Explosive Stimmung in manchen Rathäusern: Die Ministerin und ihre verärgerten Ex-Kollegen

Kindertagesstätten in Corona-Zeiten: Teil-Betrieb von 18. Mai an oder später

Corona sorgt für Stress in den Rathäusern. Weil manchen Politikern in Bund und Land die Lockerungsübungen nicht schnell genug gehen, treffen die Verordnungen der baden-württembergischen Landesregierung an Freitagen meist erst spätabends bei den Kommunen ein, sollen möglicherweise aber schon am darauf folgenden Montag umgesetzt werden. Deshalb verlangen die Kommunen eine einwöchige Vorlaufzeit, was nachvollziehbar ist. Denn bei solchen Arbeitsaufträgen wie reduzierter Regelbetrieb in der Kinderbetreuung steckt angeblich der Teufel im Detail. Welche Eltern kommen zum Zuge? Welche müssen noch warten? Nebenbei: Wer redet eigentlich vom Infektionsschutz für Erzieherinnen?

Wie war das noch einmal bei Gewittern und ihrer Entladung? Durch aufsteigende feuchtwarme Luftmassen baut sich eine große Gewitterwolke auf ... es kracht! Andernorts im selben Landkreis dagegen herrscht eitel Sonnenschein.

Neulingen findet sich zurecht, startet pünktlich am 18. Mai, wie vom Kultusministerium allgemein angekündigt, andere Enzkreis-Gemeinden erst eine Woche später.

So wie sich das Land dies vorstellt, wird es nicht möglich sein, schrieb  Mühlackers OB Frank Schneider am Donnerstag um 16.04 Uhr an uns Stadträte sowie an die beiden Landtagsabgeordneten des Enzkreises, Stefanie Seemann (Grüne) und Erik Schweickert (FDP). In den Medien werde verkündet, so der OB, Kitas und Kindergärten sollten auf Vorschlag des Kultusministeriums vom kommenden Montag, 18. Mai, an wieder teilweise öffnen. Aufgrund der Hygiene- und Abstandsregeln sowie des durch Risikogruppen eingeschränkten Personals könne es auch weiterhin maximal einen eingeschränkten Regelbetrieb geben. Nur maximal 50 Prozent der Kinder, die normalerweise die Einrichtung besuchen, dürften jeweils gleichzeitig vor Ort betreut werden. Vorrang hätten weiterhin die Kinder, die bereits in der erweiterten Notbetreuung seien, sowie Kinder, bei denen besonderer Förderbedarf bestehe. Außerdem sollen Kinder, die vor der Schließung die Einrichtung besucht haben, zumindest tageweise wieder die Kita besuchen können, sofern dies räumlich und personell möglich ist.

Der OB beklagte: Es gebe noch keinerlei Vorgaben, nach welchen Kriterien dies zu erfolgen habe. Weder die Träger noch die Einrichtungen könnten irgendwelche Vorbereitungen oder Planungen treffen. Das sei ein Ding der Unmöglichkeit! Der „schwarze Peter“ werde nun den Kommunen zugespielt, wenn es diese nicht rechtzeitig umzusetzen vermögen und/oder einzelne Kinder werden abweisen müssen. Aus diesem Grunde entschied Schneider, dass die Kinderbetreuungseinrichtungen der Stadt Mühlacker den eingeschränkten Regelbetrieb voraussichtlich erst ab 25. Mai 2020 teilweise öffnen, abweichend der Ankündigungen der Landesregierung. Ich trage das mit.

Beim Neujahrsempfang der CDU Mühlacker 2017: Ministerin Dr. Susanne Eisenmann mit Johannes Bächle von der Jungen Union

Anlass für mich, am Donnerstag der Kultusministerin zu schreiben und die OB-Mail beizufügen. Susanne Eisenmann, vormals Bürgermeisterin in Stuttgart, antwortete gestern:

"Das Land hat bezogen auf unsere etwa 9.000 KiTas weder Rechtsträger noch besitzt es Personalhoheit. Wir erlassen den rechtlichen Rahmen für die Genehmigung von Einrichtungen und finanzieren über das Finanzausgleichsgesetz knapp 70 % der anfallenden Kosten. Art der Betreuung, deren zugrunde liegende Pädagogik oder Auswahl des Personals obliegt ausschließlich dem jeweiligen Träger. Und auf genau diese Aufgabenteilung legen sowohl kommunale wie freie Träger – verständlicherweise – stets auch großen Wert.

Deshalb war und ist es Aufgabe des Landes, jeweils den rechtlichen Rahmen für die Notbetreuung (seit 27. April), die erweiterte Notbetreuung (gibt es seit 04. Mai) sowie nun für den „eingeschränkten Regelbetrieb“ (möglich ab 18. Mai) zu erlassen. Dies erfolgte selbstverständlich durch das Land – alles übrigens immer in enger Abstimmung mit den Trägern. Den Kommunalen Landesverbänden und den freien Trägern (Kirchen etc.). Gestern gab es dazu ja auch eine gemeinsame Pressemitteilung von mir und den Spitzen der kommunalen Landesverbände. Erkennbar wurde somit alles abgestimmt.

Welche Vorgaben brauchen die Einrichtungen darüber hinaus:

Zum einen Vorgaben zur Umsetzung der Hygienevorschriften. Diese erlassen aber bei den KiTas (im Gegensatz zu den Schulen) nicht wir als Kultusministerium, sondern der KVJS zusammen mit der Unfallkasse und dem Landesgesundheitsamt. Deren Vorgaben liegen seit dem 27.04. vor. Sollte es dazu Fragen geben, müssten sich die KiTas dorthin wenden.

Zum anderen wie denn ein „eingeschränkter Regelbetrieb“ mit max. 50 % der, in der Betriebserlaubnis zugelassenen Anzahl von Kindern umgesetzt werden kann. Hierfür hat die Familienminister–Konferenz und der KiTa–Bund Deutschland bereits vor Wochen Kriterien für ganz Deutschland entwickelt und veröffentlicht. Auf die natürlich auch in Baden-Württemberg Bezug genommen wird. Und: In den meisten Bundesländern läuft diese Umsetzung ja auch bereits!! Dort scheint somit zu gelingen, was in Baden-Württemberg offensichtlich zu großer Verwirrung führt...

Deshalb möchte ich gerne nochmals darauf verweisen, dass mir nicht klar ist, was eigentlich an Vorgaben noch fehlt. Dass es unser gemeinsames Ziel ist, Eltern und Kindern zumindest schrittweise wieder eine Perspektive in der KiTa–Betreuung zu bieten, setze ich dabei voraus.

Mir ist natürlich bewusst, dass es immer einfach und durchaus bequem ist, dem Land irgendein Versäumnis zuzuweisen. In diesem Falle allerdings leider zu Unrecht!"

 

Die Ministerin, bekannt für klare Ansagen und deutliche Aussprache, löste damit bei einigen Bürgermeistern, wie einer schrieb, Stockstarre und damit Sprachlosigkeit aus. Sie waren schlichtweg sauer über ihre Ex-Kollegin. Der Ministerin Antwort nahm sie in die Verantwortung. Zu Unrecht, wie sie sagen. Mich erreichten einige Mails erzürnter Verwaltungschefs. Inzwischen trug ich die Kritikpunkte in einer Liste zusammen – es ist wichtig, auch in Stuttgart die Stimmungslage in den kommunalen Chefetagen zu kennen. Bürgermeister sind Multiplikatoren. Im BM-Blog tauschen sich die Schultes seit Corona intensiv aus. Der Tenor ist dabei eindeutig und nicht freundlicher als meine Zeilen, schrieb mir mein Kreistagskollege Michael Seiß, Bürgermeister von Friolzheim und ausgesprochen kritischer Geist. 

Sein Kollege in Wurmberg, Jörg-Michael Teply, arbeitete den Kernpunkt heraus.

Teply zitiert die Landesregierung: Deshalb war und ist es Aufgabe des Landes, jeweils den rechtlichen Rahmen für die Notbetreuung (seit 27. April), die erweiterte Notbetreuung (gibt es seit 04. Mai) sowie nun für den „eingeschränkten Regelbetrieb“ (möglich ab 18. Mai) zu erlassen. Dies erfolgte selbstverständlich durch das Land…

Teply: Fakt ist, dass Stand jetzt (Freitag, 15. Mai 2020, 17.50 Uhr) folgende Rechtsgrundlage gemäß derzeitiger CoronaVO gilt:

§ 1a Einschränkung des Betriebs an Kindertageseinrichtungen, Grundschulförderklassen, Schulkindergärten und Kindertagespflegestellen

Wann geht es wieder in die Kita?

Bis zum Ablauf des 15. Juni ist der Betrieb von Schulkindergärten, Grundschulförderklassen und Kindertageseinrichtungen sowie die Kindertagespflege außerhalb des Haushalts des Erziehungsberechtigten untersagt, soweit nicht nach § 1b eine Notbetreuung betrieben wird.

§ 1b Erweiterte Notbetreuung

(1) Für Schülerinnen und Schüler an Grundschulen, in Grundschulstufen an Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren, Grundschulförderklassen, Schulkindergärten und in den Klassenstufen 5 bis 7 an den auf der Grundschule aufbauenden Schulen sowie für Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege, soweit sie noch nicht wieder am Betrieb der Einrichtung oder der Tagespflegestelle teilnehmen, wird eine erweiterte Notbetreuung eingerichtet.

Teplys Fazit: Für einen eingeschränkten Regelbetrieb ab 18. Mai 2020 gebe es keine Rechtsgrundlage. Bis zum gestrigen Tag wurde durch das Land wiederholt durch presseöffentliche Ankündigungen der Eindruck erweckt, dass den Eltern erweiterte Betreuungsmöglichkeiten ab 18. Mai 2020 zur Verfügung stehen. Mit der gestrigen Pressemitteilung ruderte das Land dann zurück und führte aus: „Kindertageseinrichtungen und die Kindertagespflege können vom 18. Mai 2020 an die Betreuung schrittweise in Richtung eines eingeschränkten Regelbetriebs ausweiten.“

Soweit seine Sichtweise, die auch die von einigen seiner Kollegen ist. Das alles habe zu einer Erwartungshaltung bei den Eltern geführt, dass von kommendem Montag an wieder alles seinen geregelten Gang in der Kindesbetreuung gehen wird! Das zu erwartende Ergebnis dürfte klar sein: Wir vor Ort sind die Dummen, auf die es Kritik hagelt, nur weil die Ministerin bei den Eltern gut dastehen wolle, befürchtet Seiß. Wie sollen bei einem definierten (in Friolzheim wahrlich nicht kleinen!) Platzangebot bei rund 40% Personalausfall aufgrund einer Risikoeinschätzung sowie den bestehenden Corona-Regeln die Hälfte von rund 200 Kindern betreutwerden? Wir werden uns nicht drängen lassen und agieren wie Kollege Schneider in Mühlacker und starten erst am 25. Mai.

Soweit, so klar. Anderorts im Enzkreis wird schon kommende Woche der Zeitplan des Landes umgesetzt. Zum Beispiel Neulingen – Start 19. Mai 2020, steht auf der Homepage der Gemeinde. Videokonferenz mit 80 Eltern! Oder Straubenhardt: Stellte das Antragsformular am 14. Mai in Netz. Geht doch! Das ist vielfältige und gelebte kommunale Selbstverwaltung.

Deshalb: gemach, gemach. Einerseits sagen wir in den Kommunen doch sonst immer: Wir sind selbst groß, wollen möglichst wenige Vorgaben von Stuttgart, Berlin und Brüssel, in dieser außergewöhnlichen Situation, bei der die Kommunen auch rechtliche Sicherheit brauchen, dann doch.

Was eben nicht geht, geht nicht. Dann müssen die Kommunen von den zeitlichen Vorgaben des Landes abweichen. Das Problem ist, dass dann die Kommunen am Ende wieder diejenigen sind, die die Prügel der Eltern beziehen. Aber: Weshalb auf  einmal so furchtsam? Sind wir sonst doch auch nicht.

Es ist richtig, auch die Landtagsabgeordneten einzuschalten. Erik Schweickert, fleißig und unerschrocken, wandte sich an die Kultusministerin. Aber nicht immer bringt der Umweg über die Landtagsabgeordneten den erwünschten Erfolg. Wenn ich lese, was die Abgeordnete Seemann antwortete, muss ich mich fragen, ob die Grünen eigentlich in der Opposition in Stuttgart sind. Der Brief ist im Wahlkampf-Modus geschrieben, konkret ist anders.

Wie mischt der MP in diesem Fall mit? Offenbar gar nicht, denn dann kann er auch nichts falsch machen und wird selbst von Enzkreisbürgermeistern geliebt.

Bei all dem sollten selbst arg kritische Geister nicht vergessen, was wir gemeinsam erreicht haben, nämlich die Abwendung von italienischen, französischen und sonstigen Corona-Verhältnissen. Wir sollten auch nicht vergessen, dass diese Pandemie einzigartig ist, für die es kein Regiebuch gibt und auch keinen Erfahrungsschatz. Als Angehöriger der sogenannten Risikogruppe stinken mir zum Beispiel die vielen Lockerungsübungen, die FDP-Chef Lindner gebetsmühlenhaft fordert. Wir sind noch nicht über dem Berg, aber manche Politiker überschlagen sich mit der Forderung, die Beschränkungen zügig aufzuheben.

Damit wächst gerade auch bei gestressten Eltern die Erwartungshaltung, die letztlich die Kommunen abkriegen. Ich spitze einmal zu: Das ist eben kommunale Selbstverwaltung. Ärger inbegriffen. Das wissen wir alle miteinander. Kommunales Handeln geschieht nicht im luftleeren Raum. Recht setzt Planken. Das heißt: Die Rechtsgrundlagen müssen vom Land geliefert werden. Das aber ist Sache der ganzen Landesregierung – zu der gehört, habe ich mir sagen lassen, auch der Ministerpräsident.

Aber es gibt auch Bürgermeister im Enzkreis, die nicht lange warten und fragen, sondern handeln. Pragmatiker eben.

Übrigens: Die Verordnung kam am Samstag.

Die Verordnung

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