Meister der reinen Lehre
Ausgerechnet ein Freidemokrat redet mir mein Stromauto Leaf mit 40-kW-Akkus schlecht (Zitat: Die Batteriemobiltät hat den ökologischen Fußabdruck eines Elefanten, aber die Politik tut so, als ob es sich um eine Ameise handle!), ausgerechnet ein Liberaler glaubt nicht an die Macht des Marktes, ausgerechnet Hans-Ulrich Rülke. Der Mann aus Pforzheim weiß alles (besser?). Jetzt wetterte er gegen „unsinnigen Batteriefetischismus in der derzeitigen Mobilitätspolitik im Land, im Bund und in Europa“. Der einstige Lehrer hält schulmeisterlich dagegen: Die Zukunft der klimaneutralen Mobilität in Baden-Württemberg liege in den synthetischen Kraftstoffen und des Wassers. Darf er meinen. Es ist die Rigorosität, mit der Rülke den Menschen eine Antriebstechnik vorschreiben will, wenn er sie schon zur Koalitionsfrage im Land hochstilisiert (obwohl sich diese Frage überhaupt noch nicht stellt). Und wer die Pressemitteilung seiner Fraktion liest, stößt auf den reinen Glauben an Wasserstoff. Alles andere lässt er nicht gelten. Keine Auseinandersetzung mit Gegenargumenten. Rülke, der Meister der reinen Lehre. Ein Beispiel für Politik, die nicht abwägt, in diesem Fall zwischen Batterien und Wasserstoff-Tank. Kampagne statt Offenheit.
Ich lass mir mein Stromauto mit Batterie aber nicht vermiesen, setze jedoch auch auf die Vielfalt alternativer Antriebstechniken in diesem unseren Land. Deshalb habe ich einen Antrag der CDU-Kreistagsfraktion mit unterschrieben, auch lokal für „grünen Wasserstoff“ als weitere Variante der Verkehrswende zu arbeiten. Der Käufer soll entscheiden. Wir diskutieren auch in der Familie kontrovers. Die Experten sind sich ja selbst nicht einig. Nach einer Untersuchung des Forschungszentrums in Jülich sei die Tankinfrastruktur für 20 Millionen Brennstoffzellenfahrzeuge rund 20 Prozent günstiger als für 20 Millionen Batteriefahrzeuge, zitiert Rülke.
Die Zukunft der Mobilität ist elektrisch, sagt Jülich. Die dortigen Forscher: Doch noch sei unklar, welche Technologie unter der Motorhaube das Rennen machen werde - Batterien, die regelmäßig an eine Ladesäule gehängt werden müssen, oder Brennstoffzellen, die Wasserstoff von der Tankstelle benötigen. Die Kosten für die jeweilige Infrastruktur hängen stark davon ab, wie viele Fahrzeuge versorgt werden müssen, so die Botschaft. Ein Vergleich, den Experten vom Forschungszentrum Jülich angestellt haben, zeigt: Ab mehreren Millionen Fahrzeugen ist der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur günstiger. Beide Technologien sind notwendig, um die Verkehrswende erfolgreich zu meistern, sagen sie.
Das Umweltbundesamt hält dagegen: Die kostengünstigste Option für den Umbau des Verkehrs zu einem treibhausgasneutralen Sektor sind laut einer neuen Studie Elektrofahrzeuge. Der teuerste Weg wäre ein Umstieg auf Brennstoffzellenfahrzeuge, die aus erneuerbarem Strom hergestellten Wasserstoff nutzen. Diese Option würde gegenüber einer möglichst direkten Nutzung von Strom im Zeitraum 2020 - 2050 rund 600 Milliarden Euro mehr kosten.
Und die Industrie? Beispiel Volkswagen: Der Konzern baut sein Werk in Zwickau für den ID.3 um - den Volkselektrowagen.
Eine neue Technik ist bei ihrem Start selten perfekt. An ihr wird weiter geforscht, es wird an der Beseitigung von Schwachstellen gearbeitet, es werden Fortschritte gemacht. So auch mit der Elektromobilität. Die Suche nach neuer Batterie-Technik läuft, um die ohne Frage vorhandene Umweltbelastung durch die jetzt benötigten Rohstoffe zu minimieren. und auch größeren Speicherraum zu schaffen. Als vor Jahren zunehmend Photovoltaikanlagen auf den Dächern montiert wurden, meldeten sich sogleich Bedenkenträger und schauten düster in die Zukunft: Die in einigen Jahren ausrangierten Solarzellen müssten dereinst als Sondermüll entsorgt werden. Und wie ist es heute? Der Entsorger Suez recycelt in Knittlingen solche Anlagen.
Ob Hans-Ulrich Rülke dies einstens auch für möglich hielt? Wir werden es nie erfahren. Der Freidemokrat darf durchaus in eine antriebstechnische Einbahnstraße abbiegen. Das ist seine Freiheit. Er soll aber nicht erwarten, dass ihm alle folgen und ihre Batterien auf den Misthaufen der Weltgeschichte werfen. Zumal die Bundesregierung auch ganz klar Erprobung und Ausbau von Wasserstofftechnologie auf ihre Agenda gesetzt hat - genauso wie die Batterien-Forschung.
Update 23. Oktober 2019 - Reaktionen auf meiner Facebookseite:
Franz Untersteller, Umweltminister des Landes Baden-Württemberg: Kann ich alles unterschreiben! Es fehlt vielleicht der kleine - aber nicht unwichtige - Hinweis, dass direktelektrische Antriebe 3mal effizienter sind als die mittels Wasserstoff arbeitenden Brennstoffzellen. Die Antwort warum 3 Windkraftanlagen (zur Erzeugung von Wasserstoff) leichter durchsetzbar sein sollen als eine Anlage bleibt Rülke aus guten Gründen schuldig!
Frank Feil: Das Grundproblem ist, und das habe ich auch schon bei ihm selbst geschrieben, dass er versucht einer Antriebstechnik die Daseinsberechtigung abzusprechen – und das nur, weil sie in Deutschland bei einigen Zulieferern Arbeitsplätze kostet?, die seit Jahren Entwicklungen bewusst ignorieren. Das ist in etwa so, wie einst Dampfmaschine und Webstuhl verhindern zu wollen, weil dadurch Menschen Arbeitsplätze verlieren. Aber, und das macht die ganze Debatte ohnehin überflüssig: bei den meisten Autoherstellern ist die (richtige) Entscheidung bereits gefallen? und Wasserstoff wird in den nächsten Jahren kaum eine Rolle am Markt spielen.
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