Von Feldstreben, kurzen Fußstreben und Mannstreben sowie geschweiften Kreuzen und Feuerböcken

Hofstraße 17, Dürrmenz (Foto: Antonia Bächle)

Schon der Titel des fast 300-seitigen Buches ist ungewöhnlich: Fachwerk lesen lernen. Tatsächlich reihen die Autoren Susanne Kaiser-Asoronye und Uwe Kaiser nicht Bild neben Bild, unterbrochen durch kurze Texte. Viel (Lese-)Stoff: Sie liefern ein wirkliches Lesebuch mit Geschichte und Geschichten, gleichzeitig aber auch einen Führer durch die Baukunst in mehr als drei Jahrhunderten - zeigen den Wandel bäuerlicher und bürgerlicher Bauten, wie Dr. Rainer Laun das Auftaktkapitel überschreibt. Er kennt den Enzkreis, war vor Jahren für dieses Gebiet beim Landesdenkmalamt zuständig.

Mehr als 100 Fachwerkbauten werden in dem jüngst erschienenen ersten Band (von zwei Bänden) vorgestellt. Mühlacker ist dabei gut vertreten: durch Dürrmenz und – mit Ausnahme von Lomersheim – mit den Stadtteilen, allen voran  Lienzingen. Ursprünglich plante das J.S. Klotz Verlagshaus (Bauschlott) einen einzigen Band, doch die Menge des Materials zwang zum Teilen. Sie passt nicht zwischen zwei Buchdeckel: die schier unerschöpfliche Vielfalt des Fachwerks im Enzkreis. Deshalb musste eine Auswahl getroffen werden, heißt es denn auch in einer Pressemitteilung aus dem Landratsamt Enzkreis, das das Projekt unterstützt.

Von Verblattung und Verzapfung, von Feldstreben, kurzer Fußstrebe und Mannstreben, die Gefache, von geschweiften Kreuzen und Feuerböcken – wer diese und andere Fach-Bezeichnungen als rätselhaft empfindet, erhält Antworten auf seine Fragen in mehreren eingeschobenen, ein- oder zweiseitigen Kapiteln, die dazu beitragen, aus dem Buch einen dreifachen (Reise-)Führer zu machen, der sein Geld wert ist: durch die Fachwerk-Landschaft Enzkreis, die Baugeschichte und das ABC der Fachwerk-Baukunst. Eine wohltuende Mischung aus schönen Fotos und nicht zu langen Texten.

 

Die Breite der Themen besticht und verrät, dass die Autoren ihr Handwerk verstehen, so wie einstmals die Erbauer der auf jeweils einer oder zwei Seiten präsentierten Gebäude-Steckbriefe. Zum Beispiel der frühere Zehntkeller des Klosters Herrenalb in Großglattbach, das Einfirsthaus in Dietlingen, das Alte Schlössle in Enzberg, den Posthof in Illingen, die alte Dorf- und Hufschmiede in Stein, repräsentative Hofanlagen in Mühlhausen an der Enz, reiches Zierfachwerk in einem herrschaftlichen Bau in der Brunnengasse in Dürrmenz.

Erhalten: Hofstraße 17 in Dürrmenz, das älteste Haus in Mühlacker Kernstadt (Foto: Antonia Bächle)

Ungewöhnliches Projekt in Dürrmenz:  Das älteste Haus in Mühlacker: Hofstraße, ehemals Katzenmaier-Haus, 1504 errichtet, wie 2011 der Mittelalterarchäologe Tilmann Marstaller mit einer dendrochronologischen Untersuchung – die Bestimmung des Alters des Holzes – überraschend errechnete. Da hatte der Gemeinderat schon den Abbruch des im Sanierungsgebiet Ortskern Dürrmenz stehenden Gebäudes beschlossen. Der Historisch-Archäologische Verein kämpfte für die Erhaltung, das Land Baden-Württemberg half sanft nach und wollte beantragte Sanierungsmittel nur genehmigen, wenn Hofstraße 17 gerettet wird. So kam es und ich als Stadtrat, der auch für den Abbruch votiert hatte, bin froh, dass man uns als Kommune nicht gewähren ließ. Das spätmittelalterliche Gebäude ist jetzt ein Schmuckstück.

Die Anfänge des Hausbaus, die beispielhaften Gebäude nach drei Zeitepochen geordnet, Wohnhäuser, Kirchen und Rathäuser, aber auch Fachwerk unter Fassadenputz, nichts zuletzt ein kleines Kapitel über inzwischen abgebrochene Fachwerkgebäude – die Beiträge lesen sich gut, da Layout ist gefällig. Das Buch lenke den Blick auf die in den historischen Kulturlandschaften bedeutsame Denkmalgruppe, helfe Bauweise und Geschichtlichkeit erkennen und entschlüsseln, schreibt der Präsident des Denkmalamtes Baden-Württemberg, Claus Wolf. So der mittelalterliche Ständerbau – exemplarisch dokumentiert am Nachtwächter in Lienzingen, eines der ältesten Fachwerkgebäude im Landkreis. Einst und jetzt fotografisch erfasst: vor der Instandsetzung 1985 und danach als Hotel und Restaurant. In dem spätmittelalterlichen Bauwerk außergewöhnliche Farbfunde.

Einige Seiten später ein Abstecher in die Herzenbühlgasse zum drittältesten Lienzinger Fachwerkbau, entstanden 1463/64. Schön herausgeputzt, selbst von eingefleischten Lienzingern ob des historischen Werts unterschätzt. Merkmale sind das massive Erdgeschoss mit Eckquader. Ein langgestrecktes Gebäude, saniert 2009. Sichtbar sind in den lichten Innenräumen auch die alten Holz-Verbindungen.

Die Königsbacher Autorin Susanne Kaiser-Asoronye, die das Buch als Herzensprojekt bezeichnet, sowie der Fotograf Uwe Kaiser, entwickelten dieses regionale Standard-Werk. Ob die Lektüre im schönsten Falle Leute dazu animiert, alten Fachwerkhäusern neues Leben einzuhauchen, damit diese auch in Zukunft noch ihre Geschichte erzählen können? Zu hoffen wäre es. Ich hätte da noch Adressen in Lienzingen...

Gefälliges Layout: Haus in der Herzenbühlgasse auf zwei Seiten im neuen Fachwerk-Buch

 

Fachwerk lesen lernen:  von Susanne Kaiser-Asoronye, Fotografie: Uwe Kaiser - Format: 170 x 240 cm, Hardcover, mind. 280 Seiten. Preis: 29,90 Euro. Verlagshaus J.F. Klotz

 

 

 

 

 

 

Trackbacks

Trackback-URL für diesen Eintrag

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!


Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.