Bahnstation Sternenfels: Vom Königreich Württemberg abgelehnt - Vom Enzkreis fast 120 Jahre später doch noch umgesetzt?

Macht der Kreistag des heutigen Enzkreises 2021/22 möglich, was die Abgeordnetenkammer des Königreichs Württemberg vor jetzt 117 Jahren ablehnte? Der Bau einer Bahnstrecke von Leonbronn bis Sternenfels. Das Thema steht jedenfalls aktuell auf der Agenda der Gremien gleich dreier Landkreise: Karlsruhe, Heilbronn und Enz. Ob die Pläne wieder an Topographie, Geld und Unwirtschaftlichkeit scheitern? Ein Versuch wäre es wert, sagte sich die Grünen-Kreistagsfraktion Enzkreis und erhielt die einmütige Unterstützung des Kollegiums für ihren Antrag zur Zabergäubahn. Der nächste Schritt ist noch nicht getan: Ein Fachbüro mit einer Machbarkeitsstudie zu beauftragen. Das Paket: Reaktivierung der Zabergäubahn Lauffen-Leonbronn, eventuelle Fortsetzung über Oberderdingen, Knittlingen bis Bretten, möglicherweise einen Stich bis Sternenfels oder Maulbronn. Gesagt, aber noch nicht getan.

Anlage 1 zur Sitzungsvorlage 84/2020 der Verwaltung des Enzkreises: Mögliche Varianten Zabergäu- und Strombergbahn

Jedenfalls schickte mir jüngst der Landesvorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Ex-Lienzinger und fünf Jahre lang mein Fraktionskollege im Mühlacker Gemeinderat, Matthias Lieb, die Kopie eines interessanten Protokolls und wünschte eine angenehme Lektüre. Die hatte ich tatsächlich, zeigte die Niederschrift doch, dass sich zwar die Randbedingungen und Begründungen verändert haben, nicht jedoch die Angst von Politik und Verwaltung vor zu hohen Defiziten. Doch der Reihe nach.

Württembergische Kammer der Abgeordneten, Beilage 335, 31. Mai 1904. Punkt 9: Bitte der bürgerlichen Kollegien von Sternenfels, OA Maulbronn, um Fortsetzung der Zabergäubahn Lauffen-Leonbronn bis Sternenfels, vom 4. April 1903, gerichtet an die Ständeversammlung: Berichterstatter war Hermann Stockmayer, Abgeordneter des Wahlkreises Marbach am Neckar und der Demokratische Volkspartei (DVP), die von 1900 bis 1906 mit 24,6 Prozent der Stimmen und 27 Abgeordneten (von 93) die größte Fraktion stellte. In deren Tradition steht die FDP/DVP.

Hermann Stockmayer referierte zuerst über die Petition von 1897 mit dem der Regierung und den Ständen übermittelten Wunsch, die Zabergäubahn fortzusetzen von Güglingen, Sternenfels und Diefenbach unter Berücksichtigung von Freudenstein, Maulbronn, Schmie und Lienzingen bis Mühlacker – dass sie aber bis heute noch keine Bahn erhalten haben. Diese Eingabe über die große Lösung war in der 119. Sitzung der Kammer der Abgeordneten am 18. Mai 1900 beraten und unterstützt worden mit der Maßgabe, dass es aber der Königlichen Regierung überlassen bleiben müsse, an welchem Punkt der Hauptbahn Mühlacker-Bretten die gewünschte Zweigbahn am besten angeschlossen werde und ob es sich um eine Bahn bis Sternenfels oder um eine kürzere bis Freudenstein handeln solle, so der Berichterstatter Stockmayer. Wiederum die Regierung werde den Beschluss der Kammer nicht ignorieren können, auch wenn bis jetzt nichts erfolgt sei.

Aber das dauerte den Sternenfelsern zu lange.

Nun wollten sie wenigstens die Stichbahn von Leonbronn bis Sternenfels, also die kleine Variante. Wegen der mit 297 Hektar kleinen Feldmarkung sei der Ort mit seinen 1069 Einwohnern auf Handel mit Stroh-, Seegras-, Rohr- und Kokoswaren angewiesen. Weitere Wirtschaftsdaten: Teilweise seien Sternenfelser in den Steinbrüchen von Sternenfels, Derdingen und Freudenstein als Steinhauer, Steinbrecher und Steinbruchtagelöhner beschäftigt. Jährlich würden 39.000 Zentner landwirtschaftlicher Artikel, Kaufmannswaren, Kohlen, Straßensteine usw. ein- und 35.000 Zentner ausgeführt.

Außerdem würden, wenn Sternenfels eine Bahnstation erhalte, rund 500 Waggons behauener Werksteine aus den Steinbrüchen der drei Orte verladen. Zudem wäre der Personenverkehr auch kein geringer. Die Bahn zwischen Leonbronn und Sternenfels würde sich rentieren, waren sich die Sternenfelser sicher. Auch das Weinerzeugnis könne sicherer abgesetzt werden, weil die Weinkäufer schneller und günstiger nach Sternenfels kommen könnten. Die von der Gemeinde aus Gochsheim in Baden bezogenen Steine könnten dann im näher gelegenen Meimsheim bei Brackenheim eingekauft werden. Die Kommune verpflichte sich, die Kosten der Vorarbeiten für die erhoffte Schmalspurbahn zu tragen, schrieben die Petenten.

Freilich hatte Berichterstatter Stockmayer nichts übrig für diesen Wunsch und die damit verbundene Neuorientierung weg vom Anschluss  Mühlacker hin zum Anschluss Leonbronn. Die Petenten können doch nicht glauben, dass Sternenfels an verschiedene Bahnen angegliedert, dass es ein Knotenpunkt für mehrere Bahnen werden könnte, so Stockmayer leicht hämisch. Schon beim Bau der Teilstrecke Güglingen-Leonbronn sei die Weiterführung bis Sternenfels untersucht, jedoch verworfen worden. Erhebliche technische Schwierigkeiten würden dem Bau der sechs Kilometer langen Schienenstrecke bis Sternenfels entgegenstehen. Die größte Steigung betrage 1 zu 60, das Projekt würde eine halbe Million Mark kosten.

Zweifel äußerte Stockmayer an einer weiteren Rechnung der Petenten: Die Sache mit den 500 Waggons behauener Werksteine. Aus den Sternenfelser Steinbrüchen könnten 100 Waggons befüllt werden. Die übrigen 400 müssten von den tiefer liegenden Steinbrüchen Derdingen und Freudenstein kommen. Es könne doch niemand annehmen, dass diese ihre Werksteine hoch nach Sternenfels bringen, um dort auf Rollschemel auf die Schmalspurbahn verladen zu werden – sie müssten besser talabwärts zur Hauptbahn gebracht werden.  Ein öfteres Umladen würden die behauenen Werksteine nicht vertragen. Stockmayers Fazit: Eine Fortsetzung der Zabergäubahn von Leonbronn nach Sternenfels verschlechtere die Rentabilität derselben, welche schon vorher mit einem Betriebsabmangel beschwert sei, noch mehr und gestalte die Bahn zu einer voraussichtlich dauernd unrentablen.

Matthias Lieb 2015 bei der Eröffnung der Infotafeln zur lokalen Bahngeschichte

Die volkswirtschaftliche Kommission der Kammer beantragte Kenntnissnahme, was einer Ablehnung gleichkam und empfahl den Sternenfelsern, zusammen mit weiteren Gemeinden eher auf eine normalspurige Stichbahn von Maulbronn oder von einer anderen Station der Hauptbahn bis Sternenfels oder Freudenstein zu setzen (Protokoll Württembergische Kammer der Abgeordneten, S. 188 f, Beilage 335, 1904).

Schnitt! Sprung ins Jahr 2020, Beilage Nummer 84/2020, Kreistag des Enzkreises. Dort steht nun: Mit einer möglichen Reaktivierung der Strecke Lauffen am Neckar-Leonbronn könnte daher die Erwartung verknüpft werden, diese Strecke entsprechend dem Ursprungsgedanken über den Enzkreis (Sternenfels und Knittlingen) in den Landkreis Karlsruhe nach Bretten zu verlängern und so einen direkten Anschluss an die Kraichgaubahn herzustellen (Westanbindung). In einem weiteren Schritt könnte dann auch an eine Schienenverbindung von Sternenfels nach Süden bis nach Mühlacker gedacht werden.

Ernsthaft?

Blick in die Kenntnisbeilage 40/2021 für den Umwelt- und Verkehrsausschuss des Kreistages zu dessen Sitzung am 8. März 2021. Parallel dazu werden der Enzkreis und der Landkreis Karlsruhe Vorbereitungen für eine Machbarkeitsstudie zur Weiterführung der Strecke ab Leonbronn treffen. Diese soll in Form einer Korridorstudie erstellt werden, so dass mehrere mögliche Trassenführungen identifiziert werden können. Hierzu hat der Landkreis Karlsruhe bereits ein Angebot angefordert. Sobald dieses vorliegt, können die Entscheidung über die jeweilige Kostenbeteiligung der beiden Landkreise an der Studie und Abstimmungen über das weitere Vorgehen erfolgen.Im Enzkreis-Etat 2021 stehen jedenfalls Gelder bereit.

1897: Skizze einer Bahntrasse von Cleebronn bis Mühlacker

Beinhaltet der Wille zur Reaktivierung von Schienenstrecken auch andere historische, ab nie verwirklichte Bahnpläne a la Leonbronn-Sternenfels wie die einer Verlängerung der Schmalspurbahn von Cleebronn über Sternenfels und Lienzingen bis Mühlacker? Das wollte ich von unserem Landrat wissen. Schließlich war eine solche Variante in der Vorlage 84/2020 angedeutet worden. Am 3. März 2021 antwortete mir Landrat Bastian Rosenau auf meine, zugegebenermaßen mit einem Augenzwinkern formulierte Frage:

Auch aus gewagten Ideen kann bisweilen Bedeutendes entstehen :-). Die historische Idee zeigt sehr deutlich auf, wie damals die landesherrliche Politik auf der badischen wie auf der württembergischen Seite auch die Schieneninfrastrukturüberlegungen geprägt haben. Die Geschichte ist dann anders verlaufen. Die durchgängige Kraichgaubahn war 1880 in Betrieb gegangen, die Zabergäubahn 1896. Deren Verlängerung wurde von Bretten bis Kürnbach auf der badischen Seite zwar konkret geplant, 1920 jedoch ad acta gelegt, auf der württembergischen Seite zu keinem Zeitpunkt angegangen, ebensowenig wie die Idee für ein Bahnprojekt Güglingen - Mühlacker.

Der Kreistagsbeschluss vom 2. Februar 2020 (Beilage 84/2020) enthält keine explizite Festlegung zu weitergehenden Untersuchungen. Die blau gestrichelte Linie der zugehörigen Anlage 1 ist inhaltlich in den beigefügten Überlegungen nicht aufgegriffen. Aus meiner Sicht haben deshalb die in der aktuellen Beilage 40/2021 für den UVA am 08.03.21 skizzierten Schritte absoluten Vorrang. Ich hielte es für schwierig, das Projekt mit weitergehenden Untersuchungsaufträgen zu befrachten, da eine Verbindung Mühlacker-Sternenfels weder für den Landkreis Heilbronn noch den Landkreis Karlsruhe von Interesse sein dürfte.

Offen gestanden sehe ich auch kein ausreichendes Fahrgastpotential für einen Abschnitt Mühlacker-Sternenfels. Sollte sich im weiteren Verlauf des Projekts Westanbindung Zabergäubahn die Option ergeben, gegebenenfalls dann auf alleinige Kosten des Enzkreises eine Betrachtung für diesen Abschnitt mit zu beauftragen, können wir gleichwohl noch einmal darauf zurückkommen. Und wenn wir schon gewagte Ideen entwickeln, müsste dann nicht unter Berücksichtigung der raumstrukturellen Gegebenheiten eine Verbindung der Mittelzentren Mühlacker und Eppingen überlegt werden? Ich würde vorschlagen, wir behalten die Idee im Hinterkopf und platzieren diese dann zu gegebener Zeit.

Eine sinnvolle Position. Wiewohl ein Bahnhof Lienzingen durchaus reizvoll wäre. Nur: Wo sollen die Schienen verlegt werden? Von den Problemen der Topografie wie in Sternenfels ganz zu schweigen.

 

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