Da war doch was: Bekämpfter Großflughafen, Angst vor Volksbelustigung und eine Post, die noch Kabel verlegt

Planskizze für einen Großflughafen bei Mönsheim (1970). Repro: Württembergisches Abendblatt, 17.12.1970)

Der Staat hat zu viel Geld, kommentierte das Lienzinger Ratsmitglied Hermann Schäfer kurz und knapp die Pläne zum Bau eines Großflughafens beim Katharinentaler Hof nördlich von Pforzheim. Sein Kollege Werner Metzger sprach bei der Diskussion in der selben Sitzung am 3. April 1970 von einer Prestigefrage, mit der man Geld verschleudere. Das Gelände zwischen Bauschlott, Dürrn und Kieselbronn war eines von fünf untersuchten Standorten für einen interkontinentalen Start- und Landeplatz, der die Ausmaße des Frankfurter Flughafens haben sollte. Baden-Württemberg suchte lufttechnisch Anschluss an die große weite Welt. Bürgermeister Richard Allmendinger protokollierte seine Worte: Vorgesehen waren zwei parallele Start- und Landebahnen, 3900 Meter die eine, 2600 Meter die andere lang sowie 2000 Meter dazwischen.


Lienzinger Geschichte(n) als Serie im Blog. In Protokollen und Akten geblättert. Auch schon wieder 50 Jahre her, dass sich Widerstand auftat gegen Pläne für einen Großflughafen bei Pforzheim oder Mönsheim. Und Lienzingen ganz freiwillig Fläche abtrat für den Bau der Mühlacker Osttangente. Von schönen Zeiten des Post-Monopols und seines Leitungsbaus, ohne dass Kommunen einspringen mussten. Und vieles mehr…


Lokale Proteststürme erhoben sich, der Gemeinderat von Lienzingen stimmte für eine Beteiligung an der zu bildenden Schutzgemeinschaft gegen die Absichten des Landes Baden-Württemberg und legte am 8. Juli 1970 nach: Mit sechs gegen drei Stimmen bei einer Enthaltung erklärte sich die Kommune bereit, sich an den Kosten eines Gutachtens der Düsseldorfer Firma Intertraffic über die Vor- und Nachteile eines Flughafenprojekts zu beteiligen. Auf Lienzingen entfielen 287,24 Mark, das Gemeindegebiet wäre – so die Befürchtung – von Einflugschneisen tangiert worden (Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Li B 328, S. 16 und 31).

  • Standort Katharinentaler Hof, weil Nebelloch, rückte allmählich in den Hintergrund

Das geschah vor 50 Jahren. Zwar rückte ein Standort Katharinentaler Hof, weil Nebelloch, allmählich in den Hintergrund, doch dafür schwenkte ein anderer Standort ins Blickfeld der Befürworter und Gegner: ein 1,2 Milliarden Mark teurer Großflughafen Stuttgart II bei Mönsheim mit Start- und Landebahnen zwischen Heimsheim und Eberdingen. Porsche hätte sein bei Weissach entwickeltes Werk, in das das Unternehmen schon 40 Millionen Mark gesteckt hatte, räumen müssen. In der Krach-Zone, wie ich es in einem längeren Bericht formulierte, hätten rund 10.000 Einwohner gelebt. Lienzingen wäre außen vor geblieben. Die Planer schlugen vor, gleichzeitig eine Schnellbahn zwischen Pforzheim und Stuttgart parallel zur Autobahn zu bauen sowie eine Entlastungsautobahn durch den Hagenschieß. Eine Aktion für Mensch und Umwelt fragte in einem Flugblatt zum Flughafen II, der Echterdingen entlasten sollte, ob sich die heutige Generation von ihren Kindern einmal als Umweltverbrecher bezeichnen lassen wolle.

Letztlich packte das Land seine Pläne wieder ein und suchte eine Lösung am bestehenden Flughafenstandort Echterdingen auf den Fildern, auch nicht ohne örtliche Widerstände (Württembergisches Abendblatt, 17. Dezember 1970, S. 7).

Bald gab es neue, ebenso ungeliebt wie die alten: Mit Hinweis auf das bis dato noch geheim gehaltene Gutachten der interministeriellen Kommission, die ihren Bericht der Landesregierung vorgelegt hatte, sprach sich der Vaihinger Kreistag Mitte März 1972 gegen das Projekt in Mönsheim aus. Sein Contra begründete das Gremium unter anderem damit:

Die Notwendigkeit eines zweiten Großflughafens im Verdichtungsraum Stuttgart, zumindest aber in einem Gelände, das vom Hauptbahnhof Stuttgart in höchstens 40 Minuten Reisezeit zu erreichen sei, müsse verneint werden. Das habe das Gutachten ergeben, das Professor Dr. Karl Öttle vom Institut für Verkehrswirtschaft und öffentliche Wirtschaft der Universität München vorgelegt habe.

In einem Jahrzehnt, in dem die Notwendigkeit des Umweltschutzes als vordringlich erkannt sei, sei ein Großflughafen inmitten eines Verdichtungsraums nicht mehr vertretbar. Geologische und hydrogelogische Untersuchungen hätten darüber hinaus den Zusammenhang des Grundwassers mit den Bad Cannstatter Mineralquellen bestätigt.

Der ganze Raum westlich und östlich des vorgesehenen Flughafens Mönsheim würde von Lärm und Schmutz betroffen, sagte Oberregierungsrat Dr. Heinz Reichert bei der Sitzung des Vaihinger Kreistags. Damit richete der stellvertretende Landrat indirekt die Aufforderung auch an den Kreis Ludwigsburg, sich mit der Flughafenplanung zu beschäftigen. Die zu erwartende Lärmbelästigung Vaihingens, vom Landesentwicklungsplan als Standort einer nordwestlich von Stuttgart liegenden leistungsfähigen Stadt ausgewiesen, würde unmittelbar in der Einflugschneise, teilweise sogar in der Lärmzone liegen.

  • Nicht jedem seinen eigenen Flughafen

Daneben befürchtete der Kreistag die Beeinträchtigung des im Gebietsentwicklungsplans ausgewiesenen Naherholungsgebietes. Die Pläne verschwanden im Papierkorb. Schon in der Kreistagssitzung sagte Landrat Erich Fuchslocher, die Zeit arbeite gegen die Flughafenpläne, zumal Innenminister Walter Krause am Vorabend in Illingen angekündigt hatte, einen Vorschlag vorzulegen, den die Gegner des Projekts Mönsheim sicherlich nicht beanstanden könnten. Ein Kreistagsabgeordneter meinte lapidar: Es sei ein Irrglauben, jeder könne seinen Flugplatz vor der Haustür haben (Quelle: Ludwigsburger Kreuiszeitung, Kreistagsbericht, Kürzel , 11. März 1972, S. 7).

  • In einem Zug verlegt: Post-Kabel von Mühlacker bis Oberderdingen

Ja, das gab es vor 50 Jahren auch: Die Deutsche Bundespost verlegte ein Fernmeldekabel zwischen Mühlacker und Oberderdingen mit einem Abzweig nach Zaberfeld. Das waren noch schöne Zeiten, als ein staatliches Unternehmen in das Rückgrat der Kommunikationswege investierte. Kein Zweckverband, keine Kommune, kein Landkreis mussten wegen staatlicher Untätigkeit einspringen und tätig werden. Mit Neid blickt man zurück und denkt: Wie schön wäre es, wenn wir dieses Monopol noch hätten und der Staat die Glasfasernetze ausbaut wie seinerzeit das Telefonnetz. Beide hängen zusammen. Der Gemeinderat von Lienzingen stimmte am 3. April 1970 den Plänen zu, verlangte Tempo bei den Bauarbeiten für das Post-Kabel (STAM, Li B 328, S. 15).

  • Osttangente: Ohne Gegenforderungen zugestimmt
Ein Teil des Einmündungsbereiches der Osttangente in die Straße (L1134) Lienzingen-Mühlacker auf Höhe Heidenwäldle. (Foto: Günter Bächle, 2020)

Noch eine Geschichte, die sich vor einem halben Jahrhundert abspielte: Die Lienzinger Gemeinderäte betonten die gutnachbarlichen Beziehungen zur Stadt Mühlacker und stimmten dem Bau der von der Senderstadt geplanten Osttangente zu. Die Trasse zwischen der Landesstraße 1134 auf Höhe Heidenwäldle und der Bundesstraße 10, quasi ein Brückenschlag über die Bahnstrecke Stuttgart-Karlsruhe, tangierte in einem kleinen Bereich an der Einmündung in die Landesstraße 1134 die Lienzinger Markung. Doch der kleine Nachbar im Norden der Stadt wollte nicht blockieren. Im Protokoll der Ratssitzung am 6. März 1970 heißt es, dem Vorhaben werde ohne Gegenforderungen zugestimmt, zumal es sich bei der Planung um eine der Allgemeinheit dienenden Aufgabe handle.  Die stille Hoffnung, nach dem Verkauf des Waldstücks Heidenwäldle, der schulischen Zuordnung zu Mühlacker und der jetzigen Zustimmung zur Osttangente in der Chefetage des Mühlacker Rathauses ein Good will für die Akzeptanz der Selbstständigkeit von Lienzingen auszulösen, erwies sich als trügerisch. Mühlacker beharrte im folgenden Anhörungsverfahren der Landesregierung zur Gebietsreform stur und unbarmherzig auf der Eingemeindung (STAM, Li B 328, S. 12). Übrigens: Mühlacker baute erst 1976/77 die neue Querverbindung im Osten der Stadt – ich stimmte als junges Mühlacker Ratsmitglied diesem Vorhaben zu, zu dessen Finanzierung der Gemeinderat die Gewerbesteuer zeitweise erhöhte hatte.

  • Brühlstraße 190 war nun Brühlstraße 14

Eine Revolution der besonderen Art löste das Lienzinger Ortsparlament bei seinem Treffen am 6. Oktober 1972 aus – der Abschied von der alten Praxis, die Gebäude durchzunummerieren, die aber  die Suche nach einem bestimmten Haus erschwerte. Ich wohnte damals in Brühlstraße 190, eine Zahl, die auf eine lange Straße schließen ließ, was jedoch nicht der Fall war. Das Anwesen mit der laufenden Nummer 191 oder 189 konnte am anderen Ende des Dorfes stehen. Der pensionierte Vermessungsrat Irtenkauf legte ein Konzept vor, wie neu nummeriert werden konnte. Brühlstraße 190 war nun Brühlstraße 14.  Denn eine Straßennummerierung begann künftig mit dem ersten Gebäude und der Hausnummer 1. Gleichzeitig machte Irtenkauf das System der Straßennamen übersichtlicher. Die in zwei Richtungen führende Hauptstraße teilte er an der scharfen Kurve in der Ortsmitte in Maulbronner Straße und Mühlacker Straße, die Bädergasse ging namensmäßig in der Wassergasse auf. Die Abweichung von der selbst erarbeiteten Norm ist die nach Ehrenbürger Friedrich Münch benannte Straße, die die Zaisersweiherstraße quert und quasi weiterhin einen Nord- und einen Südast mit dem selben Namen hat. Irtenkauf hatte angeregt, den Straßenteil im Norden als Scherbentalstraße zu bezeichnen, was der Gemeinderat ablehnte. Wassergasse und Schulgasse hießen nun einheitlich Kirchstraße, die frühere Bädergasse erhielt den Namen Wassergasse und und die Spindelgasse behielt ihren Namen, wird im Ratsprotokoll aber als Spendelgasse bezeichnet (STAM, Li B 328, S 104 f).

  • Von kurzer Dauer: Baulandsteuer abgeschafft, denn erhoffte Wirkung blieb aus

Ein Blick in die Gegenwart. In Mühlacker und seinen Stadtteilen gibt es Stand Dezember 2019 rund 260 private Baulücken, davon 43 Bauplätze. Elf Baulücken weist die Statistik für Lienzingen aus, die auf dem Markt nicht verfügbar sind. Eine der Möglichkeiten, die Bevorratung von Baugrundstücken jedenfalls finanziell unattraktiv zu machen, besteht mit der neuen gesetzlichen Regelung zur „Grundsteuer C“. Mit der Reform des Grundsteuergesetztes, die spätestens ab dem 1. Januar 2025 in Kraft tritt, erhalten die Gemeinden die Möglichkeit, für unbebaute, aber baureife Grundstücke einen erhöhten Hebesatz festzulegen. Die sogenannte Grundsteuer C soll dabei helfen, Wohnraumbedarf künftig schneller zu decken und baureifes Bauland zu mobilisieren (GR-Vorlage 378/2019). Alles schon einmal dagewesen. Das zeigt ein Blick in das Protokoll der Lienzinger Gemeinderatssitzung vom 2. Dezember 1960. Unter Tagesordnungspunkt 9 steht: Erfassung der baureifen Grundstücke für die Erhebung der Baulandsteuer. Die 1960 vom Bund eingeführte Baulandsteuer war nichts anderes als die jetzt geplante Grundsteuer C für unbebaute baureife Grundstücke. Der Gemeinderat musste festlegen, für welche Grundstücke

Namensgeber: Friedrich Münch

die Baulandsteuer erhoben werden musste. Es waren zwei im vorderen Brühl, einer am Mühlweg (STAM, Li B 326, S. 69 f).  Die Steuer sollte der Verhinderung der Bodenspekulation und dem Schließen von Baulücken dienen, wurde aber nach gut zwei Jahren wieder abgeschafft. Die erhoffte Wirkung blieb aus.

  • Aktion auf freiwilliger Basis durch die örtlichen Organe wäre nur Volksbelustigung

Auch das noch: Vorläufer der Mühlacker Stadtputzete war die Aktion Saubere Landschaft, vom Landratsamt Vaihingen 1970 als Beitrag zum Europäischen Naturschutzjahr ausgerufen. Ziel war, die durch Müll und Unrat stark verschmutzte Landschaft, insbesondere die Waldränder und Straßenböschungen zu säubern. Gleichzeitig sollte das allgemeine Bewusstsein erhöht werden, dass die Landschaft keine Müllkippe ist. Das Landratsamt regte an, örtliche Vereine, Feuerwehr und Schulen zu beteiligen. Doch das konnte den Lienzinger Gemeinderat nicht überzeugen. Bei der Sitzung am 3. April 1970 hieß es, eine Aktion auf freiwilliger Basis durch die örtlichen Organe biete keinesfalls die Gewähr für eine einwandfreie Aktion und wäre nicht mehr als eine Volksbelustigung. Deshalb beschloss der Gemeinderat, die Landschaft durch Gemeindearbeiter säubern zu lassen (STAM, Li B 328, S. 16). Zumindest verriet dies ein mangelndes Vertrauen.

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