Erhaltenswert und trotzdem vor dem Abbruch: Klinker, Zierglieder, Zwerchhaus verschwinden

Drei Häuser-Front im Jahr 2018 an der Friedenstraße in Lienzingen: Rathaus - Friedenstraße von Hausnummer 10 bis 14. Foto: Günter Bächle

Das lokale Postamt mit Fernsprechzelle ganz links, im sich anschließenden Raum ein Tante-Emma-Laden, der viele Jahre auch zur eigentlich guten Nahversorgung des Dorfes beitrug. Anschließend zog auf dieser Fläche im Erdgeschoss ein Friseur ein. Im ersten Stock befindet sich eine Wohnung und vor dem Haus stand die erste Tankstelle Lienzingens: Obwohl im Verhältnis zu den Kulturdenkmalen noch jung, stellt das Gebäude Friedenstraße 12 ein eigenes Stück Lienzinger Ortsgeschichte dar. Jetzt wird das sich ans alte Rathaus anlehnende zweigeschossige Haus abgebrochen. Alle Versuche der Kommune, die das Anwesen vor sieben Jahren erstand, es wieder in private Hände zu bringen, die es hätten sanieren müssen, scheiterten. Also wird es in den nächsten zwei Wochen abgebrochen. Das dann freie Grundstücke soll vermarktet und wieder bebaut werden – mit den gehabten Formen.

Zu achten ist darauf, dass die Proportionen und die Außengestaltung stimmen werden und auch optisch kein Fremdkörper in diesem historischen Straßenzug entsteht.  In dem Gebäude war mehr als ein Jahrhundert lang ein Teil der Lienzinger Infrastruktur untergebracht. Von 1929 an führte die Familie Common die Lienzinger Postagentur, zuerst Gottlob Common und dann bis zu ihrem Tod 1966 Frida Stickel, geborene Common. Albert Schnabel betrieb darin von 1927 bis 1929 die Poststelle mit dem kleinen Einkaufsladen. Er war es auch, der vor dem Gebäude die erste Tankstelle in Lienzingen errichtete.  Von dem Laden könne man nicht leben, sagte er, verkaufte daraufhin 1929 Grund und Boden.  

In ihrem kleinen Laden bot Frida Stickel nicht nur Ess- und Trinkbares gegen Hunger und Durst an, sondern auch lange Zeit auch Drogeriewaren, wie Johannes Bastian im Ortsbuch Lienzingen von 2016 schrieb (S. 224).

Lienzinger Geschichte(n): Diesmal aktuell Abbruch von Friedenstraße 12 nach gut 120 Jahren und seine Geschichte

Im Jahr 1928 erlebte Lienzingen eine Premiere: die erste Tanksäule, ein Jahr später die zweite, beide an der damaligen Hauptstraße, Nummer 16 und 111 (heute Friedensstraße 12 und 26). Pläne, diese zweite Anlage 1937/38 zu erweitern, scheiterten am Nein des Generalinspekteurs für das deutsche Straßenwesen. Die beiden Sprit-Ladestationen überdauerten das Kriegsende von 1945 nicht. Zwar gab es 1928/29 nur zwei amtlich zugelassene Kraftfahrzeuge in dem seinerzeit gut 700 Einwohner zählenden Dorf, doch die Tankstellenbetreiber lebten weitgehend vom Durchgangsverkehr. Die Reichsstraße 35 (heute Bundesstraße 35) führte mitten durch den Ort. Erst seit dem 1. November 1951 nimmt die etwa einen Kilometer lange Umgehung den Verkehr auf, die südwestlich parallel zum Ort verläuft. Ein erster Anlauf zum Bau 1940 musste kriegsbedingt bald wieder eingestellt werden.

Als kleiner Junge, der zwar schon schreiben konnte, aber mit der Geografie noch so seine Schwierigkeiten hatte, ging ich, in einer Hand eine Postkarte mit Lienzinger Motiven, auf die Post, dem kleinen abgetrennten Vorraum auf der linken Seite des Gebäudes (heute Friedenstraße 12) und wollte eine Briefmarke kaufen. Hinter der Schalterwand saß Frida Common. Sie schaute durch die offene größere Klappe und dann entwickelte sich folgender Dialog:

Common:  Was willsch denn?

Ich:   A Briefmarka für die Poschtkart nach Amerika

Common:   Dann gib‘ s amoal her. (Sie schaute sich das Adressenfeld an, brach in schallendes Lachen aus und steckte mir die Karte wieder zu)

Common, nachdem sie die Adresse gelesen hatte: Amerika isch groß, des geht net…

Hatte ich doch brav es so geschrieben, wie es daheim immer gesprochen wurde: An Frau Lina Schrodt, Amerika.

Wird abgebrochen: Friedenstraße 12

Mit der Stadt, in der die Verwandten aus unserer Schützinger-Schrodt-Linie ich noch hätte dienen können, war Detroit in den USA. Nur mit der Straßennamen hätte es mächtig gehapert. Also zog ich, leicht verlegen, wieder ab in Richtung heutiger Knittlinger Straße, wo wir in dem Fachwerkhaus unterhalb des Gasthauses Lamm wohnten und das der Familie Kontzi gehört.

Was verbinde ich noch mit der Friedenstraße 12 noch? Paul Wiest, Friseurmeister, Chef der Friseurinnung im Kreis Vaihingen, Schiedsrichter, Sänger, zeitweise Vorsitzender des Männergesangvereins Freundschaft Lienzingen. Ein Meister des Ehrenamtes. Meist schaute ich in jungen und jüngeren Jahren erst dann bei ihm vorbei, wenn der Haarschopf schon seine Façon verloren hatte. Die Zeit der Beatle- Frisuren, langes Haar – mir passte das durchaus. Ein Friseur wurde an mir nicht reich. Dabei plauderte ich immer nett mit Paul Wiest über die große und kleine Politik. Der Mann, der aus Hohenhaslach nach Lienzingen umgezogen war, und ich lagen, politisch gesehen, auf der schwarzen Linie.

Die Flurstücke 18/2 und 18/3 hatten beim Kauf durch die Stadt knapp 400 Quadratmeter, einige sind inzwischen abgezwackt worden. In der Ortsanalyse, 2011 vom Fachbüro Riegler/Läpple im Auftrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe erarbeitet und veröffentlicht, als erhaltenswertes historisches traufständiges Gebäude bezeichnet. Sein besonderes Merkmal: zur Friedenstraße hin ausgerichtet ein Zwerghaus mit einem Geschoss und Spitzboden, unter einem Satteldach abschließend. Die Immobilie ist eine Fachwerkkonstruktion.

Die besondere Note: das gelbe Klinkermauerwerk. Zierglieder aus rotem Klinker befinden sich zwischen Erd- und erstem Obergeschoss sowie auf der Giebelseite des Zwerchhauses, bestehen aus Bändern und einfachen geometrischen Formen, steht in der Ortsanalyse. Das Gebäude unterscheide sich von den meisten anderen in der Friedenstraße durch seine vorgeblendete Klinkerfassade und die ungewöhnliche Kubatur. Es sei im Vergleich mit anderen Häusern dort jung. Errichtet worden ist es um 1900. Es unterscheidet sich innerhalb des historischen Straßenzuges der Friedenstraße durch seine Kubatur und durch seine Trauf-Ständigkeit. Die Denkmalexperten stuften das Haus aus sozialgeschichtlichen und siedlungstopografischen Gründen als erhaltenswert ein.

Postagentur in Lienzingen: Umschlagort für Briefe & Co.

Beim Kaufbeschluss im Oktober 2015 ging die Stadtverwaltung noch davon aus, dass sich die 170 Quadratmeter große und über zwei Etagen erstreckende Wohnung (mit sechs bis sieben Zimmer) vermieten lässt, genauso der Laden mit Nebenraum ebenerdig zur Straße, der sich für Werbung, Vereine und als Ausstellungsfläche sowie als weitere Lagermöglichkeit nutzen lasse. Garagen samt dem Stauraum unter dem Satteldach würden sich als Lagerstätten des Museums im Rathaus (Christbaumständer für die Ausstellung nebenan, in der immer nur ein Teil gezeigt werden kann) sowie für Vereine nutzen lassen.  Die Grundstücke liegen im Sanierungsgebiet Ortskern Lienzingen, weshalb vor dessen Ende im kommenden April kurz vor Toresschluss noch der Abbruch vollzogen wird – die Stadt erhält dafür aus dem Sanierungstopf des Landes 60 Prozent, genauso wie zuvor für Kauf, Entkernung und Räumung.

Letzte private Eigentümerin: Ingrid, die Witwe von Paul Wiest, der in dem ehemaligen Ladengeschäft einen Friseursalon betrieb, den seine Frau nach seinem Tod an eine Friseurin verpachtete. 2015 erwarb die Stadt für gut 140.000 Euro das Anwesen, um die dazu gehörende Fläche im rückwärtigen Bereich abzutrennen und eine zusätzliche Parkmöglichkeit für das alte Rathaus und sein Museum zu ermöglichen. Zwar plante die Stadtverwaltung, die Immobilie zu vermieten. Doch vor dem Kaufbeschluss standen die Signale im Gemeinderat im Oktober 2015 schon auf Weiterverkauf nach der Neuordnung des rückwärtigen Bereiches zur jüngeren, der unteren der beiden alten Schulen hin.  Damit war rasch klar, dass das Gebäude nicht auf Dauer in kommunalem Besitz bleibt – ganz entgegen der ursprünglichen Absicht der Verwaltung. Aber die kräftigen Kostenerhöhungen gegenüber den Schätzungen beim Baubeschluss besonders bei zwei Objekten ­- Bürgerhaus in Großglattbach und das alte Rathaus in Lienzingen - steckte den Räten noch in den Knochen.

Zum Kauf angepriesen: Immer wieder öffentlich ausgeschrieben, doch niemand wollte es letztlich haben und sich vertraglich binden, es nach den Vorgaben der Stadt zu modernisieren. Alle Interessenten schreckten zurück und sprangen ab, weil sich auf den zweiten Blick der Sanierungsaufwand als hoch herausstellte, die Substanz als zu schlecht, die Räume als zu niedrig. Bei einem Lokaltermin des zuständigen Ratsausschusses beschlich dieser Eindruck auch uns. Die Stadt konnte nicht auch noch einige Hunderttausend Euro in das Anwesen stecken, nachdem das benachbarte Rathaus saniert und mit dem Christbaumständermuseum neu genutzt wird, wofür Stadt und Land insgesamt fast eine Million Euro bezahlten.

Also fühlten sich die Stadträte in ihrer Position beim Kaufbeschluss bestätigt. Zumal die Berechnung der Architekten preislich ungünstig ausfiel. Sie wären laut ihrer Kalkulation bei einer Realisierung fällig geworden. Dieses Konzept, von der Stadtbau Mühlacker GmbH vorgegeben:  Stehenlassen der Fassaden und die vollständige Herausnahme des Gebäudeinneren mit einem anschließenden inneren Neuaufbau. Apropos Stadtbau: Der Neubau könnte doch eine gute Aufgabe sein?

Bau- und Lageplan der ersten Tankstelle in Lienzingen Lageplan für den Standort der ersten Tankstelle, genehmigt 1925: Neben dem Rathaus Lienzingen im Anwesen Schnabel, anschließend Common. Haus Nummer 16, heute Friedenstraße 12, blau umrandet, Bauherr: Albert Schnabel,   (Repro: StAL FL 20--18_Bü 214).

Letztlich kam der Gemeinderat zum Ergebnis: Abbruch und Neuaufbau ist die wirtschaftlichste Lösung und auch sachlich zu vertreten. Auf eine Rückfrage von mir beim Regierungspräsidium, wie die Angleichung des Neubaus an die Gestaltung des bisherigen Hauses Friedenstraße 12 gesichert werden könne, antwortete Markus Breithaupt vom Referat Denkmalschutz, das Gebäude Friedenstraße 12 sei zwar ein erhaltenswertes Gebäude, aber kein Kulturdenkmal nach dem Denkmalschutzgesetz. Da das Gebäude im Geltungsbereich der Gesamtanlage Etterdorf Lienzingen liege, bedürften Veränderungen nach der Gesamtanlagensatzung der Genehmigung durch die untere Denkmalschutzbehörde bei der Stadt Mühlacker. Bei diesem Verfahren sei dann das Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart zu beteiligen, das die fachlichen Belange der Denkmalpflege vertrete – als dies sei geschehen, versicherte die Stadtverwaltung.

Zeitgenössische Bilder mit baugleichen Zapfsäulen wie in Lienzingen: Olex TS Hamburg Heidenkampsweg 1928 (Album) - BFo. Von der Anlage in Lienzingen gibt es keine Fotos: (© Historisches Archiv BP/Aral)

Entschieden für einen Neuaufbau: An dieser geschlossenen Häuser-Front entlang der Friedenstraße darf keine Baulücke entstehen und auch kein Loch als Kleinausgabe des Mühlehofs-Lochs. Das wäre verheerend für das Etterdorf. Auf Anfrage antwortete Amtsleiter Konrad Teufel von der Stadtverwaltung, die Vermarktung des Grundstückes solle ähnlich dem Verfahren auf dem Gelände der früheren Bijouterie in Dürrmenz erfolgen. Die Interessenten müssten ein mit dem Planungsamt abgestimmtes Konzept vorlegen. Dadurch werde sichergestellt, dass die Bebauung auch im Sinne der Stadt erfolgt. Die Vorgaben für die Ausschreibung fehlen mir noch, ich werde aber gleich nochmal nachfassen, nachdem der Abbruchtermin jetzt endgültig feststeht. Wir wollen schnellstmöglich ausschreiben, die Nachfrage nach Bauplätzen ist unverändert hoch.

Die Arbeiten zum Abbruch von Friedenstraße 12 sind jetzt angelaufen, derzeit wird das Gebäude entkernt. Und Achtung: Nicht, dass es nicht so läuft wie nach dem Abbruch des Mühlehofs – dass nichts läuft. 

 

 

 

 

 

 

 

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