Raritäten aus dem Bilderalbum von Lore Rieger: Das schöne Familienfoto von 1930 - mit Gemischtwarenhandel und Tankstelle

Hauptstraße 60, heute Friedenstraße 12 im Jahr 1930 - Foto mit Seltenheitswert. Die erste, zwei Jahre zuvor montierte Benzin-Zapfsäule davor, Im Hintergrund der Gemischtwarenladen von Gottlob und Luise Common, die sich zum Familienfoto aufgestellt hatten zusammen mit Frida Stickel und Lore, die jetzt 92-Jährige als Mädchen. Es war das elterliche Haus (Foto: Sammlung Lore Rieger, Neuwiesenstraße)

Als Lore Rieger den Bericht über den Abbruch des Gebäudes Friedenstraße 12 gelesen hatte, stöberte sie in ihrem Fotoalbum und fand eine Rarität: Eine Aufnahme des Hauses, damals Hauptstraße 60, aus dem Jahr 1930 mit der Benzin-Zapfsäule davor. Im Hintergrund der Gemischtwarenladen von Gottlob und Luise Common, die sich zum Familienfoto in Position gebracht hatten. Neben ihnen Frida Stickel und Lore, die jetzt 92-Jährige als Mädchen. Es war das elterliche Haus.

Lienzinger Geschichte(n) oder Abbruch, die Zweite. Und unerwartete historische Aufnahmen von Friedenstraße 12, die begeistern

Seit Monaten auf der Suche nach einem solchen Foto mit der ersten Tankstelle von Lienzingen, löst das Begeisterung bei mir aus.  Nachdem ich die inzwischen fast in Vergessenheit geratene Geschichte der Zapfsäulen in dem Dorf recherchiert  – eine zweite entstand 1929 ein Stück weiter - und für den Blog aufgearbeitet hatte, suchte ich ein Foto mit einer dieser beiden Benzin-Ladestationen in Lienzingen als Motiv. Bei meiner Recherche stieß ich auf das Historische Archiv von BP/Aral in Bochum. Die hatten eine mit Lienzingen typengleiche Zapfstelle im digitalen Fundus,  allerdings in einem Ort im Harz. Immerhin ließ sich damit eine Lücke überbrücken, so dass die User wenigstens sahen, wie eine solche Tankstelle in den Anfangsjahren der Motorisierung aussah.

Tankstelle weg: Aufnahme vermutlich um 1950, links die Post, rechts der Tante-Emma-Laden, Daneben das Rathaus. (Foto: Sammlung Lore Rieger)

Deshalb kam bei Lore Riegers Fund die Riesen-Freude auf. Unerwartet.  Eine große Rarität, freute  sich auch Stadtarchivarin Marlis Lippik, die das kostbare Stück Ortsgeschichte inzwischen ihrem Bildfundus hinzugefügt hat.

In dem Gebäude Hauptstraße 60, heute Friedenstraße 12, war mehr als ein Jahrhundert lang ein Teil der Lienzinger Infrastruktur untergebracht, wie sich auch in dem 2016 erschienenen Ortsbuch Lienzingen nachlesen lässt. Albert Schnabel betrieb darin von 1927 bis 1929 in dem um 1900 errichteten Haus mit der, für den historischen Ortskern eher ungewohnten und wohl erst einige Jahre später angebrachten Klinkerfront die Poststelle und den Gemischtwarenhandel. Er war es auch, der 1928 vor dem Gebäude die erste Tankstelle in Lienzingen errichtet hatte – die Marke „Olex“ stand für die Aktiengesellschaft für österreichische und ungarische Mineralölprodukte, der heutigen BP. Immerhin führte durch den Ort die Reichsstraße 35 (heute Bundesstraße 35).  Als Schnabel 1929 verkaufte, übernahm die Familie Common den Laden und die Postagentur, zuerst Gottlob Common und dann bis zu ihrem Tod 1966 Frida Stickel, geborene Common.

Die Mitte voriger Woche begonnenen Abbrucharbeiten - mehr als 90 Jahre nach diesem Fototermin - mussten nach wenigen Tagen auf Anordnung des amtlichen Denkmalschutzes eingestellt werden, weil die notwendige Genehmigung durchs Regierungspräsidium fehlte. Das Gebäude Friedenstraße 12 sei zwar, steht in der  Antwort des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12. Januar an mich, ein erhaltenswertes Gebäude, aber kein Kulturdenkmal nach dem Denkmalschutzgesetz. Da das Gebäude im Geltungsbereich der Gesamtanlage "Etterdorf Lienzingen" liege, bedürften Veränderungen laut Gesamtanlagensatzung der Genehmigung durch die untere Denkmalschutzbehörde bei der Stadt Mühlacker. Bei diesem Verfahren sei dann das Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium (RP) Stuttgart zu beteiligen, das die fachlichen Belange der Denkmalpflege vertrete, ließ Markus Breithaupt von der Abteilung Denkmalpflege des Regierungspräsidiums mich weiterwissen. Worauf ich als Ratsmitglied im Rathaus nachfragte, ob das so beschriebene Verfahren für das Gebäude Friedenstraße 12 abgeschlossen sei. Das sei zwar zunächst mündlich bejaht worden, aber wohl eher vorschnell.

Die Antragstellung der Stadt beim RP erfolgte am 24. Januar, die Abbrucharbeiten begannen schon zwei Arbeitstage zuvor. Da die Stadt Eigentümerin ist, entscheidet das Regierungspräsidium. Der zu späte Antrag beruht nach meiner Überzeugung möglicherweise auf Unkenntnis, schließlich gehört der Abbruch von Gebäuden in einem historischen Ortskern auch für kommunale Hochbaumitarbeiter nicht zum alltäglichen Geschäft. Der Fall sollte dazu führen, für solche Themen mehr zu sensibilisieren. Hier gilt der Seufzer: Gerade noch gemerkt.

Zwar müssten die Abbrucharbeiten nun für einige Tage ruhen, das ist aber besser, als wenn es ein Schwarzabbruch gewesen wäre. Der Antrag auf Abbruch des Gebäudes Friedenstraße 12 in Mühlacker-Lienzingen sei am 24. Januar 2022 beim Regierungspräsidium eingegangen und zur denkmalfachlichen Stellungnahme umgehend an das Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart (LAD) weitergeleitet worden, steht im zweiten Antwortschreiben von Breithaupt. Wir gehen davon aus, dass wir der Stadt Mühlacker im Laufe der nächsten Woche unsere Entscheidung zukommen lassen. Das LAD hat vorab signalisiert, dass gegen den Abbruch keine Bedenken bestehen. In unsere Entscheidung werden wir eine Auflage mitaufnehmen, wonach das Grundstück innerhalb der nächsten drei Jahre in Abstimmung mit dem LAD wieder zu bebauen ist.

Laut Satzung „Etterdorf Lienzingen“ bedürfe, so der RP-Fachmann, die Veränderung an dem geschützten Bild der Gesamtanlage, also auch die Errichtung eines Neubaus, einer denkmalschutzrechtlichen Genehmigung. Über den Antrag auf denkmalschutzrechtliche Genehmigung, für den bei einem privaten Antragsteller die untere Denkmalschutzbehörde bei der Stadt Mühlacker zuständig sei, werde nach Anhörung des LAD entschieden.

Eine gute und kluge Entscheidung - diese Wiederaufbauverpflichtung.  Denn die Beseitigung der durch den Abbruch entstehenden schmerzlichen Lücke in der historischen Straßenfront darf nicht zum Spielball der Kommunalpolitik und zufälligen Mehrheiten ausgesetzt werden. Was von Privaten verlangt wird, muss von der Stadt vorgelebt werden

Abbruchprojekt: Wie es dazu kam. (Fotos: Günter Bächle)

In den Jahren 2019/20 gab es Überlegungen, wenigstens die historische Fassade zu erhalten. Eine gute Idee von Bürgermeister Winfried Abicht, die leider in der Diskussion um die Zukunft der Stadtbau GmbH unterging. Dieses Konzept sei deshalb nicht mehr weiterverfolgt worden – aber die anschließende dreimalige Ausschreibung und Suche nach einem Käufer scheiterte grandios.

Die Vorgeschichte des Abbruchs offenzulegen, ist wichtig:

Die Erschließung sei kompliziert und die Raumhohe betrage nur 2,30 Meter, sagte ein von der Stadtbau Mühlacker vor rund drei Jahren befragter Architekt. Dessen Aussage: Wolle man die allgemein anerkannten Regeln der Technik anwenden, sei dies nur mit erheblichem Aufwand möglich. Man solle dann nur punktuell in die vorhandene Struktur eingreifen mit je einer Wohnung oben und einer unten. Wolle man mehrere kleinere Wohnungen, empfahl der Fachmann, das Gebäude komplett abzureißen und zu vergrößern. Bei vier Wohnungen errechnet er damals Kosten von 1,1 Millionen Euro. Kernstück eines zweiten Konzepts – von einem anderen Architekten – war eine Haus-in-Haus-Lösung: Für 800.000 Euro die Außenwand stehen zu lassen, das Gebäude zu entkernen und im Inneren dann ein Holzhaus oder einen Neubau hochzuziehen, dem Gebäude sozusagen eine zweite Hülle zu geben.  

Allerdings sind die Konzepte weder von der Stadtbau nach dem Weggang des Geschäftsführers noch von der Kommune weiterverfolgt worden, das Objekt wurde ein Opfer der Debatte um die Zukunft der Stadtbau.  Diese Vorgeschichte darzustellen sei wichtig, da in Lienzingen jetzt kritisch gefragt wird, ob die Stadt leichter abreißen könne als Private. Deshalb sei es gut, dass das Landesdenkmalamt nun seine Hand drauf legt auf den anstehenden Lückenschluss, die Neubaupläne erst absegnen muss und sie so glücklicherweise der kommunalpolitischen Beliebigkeit entzieht.  Der Nachfolgebau muss in die Häuserfront passen.

Gut ist, dass die Stadtverwaltung – Hochbau und Gebäudemanagement – das Gebäude fotografisch von innen und außen liebevoll dokumentiert hat und so für die Nachwelt aufbewahrt. Den Weg zum Abbruch machte denn auch der Gemeinderat frei. Darauf hinzuweisen, schadet nicht. Ansonsten gilt: Der Nachfolgebau muss in die Häuserfront passen.

Ende Januar 2022: Zwangspause beim Abbruch nach dem ersten Teil der Entkernung des vor gut 120 Jahren errichteten Gebäudes

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