Corona - wie echt sind dann die Zahlen in der Raithstraße? Eine Antwort

Pferchäcker vor einigen Tagen

Was geht und was geht nicht in Corona-Zeiten? Diese Frage beschäftigten jetzt Stadtverwaltung, meine Ratsfraktion und Anlieger der Raithstraße in Lienzingen. Denn an der Straße stand für einige Tage ein Gerät - wie sich später herausstellte, zur  Verkehrszählung. Zunächst wusste niemand, warum. Schon am ersten Tag meldete sich bei mir morgens kurz nach 7 per Messenger ein Bürger des Wohngebiets Vordere Raith. Zum jetzigen Zeitpunkt fahren vom Gefühl her 30 Proznt weniger Autos. Mich würde interessieren, ob das im Zählungsprotokoll berücksichtigt wird. Es fallen die ganzen Fahrten weg von den Leuten, die ihre Kinder zur Schule und Kindergarten bringen und wieder holen. Musste mich selber schlau machen. Die prompte und rasche  Antwort des Ordnungsamtes brachte Klarheit: Gezählt wird wegen eines Verkehrsgutachtens für das geplante Wohngebiet Pferchäcker westlich der Vorderen Raith. Denn die Anbindung der Pferchäcker ist umstrtten.

 Und zum Verfahren Amtsleiter Ulrich Saur: Es ist durch den Gutachter beabsichtigt, die tatsächlich gezählten Fahrzeuge mit einem Faktor multipliziert wird, der sich aus dem gegenüber dem Normalverkehr veränderten Verkehrsaufkommen ergibt. Dieser Faktor wird ermittelt durch Auswertung und Vergleich der Verkehrszahlen der ständigen landesweiten Zählstellen im Land. Dieses Verfahren wurde auch in der Finanzkrise 2008/2009 erprobt.

Anlieger befürchteten, dass in Corona-Zeiten unrealistische und damit zu niedrigere Ergebnisse zu Tage gefördert werden, auch die CDU-Fraktion äußerte gegenüber der Verwaltung ihre Zweifel an der Aussagekraft der Daten. Das Gutachten zur Verkehrszählung in den Pferchäckern sei noch vor Corona beauftragt worden, schrieb Stadtplanungsamtsleiter Armin Dauner in seiner Antwort an mich, aus der ich hier zitiere. Als der Gutachter uns den Termin mitteilte, haben auch wir unmittelbar nachgefragt, welche Qualität diese Daten vor dem Hintergrund eines deutlich verminderten Verkehrsaufkommens haben können, so Dauner. Der Gutachter, ein renommiertes Büro, habe versichert, dass die nach der Vorgehensweise ermittelten Daten (Zählung plus  Korrekturfaktor auf Grundlage der Zahlen der Dauerzählstellen des Landes) valide seien.

Die Alternative bestünde darin, das Verkehrsgutachten in die Nach-Corona-Zeit zu verschieben, so Dauner. Der Gutachter weise darauf hin, dass das kaum vor 2022 sein würde. Das beschleunigte Bebauungsplanverfahren, das als Verfahrensart Ende 2021 auslaufe, wäre dann Makulatur, das Bebauungsplanverfahren würde sich insgesamt deutlich verzögern. Dauner: Ich möchte aber betonen, dass das unvermeidlich wäre, wenn der Gutachter nicht von der Qualität der hier gewonnenen Daten überzeugt wäre! Auch ich hielte es für unzulässig, mit unzuverlässigen Zahlen zu arbeiten, nur um irgendwelche Termine einzuhalten, wie dringlich sie auch sein mögen.

Dem sei aber nicht so: Der Planungsamtsleiter  schrieb, er habe  keinen Zweifel an der Aussage des Gutachters. Denn auch eine Zählung ohne Corona sei ja nur der Eindruck eines oder weniger Tage, die Aussagegenauigkeit sei deshalb niemals fahrzeuggenau und sie müsse es auch nicht sein. Viele Messungen würden nur zu bestimmten Tageszeiten durchgeführt, die Zahlen des restlichen Tages dann anhand standardisierter Tagesverkehrsganglinien errechnet. Auch diese Tageszahlen seien also regelmäßig nicht gezählt, sondern gerechnet.

Station der CDU Ende April 2019 im Kommunalwahlkampf: Pferchäcker

In weit größerem Maße treffe dies auf viele andere Gutachten, zum Beispiel in den Bereichen Lärm oder Geruch zu, so Dauner weiter. Hier erfolge eine vollständige rechnerische Modellierung mit Standardlärm- oder Geruchswerten bestimmter Typen. Auch die durch das Gebiet Pferchäcker verursachten Verkehre würden ja nicht etwa gemessen, sondern anhand der geplanten Wohneinheiten und der gutachterlich daraus anhand von üblichen Standardwerten abgeleiteten Zahl der Fahrzeugbewegungen berechnet. Gleiches gelte für die allgemeine Verkehrsentwicklung: In die vom Gutachter zu errechnende Verkehrsbelastung fließe  nicht nur der Status Quo und der Zuwachs durch das Baugebiet, sondern auch der Zuwachs durch die gebietsunabhängig zu erwartende allgemeine Verkehrsentwicklung ein – auch dieser Faktor sei naturgemäß prognostisch. Es sei also nicht etwa so, dass durch eine corona-unbeeinflusste Zählung auf rechnerische Vorgänge zur Modellierung verzichtet werden könnte. Hier werde lediglich ein weiterer Parameter in ein Rechenmodell eingefügt, das bereits verschiedene solche Parameter beinhalte

Auch uns wäre es lieber, wenn wir hier ohne Corona zählen könnten und dieser Korrekturparameter verzichtbar wäre. Aber ob die für ein Gutachten gewählte Vorgehensweise, egal ob Messung, Zählung, Modellierung oder Bewertung der Zahlen aussagekräftig ist oder nicht, überlasse ich ganz bewusst dem zuständigen Gutachter. Er hat die Fachkompetenz und kann es beurteilen - hätten wir sie selbst, dann bräuchten wir ihn nicht, so Dauner. Und die Aussage des Gutachters sei eindeutig: Er habe keinerlei Sorge bezüglich der Aussagekraft der Zahlen.

Der Gutachter werde nicht nur Aussagen zu treffen haben, ob der ermittelte zusätzliche Verkehr in den Bestandsgebieten unzumutbare Probleme aufwirft, sondern auch, bis zu welcher Schwelle der dortige Verkehr als unproblematisch einzuschätzen wäre. Aus dem gezählten und daraus mit Korrekturfaktor errechneten Wert einerseits und dem noch als problemlos betrachteten Wert andererseits lässt sich nach Dauners Angaben herleiten, ob die nach dem Gutachten zu erwartenden Zahlen weit unterhalb, in der Nähe oder gar oberhalb der maximalen Kapazität der umgebenden Straßen liegen. Liege sie weit unterhalb, dann sei eine mögliche Ungenauigkeit durch den Corona-Korrekturfaktor jederzeit hinnehmbar. Liege sie im Bereich der zulässigen Maximalwerte, dann sei der Gemeinderat nicht gehindert, dies in seine Abwägung einzustellen und daraus entsprechende Schlüsse zu ziehen – zum Beispiel eine Verkleinerung  oder gar einen gänzlichen Verzicht auf das Gebiet.

Letzteres ist keine Alternative. Seit 2015 schleppen sich Planung und Verfahren hin. 2016: Ankündigungen. Dann 2015 und 2019 Einwohnerversammlungen der Stadt in Lienzingen, jedes Mal ein Thema und die Ankündigung des Handelns, zweimal derselbe Plan. Bauinteressenten fragen an, werden vertröstet.

Die Diskussion ist die Neuauflage einer früheren Debatte: Wie schon bei der Planung der Vorderen Raith fragen die Anwohner kritisch, ob der zusätzliche Verkehr von der Raithstraße verkraftet werden kann. Damals fand der Gemeinderat eine Lösung, die die Menschen beruhigte: Ein Ventil nach Norden - direkt zur oberen Kehre der Landesstraße 1134. Hat sich bewährt. Doch bei den Pferchäckern findet sich noch kein Konsens. Deshalb brauchen wir das Verkehrsgutachten und Gespräche mit dem Regierungspräsidium. Wenn wir wüssten, wie lange die Coronazeit noch dauert. Aber niemand weiß es. Und das ist das Problem des Zuwartens. Na, dann schauen wir uns  die Zahlen mal an, wenn sie vorliegen. Aber die Frage ist: wann?

 

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