommunalen Gebäuden und Straßen.  Auch wenn hier Mühlacker nicht allein steht im Ländle.

Armes Mühlacker! Armes Mühlacker?

Der 6-Jahre-Vergleich: Kluft zwischen Soll und Ist bei Bauinvestitionen und Unterhaltungsmaßnahmen wächst.

Jedoch auch vor dem Hintergrund der alljährlichen Aussagen der Verwaltungsspitze bei der Einbringung des Haushalts glauben manche Gemüter die Mär von der Armut nur zu gern. Sie dünkt, als hätten sie nun Expertise genug, um das abschließend beurteilen zu können. Denn wenn im Spätherbst das Budget fürs jeweils folgende Jahr der Öffentlichkeit von OB und Kämmerin präsentiert wird, beschleicht einen jedes Mal das Gefühl, Mühlacker stehe geradewegs am finanziellen Abgrund. So laut ist das alljährliche Jammern und Klagen der Beiden über den Mangel an Moneten. Noch ein klitzekleiner Schritt zur Pleite, die der FDP-Vormann im Rat - ergänzend und abschreckend zugleich - regelmäßig als Gefahr an die Wand malt…

Fehlt eigentlich nur noch ein Zusatz wie im Fall von Berlin, das nach Meinung eines früheren Regierenden Bürgermeisters der Bundeshauptstadt gleichermaßen arm und sexy sei.

Lasst Überschriften sprechen: MT-Schlagzeilen über dem jeweiligen Text zur Vorstellung des Etats durch OB und Kämmerin belegen dies.

Neue Schulden für das Allernötigste (2021)

Stadt lebt über ihre Verhältnisse (2019)

Rekordhaushalt bereitet Bauchgrimmen (2017)

Griff ins Sparschwein reicht nicht aus sowie (2013)

„Es bleiben Träume auf der Strecke“ (2011)

Wer solche Töne anschlägt und 70 Millionen Euro für Sanierung und Neubau der Schulen im Lindach ohne weitere Diskussion für nicht finanzierbar erklärt, ohne das intensiv geklärt zu haben, muss sich nicht wundern, dass das Echo auf die ganz jüngste Strategie Mühlacker 2030 in der Öffentlichkeit, vorsichtig gesagt, verhalten ausfiel. Da werden die Anhänger der These der Armut der Stadt von ihren eigenen Sprüchen eingeholt. 

Denn das Armutsgerede ist falsch.  Ein Diskussionsbeitrag meines Fraktionsvorsitzenden-Kollegen Jürgen Metzger brachte mich auf die Spurensuche. Er wollte im Dezember wissen, wie viel Gelder auch wirklich abflossen, die im Etat eingestellt waren.

Ergebnis meiner ergänzenden Recherche diese Erkenntnis:

Mühlacker hat kein Finanzierungs-, sondern ein Umsetzungsproblem bei Investitionen.

Die Kluft zwischen Soll und Ist im Sechs—Jahre-Vergleich wächst.  Die vom Gemeinderat eingestellten Gelder flossen zu einem beträchtlichen Teil nicht ab, weil Maßnahmen gar nicht begonnen wurden.

Wenn Projekte im Etat ausgewiesen werden, ist deren Finanzierung im HH- Plan zu sichern. Dies kann zu einer Erhöhung der Darlehensaufnahme im jeweiligen Budget führen. Wiederum solche Zahlen fließen in die Bewertung des Haushaltsbuches durch die Kommunalaufsicht beim Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe ein. Das war wohl auch Grundlage der Auflage im Erlass des RP zur Genehmigung des Haushaltsplans 2022. 

Jedoch zwischen den vom Gemeinderat in den jährlichen Haushaltsplänen finanzierten Bauprojekten und Unterhaltungsmaßnahmen einerseits, den tatsächlich von den verantwortlichen Ämtern der Stadtverwaltung realisierten Maßnahmen andererseits liegen häufig Millionen. Corona hat diese Tendenz zeitweise verstärkt, die Linien liefen allerdings schon zuvor auseinander. Zunächst nur wenig (2018), dann immer mehr. Jetzt sieht es auch nicht besser aus.

Meine Gegenposition zu den Armutsaposteln:

Mühlacker ist nicht reich, aber auch nicht arm, liegt etwa im Mittelfeld. Natürlich besteht bei den Steuereinnahmen noch Luft nach oben. Aber sowohl die Steuerkraft pro Einwohner als auch die absolute Steuerkraftsumme nach dem Finanzausgleich sowie die Schlüsselzuweisungen des Landes Baden-Württemberg sind nachhaltig steigend, weitgehend stabil seit einschließlich 2016, von einer Delle in der Corona-Pandemie abgesehen. Schwankungen fallen bei Mühlacker weitaus schwächer aus als bei anderen, in den Vergleich einbezogene Kommunen, die teilweise weitaus stärkere Ausschläge zu bewältigen haben.

Was zu vermutet ist, wenn etwa ein bestimmtes Vorhaben trotz bereitgestellter finanzieller Mittel nicht in Angriff genommen wurde: Fehlt es an Personal, am Willen, an der politischen Führung, an Klarheit in der Planung? Meine recherchierten Daten, die den Faktencheck durch die Stadtkämmerei überstanden, machen deutlich: Statt zu Jammern müssen wir bei der Etat-Aufstellung einen Kurswechsel vollziehen.

In meiner Fraktion entwickelten wir kurz vor Ostern den Vorschlag von einem zweistufigen Verfahren, der nun als Antrag auf elektronischem Weg ins Rathaus wandert: Die Verwaltung solle nur die Aufnahme von Vorhaben in den Etat vorschlagen, die den Anforderungen des § 12 GemHVO entsprechen – was eigentlich selbstverständlich sein müsste, aber trotz Hinweisen des städtischen Rechnungsprüfungsamtes nicht immer so strenggenommen wurde. Der Gemeinderat hätte – ginge es nach unserem Vorschlag - in einem früheren, zeitlich vorgeschalteten Verfahren festzulegen, welche Maßnahmen als nächstes so weit vorbereitet werden, damit sie den Anforderungen des § 12 GemHVO entsprechen, somit „haushaltsreif“ sind.

Und was steht im Zwölfer, Komma zwei? Auszahlungen und Verpflichtungsermächtigungen für Baumaßnahmen dürfen erst veranschlagt werden, wenn Pläne, Kostenberechnungen und Erläuterungen vorliegen, aus denen die Art der Ausführung, die Kosten der Maßnahme sowie die voraussichtlichen Jahresraten unter Angabe der Kostenbeteiligung Dritter und ein Bauzeitplan im Einzelnen ersichtlich sind. Den Unterlagen ist eine Schätzung der nach Fertigstellung der Maßnahme entstehenden jährlichen Haushaltsbelastungen beizufügen.

Rund 23 von 75 Millionen Euro für Bauinvestitionen und Unterhaltung von Gebäuden etc. in sechs Jahren nicht auszugeben, obwohl der Gemeinderat sie genehmigt hat, lässt sich am besten optisch erfassen. Sozusagen begreifbar machen!

Deshalb hier mal eine Grafiken-Strecke zu Eckpunkten der städtischen Finanzen.

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