Das kleine Haus der Marie Herz

Das ist doch eine glatte Eins. Oder? Ungewöhnlich gut überliefert nennt das Landesamt für Denkmalpflege den bis heute ländlich geprägten Ort. Lienzingen. Doch wie statisch ist Denkmalschutz, wie und wann greift er??  Am Beispiel von Herzenhäusle und die Erfahrung mit Friedenstraße 12.

Tilman Marstaller nimmt mit einem Bohrer Holzproben vom Herzenhäusle.

Die Erhaltung des historischen Ortskernes von Lienzingen darf nicht nur die eingetragenen Kulturdenkmale zum Maßstab nehmen, sondern muss wirklich die Gesamtanlage im Visier haben. Notwendig ist deshalb, bei geplanten Eingriffen in den Bestand nicht nur nach dem 2012 vorgelegten denkmalpflegerischen Werteplan zu entscheiden, sondern den Einzelfall zusätzlich zu untersuchen. Diese Lehre ist aus dem Fall Friedenstraße 12 zu ziehen.

Die Holzproben

Darauf verstärkt zu achten, muss sich die untere Denkmalschutzbehörde bei der Stadt Mühlacker als Ziel vornehmen. Die Crux: Sie besteht aus gerade mal zwei Verwaltungsfachleuten, den denkmalpflegerischen Sachverstand muss die fachkundige Landesbehörde zuliefern. Die zuständige Tina Frühauf sitzt in der Außenstelle Karlsruhe des LDA, betreut als Ein-Frau-Unternehmen sowohl den Enzkreis als auch den Kreis Rastatt.

Vorbildlich die Dokumentation des Herzenhäusle, ganz ohne Landesdenkmalamt. Jetzt griff Tilman Marstaller zum Bohrer.

Lienzingen kann stolz sein über 85 Kulturdenkmale – im Enzkreis stehen mit 110 nur in Knittlingen mehr. Das Ortsbild beherrschen Fachwerkbauten des 16. bis 18. Jahrhunderts. Lienzingen gilt als eines der wenigen sogenannten Etterdörfer, die im deutschen Raum vorhanden sind. Perlen des ländlichen Raumes. Zwar erfolgte die detaillierte Ortsanalyse mit umfangreicher Untersuchung von Bausubstanz und Stadtstruktur vor gut zehn Jahren. Doch die jetzigen Erfahrungen um den fast beendeten Abbruch des Gebäudes Friedenstraße 12 lehren, dass nicht Maßstab ein Beschluss des Gemeinderats für den Abbruch sein kann und darf, sondern eine vorherige genaue Untersuchung des Gebäudes durch Fachleute. Der jedoch fehlt.

Denn der seinerzeit präsentierte Werteplan als Grundlage für die  Gesamtanlagesatzung und die Abgrenzung des geschützten Areals gilt als wichtiger Orientierungspunkt, verträgt aber im konkreten Fall eine vertiefende Untersuchung. Daran mangelt es offenkundig.

Der Fall Herzenhäusle mit seinen niemals erwarteten Geheimnissen ist ein solch typischer Fall, Friedenstraße 12 ebenso, wenn auch unterschiedlich in Größe, Substanz und Präsenz.

Das kleine Haus der Marie Herz: Hinter einer maroden Fassade wirkt das gedrungene, unscheinbare Gebäude, gleich  hinter dem Haus Link, als wertlose Immobilie, die nur abgeräumt gehört, deshalb auch nicht mehr zu halten ist. Doch zeigte die zufällige nähere Beschäftigung mit dem Objekt, dass es wider Erwarten ortsgeschichtlich bedeutend ist. Diese Erfahrungen, die auf alle Stadtteile mit historischem Bestand zutreffen, muss beim zuständigen Ministerium als auch beim Landesdenkmalamt vorgebracht werden. Oberbürgermeister Frank Schneider und Bürgermeister Winfried Abicht leisteten die notwendige Unterstützung, um den Bestand des altersschwachen Bauwerkes zu dokumentieren.

Die Hausansicht mit 3D-Plänen deutlich gemacht - farbig einzelne Bauzeiten.

Alles nur wegen den fünf W, die Grundregel des Journalismus. Wann? Wo? Wie? Wer? Wie?  Warum? Woher? Antworten auf die sieben W muss eine ordentliche Nachricht liefern. Als ich eine kleine Pressemitteilung über die Antwort der Stadtverwaltung über den eigentlich überfälligen Abbruch schreiben wollte, blieb ich am Wann hängen: Wann wurde das Haus gebaut? Die ersten Recherchen endeten ergebnislos, zumindest im Nachweis der Richtigkeit angeblicher Fakten.

Letztlich war dies aber ein Zufallstreffer, weil die gemeinsamen Recherchen von Stadtarchivarin Marlis Lippik und mir gezeigt hatten, dass das Häusle nicht in den 1930er-Jahren errichtet wurde, wie lange Jahre vermutet, sondern schon 1842 gestanden hat. Das ließ sich unter anderem den Akten der damaligen Feuerversicherung entnehmen – die von Lippik entdeckte Spur - und auch der Urkarte des Dorfes. Die Fakten: Es diente in diesen beiden Jahrhunderten als Heuhütte, als Töpferei und schließlich seit 1863 als Wohnraum für Tagelöhner.

Doch damit ließ sich die Erarbeitung der gewünschten Dokumentation des Hauses für die Nachwelt mit der Ermittlung des Baujahres verknüpfen.   Das geschieht in zwei Schritten: Einen halben Tag lang brauchte dazu zuerst Tilman Riegler. Er nahm die Maße des Gebäudes mit Hilfe von 3D-Scanner und Tachymeter auf. Wie alt es wirklich ist, will nun Tilman Marstaller mit Hilfe der Dendrochronologie ermitteln. Der freie Bauforscher und Archäologe ist Lehrbeauftragter am Institut für Ur- und Frühgeschichte sowie für Archäologie des Mittelalters an der Universität Tübingen. Er nahm am Freitag Holzproben, die nun in einem Labor untersucht werden, um anhand der Jahresringe das mögliche Baujahr zu erfahren.

Antonio Sica und das Huhn als wirklich letzte Bewohnerin (Fotos: Günter Bächle/Tilman Marstaller)

Marstaller hatte vor mehr als einem Jahrzehnt das Alter von insgesamt 135 Gebäuden im Ortskern von Lienzingen erhoben – weder das Herzenhäusle noch das Gebäude Friedenstraße 12 standen damals auf der Liste. Die Ergebnisse für Friedenstraße 26/1 – so die amtliche Adresse des Häusles am Bachweg - werden in einigen Wochen vorliegen, allerdings zeichnet sich schon ab, was eigentlich zu erwarten war: Das Gebäude war mehrmals umgebaut und erweitert worden. Aber ein “Kern-Haus“ ist wohl vorhanden. Jedenfalls eine spannende Sache.

Der abschließende Bericht wird der Öffentlichkeit vorgestellt. Aber das Haus steht dann nicht mehr, der Abbruch beginnt in den nächsten Tagen. Denn diese Ausgaben werden aus dem Topf bezahlt, aus dem auch die Gelder zum Beispiel für private Gebäudesanierungen fließen. Das Land will bis Ende April 2022 die Abrechnung sehen. Danach können auch die Vorarbeiten für ein neues Sanierungsgebiet anlaufen. Zeitdruck entstand deshalb beim Abbruch von Friedenstraße 12 neben dem Rathaus.

Weil die Zeit vor dem von der Stadt bereits erteilten Abbruchauftrag für Friedenstraße 12 nicht mehr für eine wissenschaftliche Dokumentation reichte, hielten die Mitarbeiter des Hochbauamtes das Gebäude innen und außen fotografisch ganz detailliert fest, um Marstaller die Möglichkeit einer Bewertung zu geben. Zum Glück! Marstaller entdeckte mit kundigem Blick, dass das Gebäude rund 100 Jahre älter gewesen sei als im Werteplan von 2010 angegeben. Baujahr 1800 statt 1900. Nur die Angaben über die spätere Anbringung der Klinkerfront träfen zu, verriet er am Freitag.

Zwei Lienzinger mit Huhn

Der Volksmund benannte Haus und Weg nach der Witwe Maria Herz, die in dem Gebäude 1968 starb. Dass sie die letzte Bewohnerin gewesen war, muss korrigiert werden. Durch die Veröffentlichungen fühlten sich die Lienzinger angesprochen und so kam der Hinweis, dass 1968 für einige Zeit eine italienische Familie eingezogen war. Erfreulich das Interesse der Lienzinger an dieser Ortsgeschichte. Offen ist, wann die Familie auszog, doch seitdem steht das einfach gebaute Häusle leer, an dem allerdings der Zahn der Zeit immer weiter genagt hat. Und dies in vielen Jahren.

Als Marstaller am Freitag seine Proben nahm, schaute interessiert auch ein Huhn zu, das sich von Marstaller nicht zu verscheuchen vermochte. Aber es ließ sich dann von Antonio Sica auf den Arm nehmen, denn der hielt in den der Stadt gehörenden Räumen zuletzt Hühner und Hasen.

Das Herzenhäusle - abgeschichtet mit einem 3D-Scan, 360 Grad. (Quelle: Tilman Riegler)

 

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