Schöne Grüße nach Beirut, lieber Willy. Auch vom Kaktus, der fast 50 ist

1972 erhalten

Was es nicht alles gibt! Heute ist der Gieß-eine-Blume-Tag. So steht es in einer Liste der kuriosen Feiertage aus aller Welt. Eine leicht sperrige Bezeichnung, dafür aber in der Botschaft klar wie Kristall. Um das Gießen nicht zu vergessen, legte ich vor Jahren in meinem elektronischen Kalender einen wöchentlich wiederkehrenden Termin zur Erinnerung an. Immer dienstags, ganztägig. Doch das war noch keine Garantie, den durchaus zurückhaltenden Wasserdurst der Pflanzen immer zeitnah zu stillen. Manchmal war anderes wichtiger und der Kaktus nicht im Blickfeld. Aber der nahm nicht übel.

Dabei weiß ich um den Lehrsatz: Wasser ist lebensnotwendig für Pflanzen – Blumengießen also mit dem wichtigsten Punkt bei der Haltung und Pflege. Ohne Wassergaben werden die Blätter welk und zuletzt stirbt die gesamte Pflanze ab. Doch in den meisten Fällen gehen Topfpflanzen nicht ein, weil sie verdursten – sie werden ertränkt! Diese Gefahr droht bei mir permanent selbst bei Kakteen und Orchideen. Nach der gut gemeinten Überlegung, mehr ist allemal besser als einzugehen, setze ich nach längeren Gießpausen kräftig Flüssiges zu. Mit dem Ergebnis, dass die Pflanze zu häufig zu nasse Füße bekommt und vor dieser speziellen Kunst des Gießens kapituliert – wobei das Wort Kunst hier eigentlich nicht passt.

Mein heutiges Fundstück ist dieser Kaktus, der zwar nicht durchgängig saftig grün aussieht, sondern stellenweise freundlich bräunlich. Doch er überstand immerhin jetzt 50 Jahre meiner ganz persönlichen Pflege. Also kann ich eine Erkenntnis bestätigen, die ich heute im Internet las: Auch ohne grünen Daumen können Sie die artenreiche Welt des Kaktus entdecken.

Zum Glück!

Es war 1972. Ich musste als junger Redakteur der LKZ zu einem Termin nach Benningen. Dort traf ich meinen Kollegen Willy Hahn, etwas jünger, Volontär bei der Bietigheimer Zeitung, genannt Pop-Karle ob seiner poppigen Krawatten, der täglich zwischen Bietigheim und dem heimatlichen Mögglingen pendelte so wie ich zwischen Lienzingen und Ludwigsburg. Jedenfalls endete der Termin – der Anlass ist mir dann doch entfallen – mit einem kleinen Präsent für jeden von uns: je einen Mini-Kaktus. Just der ist inzwischen fast eineinhalb Meter hoch, nachdem ich ihn ein- oder zweimal etwas gestutzt hatte.

Er zeigt Altersspuren, wächst aber noch ganz kräftig. Die Geschichte kann mir wieder in den Sinn, als ich den Eintrag vom Kollegen mit dem Kürzel -ha- (gestern 5.03 Uhr) in Facebook fand: Beirut Flughafen, wo Raucher immer noch wie Menschen behandelt werden. Ein paar Tage zuvor: Fauler, ruhiger Sonntagnachmittag bei Paul in der Bliss Street, Beirut.

Ja, Kollege Hahn hat es inzwischen in die Hauptstadt des Libanons verschlagen. Ein Lebenskünstler, der aber immer auch verankert ist in Mögglingen im Ostalbkreis, wo sein Elternhaus steht. Ein höchst ungewöhnliches, aber garantiert nicht eintöniges Leben, das Willy führt. Nach der Bietigheimer Zeitung folgte der halbjährliche Wechsel, der als solcher einem Schwaben genau genommen wegen fehlender Beständigkeit ein Graus sein müsste: ein halbes Jahr hier, ein halbes Jahr dort. Genauer: sechs Monate Stadtredaktion der LKZ, sechs Monate Thailand (Stützpunkt: Phuket) mit Abstechern in benachbarte Staaten auf Materialsuche für Reiseführer und Reportagen, dann wieder Reaktionsstube in Ludwigsburg...  Ergebnis: Mehrere Bände unter anderem bei Marco Polo über Orte in Thailand.

Inzwischen verschlug es ihn nach Beirut, wohl auch der Liebe wegen. Ghada heißt sie. Typisch Willy: Honey Moon ist wunderbar. ?manchmal wird sogar was Festes draus. Wer seine Posts liest, erhält das Bild eines ausschließlich friedlichen Libanon. Nix von Bomben, dafür vom schwarzen Steak mit Gemüse Erdbeersalat, von Hühnchen mit Austernsauce und chinesischen Nudeln, von einem kühlen sonnigen Morgen in Beirut mit heißem Espresso, dem ersten türkischen Kaffee im Café Younes nach dem Lockdown. Oder von der Winteridylle im Libanon.

Ich bin im Ruhestand. Ich mach nur noch das, was mir Spaß macht. In einem Straßencafé unter der Morgensonne von Beirut zu sitzen, ist einer dieser scheinenden Momente im Leben. Der Kollege mit einem Hang zu schlauen Sätzen und viel Philosophie: Wohin auch immer du gehst - nimm dein Herz mit.

Von einem Kaktus ist jedenfalls nicht die Rede. Aber den aus Benningen hat er auch nicht mehr.

Dei Beirutbutterbrezel (Willy Hahn in Facebook)

Manches kommt einem doch bekannt vor, wenn es schon der Kaktus nicht ist: Im Libanon ist der Mohrenkopf eine beliebte Süßigkeit. Und auch hier darf er offiziell nicht mehr so heißen. Er bekam einen roten Hut aufgesetzt und in "Tarboosh" umbenannt - was "Fes" bedeutet. In den Mund des Volkes wandert er aber nach wie vor als "Mohrenkopf". So Willy Hahn bei Facebook. Und neugierig macht die Beirutbutterbrezel - eine Brezel mit Butter ist ein typischer und liebster Snack in der Region Schwaben (Schwabenland) im Südwesten Deutschlands. Wenn man es in Beirut bekommen kann, ist es noch entzückender. Danke, schukran, danke, merci an die Bäckerei Sonbola.

Das Herz hängt an der Butterbrezel.

Pflegeleichte Überlebenskünstler. Das gilt sowohl für meinen Kaktus als auch für meinen Kollegen.  Die bizarren Gewächse erfreuen sich momentan größter Beliebtheit, heißt es im Netz, erleben einen regelrechten Boom und gelten derzeit als Modepflanze schlechthin. Immerhin war ich der Mode voraus: Der stachelige Gesell ist mein Zeuge!

Schöne Grüße nach Beirut, lieber Willy.  Auch vom Kaktus.

Trackbacks

Trackback-URL für diesen Eintrag

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!


Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.