Vom rätselhaften Zengel, von Lienzinger Höhen und dem Wohnplatz 48°58'50.52"78°50'20.04
Höhen und Tiefen in Lienzingen. Sind nicht gerade gewaltig. Aber immerhin gibt es sie. Eine Differenz: 114,4 Höhenmeter zwischen dem Rathaus an der Friedenstraße mit 253 Metern über Meereshöhe und dem höchsten Punkt der Gemarkung am Eichelberg mit 367 Metern, den Lienzinger Weinbergen, sowie immerhin noch 27 Höhenmeter zwischen Rathaus und der westlichen Grenze der Lienzinger Gemarkung auf 280 Metern oben in Schmie. Denn die 1100 Hektar Fläche des Dorfes reicht dort bis unmittelbar vor den Park des Hauses Schmie, bis zum Jahr 2000 Freizeit- und Bildungsstätte der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, seitdem in privaten Händen.
Deshalb zeichnet für die Einmündung der Kreisstraße von Schmie, die in dem Maulbronner Ortsteil Lienzinger Straße heißt, in die Bundesstraße 35 auch nicht die Stadt Maulbronn verantwortlich, sondern das Mühlacker Rathaus. Was viele wundert. Jedenfalls gehört deshalb auch der auf dem äußersten Zipfel der Gemarkung stehende Hasenberghof zum Mühlacker Stadtteil Lienzingen. Die Geo-Koordinaten des, wie es amtlich heißt, Wohnplatzes: 48°58'50.52"78°50'20.04
Zumindest wer schon Wahlvorstand im Lienzinger Stimmlokal in der Gemeindehalle war, lernte es spätestens dann, dass die Familie Heugel mit der Adresse Hasenberghof 1 auch Lienzinger sind. Denn auf die Frage: Wo isch denn der? gibt es die passende Antwort von den alten Hasen (und Häsinnen) in der Runde. Aber auch nicht allen Maulbronner Stadträten ist das immer bewusst. So beantragte die dortige CDU-Fraktion in den Haushaltsberatungen im Januar 2017, die Zufahrt von der Kreisstraße zum Hasenberghof grundlegend auszubessern. Die Stadtverwaltung blockte ab: Ist nicht vorgesehen, der Hasenberghof liege auf Lienzinger, nur ein Teil seiner Zufahrt auf Maulbronner Gemarkung.
Lienzinger Geschichte(n) - die Serie geht weiter: Heute mit der Frage, was Zengel bedeutet, der/das als Namensgeber für eine Gasse plötzlich unwürdig geworden war. Und wie sich manche fragten: Wo isch denn der? - der Hasenberg mit einem Hof darauf und ein Gemeinderat, der eine Bezeichnung für den neuen Wohnplatz genehmigen muss. In Lienzinger Ratsprotokollen geblättert. Fundstücke.
Höfler vom Hasenberg sitzen in der ersten Reihe
Zum alten Lienzinger Rathaus sind es 1,6 Kilometer. Die Hofbewohner schauen auf Lienzingen buchstäblich herab, erfreuen sich an schönen Tagen einer herrlichen Sicht ins Tal der Schmie und noch weiter hinaus. Einen Steckbrief dieser Landschaft findet sich in einer fast 100-seitigen Broschüre über Landschaften und Böden im Regierungsbezirk Karlsruhe und nennt als typisches Beispiel einen Acker beim Hasenberghof
westlich Lienzingen; mittel geneigter, südexponierter Hang (14 Prozent Neigung). In Kurzfassung: Der Boden entstand aus Mergelgestein des Mittleren Keupers. Die Keuperlandschaften nehmen im Regierungsbezirk Karlsruhe flächenmäßig nur einen geringen Anteil ein, der sich vornehmlich auf den nordöstlichen Bereich des Enzkreises um die Stadt Maulbronn und nördlich von Mühlacker und Illingen beschränkt, ist in dem Heft zu lesen. Mittler zwischen Gäulandschaft und Waldland nennen die Autoren diese Landschaft, in der die Höfler vom Hasenberg von der Aussicht her in der ersten Reihe sitzen. Eingeschnitten in die bergige Landschaft sind die bis 150 Meter tieferen Täler von Schmie und Metter (Landschaften und Böden im Regierungsbezirk Karlsruhe, 1999, Regierungspräsidium Karlsruhe, S. 83 u. 88).
- Zuerst sollte der Wohnplatz Hasenhof heißen
Ist denn an der Hofstelle nun etwas Historisches? Eigentlich nicht. Ersterwähnung 1970, heißt es auf der landeskundlichen Webseite LEO BW. In der Rubrik Geschichte ist zu lesen: Am 11. 12.1970 amtlich benannt. Soll heißen: Der landwirtschaftliche Betrieb Heugel in Schmie siedelte vor die Tore des Dorfes Schmie auf die Lienzinger Höhe und benannte seinen Aussiedlerhof Hasenberg. Der Lienzinger Gemeinderat stimmte dem am 2. Oktober 1970 zu und fragte, weil gesetzlich vorgegeben, die Meinung der Behörden zu dem Vorschlag ab (STAM Li B 327, S. 49). Auch Hauptstaatsarchiv, die Württembergische Landesstelle für Volkskunde, Oberpostdirektion, Statistisches Landesamt sowie das Landesvermessungsamt unterstützten eine Namensgebung für den Wohnplatz, doch aus landeskundlichen Gründen war ihnen Hasenhof nicht prägnant genug und so stimmte auf Wunsch der staatlichen Stellen das Lienzinger Ortsparlament am 11. Dezember 1970 für Hasenberghof. Dies blieb dann noch öffentlich bekanntzugeben und den einschlägigen Behörden mitzuteilen (Stadtarchiv Mühlacker=STAM Li B 327, S. 66 f). Ein Gewann gleichen Namens findet sich nicht auf dem historischen Kartenblatt NW XLV 14 aus dem Jahr 1835 (Quelle: Staatsarchiv Ludwigsburg).
Zur Vorgeschichte: Bei den Beratungen am 12. Oktober 1962 war erster Punkt der öffentlichen Ratssitzung in Lienzingen das Baugesuch von Landwirt Erich Heugel aus Schmie für einen Aussiedlerhof auf seinen Grundstücken Parzellen Nummern 4290-4294 - und die liegen auf Lienzinger Markung. Da ihm Schmie keinen Wasseranschluss genehmigte, musste er auf seinen Grundstücken nach Wasser bohren und einen Brunnen anlegen lassen. Ohne zu zögern sicherte die Energieversorgung Schwaben (EVS, heute EnBW) zu, einen Stromanschluss zu dem Hof ab Lienzingen zu schaffen – verkabelt, wie im Protokoll ausdrücklich erwähnt wurde. Die Räte akzeptierten (STAM, Li B 327, S. 169).
Bereits im März 1970 hatte sich der Evangelische Oberkirchenrat in Stuttgart per Brief bei Landrat Erich Fuchslocher in Vaihingen gemeldet und von seiner Absicht informiert, die beiden Familien vom Hasenberghof der Evangelischen Kirchengemeinde Schmie zuzuordnen, der sie vor dem Bau des Aussiedlerhofs auch angehörten. Die Kinder besuchten nach dem Umzug auf Lienzinger Markung weiterhin Kindergarten und Schule in Schmie. Formal waren die Familien zunächst auch kirchlich zu Lienzingern geworden. Bürgermeister Richard Allmendinger, vom Landrat um kurze Stellungnahme gebeten, antwortete, dies sei zweckmäßig und die Kommune erhebe keine Einwände, zumal sich auch die beiden Kirchengemeinden einig seien. Was so alles geregelt werden muss: Förmlich befreien musste der Lienzinger Gemeinderat den Landwirt Erich Heugel von der jährlichen Feuerwehrabgabe, die von 1966 an fällig geworden wäre. Das tat das Gremium auch am 1. April 1966 und zwar solange, wie Heugel ehrenamtlich Dienst bei der Freiwilligen Feuerwehr Schmie ableistet (STAM, Li B 327, S. 81).
Abschied von der Zengelgasse: Name nicht mehr zeitgemäß
Fast ein Jahr später stand erneut eine Benennung auf der Tagesordnung des Lienzinger Gemeinderats. Der bisher als Zengelgasse bezeichnete Feldweg Nummer 4/1 solle einen neuen Namen erhalten, steht im Protokoll, die seitherige im Volksmund gebräuchliche Bezeichnung sei nicht mehr zeitgemäß, so der Bürgermeister.
Diese Verlängerung der Steinbeisstraße habe durch die Entwicklung eine größere Bedeutung gewonnen, begründete Bürgermeister Richard Allmendinger seinen Antrag, womit er wohl die Ansiedlung kleinerer Betriebe meinte. Also entschied der Gemeinderat am 8. Oktober 1971, diese Verlängerung der Steinbeisstraße in nördlicher Richtung bis zur heutigen Knittlinger Straße auch nach Ferdinand Steinbeis (* 5. Mai 1807 in Ölbronn; † 7. Februar 1893 in Leipzig) zu benennen. Der 1855 geadelte Steinbeis war ein württembergischer Wirtschaftspolitiker und wichtiger Förderer der Industrialisierung in Württemberg, hat bei den Schwaben einen guten Namen – der passte mehr zu dem kleinen Gewerbegebiet des Dorfes.
Rätsel indessen gibt der Name „Zengelgasse“ auf. Zengel? Selbst das Internet bleibt bei dieser Bezeichnung überraschend auskunftsarm. Ist das Wort abgeleitet von der Zengnessel, so das altertümliche schwäbische Wort für Brennnessel, der Urtica dioeca oder die große Brennessel? Könnte auch dazu passen, dass an dem inzwischen asphaltierten Feldweg und dem seitlichen Bächle gerne die Zengnesseln wuchsen. Wer hat eine andere Erklärung dafür? Doch mit der Eingemeindung von Lienzingen 1975 nach Mühlacker wurde der Verkehrsweg in Schelmenwaldstraße umgetauft, denn eine Steinbeisstraße gab es schon im Eckenweiher (STAM Li B 327, S. 119 f). Ein Tipp: Ein aufschlussreicher Text zur Frage, was sich hinter Zengel verstecken könnte, im Kommentarteil dieses Beitrags.
"Gab allgemein seine Bereitwilligkeit kund"
- GR am 27. Januar 1950, § 3, Wasserleitungsanschluss des Gebäudes des Revierförsters a. D. Ulmer, hier:
Da beginnt der Ort von Süden her: Das Ulmer‘sche Haus ist das erste Gebäude aus Richtung Mühlacker. Bereits 1929 und 1930 wollte Revierförster Ulmer, der Eigentümer, ans Wasserleitungsnetz der Gemeinde anschließen. Sein Anwesen - heute zwischen Landesstraße und Auffahrt zur B35 Richtung Bruchsal - in einem kleinen Park stehend, lag vor den Toren des Ortes. Jetzt, 20 Jahre später, bot sich die Chance für einen erneuten Vorstoß Ulmers. Denn die Kommune verlegte eine Wasserleitung bis zum Friedhof. Nun müssten nur, nachdem das Haus quasi in Nachbarschaft zu Frauenkirche und Friedhof stehe, 50 Meter Rohre bis zu dem Anwesen verlegt werden. In der Aussprache gab der Gemeinderat allgemein seine Bereitwilligkeit kund, in der Frage der Kostentragung, insbesondere der eventuell späteren Unterhaltungskosten, gingen die Meinungen auseinander, steht im Ratsprotokoll. Schließlich einigte sich das Gremium, Ulmer müsse 65 Prozent der auf 400 Mark geschätzten Kosten sowie die Unterhaltungskosten voll übernehmen, die Leitung bleibe im Eigentum der Gemeinde (STAM, Li B 324, S. 5).
- GR am 2. Oktober 1950, § 8:
Seit fast 70 Jahren hängen Busfahrpläne in Lienzingen aus. Nun wissen wir das auch: Denn 1950 beschloss dies der Gemeinderat. Ein Achtzeiler dazu im Ratsprotokoll. Das Gremium entschied, zwei Aushängekästen in entsprechender Größe anfertigen und anbringen zu lassen, um Fahrpläne auszuhängen. Und folgte damit Eisenbahnsekretär Hafner, der, wie nachzulesen ist, angeregt hatte, am Rathaus zwei solcher Aushängetafeln montieren zu lassen. Der Gemeinderat begrüßte dieses Ansinnen (STAM, Li B 324, S. 45). Nicht nur ge-, sondern auch erhört. Glücklicher Bahnsekretär?
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