Der „Verdachtsfall“ als Beitrag zur historisch-ökologischen "Bewusstseinsbildung“
Bezüglich der Antwort der Stadtverwaltung Mühlacker auf die Anfrage von Stadtrat Bächle in Sachen Friedensstraße 12 in Lienzingen, sehe ich bei der Vorgabe, dass ein „Verdachtsfall“ für ein Kulturdenkmal vorliegen muss, einen waschechten Haken.
Das Problem beginnt damit, dass diese Bewertung eines Gebäudes insgesamt schwierig zu definieren ist. Vor allem aber: Wer begründet dies? Die personell hoffnungslos unterbesetzte Denkmalpflege, welche aus rechtlichen Bedenken heraus diesen Status vermeidet wo immer es geht? Ein von Seiten der Kommune beauftragtes, externes Fachbüro für Bauforschung und/oder Restaurierung?
So wie es das Schreiben formuliert, wird das Thema wieder auf die Denkmalpflege abgeschoben, bei der man schon alleine aus Personal- und damit Zeitgründen nicht wirklich zu hoffen braucht, dass sich dann irgendetwas ändert: durch die Festlegung der Denkmaleigenschaften im Rahmen der Denkmalinventarisation wurde in den vergangenen Jahrzehnten ein statischer Wissensstand geschaffen, der kaum noch verändert oder ergänzt, von Seiten der kommunalen Bauverwaltung jedoch als bindend betrachtet wird.
Offiziell ist das natürlich eine „offene“ Liste! Die Wirklichkeit sieht gegenwärtig aber so aus, dass man den Eindruck gewinnt, neue Kulturdenkmale werden nur noch dann ausgewiesen, wenn Weihnachten und Ostern auf einen Dienstag und Mittwoch fallen. Durch das Baurecht gilt dann aber: was kein Kulturdenkmal ist, wird seitens der Denkmalpflege auch nicht mehr weiter betreut, oder genauer: die Denkmalpflege wird – wenn überhaupt - nur begrenzt oder gar nicht mehr eingeschaltet, wie an der Friedensstraße 12, Herzenbühlgasse 3a, usw. nachzuvollziehen ist. Damit ist die Frage der Verantwortung komplett auf die Denkmalpflege übertragen, auf die man grundsätzlich verweist und bei der in fast allen Fällen nach Aktenlage entschieden wird.
Und genau darum geht es: wer fühlt sich verantwortlich und wer ist es? Wer muss es sein und wer darf sich verantwortlich fühlen? Welches Maß an Voruntersuchung wird zur Ausweisung von Kulturdenkmalen angelegt und wo sieht wer einen „Verdachtsfall“? Generell: auf was hin ist das jeweilige Haus „verdächtig“ ? Dass es ein Kulturdenkmal nach den Definitionen im Denkmalschutzgesetz ist? Oder dass es für die Ortsgeschichte oder/und das Ortsbild interessant und wichtig sein könnte?
Aufgrund der eigenen Erfahrungen der vergangenen Jahre bei zahlreichen bauhistorischen Untersuchungen auch an Gebäuden, bei denen die Denkmalinventarisation keine Kulturdenkmaleigenschaft gesehen hat, zeigt sich, dass man sich hier ein perfektes Trugbild erschaffen hat.
Wichtigste Erkenntnis dabei: Den meisten Gebäuden sieht man ihre wahre baugeschichtliche und/oder ortsgeschichtliche „Bedeutung“ und „Wert“ nicht unmittelbar oder sogar überhaupt nicht an. Man muss sie sich erst aufwändig erarbeiten, also wissenschaftlich Forschen, was die Denkmalinventarisation aufgrund der strengen Vorgaben seitens der Obrigkeit zeitlich noch personell nur in äußerst begrenztem Rahmen leisten kann und sich daher zumeist mit einer oberflächlichen Beurteilung begnügen musste.
Besonders aufschlussreich wäre in dieser Hinsicht deshalb eine Statistik darüber, wieviele Gebäude nur deshalb zum Kulturdenkmal geworden sind, weil ihre Konstruktion, wie z.B. ihr Fachwerk zum Zeitpunkt der Beurteilung durch die Denkmalinventarisation bereits offen lag oder an den verputzten Fassaden eindeutige Merkmale zu erkennen waren, die selbst einem Laien eindeutige Hinweise geben würden. Dies ist übrigens die wichtigste Erklärung für das außergewöhnlich hohe Baudenkmalaufkommen in Lienzingen! Hier blieben die Fachwerkhäuser in hoher Zahl unverputzt oder wurden zu einem frühen Zeitpunkt wieder freigelegt.
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Gebäude, an denen man aufgrund ihres Putzkleides oder mangels eindeutiger Merkmale nichts ansehen konnte, dementsprechend häufiger nicht als Kulturdenkmale (an)erkannt wurden. Das ist der Grund, warum beispielsweise die älteste Generation an ländlichen Hausbauten im Land fast immer durch das Raster der Denkmalinventarisation gefallen ist: die Mehrzahl dieser frühen Bauten (z.B. Firstständerbauten) zeigen keine Vorkragungen und wenn diese Bauten zum Zeitpunkt der Denkmalinventarisation auch noch unter Putz verborgen lagen, waren auch keine vermeintlich „eindeutigen“ Merkmale und damit für di Sachbearbeiter auch nichts Denkmalwürdiges zu erkennen.
Was kann man gegen dieses Trugbild unternehmen?
Nach meiner Auffassung geht es darum, bei der Einordnung historischer Nichtkulturdenkmale als mögliche „Verdachtsfälle“ eine völlig andere Sichtweise zu generieren: ein „Verdacht“ sollte sich weniger auf denkmalpflegerische Kriterien beschränken, sondern sich vielmehr auf die Frage konzentrieren, ob das jeweilige Gebäude einer Kommune für so wichtig erscheint, dass es nicht unerforscht und undokumentiert abgebrochen wird. Das Zauberwort heißt „Bewusstseinsbildung“, was nur durch Wissensanreicherung geht! Damit kann die „Schwelle“ für einen „Verdacht“ auch deutlich weiter unten angesetzt werden, als es die Denkmalpflege gegenwärtig angesichts der angespannten personellen Situation praktizieren muss: Derzeit ist es leider üblich, dass selbst mittelalterliche Gebäude, die ja nun schon alleine wegen ihrer Seltenheit ortsgeschichtlich von Interesse sein sollten, bei einem höheren Grad an späteren Veränderungen nicht als Kulturdenkmale anerkannt werden.
Damit wird bei fragmentarisch erhaltenen Bauten ein wissenschaftliches Interesse aberkannt, was in meinen Augen in bedenklichem Widerspruch zu einer wissenschaftlich forschenden und auch der Dokumentation verpflichteten Denkmalpflege steht! Selbst Fragmente vermögen bislang unbeantwortete Fragen zu klären!! Was ist die historisch relevante Substanz: nur das vollständig aus einer Bauphase überlieferte Gebäude? Wieviele hochkarätige Kirchen, Burgen usw. würden dann durch dieses Denkmalraster fallen! Ist es nicht in vielen Fällen gerade die Veränderung, welche kulturgeschichtlich von Interesse ist? Und überhaupt: wie kann man den Grad der Überlieferung beurteilen, wenn das Gebäude unter einer dicken Putzschicht verborgen liegt?
Die hier propagierten, „erweiterten“, vor allem denkmaleigenschaftsunabhängigen „Verdachtsfälle“ erfordern Eigeninitiative und -verantwortung seitens der Kommune und dann sind eben auch außeramtliche Fachspezialisten gefragt.
Das, was wir bei dem Gebäude in der Friedensstraße, gleichermaßen auch bei der bereits unerforscht abgebrochenen Scheune Herzenbühlgasse 3a lernen können, ist aus wissenschaftlicher Perspektive als schleichende Katastrophe zu bezeichnen: ist ein Gebäude kein Kulturdenkmal oder (Denkmal-)Verdachtsfall) sondern nur „erhaltenswürdig“ oder nicht einmal dieses, wird nicht mehr geforscht, weder präventiv, noch baumaßnahmenbegleitend! Und das gilt selbst für Bauten in denkmalgeschützten Gesamtanlagen: Vor einigen Jahren hat die Ortsgruppe Tübingen des Schwäbischen Heimatbundes (SHB) anlässlich der Vorstellung des dortigen denkmalpflegerischen Werteplanes versucht, der Stadtverwaltung mit Oberbürgermeister Boris Palmer zu verdeutlichen, dass hinter diesem nun publizierten und damit fest zementierten „Nichtwissen“ (s.o.) selbst für Orte wie dem denkmalaffinen Tübingen eine große Gefahr lauert: Der hohe Grad an fehlender Kenntnis durch fehlende Untersuchungen und damit geringen Wissensstand zu den hier aufgelisteten Bauten kann zu einem hohen Verlust an bauhistorisch und restauratorisch hochrelevanter Bausubstanz führen, eben weil die Nichtkulturdenkmale durch die Denkmalpflege selbst von einer weiteren wissenschaftlichen Beschäftigung ausgegrenzt werden! Die Stadtverwaltung konnte das Problem schließlich nachvollziehen und sieht nun auch, dass hier Eigenverantwortung der Kommune gefragt ist.
Die wissenschaftlichen Grundlagen für den Lienzinger „Werteplan“ waren im Unterschied zu Tübingen weitaus besser, da hier schon seit vielen Jahren intensiv geforscht wurde und im proportionalen Verhältnis zu Tübingen zu sehr viel mehr Bauten umfassende Erkenntnisse vorliegen. Dennoch: selbst hier verbergen sich in nicht geringer Zahl noch unerforschte Bauten.
Dabei darf nicht vergessen werden: Investoren lesen solche „Wertepläne“ meist mit anderen Augen, als Denkmalschützer! Damit laufen wir auch hier aus wissenschaftlicher Perspektive große Gefahr, unwissentlich eine hohe Zahl wertvoller Geschichtszeugnisse zu verlieren: sei es substanziell durch Abbruch oder Umbau, sei es wissenschaftlich-ideell durch den Verzicht auf eine Untersuchung und Dokumentation!
Meine grundsätzliche Empfehlung: man sollte über nichts entscheiden, über das man nichts weiß! Bedeutet: erst Wissen anreichern, dann überlegen und abwägen und erst dann entscheiden!
Vielleicht sollte man sich als zeitgemäße, klimabewusste Kommune generell die Frage stellen, ob es heute nicht vielmehr darum geht, zu erhalten was sanierungstechnisch erhalten werden kann und das, was tatsächlich nicht mehr zu erhalten ist, wenigstens wissenschaftlich-dokumentatorisch zu begleiten. Geht man so vor, dann erübrigt sich die Frage, ob ein Gebäude ein „Kulturdenkmal“ darstellt oder nicht. Damit wären sämtliche historische Hausbauten rechtlich ungebundene „Verdachtsfälle“, um die man sich eben aus der Eigenverantwortung heraus kümmern muss. Und das macht man am besten dann, wenn an einem Objekt Bauabsichten angemeldet werden. Bauhistorisch-restauratorische Voruntersuchungen sind zeitlich, personell oder finanziell praktisch weder leistbar noch erforderlich, geschweige denn in einem bewohnten Gebäude auch ausreichend durchführbar. Wenn aber substanzielle Eingriffe anstehen, sollte am besten noch vor dem eigentlichen Planungsstadium mit entsprechender Wissensanreicherung reagiert werden! Dann geht es nur noch darum, wie man sanierungstechnisch sinnvoll vorgehen sollte und die Denkmalpflege müsste sich auch deutlich weniger mit dem „Feindbild“, mit dem sie sich leider in weiten Teilen der Bevölkerung ausgesetzt sieht, herumschlagen, sondern könnte sich als fachlich kompetenter Berater für Kulturdenkmale wie auch für Nichtkulturdenkmale positiv etablieren.
An die Jugend von heute gerichtet, der die klimatische Entwicklung auf diesem Planeten ein hohes Anliegen ist:
Bei der aktiven Erhaltung von historischen Altbauten geht auch um Jahrhunderte lang fest im Bauholz gespeichertes CO2, das beim Abbruch der Altbauten freigesetzt wird. Mindestens ebenso bedeutsam: ihr Ersatz durch Neubauten fördert die Verwendung von klimatisch höchst fragwürdigen, hochenergetischen Baustoffen, wie Beton, Stahl und auch Glas sowie künstlich hergestellten Dämmstoffen!!
Auch in dieser Hinsicht sollten wir alle endlich Abstand von der allzu lange tradierten Mentalität einer Wegwerfgesellschaft gewinnen, die letztlich nur sich selbst beseitigt.
Das alles kostet natürlich auch Geld, führt aber auf lange Frist zu einem bewussteren und auch ökologischeren Umgang mit historischen Ortskernen und nicht zuletzt: das Ortsbild, also das Gesicht eurer Heimat, kann dabei nur gewinnen.
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