Bewegung mit Sonderbehandlung im Klimaschutz-Wendekreis

Alles wegen Fridays for Future-Abgesandte Lorenz Hornung und Jonathan Rapps (vorne Mitte). Bilder:Landratsamt Enzkreis

Schon vergessen? Der  Enzkreis bezeichnet sich seit 2010 selbst als Klimaschutz-Wendekreis. Er definierte eigene Klimaziele: Schrittweise sollen die CO2-Emissionen reduziert werden, um 2050 klimaneutral zu sein. Verankerte dies in seinen Leitbildern. Seit acht Jahren ist der Landkreis beim European Energie-Award auf dem Prüfstand. Der Enzkreis konnte bereits bei der ersten Zertifizierung 2012 mit 75,1 Prozent den eea Gold-Status erreichen und diesen 2019 zum dritten Mal - bei nun 81,3 Prozent - verteidigen. Das belege die Einhaltung von Qualitätsanforderungen und weise die Fortschritte der Klimaschutzarbeit nach, heißt es auf enzkreis.de. Als zentrales Ergebnis der Arbeit am eea kann mit 33 Prozent CO2-Reduktion das Klimaziel der Kreisverwaltung bis 2020 voraussichtlich sogar übererfüllt werden.

Das ist nicht alles. 2015  verabschiedete der Kreistag ein integriertes Klimaschutzkonzept. 66 Seiten stark. Zudem richtete das Landratsamt eine Klimaschutz-Internet-Seite ein, auf der Ratschläge stehen, was die Einzelnen für ein gutes Klima tun können. 27 Millionen Euro für die Werterhaltung der Berufsschulgebäude zu stecken, heißt doch, viel Geld für die energetische Sanierung aufzubringen. Praktischer Klimaschutz. Die Enzkreis-Verantwortlichen müssen bei der Klimaschutz-Debatte nicht in Sack und Asche gehen. Denn Klimawende ist hier längst angekommen, ohne zu behaupten, dass nicht noch mehr geht.

„Freitage für die Zukunft“

OB Peter Boch (Pforzheim) und Landrat Bastian Rosenau

Die Liste ist nicht erschöpfend, mündet aber bei mir in der Ablehnung des Vorschlags, im Enzkreis den Klimanotstand zu erklären. Taugen unsere Maßnahmen nichts? Wohl kaum! Weiter Klimaschutzarbeit zu leisten, ist wichtiger als eine Schlagzeile. Weitgehend blieb dies das einzige Streitthema des gestrigen Zweieinhalb-Stunden Gesprächs mit den lokalen Vertretern von Fridays for Future („Freitage für die Zukunft“; kurz FFF): Philosophie-Student Lorenz Hornung und der Schüler Jonathan Rapps. Sie pochten nicht so sehr im internen Teil der Runde darauf, sondern medienwirksamer im öffenltichen Teil. Vor allem Hornung dreht richtig auf in der anschließenden Pressekonferenz - alles wohl überlegt und schon ganz wie ein ausgebuffter Politiker. Er sitzt schließlich im Landesvorstand der Grünen Jugend, nutzt geschickt die Plattform, die ihm das gestrige Gespräch bietet. Er aber gibt den Parteilosen in der Runde, sitzt jedoch auch im Kreisvorstand der Grünen.

Ein Mediengespräch mit so großem Journalisten-Aufgebot wie es sie bei keiner Kreistagssitzung gibt - es sei denn, es wird ein neuer Landrat gewählt. Das zeigt, wie sich die Optik der Medien verschoben hat. Die für die Menschen wichtige Alltagsarbeit der von den Bürgern bestimmten Gremien ist den einen zu trocken, den anderen zu langweilig, ist Schwarzbrot statt Torte. Doch zwei oder drei lokale Klimaschützer, die Gretas von Pforzheim, organisieren eine Demonstration mit tausend jungen Leuten (was durchaus eine Leistung ist), schreiben Kommunalpolitiker an, schicken ihnen ihr Programm, bringen die Journaille in Wallung. Eine ganze Seite garantiert! Niemand fragt nach Legitimation.

Konzept ging auf

Die SPD-Fraktion bringt einen Antrag ein, der Kreistag solle sich in einer Sitzung zehn oder 15 Minuten lang  ihre Forderungen anhören. Die Verwaltungsspitzen von Pforzheim und Enzkreis tüfteln eine Alternativ aus, die im Kreistag die Unterstützung der Mehrheit erhielt: Beide Kommunen laden Vertreter von Fridays for Future  zu einem Gespräch ein, um sie über das zu informieren, was in Rathaus und Landratsamt schon für den Klimaschutz getan wird und von den jungen Leuten zu erfahren, was besser, anders oder wirksamer gemacht werden kann. Das war jetzt gestern. Das Konzept ging auf, bringt beiden Seiten mehr als eine Fensterrede vor dem Kreistag. Aber wie verhalten wir uns, wenn andere Gruppen anklopfen?

Da saßen sie nun im kleinen Saal des Landratsamtes: die beiden wortgewaltigen Abgesandten einer jungen Protestbewegung. Sie erfahren eine Beachtung, die vor allem dem geschuldet ist was sie fordern: Tut mehr für den Klimaschutz! Klimaschutz ist aktuell, emotional, steht momentan hoch im Kurs. Da ist mit dem Thema gut sein. Was sonst selbst die Verwaltungen bei anderen Themen (fast) nicht hinbekommen, schaffen zwei lokale Greta-Aktivisten: Neben und gegenüber acht Fraktionsvertreter aus Stadt und  Kreis, je ein Oberbürgermeister, Landrat, Erster Landesbeamter und eine Bürgermeisterin, zudem drei weitere Verwaltungsmitarbeiterinnen, allesamt angetreten für den Dialog. Das schafft sonst kaum jemand.

Schlagworte und Konkretes

Zweieinhalb Stunden im Kleinen Saal des Landratsamtes in Pforzheim

Eine Mischung aus Allgemeinheiten, Schlagworten und konkreten Vorschlägen, keine Beschimpfungen, pure Sachlichkeit, Argumente. So beim ersten Themenpaket, dem öffentlichen Nahverkehr. Samstags kostenlos mit Bus und Bahnen fahren, ein großer Verkehrsverbund im Herzen des Landes - von Stuttgart bis Karlsruhe - bei Abschaffung des Verbundes Pforzheim/Enzkreis, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Ideen und Vorschläge, die nicht revolutionär sind, auch nicht neu, die andere auch schon vorgebracht haben (Ex-Kreisrat Winfried Scheuermann von der CDU plädierte schon für einen Gratis-ÖPNV) - an denen zu arbeiten, sich aber lohnen würde. Doch Apparate bremsen sogar einen Landrat. Hier zusätzlich Druck auszuüben kann uns möglicherweise weiterbringen.

Die von der lokalen Jugendbewegung vor Monaten geäußerte  Ablehnung weiterer Gewerbegebiete tauchte gestern alsThema nicht auf. Dafür die Energiewende und die Forderung nach deutlich mehr Windrädern auch im Enzkreis als Folge des neuen Windatlas -  da gehe ich einig mit Hornung und Rapps. Auf den Widerstand von Bürgern bei jedem konkreten Standort angesprochen, sagt  Hornung, man müsse die Menschen mitnehmen. Und sie am Ertrag einer Anlage beteiligen. Doch der Regionalverband hat nur die Sicherung von Standorten zu bieten und keinen einzigen Cent. Ich lade ihn ein, wenn in Mühlacker regionalplanerisch ein Standort ausgewiesen werden sollte, sich dem Streit zu stellen. Er sagt zu. Ich komme darauf zurück. Ach ja, es solle mehr veganische Speisen in Lokalen, schiebt sein Kumpel noch nach. Und ein Radwegenetz über Landkreisgrenzen hinweg.

Nicht einmal zwei Hände voll

Es ist ein neuer Realismus bei der Jugend festzustellen. Sie weiß zumindest, dass das alles auch bezahlt werden muss und macht sich Gedanken über das Wie. Aber bei allem müsse Klimaschutz Priorität haben, sagen sie. Wer ist die Gruppe eigentlich, wieviel Köpfe, wie sind

Freitage (oder freie Tage) für die Zukunft

die beiden legitimiert? Niemand fragt, auch ich nicht. Mit mehreren jungen Leute hatte ich gerechnet, offiziell sollten es drei sein (einer war krank), so lautete wohl die Vereinbarung mit der Verwaltung. Wie heute in der PZ nachzulesen, sind es zehn Leute. Klimaschutz-Aktivisten, die nun bei relavanten Themen gehört werden sollen. Der Landrat spricht von einem Beirat oder so etwas ähnliches. Der Dialog - und das ist richtig - sollte fortgesetzt, konkrete Punkte erarbeitet werden.

Und wie dürfen andere junge Leute mitsprechen? Das ist der entscheidende Punkt. Weil Fridays for Future  gerade eine (wenn auch abflauende) Konjunktur haben, werden die jungen Anhänger der Bewegung hofiert, herausgehoben, zu Rate gezogen. Ein Monopol. Eine Bewegung mit Sonderbehandlung. Aber wie wird die Meinung der großen Zahl anderer junger Menschen erhoben, diskutiert, einbezogen? Eigentlich bietet sich ein Weg an: Zu den von Stadt und Kreis veranstalteten Jugendkonferenzen in kürzeren Abständen einzuladen und deren Themenliste auch abzuarbeiten. Themen, mit und ohne Klimaschutz.

Zum Herunterladen: Klimaschutzkonzept_Langfassung.pdf

 

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