Traum von der Schiene: Der Standort für einen Bahnhof Lienzingen stand schon fest

Ideen zum Bau von Bahnstrecken standen und stehen allenthalben hoch im Kurs. Beflügelt werden die Gedanken durch Zuschüsse, die winken. Die Folge: Höhenflüge und viele Hoffnungen. So wirbt das Land Baden-Württemberg ganz neu mit satten Zuschüssen für Machbarkeitsstudien, ob sich die Reaktivierung einer einst bestandenen, dann aber irgendwann aufgelassenen Bahnlinie lohnen würde. Zum Beispiel die einstige Zabergäubahn von Lauffen bis Güglingen. Das belebt die Debatten im Enzkreis um neue Stadtbahnlinien ganz enorm. Hinzu kommen die Überlegungen, ganz neue Schienenstränge zu verlegen, also auch dort, wo noch nie ein Zug fuhr.

Bahn-Pläne von 1897: eine Schienenstrecke von Sternenfels über Zaisersweiher, Schmie und Lienzingen bis Mühlacker, aber nur auf dem Papier

Bittschön, so getraue ich zu fragen: Gilt die Euphorie auch einst projektierten, doch nie verwirklichten Bahnstrecken wie die von Güglingen über Sternenfels und Lienzingen nach Mühlacker. Werden die auf Tauglichkeit aktuell auch abgeklopft? Da leben Träume wieder auf. Einen Bahnhof für Lienzingen?

Ich verstehe nur Bahnhof. Dürfen bisher ausgeträumte Schienenstrecken auch einem Gutachter zur Analyse vorgelegt werden? Nach dem Motto: Wenn wir schon gerade dabei sind… Da könnten die Kommunen an der Achse Mühlacker-Sternenfels mitmischen. Sie spekulierten vor mehr als 100 Jahren auf eine eigene Bahnstrecke. Sternenfels, ein Wiederholungsfall - das Dorf setzte schon vor 1900 auf einen Bahnanschluss. Ist in den Gedankenspielen wieder gesetzt. Jedenfalls mischen sich Lokalgeschichte und aktuelle Kreispolitik derzeit auf seltene, ungewöhnliche Art.

Ein ganzes Stadtbahn-Ideen-Paket liegt auf dem Tisch des Kreistags.

Alles schon einmal da gewesen. Das sei hier nachgewiesen...

Offensiv will das Land neue Bahnlinien fördern und weckt damit Erwartungen. Doch Gleise durch Ortschaften zu bauen, bedarf großer Überzeugungsarbeit. Wo noch Schienen liegen, wird es einfacher.

Eine Stadtbahn vom westlichen Enzkreis quer durch Pforzheim und das Heckengäu im Süden bis in den Kreis Böblingen – CDU-Idee mit Unterstützung der anderen Fraktionen. Die Reaktivierung der Bahnstrecke Maulbronn West bis Maulbronn Stadt und die der stillgelegte Zabergäubahn von Lauffen bis Leonbronn: Letzteres seit  Jahren ein Thema im Kreis Heilbronn und jetzt von den Grünen, mit Unterstützung der anderen Fraktionen, auf den Themenplan des Enz-Kreistags gebracht – Zabergäubahn, aber mit Fortführung bis Bretten einschließlich Abstechern nach Knittlingen und/oder nach Sternenfels. Der Kreistag von Karlsruhe ist an dem Thema ebenfalls dran.

Bahnträumer gibt es nicht erst, seit die Grünen im politischen Geschäft mitmischen.  Tatsächlich hatte man um 1890 entschieden, wegen einer optionalen Verlängerung der Zabergäubahn über den Berg die Strecke schmalspurig auszulegen.  Der erste Abschnitt ab Lauffen wurde nur bis Güglingen gebaut. Wie man sieht, ist die Karte oben entstanden, als die Verlängerung der Strecke Lauffen - Güglingen noch nicht fixiert war, so Nahverkehrsfachmann Matthias Lieb aus Lienzingen/Mühlacker, nachdem er die 1984 im Mühlacker Tagblatt (Ausgabe vom 4. August 1984, Seite 26) veröffentlichte Übersichtskarte zum Bahnprojekt Güglingen-Mühlacker sah – Repro eines wohl inzwischen mehr als 100 Jahren alten Plans. Damals gab es in der Tat verschiedene Überlegungen einer Verlängerung, wobei Richtung Bretten eher dem Verkehrsbedürfnis entsprochen hat. Die Strecke nach Mühlacker hatte aus württembergischer Sicht den Vorteil, eine Verkehrsablenkung ins Badische zu vermeiden. Lieb sichtete alte Protokolle des württembergischen Landtags.

Auch im Ortsbuch Lienzingen von 1970 widmet Autor Friedrich Wißmann dem Thema ein ganzes Kapitel (S. 194 f). Lienzingen sei letztlich ausgestiegen, als sich abzeichnete, dass die Bahn ein Wunschtraum bleibt. Andere hofften um diese Zeit noch immer. Sternenfels versuchte noch 1903, wenigstens eine Stichverbindung von Güglingen nach Sternenfels zu erhalten. Vergeblich. Jetzt, knapp 120 Jahre später, steht eine ähnliche Variante zur Überprüfung in einem Machbarkeitspapier an. Aufgrund der Topografie war das aber alles einst zum Tode verurteilt - wie auch jetzt wieder die neuen Ansätze, meint Lieb. Die Reaktivierung der Zabergäubahn selbst sei schon kein Selbstläufer, obwohl die Strecke noch vorhanden ist.

Doch ein Blick zurück ins Königreich Württemberg. Nachdem die Zabergäubahn nur bis Leonbronn gebaut wurde, ließen die Gemeinden unter Federführung von Sternenfels das Projekt Mühlacker - Sternenfels ausarbeiten. Dies wurde dann später im Landtag aufgegriffen und von der Staatsbahn.  Die Auslese: Übrig blieb das Projekt Maulbronn - Sternenfels als Normalspurbahn. Dies fand den Weg in den Gesetzesentwurf 1906, wurde aber im Landtag abgelehnt zugunsten von Bretten - Knittlingen - Derdingen - Kürnbach in Verbindung mit Maulbronn-West - Maulbronn-Stadt. Letztere wurde noch 1914 in Betrieb genommen.

30 Jahre lang hatte das Eisenbahnkomitee im Oberamt Maulbronn für eine Nebenbahn gekämpft. Auf sein Drängen hin reichten die bürgerlichen Kollegien der Gemeinden Sternenfels, Diefenbach, Freudenstein, Maulbronn, Schmie, Lienzingen und Dürrmenz-Mühlacker am 7. Januar 1897 ein Gesuch bei der Königlichen Staatsregierung und der Hohen-Stände-Versammlung ein, die Zabergäubahn von Güglingen bis Mühlacker weiterzuführen. Eine Delegation lobte die Idee, strich gleichzeitig die ihrer Meinung nach vorhandenen Nachteile einer auch diskutierten Verbindung Lauffen-Bretten heraus, die von den badischen Gemeinden gefordert wurde. Letztlich wollten sie von ihrem König eine württembergische Bahnlinie und keine, die ins Badische führt, wiewohl an der Strecke auf die württembergische Grenzstadt Knittlingen gelegen hätte.

In der Petition 1897 schilderte das Komitee jede Gemeinde an der Strecke.

Steckbrief Lienzingen

Bei Lienzingen heißt es im Original:

Postagentur mit Telephon, Körperschaftsrevieramt, bedeutende Bierbrauerei, Haupterwerbsquellen: Sehr guter Feldbau an Hopfen und Tabak, bedeutende Viehzucht, Obstbau, Viktualienhandel nach Maulbronn und Pforzheim. Jährliche Milchausfuhr nach Stuttgart, Pforzheim und Karlsruhe 100.000 Liter. 30 Steinhauer in Maulbronn beschäftigt, größere Ziegelei. Täglich 20 Goldarbeiter nach Pforzheim, 50 Arbeiter nach Mühlacker zu Eisenbahn und Ziegelei. Zweimalige Postverbindung nach Mühlacker.

Trotz Schützenhilfe durch die Königliche Generaldirektion für die Staatlichen Eisenbahnen 1898 und der Auftrag der Hohen Stände-Versammlung an die Regierung zu planen, ging es nicht voran. Der Stuttgarter Professor Maurer versprach die Pläne bis 1. April 1899. Im Sternenfelser Hirsch versammelten sich 1899 an einem Samstag 50 Vertreter der Gemeinden auf Einladung des Komitees für die Erbauung einer Eisenbahn von Mühlacker nach Sternenfels.  Vorgesehen war eine schmalspurige Nebenbahn mit einer Spurweite von einem Dreiviertel Meter. Die Standorte für Haltestellen oder Bahnhof standen schon fest, in Lienzingen sollte das Bahnhöfle zwischen Frauenkirche und Dorf errichtet werden. Doch dann platzte das Nein aus Stuttgart in die Rathäuser, die vielen Steigungen führten zu hohen Kosten. Erfolgreicher waren die Kommunen im Zabergäu: Die Bahnlinie wurde von Güglingen bis Leonbronn verlängert und 1901 eingeweiht (dazu auch: Horst Lau und Siegfried Strobel, MT vom 4. August 1984, Teil 5 der Serie Die Eisenbahn im Oberamtsbezirk Maulbronn).

Das Zügle kommt (nicht mehr) oder bald wieder

Ein Steckbrief über potenzielle Kundschaft der Bahn. Heutzutage nennt sich das Machbarkeitsstudie, die das Potenzial erhebt und eine Kosten-Nutzen-Faktor errechnet.

Schon 1868 bildete sich ein Komitee mit dem Ziel einer Bahnlinie  ab Lauffen, durchs Zabergäu, bis Sternenfels, von dort entweder nach Mühlacker oder nach Maulbronn (Wißmann, S. 194). 1899 legte die württembergische Eisenbahnverwaltung einen Plan für eine Schmalspurbahn zwischen Mühlacker und Sternenfels vor. Doch eigentlich war sie eher für eine Gleisstrecke mit normaler Breite. Das Projekt scheiterte.

Anno 1903 versuchte Sternenfels wenigstens für sich eine Stichbahn ab Leonbronn zu erhalten. Der Anschluss kam nicht. Ob es diesmal, 117 Jahre später, chancenreicher ist? Wie erleben immerhin eine Renaissance der kleinen (und beliebten) Bahnstrecken im Land. Erfolgsgeschichten auf Schienen. Da sind möglicherweise auch Wunder drin.

Nachdem die Verhandlungen wegen des Baues der Eisenbahnlinie Güglingen-Sternenfels-Mühlacker gescheitert waren und die Eisenbahn aber mehr und mehr die wichtigste Verkehrsverbindung für Gewerbe, Industrie und Handel wurde, blieb Lienzingen ein romantisches Dorf ohne irgendwelche wesentlichen Veränderungen. So sah es 70 Jahr später der damalige Bürgermeister Richard Allmendinger in seinem Beitrag für das Ortsbuch Lienzingen im Rückblick.

 

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