Fall Oppenländer, zweiter Teil: Lokales Lehrstück über Sühne im Sonderangebot und Politiker, die Straftaten der Nazis weich spülen

Hermann Oppenländer, der Lehrer: Juli 1958 beim Umzug im Rahmen des Kinderfestes bei den Tagen der Heimat. Lienzingen (Foto: Smlg. Roland Straub)

Er war einer der drei Lehrer der Volksschule in Lienzingen: Hermann Oppenländer. Der 59-Jährige brachte im Sommer 1959 die baden-württembergische Allparteien-Regierung in höchste Erklärungsnöte.  Denn der dritte Mann im Pädagogen-Trio saß zehn Jahre zuvor noch im Zuchthaus, weil er als NSDAP-Kreisleiter 1945 einen Hitler-Gegner liquidieren ließ, galt in jener Zeit als Katholikenhasser und Kriegshetzer. Schon drei Jahre lang unterrichtete der Ex-Nazi nun wieder. In aller Stille. Die Schulverwaltung wusste von seinem Vorleben. Eine breite Öffentlichkeit erfuhr von dem Skandal erst durch eine Pressemitteilung am 30.  Juli 1959 – Überschrift: Ein Krimineller als Lehrer im öffentlichen Schuldienst – des Stuttgarter Landtagsabgeordneten Fritz Helmstädter (SPD).


Lienzinger Geschichte(n): Die Akteninhalte demaskieren den guten Menschen von nebenan. Nun das Folgestück über Hermann Oppenländer. Seit dem Sommer 2020 sichtete ich Stöße weiterer Dokumente aus dem Landesarchiv Baden-Württemberg (Signaturen jeweils angegeben). Zur Einordnung der Geschehnisse in den größeren Zusammenhang soll die Untersuchung von Christine Arbogast dienen, jetzt hauptamtliche Sozialdezernentin in Braunschweig, zuvor Erste Bürgermeisterin in Tübingen, die sie als Dissertation vorgelegt hatte (Christine Arbogast, Herrschaftsinstanzen der württembergischen NSDAP, Herrschaftsinstanzen der württembergischen NSDAP, 7. Band in der Reihe Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, R. Oldenbourg Verlag München, 1998, 255 Seiten). Empfehlenswert ist, den grundlegenden ersten Beitrag über Hermann Oppenländer zu studieren, auf dem der zweite aufbaut. Überschneidungen wollte der Autor vermeiden, waren jedoch nicht ganz auszuschließen.


Gerhard Storz, Kultusminister (Foto: Landesarchiv Baden-Württemberg)

Einige Tage danach legte der Sozialdemokrat mit einer Kleinen Anfrage im Parlament nach. Der Demokratie sei ein schwerer Schlag versetzt worden, beklagte der Politiker. Lienzingen, die kleine Schule im Dorf und der als freundliche Herr bekannte Oppenländer schafften es am 26. September 1959 gar als Thema des Leitartikels auf die Titelseite der auflagenstarken Stuttgarter Nachrichten. Zunächst hatte der Abgeordnete am 23. April 1959 einen intern gebliebenen Brief an das Kultusministerium verfasst, das am 3. Mai 1959 bei den nachgeordneten Stellen die Personal- und Strafakte des ehemaligen Kreisleiters anforderte.

Beide großen Zeitungen der Landeshauptstadt attackierten nach Bekanntwerden des Falles besonders Kultusminister Gerhard Storz – wie Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger ein Christdemokrat. Doch der Regierungschef und spätere Bundeskanzler distanzierte sich in seiner Antwort von der Personalentscheidung der eigenen Schulbehörden, die in jenem Sommer landesweit für Furore sorgte.  Der Streitpunkt: Durfte 1956 Justizminister Dr. Wolfgang Haußmann (FDP/DVP) den gelernten Lehrer begnadigen, so dass dieser wieder vor einer Klasse stehen und Kinder lehren konnte? Mit fester Unterstützung durch die Schulbehörde. Gleichzeitig war die Gemeinde ausgesprochen froh, die gefährdete dritte Lehrerstelle besetzt zu sehen, die das Schulamt eigentlich hatte streichen wollen (Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Li B 325, S. 25).

Als Erstklässler bei Lehrer Oppenländer 1957 in der Volksschule Lienzingen: Günter Bächle

Der Fall Hermann Oppenländer (1900-1973) aus Mühlacker - ein lokales Lehrstück über Landespolitiker, denen nach 1952 langsam die Überzeugung abhanden kam, Schuld sei zu sühnen. Und Schuld luden die NS-Funktionäre, wie das Beispiel Oppenländer zeigt, zuhauf auf sich. Doch die Entnazifizierung wurde Politikern zunehmend lästig. Der Volksschullehrer und Familienvater profitierte davon. Er zählte von 1934 bis 1945 zur regionalen NS-Elite, zu der die Historikerin und Politologin Christine Arbogast in ihrer Untersuchung über Herrschaftsinstanzen der württembergischen NSDAP besonders die 64 Kreisleiter rechnet. Einer davon war Oppenländer, der Sohn eines Lokomotivführers aus Dürrmenz, zuerst NSDAP-Chef im Oberamt Vaihingen an der Enz, dann im Kreis Schwäbisch Gmünd, Seit 1. September 1956 unterrichtete er die Erst- und Zweitklässler an der Lienzinger Schule. Zwar nicht als Beamter, aber als Angestellter, weil es an Pädagogen mangelte. Seine persönliche Geschichte arbeitete ich vor knapp einem halben Jahr in diesem Blog auf. Denn Oppenländer war 1957 mein erster Lehrer an der Volksschule.

Einstiger Goldfasan - ein vom Volksmund geprägter Begriff für hohe Parteifunktionäre im Dritten Reich mit vielen Abzeichen – nun in der Rolle des Biedermanns und Kinderfreundes. Der Gnadenausschuss beim Landesjustizministerium nannte ihn im März 1954 einen der gewalttätigsten Kreisleiter, der sich in alle möglichen Angelegenheiten mit Drohungen eingemischt habe, der sich zudem eine Vielzahl von individuellen Belastungen zuschulden habe kommen lassen. Alles, was er als Begründung und zu seiner Entlastung vorgebracht habe, verblasse hinter der Schwere seiner Schuld (Aktenvermerk der Abteilung V des Ministeriums über die Sitzung des Ausschusses am 15. März 1954, in der ein weiteres Gnadengesuch von Oppenländer auf Unterhaltsbeihilfe abgelehnt wurde (Staatsarchiv Ludwigsburg=SAL El 902/7 Bü 10968).

Zufällig stieß ich vor Monaten bei einer Online-Recherche in den Beständen des Landesarchivs Baden-Württemberg über Lienzingen auf sie: Die öffentlich zugängliche Personalakte des Hermann Oppenländer, geführt beim Oberschulamt Nordwürttemberg in Stuttgart. Letzte Dienststelle: Mühlacker-Lienzingen (Bestand EL 204 I Bü 2777, Oberschulamt Stuttgart: Personalakten von Lehrern an Volks-, Real- und Sonderschulen/(1903) 1952-1978). Mehr als 60 Jahre nach der Zeit, in der ich ihn als nett und jovial kennen, achten und schätzen lernte. Der uns Volksschüler 1958 beim Umzug anlässlich des Kinderfestes durch die Straßen von Lienzingen begleitete. Der Lehrer, der den örtlichen Männergesangverein Freundschaft dirigierte. Der Wolf im Schafspelz, dem der seinerzeitige Bürgermeister Richard Allmendinger und Pfarrer Gerhard Schwab ein gutes Zeugnis ausstellten, genauso wie Schulrat Friedrich Wißmann nach einem Unterrichtsbesuch. Der Männergesangverein bedauerte, dass unser so beliebter Dirigent, Herr Oppenländer im Herbst 1964 aus Krankheitsgründen nach sechs Jahren sein Amt habe niederlegen müssen (aus: Festschrift zu 125 Jahre Gesangverein Freundschaft Lienzingen e.V., 1988, S. 49).

Reinhold Maier, Ministerpräsident (Fotos: Landesarchiv Baden-Württemberg)
Fritz Helmstädter, Landtagsabgeordneter

Für mich war die Erkenntnis neu: Mein freundlicher Lehrer ein vormals in hohem Maße überzeugter Nazi, auch wenn er sich inzwischen davon distanzierte. Nach meinem ersten Text über ihn blieb ich auf Spurensuche des Mannes, der mit seiner Familie in Mühlacker wohnte. Der im Herbst 1959 von einem Tag auf den anderen nicht mehr Lehrer in Lienzingen war, nach einem Nervenzusammenbruch freiwillig in den Innendienst des Bezirksschulamtes in der Uhlandstraße in Mühlacker wechselte und von 1960 an bis zu seiner Pensionierung 1964 in der Außenstelle im Schloss Ludwigsburg der Württembergischen Landesbibliothek, dem Ausweichmagazin, arbeitete. Hauptsache, er hatte nichts mehr mit der Öffentlichkeit zu tun. Sozusagen ein Angestellter im Versteck.

Die Antwort auf die Anfrage des Abgeordneten Helmstädter kam aus der Villa Reitzenstein: Die Landesregierung ist der Auffassung, dass grundsätzlich eine Wiederverwendung im öffentlichen Schuldienst in derartigen Fällen nicht erfolgen sollte, heißt es in der von Ministerpräsident Kiesinger unterschriebenen Antwort der Landesregierung ganz pauschal auf die Kleine Anfrage des Sozialdemokraten. Ob eine Kündigung des privatrechtlichen Anstellungsverhältnisses des früheren Rektors, der zurzeit als dritter Lehrer an der Volksschule Lienzingen Kreis Vaihingen/Enz tätig ist, vorgenommen werden soll, wird zurzeit durch eine vom Kultusministerium eingeleitete Untersuchung überprüft (Landtag von Baden-Württemberg, Beilage 2921, ausgegeben am 13. Oktober 1959).

Kurt Georg Kiesinger, Ministerpräsident (Foto: Landesarchiv Baden-Württemberg)
Wolfgang Haußmann, Justizminister (Foto: Landesarchiv Baden-Württemberg)

Bis diesen Fall jemand schriftlich in einem am 17. April 1959 bei dem Politiker Helmstädter eingegangenen Brief publik machte, hatte Oppenländer in drei Jahren beruflich festen Boden unter den Füßen gewonnen, war geachtet und beliebt.  Unbemerkt und unaufgeregt, aktiv betrieben vom Oberschulamt Nordwürttemberg. Die Stuttgarter Behörde hatte, nicht ohne Kenntnis des Kultusministeriums, Fakten geschaffen. Möglich machte dies ein Gnadenerweis von Justizminister Haußmann vom 19. März 1956. Helmstädter warf zuvörderst Haußmann indirekt vor, damit gegen die Anordnung des Ministerpräsidenten über die Ausübung des Gnadenrechts vom 18. Juni 1954 (Gesetzesblatt 1954, S. 81) verstoßen zu haben. Das Ministerium habe einem früheren Kreisleiter der NSDAP, der wegen zweier Verbrechen der Tötung und Anstiftung zum Landfriedensbruch von einem Landgericht rechtskräftig verurteilt worden war, die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter wieder verliehen, schrieb Helmstädter, ohne den Namen des Betroffenen zu nennen. Der SPD-Politiker wollte nun wissen, ob die Landesregierung den Gnadenerweis für gerechtfertigt halte (Landtag von Baden-Württemberg, Beilage 2865, ausgegeben am 17. September 1956).

Durchaus geschickt entzog sich Kiesinger in seiner Antwort einer Wertung, denn – so seine Begründung - der Ministerpräsident habe dieses Recht auf die Ressortminister übertragen. Eine Beurteilung dieses Falles liege damit nicht in der Kompetenz der Landesregierung. Das Gnadengesuch war beim Regierungschef eingegangen, vom Staatsministerium aber ans Justizministerium weitergeleitet worden. Der Regierungschef legte seiner Antwort die Stellungnahme des Justizministers bei, in der erst der Name des früheren Kreisleiters genannt wurde: Hermann Oppenländer. Haußmann verteidigte seine mehr als drei Jahre zuvor getroffene Entscheidung.

Die Beurteilung solcher Personen der NS-Herrschaft habe sich, so Haußmann 1969, seit dem Zusammenbruch 1945 mit zunehmend zeitlichem Abstand gemildert. Das kam nach Auffassung des Freidemokraten schon 1953 zum Ausdruck mit der Verabschiedung des Gesetzes zur einheitlichen Beendigung der politischen Säuberung durch die Verfassungsgebende Landesversammlung Baden-Württembergs und die darin erfolgte generelle Wiedereröffnung des Weges in öffentliche Ämter. Auch die Tendenz des Straffreiheitsgesetzes von 1954 weise in diese Richtung.

Akte Hermann Oppenländer (StAL EL 902/7)

Das Landgericht Ellwangen hatte die langjährige Zuchthausstrafe im Herbst 1947 verhängt, weil Oppenländer als Kreisleiter kurz vor der Kapitulation Mitte April 1945 zwei Männer – Robert Haidner (31) und Heinrich Probst (38) - widerrechtlich erschießen ließ, die betrunken durch die Straßen von Schwäbisch Gmünd gezogen und lautstark Parolen gegen Hitler gerufen hatten. Die Strafkammer schickte den Angeklagten für zwölf Jahre und vier Monate in den Knast – bei einer Gesamtstrafe wegen Totschlags und Anstiftung zum Landfriedensbruch.

Letzteres in einem zweiten Verfahren - wegen Randale und Zerstörungen durch etwa 40 aufgehetzte Nazis in der Nacht zum 12. April 1938 vor und in den katholischen Pfarrämtern Gmünd und Waldstetten. Türen und Fenster wurden eingeschlagen, es fielen einige Schüsse, die Geistlichen wurden beschimpft und bedroht. Aufgehetzt von Oppenländer, der zwar nicht direkt beteiligt war, aber zuvor in einer Rede in den Räumen der Kreisleitung wissen ließ, von der Gauleitung aufgefordert worden zu sein, gegen die katholischen Pfarrer zu demonstrieren und dadurch einen Vorwand zu schaffen, um sie in Schutzhaft nehmen zu können. Was dann auch geschah – die Polizei ging nicht gegen den Mob vor, sondern holte die drei Geistlichen an dem Abend in den demolierten Pfarrhäusern ab. Zu ihrem Schutz. Eine infame Begründung. Die Randale dauerte etwa eine halbe Stunde, so lange brauchte es, bis die Polizei von ihrem 100 Meter entfernten Revier kam. Oppenländer wurde nach 1945 zur Rechenschaft gezogen und  verurteilt. Zusammengerechnet mit dem Urteil wegen Totschlags sollte er erst 1960 wieder frei kommen.

Fünf Jahre zuvor begnadigte ihn Reinhold Maier, Ministerpräsident von Württemberg-Baden, dann von 1952 an von Baden-Württemberg, FDP-Mitglied.

Der Ex-Edel-Nazi saß bis zu seiner Begnadigung im Spätherbst 1951 nach nur drei Jahren im Zuchthaus Schwäbisch Hall, lebte seitdem mit seiner Familie in Mühlacker, die es nach Kriegsende von Gmünd in die frühere Heimat zurückzog. Frau Maria und die drei Kinder wohnten zuerst in der Hindenburgstraße. Er war in Lagern der alliierten Sieger interniert.

Nun stand 1956 der Justizminister des Landes vor der Entscheidung, einen Schlussstrich unter die Causa Oppenländer zu ziehen oder nicht. Unmittelbar nach Kriegsende hätten die Gerichte, so Haußmann zu seiner Verteidigung in der Antwort auf die Kleine Anfrage, für solche Taten Zuchthausstrafen verhängt, während sie später solche Verbrechen mit milderen Gefängnisstrafen geahndet hätten. Schon das Landgericht Ellwangen habe in seinem Urteil festgestellt, dass die Oppenländer zur Last gelegte Tötungshandlung nur aus der Untergangsstimmung jener Tage vor der Besetzung und der Angst vor den übergeordneten Machthabern zu erklären gewesen sei. Das Gericht aber habe seinerzeit bezüglich des Strafmaßes noch nicht jene Folgerungen gezogen, wie es später bei den Gerichten allgemein üblich geworden sei. Ob Oppenländer wieder als Lehrer eingesetzt werden sollte, sei nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen, sondern der Fall sei aus der Strafsache heraus zu beurteilen gewesen. Auf das Urteil wegen Landfriedensbruch ging der Freidemokrat nicht ein.  Mit vorzüglicher Hochachtung ließ der Justizminister noch wissen, dass ihm der zuständige Abteilungsleiter im Kultusministerium den Gnadenerweis ausdrücklich empfohlen habe.

Handschriftlich: der Lebenslauf von O. (Auszug)

Jedenfalls lag nach der kombinierten Kiesinger-/Haußmann-Antwort auf Helmstädters Auskunftserheischen der Ball wieder im Feld des christdemokratischen Kultusministers Gerhard Storz. Unter dem Datum vom 22. Oktober 1959 schrieb der Minister höchstpersönlich einen Brief an Oppenländer (Adresse nun: Mühlacker, Im Bannholz 7). Er verwies auf massive Steigerungen der Angriffe in den Stuttgarter Nachrichten. Den Entschluss von Oppenländer (die Lehrerstelle in Lienzingen freiwillig aufzugeben, Anm.d.A.) lobte das Regierungsmitglied als ebenso ehrenhaft wie klug.  Ebenso sehr zu Ihren Gunsten wie zu meiner Verteidigung. Die Entpflichtung vom Lehramt verändere das Dienstverhältnis zum Kultusministerium, dieses werde aber nicht beendet. Der Pädagoge werde im Bereich der Kultusverwaltung an geeigneter Stelle eingesetzt.

Ähnlich wie in seinem Teil der Antwort auf die Anfrage des Abgeordneten Helmstädter argumentierte Wolfgang Haußmann in seinem achtseitigen Papier mit der Überschrift Darstellung des „Falles Oppenländer“, von ihm selbst unterschrieben. Es trägt kein Datum, stammt nach dem Inhalt zu urteilen aus dem Herbst 1959. Die Stellungnahme findet sich im Nachlass von Dr. Reinhold Maier (FDP/DVP), ehemals Ministerpräsident von Württemberg-Baden und dann Regierungschef des 1952 entstandenen neuen Bundeslandes Baden-Württemberg (Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Signatur Q 1/8 Bü 333). Haußmann arbeitete den Vorgang wohl auch für Maier auf, damals Bundesvorsitzender der FDP und bis Ende Oktober 1959 Bundestagsabgeordneter.

Oppenländers Jubiläum

Wollte Haußmann an die großzügige Gnadenpolitik des Reinhold Maier anknüpfen? Der Ministerpräsident erließ dem früheren Kreisleiter ein Großteil der 1948 verhängten Zuchthausstrafe:  Statt 1960 kam dieser bereits 1951 auf freien Fuß, stand dann bis 1955 unter Bewährung, durfte seit 2. Mai 1952 als Handelsvertreter für Lernmittel tätig sein. Letzteres wiederum durch einen Gnadenerweis des Ministerpräsidenten Maier. Das alles war schon Zeichen einer Trendwende. Das 1953 beschlossene Gesetz zur einheitlichen Beendigung der politischen Säuberung hob die Beschränkungen für Hauptschuldige und Belastete in Beruf und Tätigkeit auf. Die Spruchkammer hatte Oppenländer im Frühjahr 1948 in die Gruppe Hauptschuldige eingestuft (Staatsarchiv Ludwigsburg, Signatur EL 902/7 Bü 10968. Soweit vorhanden, ist die Nummer des Dokuments angegeben).

Der Justizminister legte äußerst penibel in seinem 8-Seiten-Papier die Zuständigkeit für Gnade dar. Der Gnadenausschuss beim Justizminister, 1953 auf Vorschlag der Verfassungsgebenden Landesversammlung besetzt, habe sich zuletzt am 17. Oktober 1955 mit dem Fall Oppenländer befasst. Der frühere Nazi-Boss hatte beantragt, das von der Spruchkammer Schwäbisch Gmünd am 26. Februar 1948 für zehn Jahre verhängte Berufsverbot aufzuheben. Der Ausschuss erinnerte Oppenländer daran, dass 1952 dieses Verbot doch gelockert und er seitdem als Reisevertreter arbeiten dürfe. Ein weiterer Gnadenerweis verweigerte ihm das Gremium. Darauf wies der Ausschuss ausdrücklich hin: Rechte aus einer früheren Verwendung im öffentlichen Dienst lebten nicht wieder auf, auch ein Rechtsanspruch auf Wiederverwendung bestehe nicht.

Doch für Oppenländer bestand noch eine weitere Hürde, und diese zu beseitigen, fiel in die Kompetenz des Justizministers.  Die andere Seite der Medaille ergab sich aus der Verurteilung zur Zuchthausstrafe, die ihn sogar sein ganzes Leben lang vom öffentlichen Dienst ausschloss. Dieses dauerhafte Verbot erwachse aus dem Strafrecht. Dieses auf dem Weg der Gnade aufzuheben, so Haußmann in seinem Exkurs, sei allein Recht des Ministerpräsidenten und nicht des parlamentarischen Gnadenausschusses. Der Regierungschef hatte dieses Recht delegiert: Entscheiden durfte allein der Justizminister. Haußmann arbeitete diesen Punkt exakt heraus.

Das Gnadengesuch des Hermann Oppenländer vom 2. Februar 1956, von einem Anwalt verfasst, landete auf dem Weg über den Ministerpräsidenten auf dem Schreibtisch des Justizministers. Das Ziel war darin klar formuliert: Der Verurteilte strebe an, nach Beseitigung der Nebenfolgen des Urteils des Landgerichtes wieder im Schuldienst verwendet zu werden. Für Haußmanns angewandte Gnade für den früheren NS-Kreisleiter war, wie er schrieb, entscheidend die über die Jahre milder gewordene Sichtweise der Gerichte, das nicht ungünstige allgemeine Persönlichkeitsbild von Oppenländer kam hinzu. Fazit des Ministers. Die Erteilung des erbetenen Gnadenerweises sei im Falle Oppenländer ein Gebot der Gerechtigkeit gewesen.

Doch ein Anspruch auf Anstellung im Schuldienst erwachse daraus nicht, wiederholte Haußmann. Er räumte ein, vorher den zuständigen Abteilungsleiter des Kultusministeriums, Ministerialdirigent Schneckenburger, kontaktiert zu haben, der nach Rücksprachen mit für ihn maßgeblichen Persönlichkeiten zu einem günstigen Ergebnis über den Antragsteller gekommen sei. Die Rückkehr von Oppenländer in den Schuldienst wenigstens als angestellter Lehrer komme durchaus in Betracht, zitierte Haußmann den Kultusbeamten. Natürlich seien weitere Nachprüfungen notwendig.

Damit war der Weg frei, die Taten der regionalen Nazigröße weich zu spülen. Justiz und Schulbehörde entsprachen damit dem neuen Zeitgeist. Der Wunsch von Oppenländer erfüllte sich, am 1. September 1956 trat er seinen Dienst an als dritter Lehrer an der Volksschule Lienzingen. An seinem 56. Geburtstag. Aber damit ist auch belegt, dass das Kultusministerium zu Unrecht die Rolle des Uninformierten spielte, als der Fall im Sommer 1959 durch Helmstädters Attacke einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Der Skandal löste Proteste aus.

Zum Einsatz im Westen 1944

Die Rückkehr der Lehrer: Mit 16 stellten sie die größte Berufsgruppe unter den zunächst 64 Kreisleitern der Nazis. Besonders die Lehrer hätten sich durch politischen Aktivismus hervorgetan, so die Folgerungen von Arbogast (S. 141). Sie zeichnete die berufliche Reintegration der Kreisleiter am Beispiel der Lehrer nach. Trotz Einschränkungen durch Urteile der Spruchkammern, die eine Beschäftigung der ehemaligen Nazi-Elite im öffentlichen Dienst, insbesondere im Schuldienst hätten auf Dauer ausschließen sollen, seien erstaunlich viele Ex-Kreisleiter bereits in den 50er-Jahren wieder an württembergischen Schulen als Lehrer tätig gewesen, einige sogar mit Beamtenstatus. Dieser Wiedereinstieg ermöglichte die sukzessive Rücknahme fast sämtlicher von den Spruchkammern verhängten Sanktionen, so die Historikerin. Die letzten Hindernisse seien durch das Gesetz zur Regelung des Rechtsverhältnisses der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom Mai 1951 gefallen (S. 244).

Von einer sich ausbreitenden und in ihren Konsequenzen weitreichenden Schlussstrich-Mentalität, von der gerade auch die Kreisleiter profitierten, schreibt Arbogast. Deren Bestrafung habe im Wesentlichen in der mehrjährigen Internierungshaft und den Mühen der darauffolgenden Jahre bestanden, in denen sie sich erst allmählich beruflich wieder in Stellungen hätten vorarbeiten können, die ihren Positionen von vor 1933 nahekamen, recherchierte die Historikerin über die regionalen NS-Elite 1920-1960 (S. 24 und 259 ff).  Seit 7. Mai 1945 war der frühere Kreisleiter Oppenländer zuerst in Lager-, dann vom 7. April 1947 bis 15. Dezember 1951 in Strafhaft. Er selbst nannte dies eine politische Haft. Bei Oppenländer, laut Arbogast der Einzige der ehemaligen Kreisleiter, der von einem Gericht so hart bestraft wurde, ging es nicht ganz so flott zurück ins Pauker-Dasein, aber letztlich schaffte er es doch, wenn auch nur für drei Jahre.

Und was wurde aus den anderen Teilen des Urteils der Spruchkammer Schwäbisch Gmünd im Fall Oppenländer?  Tausende von Dokumenten lagern im Staatsarchiv Ludwigsburg (SAV), darunter allein 18.000 Seiten von seiner Verhandlung vor der Gmünder Spruchkammer. Sie reichen vom Prozess der Spruchkammer Schwäbisch Gmünd bis zu Rechnungen über Weinlieferungen aus Endersbach ins Haus Oberbettringer Straße 98 in Schwäbisch Gmünd, das er sich als Kreisleiter der NSDAP 1938 in bester Lage auf elf Ar Land hatte bauen lassen und das von der US-Militärregierung als Villa eingestuft wurde.  Vor allem die Unterlagen über das Verfahren vor der Spruchkammer sind umfangreich, aber noch dicker der Stoß der Dokumente über den Vermögensentzug, der dann doch kein Entzug war, sowie die Arbeit der Treuhänder des Vermögens der Familie Oppenländer (Quellen: Signaturen SAL EL 902/7 Bü 10968 und 11001, EL 402-22 Bü 130 sowie EL 902/7, Bü 10986, außerdem E 337 II Bü 472).

Die NS-Vita des Lehrers Hermann Oppenländer: Mitglied der NSDAP 1926 bis 1928 sowie 1932 bis 1945, Kreisleiter 1934 bis 1937 nebenamtlich im Oberamt Vaihingen an der Enz und dann hauptamtlich in Schwäbisch Gmünd bis Kriegsende, 1943 zeitweise gleichzeitig auch in Göppingen, Oberbereichsleiter 1933 bis 1935 und 1938 bis 1945 Sturmbannführer in der SA, 1934 bis 1945 förderndes Mitglied des Nationalsozialistischen Fliegerkorps (NSFK), 1933 bis 1945 Mitglied und zeitweise Kreisbeauftragter des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB), Gauredner, Kriegsberichterstatter vom April 1941 bis Oktober 1942 bei einer Einheit der Wehrmacht, Kreisbeauftragter für den totalen Kriegseinsatz. Goldenes Parteiabzeichen, Dienstabzeichen in Bronze (Quelle: SAL EL 902/7 Bü 1101).

Als eine Ehre für ihn empfand der lokale Nazi-Führer den Besuch des Reichsführers SS, Heinrich Himmler in Gmünd Anfang März 1940 auf dem Weg zur Hohenstaufen-Gedenkstätte in Lorch (Merkle, Franz: Hermann Oppenländer: Er versteht sich wunderbar auf die Politik mit dem Hammer, in: Proske, Wolfgang (Hg.): Täter. Helfer. Trittbrettfahrer. Bd. 8, Gerstetten 2018, S. 286). Der Historiker Franz Merkle hat sich intensiv mit den Reden und Aufsätzen von Oppenländer beschäftigt, der immer wieder betonte, dass man alles hingeben müsse für den Führer und zum Geburtstag des Führers sei absolute Gefolgsschaftstreue das schönste Geschenk für ihn. Das deutsche Volk müsse hart und unerbittlich werden. Der Sieg sei gewiss mit einer Jugend, die dem Führer ihre gnädigen Herzen zu Füßen lege. Völligen Realitätsverlust oder Durchhalten um jeden Preis spräche aus seinen Reden im Februar 1945. Noch im März 1945 sagte er den Gmündern, der Führer werde dafür sorgen, dass der Krieg den uns erstrebten Ausgang nimmt (Merkle, S. 290) Eifrig war er als Autor der Schwäbischen Rundschau, nationalsozialistische Tageszeitung für Stadt und Kreis Schwäbisch Gmünd, Mitteilungsblatt für alle Behörden, Rems-Zeitung. Dessen Redakteur bezeichnete ihn anlässlich seines Antritts in Gmünd am 1. Oktober 1937 als Draufgänger, Kämpfer. Er verstehe sich wunderbar auf die Politik mit dem Hammer (Merkle, S. 284)

Ein Edel-Nazi, eingestuft von der Spruchkammer Schwäbisch Gmünd in die Gruppe I Hauptschuldiger. Der öffentliche Ankläger forderte acht Jahre Arbeitslager und Einziehung des gesamten Vermögens.

Das Urteil der Kammer unter Vorsitz des Juristen Dr. Wilhelm Hartmann am 26. Februar 1948, rechtskräftig seit 11. Mai 1949, fiel etwas gnädiger aus:

- Der Betroffene wird auf die Dauer von sieben Jahren in ein Arbeitslager eingewiesen Die erlittene politische Haft (Lager) von 30 Monaten wird angerechnet

- Das gesamte Vermögen wird bis auf den Betrag von 8700 Reichsmark eingezogen

- Den Betroffenen treffen die automatischen Folgen aus Artikel 15 Ziffer 3, 7 und 9 auf die Dauer von 10 Jahren

- Der Betroffene hat die Kosten des Verfahrens zu tragen

- Der Streitwert wird auf 9000 Reichsmark festgesetzt.

Die automatischen Folgen aus Artikel 15 des Gesetzes Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946: Zehn Jahre kein öffentliches Amt und keine Beschäftigung im öffentlichen Dienst, kein Wahlrecht, sowie Verlust der Pensionsansprüche an den Staat und das Verbot, Fahrzeuge zu halten. Diese Sühnemaßnahmen wurden bei Oppenländer überlagert durch die erwähnte Zuchthausstrafe von zwölf Jahren und vier Monaten vom Dezember 1947 wegen Totschlags und Anstiftung zum Landfriedensbruch.

Mit dem Gesetz Nr. 104 ging 1946 die Entnazifizierung auf deutsche Stellen über, doch die US-Militärregierung behielt die Oberaufsicht. Nun sollte nicht mehr nach formalen Kriterien geurteilt, sondern auch die individuelle Schuld bewertet werden (Arbogast, S.201). Das führte zur Einrichtung der Spruchkammern. Doch schon zu Beginn der fünfziger Jahre begann die Politik, die Urteile aufzuweichen. Eine Folge davon war das 1953 verabschiedete Gesetz zur einheitlichen Beendigung der politischen Säuberung. Davon profitierte auch Oppenländer. Im öffentlichen Meinungsbild war die politische Säuberung bald völlig diskreditiert, zumal die Spruchkammern auch unterschiedlich werteten. Bei den Kreisleitern wurden in der zweiten Instanz in der amerikanischen Zone fünf als Hauptschuldige eingestuft, in der französischen Zone keiner, fünf beziehungsweise sieben als Belastete, fünf in der französischen Zone als Minderbelastete, keiner in der US-Zone (Arbogast, S. 203, 206).

In diesen Meinungsumschwung passte dieser merkwürdige Vorgang: Der frühere Spruchkammer-Vorsitzender Dr. Wilhelm Hartmann stellte dem Ex-NSDAP-Chef im Kreis Gmünd am 15. November 1953 ein Unbedenklichkeitszeugnis aus. Oppenländer sei ein überaus lauterer Charakter mit edler Gesinnung, habe sich der NSDAP aus reiner und selbstloser Überzeugung angeschlossen. Er sei der Prototyp des biederen schwäbischen Volksschullehrers mit großem Wissen: offen, ehrlich, unerschrocken. In seinem Briefkopf wies sich Hartmann als aufsichtsführender Richter am Arbeitsgericht Schwäbisch Gmünd aus, als Oberfeldrichter und Oberstleutnant der Reserve. Der Jurist forderte eine Wiederaufnahme der Verfahren. Ergo: Die gesamtgesellschaftliche Verstrickung in den Nationalsozialismus zeige, so Arbogast (S. 250), auch über dessen Ende hinaus seine Wirkung.

Sühnemaßnahmen? Was soll Sühne? Indem die Sühne eine Schuld abträgt, soll die vom Unrecht betroffene Person Genugtuung erleben. Anders als Strafe und Buße beziehungsweise Wiedergutmachung umfasst Sühne im strengen Sinn auch die Einsicht des Bestraften in seine Schuld und seine aktive Übernahme der Ausgleichsleistung. Nach der germanischen Rechtstradition, aus der das Wort stammt, soll die erforderliche Sühne (Strafe) dem Täter absichtlich ein Übel zufügen, um seinen willentlichen Verstoß gegen eine Rechtsnorm zu vergelten (Quelle: Wikipedia).

Vier Sühnen legte die Spruchkammer dem Mann aus der regionalen NS-Elite auf. Wie viel Sühne leistete er tatsächlich? Die Recherche in den Dokumenten ist spannend und fördert überraschende Erkenntnisse zu Tage. Auch vor dem Hintergrund seiner letzten Worte, bevor die Spruchkammer ihr Urteil fällte. Ich will das tragen, was mir auferlegt wird. Ich bitte mir die Möglichkeit zu geben, durch meiner Hände Arbeit zu beweisen, dass ich bereit bin, unter neuen politischen Voraussetzungen meine Pflicht als Deutscher zu tun in der Gemeinschaft des deutschen Volkes. (…) In großzügiger Weise habe ich die Verantwortung auf mich genommen, weil alle von mir verlangen, dass ich zu dem stehe, was ich zu verantworten habe (Dokument Nr. 400).

Wie sehr bei dem Mann, der von sich vor der Spruchkammer sagte, ein 100prozentiger Nazi gewesen zu sein, aber kein 150prozentiger, Worte und Taten auseinander klappten, zeigte sein Verhalten in den Jahren danach.

Sühne 1: Sieben Jahre lang in ein Arbeitslager

Nach der Festnahme in Vorarlberg am 7. Mai 1945 zunächst in Haft, danach interniert (Nummer 5334275) vom 19. Juli 1945 bis 11. Januar 1946 im französischen Lager Camps de concentration Bellevue in Fischbach, dann bis 15. Januar 1947 im US-Lager Darmstadt, schließlich bis Dezember 1947 in den US-Internierungslagern Nr. 74 in Ludwigsburg, 76 und 77 auf dem Hohenasperg und Ludwigsburg. Obwohl diese 30 Monate Internierung angerechnet wurden, hätte der gescheiterte NS-Funktionär noch gut viereinhalb Jahre Umerziehung im Arbeitslager absolvieren müssen. Das stand aber, wie sich bald zeigte, nur auf dem Papier. Das Lager Nr. 74 zählte zu den größten Nazi-Lagern der US-Armee. Bis 17. September 1946 saß dort auch der spätere Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger ein, den die erste Instanz der Spruchkammer als ehemaliges NSDAP-Mitglied zuerst als Mitläufer einstufte -  die zweite entlastete ihn 1948 vollständig.

Diese Sühnemaßnahmen wurden bei Oppenländer überlagert durch die Zuchthausstrafe von zwölf Jahren und vier Monaten vom Dezember 1947 an wegen Totschlags (die widerrechtliche Anordnung der Liquidierung von Haidner und Propst in Gmünd im April 1945) sowie Anstiftung zum Landfriedensbruch (Angriff gegen katholische Pfarrer 1938).

Als der am 5. März 1948 verkündete Beschluss der Spruchkammer am 13. April 1948 rechtskräftig wurde, verbüßte Oppenländer  in Bruchsal gerade die ersten Monate seiner Zuchthausstrafe. Bald darauf verlegte die Justiz ihn in die Landesstrafanstalt Schwäbisch Hall. In einer Aktennotiz hielt die Vollstreckungsbehörde fest: Ich bitte um entsprechende Vormerkung in der Arbeitslagerliste, notierte Sachbearbeiter Blaicher am 7. September 1948. Für ihn vorgesehen war ein Platz in der ehemaligen Frommannkaserne in Ludwigsburg. Am 8. Juni 1949 erhielten die Landesstrafanstalten Bruchsal und Schwäbisch Hall die Mitteilung mit dem Aktenzeichen XIV/40/59. Inhalt: Oppenländer nach Ende der Zuchthausstrafe zu überstellen zur Verbüßung der restlichen Arbeitslagersühne. Das hätte bedeutet: Zuchthausstrafe zu verbüßen bis 1960, danach noch viereinhalb Jahre Arbeitslager.

Doch es kam anders. Ins Arbeitslager musste der Verurteilte nie. Nachdem ihm Ministerpräsident Reinhold Maier 1951 ihn begnadigte und ihm neun Jahre Zuchthaus ersparte, war er ein freier Mann, der Aktenvermerk mit der Aufforderung zur Überstellung ins Arbeitslager nach nur zwei Jahren hinfällig.

Also: Sühne Arbeitslager, um gesetzlich vorgesehene Wiedergutmachungs- und Aufbauarbeiten zu verrichten – totale Fehlanzeige.

Sühne 2: Einzug des gesamten Vermögens bis auf 8700 Reichsmark

Der so genannte Vermögensentzug füllt ganze Aktenordner (Quelle: Bestand StAL EL 902-7 Bü 10968). Die Bestandsaufnahme des Hab und Guts von Oppenländer und seiner Familie lief schon 1947 an und somit vor dem Urteil der Spruchkammer. Beteiligt: das Amt für Vermögenskontrolle Landkreis Schwäbisch Gmünd, die Zentralspruchkammer Nordwürttemberg in Ludwigsburg, die Landesbezirksstelle für die Wiedergutmachung Stuttgart, das Amt für Vermögenskontrolle in Ulm, die US-Militärregierung, das Finanzministerium, der Treuhänder des Vermögens von Oppenländer, Notare und einige wenige Privatleute.

Zu Letzteren gehörte die Karosseriefabrik Binz & Co in Lorch, die noch eine Rechnung mit Oppenländer offen hatte – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn der Kreisleiter ließ laut Schreiben der Firma vom 12. Juni 1946 an die Militärregierung im Februar 1945 sein Fahrzeug bei Binz & Co reparieren, blieb aber die dafür berechneten 424,55 Reichsmark schuldig. Zwei Jahre später hörte die Firmenleitung, Oppenländer habe bei der Kreissparkasse Schwäbisch Gmünd private Giro- und Sparkonten, die aber durch die Militärregierung gesperrt seien. Die Antwort:  Der frühere Kreisleiter habe kein eigenes Auto besessen, repariert worden sei sein Dienstwagen, weshalb auch die Kosten nicht aus dem Privatvermögen von Oppenländer bezahlt werden könnten, so Kurt Hartmann, Treuhänder des beaufsichtigten Vermögens von Oppenländer, am 29. August 1946.

Der gelernte Banker Hartmann verwaltete treuhänderisch bis Ende August 1950 das Oppenländer-Vermögen, dann stieg er aus, die Aufgabe wechselte zu August Freudenreich, wie Hartmann ein Gmünder. Sie verwalteten auch die Villa, suchten nach noch unbekannten Konten – Hartmann stieß 1946 auf das Eiserne Sparkonto Oppenländers  mit der Nummer E18/347 bei der Württembergischen Landessparkasse in Stuttgart. Zuerst überwies der Treuhänder Geld aus dem Vermögen an Ehefrau Maria in Mühlacker für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder, anfangs 116 Reichsmark, dann 300 Reichsmark monatlich – da dies aber die Substanz schmälerte, forderte Hartmann die Hausfrau auf, sich eine Arbeitsstelle zu suchen.

Doch schon am 25. Oktober 1950 endeten Treuhänderschaft und Vermögenskontrolle ganz, Oppenländer durfte wieder selbst handeln. Noch eingeschränkt durch eine Sperre im Grundbuch. Selbst aus dem Zuchthaus heraus verklagte Oppenländer beim Amtsgericht Schwäbisch Gmünd 1949 einen Landwirt auf Herausgabe angeblich geplünderter Gegenstände oder 2000 Reichsmark Schadensersatz. Ein Verfahren, das sich offenbar hinzog, denn am 11. November 1951 antwortete Ehefrau Maria dem Amt für Vermögenskontrolle, sie selbst habe vom Ausgang der Verhandlung keine Kenntnis. Später interessierte es offenbar niemand mehr. 

Streit um Höhe der Raten

Das Ende der Vermögenskontrolle erfolgte sehr zum Ärger der Landesbezirksstelle für die Wiedergutmachung. Weshalb bei einem Hauptschuldigen, dessen gesamtes Vermögen einzuziehen ist, die Vermögenskontrolle aufgehoben wurde, bevor die Einziehung des Vermögens durchgeführt ist, ist uns unverständlich, schrieb Behördenmitarbeiter Kleinknecht am 23. Mai 1951 dem Amt für Vermögenskontrolle in Stuttgart (Aktenzeichen Vo 1586 – Kw/Kö). Schwacher Trost für die Landesbezirksstelle war, dass im Grundbuch der 1948 erfolgte Eintrag eines Sperrvermerks für Grundstück und Villa Oberbettringer Straße 98 mit der Flurstücknummer 2068/1 zugunsten der Militärregierung blieb. Der sollte erst gelöscht werden mit dem Ende des Vermögenseinzugs. In einem Aktenvermerk der US-Militärregierung (Property Control) taxierte der Verfasser Dr. Edgar Hess das Vermögen der Familie Oppenländer nach der Währungsreform auf rund 27.900 Deutsche Mark (Dokument 553/73). Zum Vergleich das durchschnittliche Entgelt eines bundesdeutschen Arbeitnehmers: 3.852 DM im Jahr 1952.

Schon zweieinhalb Jahre später fiel die letzte Hürde. Im März 1953 beantragte Oppenländer beim Ministerium, auch den Sperrvermerk zu löschen. Wenige Tage danach wies das Justizministerium das Grundbuchamt Schwäbisch Gmünd an, den Sperrvermerk zu streichen. Was noch entscheidender war: Das Ministerium erließ an jenem 14. März 1953 dem Ex-Kreisleiter auch den Vermögensentzug. Nun war in diesem Punkt das Urteil der Spruchkammer vollständig ausgehebelt.

Dabei lagen weitere Berechnungen mit unterschiedlichen Resultaten vor. Eine erste Bestandsaufnahme auf sechs Seiten lieferte die Außenprüfung des Amtes für Vermögenskontrolle Schwäbisch Gmünd am 9. März 1948. Im Mittelpunkt: Wert und Ertrag des Wohnhauses von Oppenländer, das nach Kriegsende bis Mai 1946 von der US-Armee genutzt wurde. Dafür bezahlte das Amt für Besatzungsleistungen 1948 rückwirkend 2049,20 Reichsmark dem Treuhänder als Entschädigung. Seitdem ist das Gebäude vermietet. Die Ist-Zahlen Stand 31. Dezember 1947 ergaben ein überraschendes Ergebnis: Oppenländer war überschuldet. Grundstückswert, Bankguthaben und Lebensversicherungen erbrachten zusammen 27.713,43 Reichsmark, die Schulden lagen um 2239,86 Reichsmark drüber. Der kapitalkräftigste Brocken: 24.800 Reichsmark aus dem Steuerwert des Grundstücks.

Doch die Überschuldung trat deshalb ein, weil der Schätz- und Ertragswert für Grund, Boden und Haus von Oberbettringer Straße 98 unbestritten zu niedrig gegriffen waren. Dieser Wert lag in Wirklichkeit deutlich höher: bei fast 40.000 Reichsmark (Quelle: Stadt Schwäbisch Gmünd, Beglaubigte Niederschrift über die amtliche Schätzung von Grundstücken, Band VIII, Nummer 173). Und schon so alles günstiger aus. Dieser höhere Betrag schlug sich in den weiteren Berechnungen nieder, so dass das Vermögen unterm Strich 12.260,14 Reichsmark betrug, von denen 9223 Reichsmark hätten eingezogen werden müssen, so das Amt für Vermögenskontrolle in Ulm in einer Aufstellung vom 22. Mai 1950. In der so genannten Aufstellung (Sch/G) gestand die Behörde dem ehemaligen Kreisleiter eine Entschädigung von 2000 Reichsmark für von seiner Familie erlittene Schäden bei Plünderungen nach Kriegsende zu. Mit Null veranschlagte die Behörde die Werte von Gegenständen, die die nun in Mühlacker lebende Ehefrau Maria und die drei Kinder aufgelistet hatten – vom Klavier über die Briefmarkensammlung bis zu zwölf Hühnern.

Unsicherheit erwuchs aus einer Zivilklage auf Schadensersatz der Witwe von Robert Haidner, Antonie. Sie forderte Schadensersatz für die Liquidierung ihres Mannes am 20. April 1945 auf Befehl des Kreisleiters. Doch das Landgericht Ellwangen lehnte am 31.März 1949 ab, ihr das Armenrecht zuzugestehen, durch das sie ohne eigenen finanziellen Aufwand hätte die Klage durchziehen können. Denn sie müsse sich zuerst an die Wiedergutmachungsbehörde wenden (Quelle: StAL EL E 337 II Bü. 472).

Den Tätern wird genommen, den Opfern gegeben. Die Nachkriegspolitik setzte damit notfalls auf Zwang. Die Einnahmen aus dem, den belasteten NS-Bossen abgenommenen Vermögen flossen in einen Topf, aus dem Wiedergutmachung an den NS-Opfern finanziert werden sollten. Doch diese Rechnung ging jedenfalls in diesem Fall nicht auf, was Sachbearbeiter Kleinwächter von der Landesbezirksstelle für die Wiedergutmachung beklagte. In seinem Schreiben vom 31. Mai 1951 an die Vollstreckungsbehörde der Zentralspruchkammer in Stuttgart (Aktenzeichen: Vo 1586) kritisierte er das Klein-Rechnen des Vermögens, das Oppenländer zu entziehen war: Dies ist umso bedauerlicher als das Land Württemberg-Baden an die Witwe des Robert Haidner, für dessen Tod der Betroffene verantwortlich ist, Wiedergutmachungsleistungen bezahlen muss, die das einziehbare Vermögen (von Oppenländer, Anm.d.V.) weit übersteigen.

Die Witwe erhielt eine lebenslange Rente von 98 Mark vom 1. Januar 1949 an zugesprochen. Bis Ende 1950 waren somit 3252 Mark aufgelaufen, laut des Sonderfondsgesetzes standen ihr zusätzlich einmalig 4363,80 Mark zu, so die Landesbezirksstelle für Wiedergutmachung in einem Brief an das Amt für Vermögenskontrolle in Stuttgart vom 19. Februar 1950.

Nach Abzug der Schulden bleibe dem Ex-Kreisleiter, so Kleinwächter in seinem Schreiben vom 31. Mai 1951, ein Vermögen von 18.000 Mark. Wenn dann noch der Lastenausgleich in der bisher gehabten Form berücksichtigt werde, schrumpfe die Summe auf 12.000 Mark. Nach den Vorgaben der Spruchkammer dürfe Oppenländer 8700 Mark behalten, ergo seien ihm 9300 und bei Lastenausgleich 3300 Mark abzunehmen. Im Ergebnis würde der frühere Kreisleiter nur ein Viertel des Reinvermögens verlieren, drei Viertel ihm verbleiben. Kleinwächter argumentierte, die 8700 Mark stellten keinen Notbedarf dar. Die Spruchkammer sei bei ihrer Entscheidung 1948 von einem Vermögen von 35.000 Reichsmark ausgegangen und habe mit der Festsetzung der 8700 Mark zu erkennen gegeben, dass Oppenländer nur ein Viertel seines Vermögens behalten dürfe. Er forderte, statt des festen Betrags von Oppenländer auf jeden Fall drei Viertel des Vermögens als Wiedergutmachung einzuziehen.

Das Innenministerium lehnte eine solche Korrektur ab. Zu einer solchen Abweichung des rechtskräftigen Spruches sei die Vollstreckungsbehörde nicht befugt, unterstrich Regierungsdirektor Schröter in seiner Antwort an Kleinwächter. Wenn der Betroffene nun durch die Umstände der Währungsreform günstiger wegkomme, so sei dies kein Grund, sich vom Spruchtenor zu entfernen.

Doch der frühere NSDAP-Boss (Adresse: zu diesem Zeitpunkt Landesstrafanstalt Schwäbisch Hall) hatte zumindest mit dieser Form der Wiedergutmachung, die seine Konten schmälerte, nichts am Hut. Bereits zwei Jahre nach dem Urteil der Spruchkammer deutete sich seine Strategie an. Er wollte den Vermögenseinzug ganz verhindern. Und setzte dabei, wie mehrfach bis 1956, auf gnädige Politiker und Beamte. Überschüttete sie mit Gnadengesuchen. Am 23. Januar 1950 verfasste er ein entsprechendes Gnadengesuch, doch das Ministerium für Politische Befreiung Württemberg-Baden lehnte diesen wohl ersten Antrag nach rund einem halben Jahr ab (Schreiben vom 6. Juli 1950). Die ehemalige NS-Größe beklagte immer wieder, wie wirtschaftlich schlecht es ihm und seiner Familie gehe. Am 13. Januar 1953 strapazierte er erneut das Gnadenrecht und versuchte, gnädigst wieder als Lehrer arbeiten zu dürfen. Erfolglos. Im selben Jahr, am 2. November, brachte er aufs Neue ein Gnadengesuch auf den Postweg, doch die von ihm erhoffte Unterhaltsbeihilfe wurde fünf Monate später abgelehnt. Kaum hielt er den abschlägigen Bescheid in den Händen, schon schickte er erneut ein Gnadengesuch nach Stuttgart. Der Gnadenausschuss beim Justizministerium solle ihm die Beihilfe doch gewähren. Auch das Gremium sagte Nein. Oppenländer sei erst 54 Jahre alt und nicht arbeitsunfähig, sei zudem einer der gewalttätigsten Kreisleiter gewesen (Vorlage des Justizministeriums für den Ausschuss vom 23. Februar 1954).

Das Hin- und Her-Rechnen zwischen den beteiligten Stellen und damit die Zeit arbeiteten für den einst in der Wolle gefärbten Nazi, weil sich auch politisch der Wind drehte, der ihm zuerst hart ins Gesicht blies und sich nun zum kraftlosen Lüftchen minimierte. Seit 13. Juli 1953 galt das Gesetz zur einheitlichen Beendigung der politischen Säuberung, das den Weg eröffnete, in jedem Fall die Einziehung des Vermögens durch die Zahlung eines festzusetzenden Geldbetrags abzulösen. Schon einen Monat danach schickte das Landesamt für die Wiedergutmachung 30 Vollstreckungsunterlagen in der Angelegenheit Oppenländer an die Vollstreckungsbehörde bei der Zentralspruchkammer Württemberg-Baden in Stuttgart zurück. Seine Mitwirkung sei deshalb nun nicht mehr notwendig, so Kleinwächter. Die Kammer für Teilungssachen der Zentralspruchkammer legte am 6. Oktober 1953 fest, der Vermögenseinzug werde auf einen Betrag von 800 Mark umgestellt (Aktenzeichen 14/40/59), ohne zu begründen, nach welchen Kriterien sie die Summen festlegte. Die Vollstreckungsbehörde teilte dem in Mühlacker wohnenden Ex-Kreisleiter von Gmünd am 1. Dezember 1953 mit, diese Summe in zehn Monatsraten abstottern zu dürfen, was er handschriftlich Ende November beantragt hatte.

Doch selbst dieses Entgegenkommen honorierte Oppenländer nicht. In einem Brief an das Justizministerium teilte er mit, er habe bei bestem Willen der Forderung, vom 1. Januar 1954 monatlich 80 Mark zu überweisen, nicht nachkommen können, zumal inzwischen auch sein Gesuch um eine Überbrückungshilfe abgelehnt worden sei. Von seinem geringen Verdienst könne er nur selten etwas erübrigen, zuerst müsse er die Ernährung seiner Familie sicherstellen. Infolge starker, in der Internierungshaft erlittener Verletzungen sei er an manchen Tagen überhaupt nicht arbeitsfähig. Er bitte, ihm den Rest von 600 Mark zu stunden und mit kleineren Raten einverstanden zu sein. Angesichts der Tatsache, dass Leute wie Krupp von der Vermögensabgabe befreit worden seien, sei seine Inanspruchnahme sowieso hart genug, denn darüber, wer die größere Schuld habe, Krupp oder er, brauche man sich kaum zu unterhalten. Seine Bitterkeit schwang bei diesem Brief vom 12. April 1954 mit. Dass er fast ganz um den Vermögenseinzug herumkam, betonte das Ministerium in seiner ablehnenden Antwort vom 23. August 1954. Die 80-Mark-Monatsraten seien zumutbar, zumal Oppenländer das Wohnhaus Oberbettringer Straße 98 in Schwäbisch Gmünd gehöre. Das sei zwar erheblich belastet, doch bleibe ihm neben der laufenden Zins- und Tilgungslast ein erheblicher Überschuss aus dem Mietertrag.

800 Mark, um seine Schuld zu sühnen – der Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP kam äußerst günstig davon. Eine Sühnemaßnahme im Sonderangebot.

Sühne 3: Den Betroffenen treffen die automatischen Folgen aus Artikel 15 Ziffer 3, 7 und 9 auf die Dauer von 10 Jahren

Sperrfrist für das Verbot, als Lehrer arbeiten zu dürfen? Frühzeitiger kassiert als von der Spruchkammer festgelegt. Berufsverbot generell? Früher aufgehoben. Gestrichene Pensionsansprüche? Bestanden nach seinem Verzicht 1944 ohnehin  nicht mehr. Tatsächlich wurde er später vom Staat nachversichert. Zehn Jahre kein Wahlrecht? Fallengelassen.

Die ehemaligen Kreisleiter machten nicht den Versuch einer ehrlichen Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit, beklagte Christine Arbogast in ihrer Untersuchung. (…) Die Spruchkammerverfahren hätten sich in der Regel auf den Nachweis der konkreten Beteiligung der Angeklagten konzentriert, ohne den Versuch zu wagen, eine generelle Verantwortung der Kreisleiter als solche festzustellen (S. 233).

Ein Vergleich

Die Akten der Spruchkammer Schwäbisch Gmünd im Fall Oppenländer bestehen denn auch im Wesentlichen aus Zeugenaussagen, wobei die Zahl von Persilscheinen für den einstigen Funktionär der NSDAP gering ist. Breiten Raum vom Umfang her nehmen seine 44 Beiträge für die Schwäbische  Rundschau –  NS-Lokalzeitung - sowie Rechnungen und Belege von Leistungen und Waren, die er und seine Frau einkauften, aber auch Nachweise über die Ladung von Zeugen. Ebenfalls dabei eine Auflistung seiner jeweiligen Jahreseinkommen: 3300 Reichsmark als Lehrer im Jahr 1932, als hauptamtlicher Kreisleiter 8500 Reichsmark (1943) und 9000 Reichsmark 1945.

Das Finanzamt Mühlacker, bei dem Oppenländer in all den Jahren veranlagt wurde, nannte in einer Aufstellung vom 9. Januar 1948 der Spruchkammer für die Gmünder Jahre abweichende Jahreseinnahmen: 6625 Reichsmark (1939), 6354 Reichsmark (1940), 6047 Reichsmark (1941), 11.621 Reichsmark (1942), 10.378 Reichsmark (1943), 10.628 Reichsmark (1944) und 2129 Reichsmark 1945. Sein Vermögen habe Oppenländer für 1. Januar 1946 mit 1833 Reichsmark angegeben. Das Durchschnittseinkommen der Deutschen lag 1939 bis 1945 bei 2000 bis 2300 Reichsmark pro Kopf (Quelle: Wikipedia).

In dem achtseitigen, eng beschriebenen Urteil kam die Kammer nach der Beweisaufnahme zum Ergebnis, dass Oppenländer als Hauptbelasteter einzustufen sei. Auf fünf Punkte konzentrierte sich die Begründung:

1. Die von Oppenländer angeordnete Liquidierung der beiden Gmünder Bürger Probst und Haidner in den letzten Stunden vor der Befreiung von Schwäbisch Gmünd durch US-Truppen wegen abfälliger Bemerkungen über Hitler und das Naziregime.

2. Rädelsführer der nächtlichen Randale gegen drei katholische Pfarrer in Gmünd und Waldstetten in der Nacht vom 11. auf den 12. April 1938 und damit auch Verantwortlicher für die damit verbundenen Schäden.

3. Als Kreisleiter habe sich Oppenländer in führender Stellung der NSDAP betätigt und dem verbrecherischen Korps der politischen Leiter angehört, durch rigoros ausgeübte Aktivität die politische NS-Gewaltherrschaft außerordentlich politisch und propagandistisch unterstützt.

4. Er habe aus der Gewaltherrschaft der NSDAP wirtschaftliche und persönliche Vorteile in eigennütziger Weise herausgeschlagen. Im Hinblick auf seine langjährige und außerordentlich aktive, propagandistische Tätigkeit sei ihm der Titel eines Oberbereichsleiters verliehen worden. Der Betroffene habe während seines Gmünder Aufenthalts und seiner Tätigkeit als Kreisleiter ein verhältnismäßig kostspieliges Leben geführt und eine große Villa in einem Einheitswert von 25.000 Reichsmark erstellt, die man mit seinen wirtschaftlichen früheren Verhältnissen nur schwer in Einklang bringen könne und in einem auffallenden Missverhältnis zu seinen Leistungen stehe.

5. Seine Artikel in der Schwäbischen Rundschau würden ihn auch als Militarist im wahrsten Sinne des Wortes ausweisen.

In der Urteilsschrift finden sich auch Aussagen von Oppenländer zu seiner Verteidigung. In seinem Eintritt in die NSDAP 1926 in Dörzbach bei Künzelsau – er hatte dort seine erste feste Lehrerstelle inne – habe er die einzige Möglichkeit der Besserung der wirtschaftlichen Notlage des deutschen Volkes gesehen. Er sei aus reinem Idealismus eingetreten. Er sei ein überzeugter Nationalsozialist gewesen. Der Betroffene, heißt es weiter im Text der Kammer, übernahm die Verantwortung für die Ausschreitungen im April 1938 gegen die katholischen Geistlichen, sie seien jedoch nicht von ihm ausgegangen.  Alles, was er getan habe, sei aus seiner selbstverständlichen Pflicht heraus geschehen, auch die kriegsmäßige Ausrüstung der Bevölkerung (Dokumente Nr. 403-405).  Eine Verteidigung, besser ein Herausreden, die Argumentationsmuster der einstigen Kreisleiter ähnelten sich – die von Oppenländer passte gut ins Schema (Arbogast, S. 221).

Speziell zu seinen Konflikten mit der katholischen Kirche erklärte Oppenländer bei der Sitzung der Kammer am 26. Februar 1946, er sei 1937 nach Gmünd gekommen (gegen seinen Willen) mit der Absicht, die gegnerische Stellung der Partei gegen die Kirche auszuschalten. Dass dies misslungen sei, sei nicht allein seine Schuld. Allerdings schließe er nicht aus, gegen Kirche und Religion geschimpft zu haben. Ob er auch das Zitat meinte, das Landrat Konrd Burkhardt als Zeuge zu Protokoll gab? Entweder ist man deutsch oder Katholik, beides zusammen gibt es nicht, soll der Kreisleiter in einer großen öffentlichen Veranstaltung gesagt haben (Dokument Nr. 79).

Der katholische Dekan Dr. Großmann legte ein Schreiben vom 28. März 1938 vor. Darin forderte ihn der Kreisleiter auf, umgehend die Ihnen unterstehenden Priester anzuweisen, in jeder gottesdienstlichen Handlung sich absolut in den Dienst der Wahlpropaganda zu stellen.  Alle kleinlichen Bedenken hätten gegenüber dem großen Zeitgeschehen zurückzustehen. Es gelte der Grundsatz bist du deutsch oder bist du nicht deutsch.  Oppenländer, evangelisch, getauft, 1939 mit der Familie aus der Kirche ausgetreten (nach dem Krieg zurück gekehrt), Katholiken-Hasser. Er beschlagnahmte im Herbst 1940 das Kloster Sankt Elisabeth, quartierte die Bewohner aus, um dort Volksdeutsche unterzubringen, stützte sich dabei auf eine Ermächtigung des Reichsführers SS.

Mit Heil Hitler unterzeichnete der Kreisleiter auch den Brief der NSDAP Gmünd vom 20. März 1939 an den örtlichen Kirchenpfleger Albert Arnold, in dem er verlangte, auf eine öffentliche Einladung zur jährlichen Fronleichnamsprozession zu verzichten. Nur so sei eine reibungslose Durchführung der Prozession, auch politisch, zu gewährleisten. Ein weiterer Konflikt entstand 1938, als Oppenländer plante, auf dem Turm der Johanneskirche eine Lautsprecheranlage zu montieren, um weit schallend für ein Ja bei der Volksabstimmung zum Anschluss von Österreich an das Deutsche Reich zu werben.  Der Kirchenstiftungsrat lehnte dies ab, worauf Kirchenpfleger Albert Arnold telefonisch vom Kreisleiter als schwarzer Lump beschimpft wurde. Bis Kriegsende sei er vom Nazi-Boss schikaniert worden – bis zu seiner Einlieferung ins Polizeigefängnis auf Befehl von Oppenländer, der ihn habe zwingen wollen, sich freiwillig für den Arbeitseinsatz am Westwall zu melden.  Das war laut Arnold am 24. November 1944. Den als Nazigegner bekannten Kirchenpfleger beschimpfte der Kreisleiter als Drückeberger und auf seinen Hinweis, krank zu sein, antwortete Oppenländer:  Er (Arnold) müsse weg, auch wenn er dabei verrecke (aus der Urteilsbegründung der Spruchkammer).

Oppenländer war mit seinem Anti-Kirchen-Kurs kein Einzelfall. Von einem besonderen Spannungsfeld zwischen der NSDAP und den Kirchen sowie deren Amtsträgern berichtet Arbogast (S. 66 f). Die Kirche habe mit ihrer gut ausgebauten Infrastruktur, vor allem in den Anfangsjahren des Regimes, eine Konkurrenz dargestellt und für einen großen Teil der Bevölkerung einen hohen Stellenwert gehabt. Vor allem in katholischen Gebieten taten sich die Nazis schwer, Fuß zu fassen. Die Kirchen als Konkurrenz. Das war bei Oppenländer möglicherweise nicht immer so. In einer Zeugenaussage vom 19. September 1947 aus Künzelsau steht, der Betroffene habe in Dörzbach – dort gründe er 1926 den NSDAP-Stützpunkt - bis zu seinem Weggang rege am kirchlichen Leben teilgenommen, kirchenfeindliche Unternehmen habe es nicht gegeben (Dokument 278).

Der Kurswechsel kam erst in Vaihingen an der Enz. 1933 zuerst Lehrer, von 1934 an Rektor der örtlichen Volksschule, übernahm er 1934 im Nebenjob auch die Position des Kreisleiters im Oberamt. Am 3. Juni 1935 organisierte Oppenländer einen Schulungsabend gegen Kirche, Pfarrer und ihre Einrichtungen. Ein Protokoll darüber fertigte für sich der Enzweihinger Fabrikant Imanuel Conradt an, der es über Pfarrer Rudolf Roller aus Enzweihingen an den Evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart schickte. Friedrich Schweizerhof bestätigte mit seiner Unterschrift die Richtigkeit des Inhalts. (Dokument 214).  Conradt und Schweizerhof nahmen an dem Schulungsabend teil. Conradt, auch Kirchengemeinderat, kommentierte rückblickend 1947 in einem Vermerk für die Spruchkammer: Der Vortrag war unflätig und verlogen, brutal und gehässig. Er sah in Oppenländers Aktion einen Angriff auf sich als Kirchengemeinderat. Nach schwerem Ringen habe er mit Gottes Hilfe den Mut aufgebracht, in der Veranstaltung aufzustehen und dem Kreisleiter sein Parteiabzeichen auf den Tisch zu legen, um anderntags aus der NSDAP auszutreten (Dokumente 116 und 117).

Lokaler Machthaber

Wie ein roter Faden zieht sich durch die Zeugenaussagen der Hang des Kreischefs der NSDAP, sich in alles einzumischen, seine Wünsche und Forderungen mit Drohungen zu garnieren, schon einmal mit dem KZ zu drohen, gleichzeitig auf persönliche Vorteile zu achten (Aussage eines Zeugen: War hier gefürchtet und setzte in politischen Angelegenheiten seinen Willen durch). Schon als Kreisleiter im Oberamt Vaihingen an der Enz drängte er, auf freie Stellen im öffentlichen Dienst verdiente Parteigenossen zu hieven, auch wenn ihnen die fachlichen Voraussetzungen fehlten, notfalls schob er wüste Drohungen nach (Schreiben von Oppenländer vom 20. Januar 1938 an den Gmünder Landrat).

So auch am 6. Dezember 1940 im Sitzungssaal des Rathauses Lorch. Wie Karl Schurr, Vorstand der Genossenschaftsbank Lorch, am 14. September 1947 für die Spruchkammer zu Protokoll gab, trommelte der Kreisleiter unter anderem ihn, den Ortsgruppenleiter der Partei, einen Vertreter des Genossenschaftsverbandes und die Verwaltung der Bank zusammen. Denn die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den früheren Bankvorstand wegen des Verdachts auf Untreue, weshalb die Genossenschaft den Mann feuerte. Doch der war laut Schurr mehrfacher NS-Funktionär. Oppenländer forderte, ihn sofort wieder einzustellen, was Ortsgruppenleiter H.E. Sieger im Fall der Weigerung mit der Warnung verband, die Parteimitglieder aus dem Vorstand der Bank vor das Parteigericht zu stellen, wenn sie die Wiederanstellung nicht unterstützen (Dokument Nr.80). Das ist ein Grund, dass man sie nach Welzheim (ins KZ, Anm.d.V.) bringt, drohte zudem der Kreisleiter, weil Schurr schon früher den später geschassten Parteigenossen die Verpflichtung hatte unterschreiben lassen, Parteiarbeit nicht während der Arbeitszeit zu erledigen (Dokument Nr. 396). H.E. Sieger, Konsul von Paraguay und in der Nachkriegszeit erfolgreicher Briefmarkenhändler, taucht in den Dokumenten an anderer Stelle nochmals auf: als Bürge für ein Darlehen über rund 2600 Reichsmark für Oppenländers Hausbau.

Dachte Oppenländer an die Menschen, die er mit Durchhalteparolen bis Kriegsende traktierte? Der spätere Gmünder Landrat Konrad Burkhardt berichtete, im Keller des großen Stadtgartensaales habe sich 1945 ein Riesenverpflegungslager befunden, in der alten Kaserne ein Kleiderlager. Statt Nahrung und Kleidung an die Bevölkerung auszugeben, sei dies gehortet und dann geplündert worden – von wem, ließ er offen. Tatsächlich geplündert hatten die lokalen Nazi-Größen vor ihrer Flucht vor den US-Truppen. Burkhardt, während des Krieges Betriebsleiter der Firma Deyhle in Gmünd, war seinerzeit von Oppenländer scharf kritisiert worden, weil er dem NS-Betriebsobmann am 27. Oktober 1939 für ein Propagandatreffen in den Räumen der Kreisleitung während der Arbeitszeit nicht frei gab. Der NS-Chef leitete daraus eine grundsätzliche Ablehnung der politischen Tätigkeit ab und teilte wenige Tage danach dem Unternehmen (ein komischer Betrieb) mit, diesen Fall an höherer Stelle zur Sprache zu bringen. Denn die Kreisleiter seien vom Führer beauftragt, während des Krieges dafür zu sorgen, dass die Stimmung des Volkes nicht leidet (Dokument 5).

Denunzianten bei Oppenländer erwünscht: Weil die Wirtsfamilie des Lokals Zum weißen Hahnen in Gmünd als politisch unzuverlässig galt, schickte der Kreisleiter zwei Spitzel hin. Ehefrau und Tochter kamen in Schutzhaft (Dokument 79). Dazu passt die Aussage des Gastwirtes Karl Breining aus Kleinglattbach, heute Stadtteil von Vaihingen: 1935 sei Oppenländer in seinem Lokal erschienen, habe behauptet, es läge eine Anzeige vor, wonach die Gaststätte eine kommunistische Spelunke sei. Breining könne sich nur retten, wenn er der Partei beitrete, was er aber abgelehnt habe, worauf der unerwünschte Gast erneut gedroht habe (Dokument 124).

Menschenverachtend auch seine Reaktion auf den Absturz eines alliierten Flugzeugs am 21. Juli 1944. Vor den Bürgermeistern des Kreises Schwäbisch Gmünd wetterte Oppenländer, er wolle nicht mehr hören, dass man abgeschossene Flieger auf dem Friedhof beerdigt. Die werden dorthin geschmissen, wo sie selbst durch den Absturz ein Loch in den Boden geschlagen  haben.

Zudem pikant, dass der NS-Chef den Gmünder Bürgermeister Barth kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner anwies, die Hauptkartei zu vernichten. Sie war Grundlage für die Verteilung der Lebensmittelkarten (Aussage Gustl Steiert, 20. März 1947). Eine Begründung dafür gab es nicht, doch die städtischen Mitarbeiter tricksten die NS-Mannen aus, retteten die Kartei, denn die werde auch nach Kriegsende gebraucht. Was auch der Fall war. Möglicherweise wollte Oppenländer Spuren verwischen, die belegen, dass bei der Ausgabe von Lebensmittelkarten nicht alles in Ordnung war.

Dass der Spruchkammer 167 Rechnungen, Belegen, Quittungen, Notizen und Mahnungen vorlagen, war von besonderem Reiz, erlaubten sie doch Einblick in das Leben der regionalen NS-Größe. Oppenländer hatte diese Sammlung im April 1945 vor seiner überstürzten Flucht in Richtung Alpen – US-Soldaten standen kurz vor Gmünd - in einem Umschlag in seiner Garage versteckt, der von einem Bürger entdeckt wurde (Schreiben an die Kammer vom 19. September 1947). Der Kreisleiter schien auch sammelwütig gewesen zu sein. Da fand sich die Quittung des Städtischen Krankenhauses aus dem Jahr 1942 für den Erhalt der sieben Reichsmark, die das Röntgen bei seiner Frau kostete, genauso wie die Rechnung über 56,25 Reichsmark vom 13. März 1945 für Zigarren (Felix Brasil, Senoritas, Cuba Club), geliefert von der örtlichen Zigarrenfabrik Carl Fr. Lang an die Kreisleitung, hier – einen Monat vor der Befreiung.

Die Rechnungen für zahlreichen Weinlieferungen an den Kreisleiter – vor allem für Trollinger und Riesling – schickten die Remstalkellerei in Endersbach und die WG Oberes Bottwartal in Beilstein, wobei offen blieb, wer die Beträge bezahlte – der Kreisleiter privat oder die Partei. Der Weingroßhandel Walter Eßwein in Heilbronn verlangte am 8. Juli 1944 für 20 Literflaschen Heilbronner Clevner 60 Reichsmark. Herrn Oppenländer Kreisleiter, hier – so die Adresse auf den Rechnungen von Hans Bühner, Mass-Schneiderei für Civil und Militär in Gmünd unter anderem für einen 70 Reichsmark kostenden Anzug anno 1944. Der Kreisjägermeister musste aber die Spende von 50 Reichsmark für das Kriegs-Winterhilfswerk 1944/45 anmahnen. Zur Sammlung gehörten gar die Quittungen für Hundesteuer und Schulgeld. Am 28. Februar 1945 teilte das Elektro-, Rundfunk- und Beleuchtungshaus J. Blumer Herrn H. Oppenländer/ Kreisleiter/Hier mit: Bei Abschluss meiner Bücher finde ich noch meine Rechnung Nr. 06985 in Höhe von RM. 83,65 offenstehend. Ich bitte um Nachprüfung. Heil Hitler!, darunter der handschriftliche Vermerk des Gemahnten: überwiesen am 24.10.1944 durch Städt. Girokasse Stuttgart H.Oppenländer.

Das Hotel Gmünder Hof schickte eine Rechnung über 325,55 Reichsmark für Speisen und Getränke anlässlich einer Hochzeit im März 1944 sowie im November 1944 für ein Fass Diedesfelder Rot Sonderlese 1943, genau 91 Liter zum Preis von 247,51 Reichsmark. Wer die Vermählten waren, stand nicht auf dem Schriftstück. Doch es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass Adolf Ditzinger, Chef des Gmünder Hofs, einer der wenigen war, die ihm für die Spruchkammer einen Persilschein ausstellten. Stets rücksichtsvoll und bescheiden in seinen Ansprüchen sei Oppenländer gewesen und habe nie besondere Rechte für sich in Anspruch genommen. Ditzinger legte Wert auf die Feststellung, kein Parteigenosse gewesen zu sein (Dokument Nr. 365).

Oppenländer liebte die Aufmärsche in seinem Machtbereich Gmünd

Eine Riesenveranstaltung in der Stadthalle bekennt sich zu Adolf Hitler! lautet der Titel seines Beitrags für die Schwäbische Rundschau vom 1. April 1944. Oppenländers Opus endet mit einer deutlichen Ansage: Tretet an, es gilt! Wir wollen beim Führer stehen, wie wir einstens zu ihm gestoßen sind. Wir alle glauben unentwegt daran, dass dieser Kampf, so hart er auch  sein mag, zum Sieg führen wird (Dokument Nr. 192). Durchhalteparolen waren seine Spezialität. Er selbst hielt sich letztlich nicht daran (SAL EL 902/7 Bü 1068).

Nur wenige Stunden vor der Einnahme Schwäbisch Gmünds durch die US-Armee am 20. April 1945 setzte sich Oppenländer mit weiteren Parteigenossen ab. Dabei war überall in der Stadt die Parole aufgemalt: Wir halten durch!  Dies galt nicht für die NS-Kreisleitung selbst. Generalstabsmäßig hatte sie ihre Flucht vorbereitet: ein Lastwagen der Milchwerke wurde beschlagnahmt, vollbeladen mit Milchprodukten, Vorräte aus dem Lager der SS im Stadtgarten geholt, sechs Schweine aufgeladen, beschreibt Franz Merkle die Kluft zwischen Parolen und Wirklichkeit (S. 291). Die NS-Deserteure wurden schließlich in Vorarlberg, ein Teil auch in Hindelang und Wangen von den Alliierten festgenommen. Kriegsgefangenschaft, Internierung, Zuchthaus.

Das Oppenländer-Haus in Gmünd steht noch. Laut Adressbuch von 1950 ist zu diesem Zeitpunkt Hermann Oppenländer noch der Besitzer der Immobilie Oberbettringer Straße 98. Es wohnen jedoch andere Personen im Haus. Er selbst wird im Namensverzeichnis nicht mehr aufgeführt. In der Wohnungskartei des Hauses wird dies bestätigt: Hermann Oppenländer war unter dieser Adresse gemeldet von 25. Oktober 1938 bis 19. April 1945 und ist als Besitzer eingetragen. Seine Frau und seine Kinder lebten wohl bis 11.Januar 1946 in der Villa. Nach 1945/46 gab es keine Oppenländer mehr unter dieser Adresse, der Besitzer nach Oppenländer ist nicht eingetragen. Dies liegt eventuell daran, dass Oppenländer bis zum Ende der Kartenführung Besitzer war (letzter Eintrag 4. Januar 1955). Das ist jedoch nur eine Vermutung und lässt sich nicht belegen. Laut Adressbuch von 1957 (das nächste im Stadtarchiv vorliegende) gehört Oppenländer zu diesem Zeitpunkt die Immobilie nicht mehr, sondern einer Lina Kummer. Auf der Einwohnermeldekarte sind leicht abweichende Zahlen genannt: Der Auszug wird hier auf den 19. April 1945 (neuer Wohnort: unbekannt) datiert. Die Frau und die Kinder zogen auch danach am 11. Januar 1946 nach Mühlacker, zuerst in die Hindenburgstraße, dann in die Lienzinger Straße, später in die Straße Im Bannholz (Quelle: Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd).

Ich bin seit 1. September 1956 in Lienzingen bei Mühlacker als Lehrer tätig und habe damit endlich eine recht beschwerliche Lebensperiode abgeschlossen, schrieb Oppenländer am 17. Oktober 1957 dem Gmünder Stadtkämmerer Ruisinger. Er wandte sich mit einer Bitte an ihn, die seinen jüngsten Sohn betraf. Der war am 10. März 1939 in Gmünd geboren worden und bewarb sich aktuell um die Anstellung als Bundesbahnassistent, musste dazu auch seine Geburtsurkunde vorlegen und da stand als Beruf des Vaters: Kreisleiter. Er wollte nun, dass das Standesamt dies in Lehrer ändert. Die Begründung wirkt skurril: Kreisleiter als Berufsangabe habe auch nie gestimmt, denn sein erlernter und jetzt wieder ausgeübter Beruf sei der des Volksschullehrers. Eine Distanzierung der besonderen Art, die verrät, dass der Mann immer auf den Vorteil aus war - gefragt, was gerade passt. Nicht minder skurril und wunderlich der Versuch Oppenländers, im Sommer 1955 eine Bescheinigung vom Gmünder Oberbürgermeister zu erhalten über die nach dem Zusammenbruch aus seinem Haus widerrechtlich entfernte Wohnungseinrichtung. Ich konnte ihm diese Bitte nicht erfüllen, weil ich nicht wusste, was er alles in seiner Wohnung hatte, antwortete der OB laut Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 23. Juni 1955 (Im Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd).

Mehr als 60 Jahr später. Versuch einer (Be-)Wertung:

Das Bild vom Kinderfreund Oppenländer, dem guten und jovialen Lehrer an der Volksschule Lienzingen, fiel krachend zu Boden. Zerstört. Zurück bleibt ein heftiges Schaudern, ein tiefes Entsetzen. Es war der Wolf im Schafspelz, der vor unserer Klasse stand. Wer wusste damals was in Lienzingen?  Stellte jemand Fragen? Manche ahnten die Hintergründe des plötzlichen Abschieds. Der Lokalpresse war es keine Zeile wert. Der Skandal um den dritten Lehrer spielte sich im landespolitischen Teil ab. Oder war es den meisten egal? Antworten? Die Schlussstrich-Mentalität ist stärker als alle Antworten zusammen.

Doch wer will, kann sich informieren, Akteninhalte demaskieren Oppenländer, den guten Menschen von nebenan. Einer der regionalen NS-Elite, der sich reumütig zeigte und zur Sühne bereit. In Wirklichkeit aber alles tat, um die Sühne zu umgehen. Und Politiker fand, die mitspielten. Ein sehr nachdenklich stimmendes Stück der Lokal- und Regionalgeschichte. Der Nachkriegsgeneration kann das nicht egal sein.

Literatur zu Hermann Oppenländer:

Arbogast, Christine: Herrschaftsinstanzen der württembergischen NSDAP, Herrschaftsinstanzen der württembergischen NSDAP, 7. Band in der Reihe Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, R. Oldenbourg Verlag München, 1998, 255 Seiten
Merkle, Franz: Hermann Oppenländer – Gmünder Kreisleiter wieder im Schuldienst, in: Einhorn-Jahrbuch 2016, S. 267–272
Merkle, Franz: Hermann Oppenländer: »Er versteht sich wunderbar auf die Politik mit dem Hammer«, in: Proske, Wolfgang (Hg.), Täter.      Helfer. Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus dem Norden des heutigen Baden-Württemberg, Bd. 8, Gerstetten 2018, S. 279 –294
Müller, Ulrich:  Zur Geschichte der Gmünder   NSDAP, in: Gmünder Studien 8, 2010, S. 187–216
Müller, Ulrich: Schwäbisch Gmünd im »Dritten Reich«, in: Einhorn-Jahrbuch 2013, S.105 –114
Müller, Ulrich: Schwäbisch Gmünd unterm Hakenkreuz, Schwäbisch Gmünd 2017, 2. Aufl. 2019, 3. Aufl. voraussichtlich 2020
Scheck, Manfred:  Machtübernahme und Gleichschaltung – Die Oberamtsstadt Vaihingen an der Enz 1932/33, in: Schriftenreihe der Stadt Vaihingen, Band 4, 1985
Schnur, David (Bearb.): Das Diensttagebuch des NSDAP-Kreisleiters Hermann Oppenländer in Schwäbisch Gmünd (1937-1940) (Quellen aus dem Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd. Digitale Editionen 1), Schwäbisch Gmünd 2019

Trackbacks

Trackback-URL für diesen Eintrag

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!


Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.