Digital, weil nicht egal

Das waren noch Zeiten, als die Lokalzeitungen mit größtem Abstand die meisten Haushalte erreichten. Es waren gute Zeiten für die Demokratie, aber auch für unsere Kommunen. Unabhängige Nachrichtenbringer und Kommentatoren, die in den Redaktionsstuben den Lauf der Dinge vor Ort verfolgten. Die Redaktionsstuben gibt es  immer noch, doch häufiger mit weniger Journalisten besetzt als noch zu Zeiten der Wende 1990. Damals feierten die Tageszeitungen Rekorde in den Auflagezahlen. Doch der demographische Wandel machte ihnen danach so zu schaffen, so dass manche Blätter bis jetzt ein Drittel ihrer Auflage verloren. Die Alten sterben weg, weniger Jungen wachsen als Abonnenten nach. Auflage stabil zu halten wird schon als Erfolg gefeiert. Wie bescheiden sind wir - zwangsweise - geworden!

Enzberg: hohberg.blog.de - ein weiterer Bürgerblog zu den rechtlichen Festsetzungen in den Gartenhausgebieten, die geändert werden sollen

In manchen Neugebieten sind die Leser der Zeitungen äußerst rar, Mühlackers relativ hoher Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund - besonders in der Kernstadt - ist nicht gerade ein Nährboden, um viele neue Abos zu schreiben. Der Klick auf Smartphone oder Tablet ist schneller und kostet (meist) nichts. In den sozialen Medien spielt sich spürbar lokaler Diskurs ab, manchmal auch in wirrer Form. Subjektives wird zum Objektiven, obwohl es immer subjektv bleibt. Wer fragt nach Fakten, Fakten, Fakten? Die Tageszeitungen liefern täglich und stündlich Gratis-Häppchen der Neuigkeiten im Netz, die manche schon satt macht. Mein Herz schlägt für das gedruckte Medium. Selbst bei meinen abonnierten E-Paper-Ausgaben drucke ich mir schon mal Seiten aus. Ich finde, dann liest es sich besser.

Bürger-Blogger - oder was?

Elektronisch oder gedruckt: Ich wünsche mir eine Renaissance der Lokal- und Regionalzeitungen. Einmal der Demokratie wegen, die informierte Menschen braucht. Aber auch zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Meine Erfahrung im Kreis Ludwigsburg: Je größer das Wir-Gefühl in einem Ort, um so höher die Zahl der Zeitungsleser. Das Lokalblatt als Teil der Identifikation mit der Gemeinschaft. Wer seine Kommune liebt, dort verankert ist, will auch gut informiert sein. So jedenfalls meine Wahrnehmung aus 46 Jahren Zeitungsmacher-Tätigkeit. Eine Rechnung geht dabei aber nicht auf: Immer weniger Seiten für immer mehr Geld. Informationsaufgabe und Betriebswirtschaft müssen zueinander passen.

Leider fragen wir auch bei den lokalen Nachrichtenangeboten zuwenig nach dem Qualitätsgrad, also nach dem Wie, sondern eher nach dem Wieviel. Stadt- und Regionalpolitik müssen transportiert werden. Wenn aber ein Sender wie in unserem Fall Prinat immer weniger Empfänger hat, leidet die Vermittlung von Bericht und Meinung in beiden Richtungen. So ist denn auch eine zentrale Frage, die in Rathäusern und Landratsämtern gestellt wird: Wie erreichen wir unsere gesamte Bürgerschaft? Eine Frage, die seit einigen Jahren auch in Mühlacker aufgeworfen wird. Internetseiten plus App sind zwei Versuche von Stadt und Kreis, die Schar der Empfänger zu erhöhen. Motto: Digital, weil nicht egal.

Dabei können wir uns in Mühlacker und im Enzkreis noch glücklich schätzen, drei konkurrierende Lokalzeitungen kaufen zu können. Keine journalistische Einöde, kein Monopolblatt. Journalistisch gesehen paradiesische Zustände. Wenn da nur nicht die Leserflucht wäre. In den Randgebieten des Kreises zu Vaihingen und zu Leonberg hin sogar jeweils ein Blatt mehr.

Der Öffentlichkeitsmarkt veränderte sich mit dem Netz radikal. Städte, Gemeinden und Landkreise reagierten mit dem Ausbau der eigenen Öffentlichkeitsarbeit (ÖA), um ihre Nachrichten in nun quantitätsmäßig gewachsenen Medien-Kanälen unterzubringen. Das Mehr an Kanälen ist nicht gleichbedeutend mit einem  Mehr an Qualität. Aber das nur als Seufzer eines gelernten Journalisten.

Vor fünf Jahren lieferte die Stadtverwaltung Mühlacker eine gute Bestandsaufnahme ihrer Öffentlichkeitsarbeit als Ergebnis eines Antrags meiner Fraktion. Doch das Defizit blieb. Immer noch ist dafür nur der minimale Bruchteil einer einzigen Stelle vorgesehen. Offenbar analog dazu fallen die Pressemitteilungen aus dem Rathaus  für die ausgedünnten Reaktionsstuben ausgesprochen sparsam aus, sowohl in Zahl als auch in Inhalt. Der Diagnose folgte nach 2016 nicht die Therapie. Der Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit von Gemeinderat und Stadtverwaltung tagte nur einmal. Seitdem ruht der See. Vorsicht, das ist die falsche Richtung: Mühlacker ÖA wird defensiv, nicht offensiv betrieben.

Da bieten manche Bürgergruppen mehr an Infos. Jetzt stieß ich auf den hoberg.blog aus Enzberg, monothematisch zwar, wie schon zuvor der der BI Höhenstraße oder der der BI für unverbaute Welsche Wiesen im Eckenweiher. Aber es sind Instrumente, auf direktem Weg übers Internet andere Menschen zu erreichen und für die eigenen Positionen zu  gewinnen. Der hoberg.blog.de zum Beispiel arbeitet die aktuelle Debatte um die Änderung der Bebauungspläne für Gartenhausgebiete am Beispiel Enzberg auf. Wichtige Änderungen des Bebauungsplanentwurfes der Stadt Mühlacker werden aufgelistet in einer Kurzzusammenfassung, übersichtlich und informativ. Eine gute Fleißarbeit.

Mühlacker Bürger kommentiert Kommunalpoitisches auf Twitter

Einer unserer Nachbarn entwickelte Einblick, das Magazin der Stadt Vaihingen an der Enz, auch zum Herunterladen von der Internetseite der Kommune, mit schönen Geschichten, Personalisierung von Tätigkeitsfeldern, Infos. Denn so wie Mühlacker geht es auch anderen Gemeinden, wobei es jene leichter haben, die über ein Ortsblättle verfügen. Wir brauchen informierte BürgerInnen. Sie sehen im Transport der Nachrichten aus dem Rathaus eine Bringschuld der Kommune. Politik beginnt beim Betrachten der Wirklichkeit, sagte Erwin Teufel, ehemaliger Ministerpräsident unseres Landes. Das gilt auch hier.

Die leider in der Versenkung verschwundenen Ergebnisse einer groß angelegten Befragung der Bürger Mühlackers 2016 brachten Aufschluss, wie sich die Menschen in Mühlacker über kommunale Belange informieren. Nummer eins waren vor fünf Jahren die klassischen Medien: Tageszeitungen und Amtsblatt. Aber das Internet folgte mit 48 Prozent. Damals! Und heute?

Mein Fazit: Mühlackers Verwaltung muss endlich alle Kanäle der Kommunikation mit den Menschen in der Stadt bespielen und den Redaktionen mehr bieten als Zehn-Zeiler. Das erfordert eine(n) Öffentlichkeitsarbeiter(in), die es naürlich nicht zum Nulltarif gibt. Aber schlecht oder gar nicht informierte Bürger kommen uns auf die Dauer teurer.

Dass sich mit gutem Willen und Investitionen in engagiertes Personal der Schalter umlegen lässt, zeigen die Stadtwerke Mühlacker, Tochterunternehmen der Kommune. Sie sind als Unternehmen und Marke auf allen Kanälen der Kommunikation unterwegs. Geht doch, liebe Stadtverwaltung und liebe KollegInnen im Gemeinderat, die im Haushaltsplan die Voraussetzungen schaffen müssen. Heißt: Mutter lernt von der Tochter.

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