Der Minister kneift

Alltag auf der Lienzinger Straße

Die Antwort aus dem Rathaus erfordert vollen Einsatz bei Lesen und Verstehen, so diffizil ist der Text. Dabei hilft, ihn zwei oder drei Mal zu studieren. Doch eines lässt sich auf den ersten Blick erkennen: Die vom Mühlacker Gemeinderat erhoffte Schützenhilfe des baden-württembergischen Verkehrsministers für das stadträtliche Bemühen, auf der Lienzinger Straße nachts Tempo 30 wenigstens bis zum Ausbau der jetzt holprigen Fahrbahn einzuführen, wird es nicht geben. 

Das jedenfalls geht aus dem Schreiben der Stadtverwaltung auf meine Frage nach der Reaktion des Ministeriums hervor, an das sich mit einer entsprechende Bitte der Mühlacker OB gewandt hatte. Die Einbeziehung der Lienzinger Straße in die Überarbeitung des Lärmaktionsplans werde dagegen vom Ministerium für sinnvoll erachtet, lässt das städtische Ordnungsamt wissen. Minister Winfried Hermann (Grüne) kneift - er beschäftigt sich lieber mit Fahrverboten in der Landeshauptstadt, betreibt aktiv Stuttgarter Kommunal- und Regional- statt Landespolitik.

Im Rahmen der Zuständigkeit der Stadt Mühlacker sei bereits vor längerer Zeit geprüft worden, ob aus Sicherheitsgründen – schlechter Straßenbelag - eine Tempobeschränkung auf der Lienzinger Straße möglich ist. Hierfür liegen jedoch die Voraussetzungen nicht vor, schreibt Ordnungsamtsleiter Ulrich Saur laut Mitteilung der CDU-Fraktion. Das Regierungspräsidium Karlsruhe blockte ab. Wir hofften, das übergeordnete Verkehrsministerium sei großherziger.

Der Amtsleiter schildert in der Antwort die Vorgehensweise bei nicht-kartierungspflichtigen Straßenabschnitten wie der Lienzinger Straße. Werden im Lärmaktionsplan auf freiwilliger Basis weitere Straßen einbezogen, die nicht unter die gesetzliche Definition einer Hauptverkehrsstraße fallen, obliege die Ermessensausübung für hierauf abzielende Maßnahmen der zuständigen Verkehrsbehörde. Diese habe unter besonderer Würdigung der Ausführungen des Lärmaktionsplans zu erfolgen. Für die Anordnung gebe es einen Zustimmungsvorbehalt des Regierungspräsidiums. Das bedeute, dass die Straßenverkehrsbehörde bei nicht-kartierungspflichtigen Straßenabschnitten wie der Lienzinger Straße durch den Lärmaktionsplan nicht gebunden sei, sich die im Lärmaktionsplan dargelegte Abwägung der Gemeinde jedoch zu eigen machen könne. In Baden-Württemberg seien mit dem Kooperationserlass „Lärmaktionsplanung“ weitere, für die Landesbehörden verbindliche, ermessenslenkende Festlegungen erlassen worden. 

Straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen dürfen laut Stadtverwaltung kein Ersatz für notwendige, technisch und finanziell tragbare, sonstige Maßnahmen sein. Sofern bauliche Maßnahmen in der Lienzinger Straße nicht jetzt schon früher erfolgen können, läge es im Ermessen und der Zuständigkeit der Stadt Mühlacker, gegebenenfalls auch eine temporäre Geschwindigkeitsbeschränkung aus Verkehrssicherungsgründen zu prüfen und anzuordnen, bis die Sanierung erfolgt ist, sofern „die tatbestandlichen und rechtlichen Voraussetzungen“ dafür vorlägen, was aber nicht der Fall sei.

Das Thema einer Geschwindigkeitsbeschränkung aus Lärmschutzgründen werde im Rahmen der Überarbeitung des Lärmaktionsplanes überprüft und geklärt. Ein entsprechendes Büro ist vergangenen Dienstag vom Gemeinderatsausschuss für Umwelt und Technik (UTA) beauftragt worden. Saur: „Das Thema wird abgearbeitet.“

Mit täglich mehr als 14.000 Fahrzeugen hat die Lienzinger Straße - in der Straßenbaulast der Stadt - durchaus den Charakter einer Hauptverkehrsstraße. Das wird auch Thema sein der für den 6. November 2019 um 19 Uhr geplanten Einwohnerversammlung der Stadt für Eckenweiher, Bannholz, Lienzinger Straße und Heidenwäldle. 

Die Belastung der Lienzinger Straße, ihr schlechter Fahrbahnbelag, der dadurch ausgelöste zusätzliche Lärm führte zurecht zu Protesten der Anwohner. Wenigstens Tempolimit 30 km/h nachts wollen sie. Jetzt vertröstet die Stadt auf den neuen Lärmaktionsplan, nachdem sich der alte als wirkungslos herausgestellt hatte und am Veto des Regierungspräsidiums gescheitert war.

Gleichzeitig zeichnet sich aber ab, dass Logistiker Craiss an seinem jetzigen Standort an der Vetterstraße bleiben und sogar noch erweitern will. Eine höhere Verkehrsbelastung droht. 

Der Gemeinderat soll die Craiss-Pläne morgen Abend absegnen, was er voraussichtlich tun wird, um Klarheit für die Flächennutzung auf dem Areal alte Ziegelei zu gewinnen, damit wir endlich auch dort mit der Wohngebietsplanung weiterkommen. Grundstückseigentümer Craiss kann nicht einfach per Ratsbeschluss zur Aufgabe des Standorts gezwungen werden. Aber ihm anzubieten, im Bereich Lug/Fuchsensteige einen neuen Standort aufzubauen, würde ich unterstützen. Diese Fläche ist seit Jahren auf Wunsch der Stadt im Regionalplan 2015 des Regionalverbandes Nordschwarzwald für die gewerbliche Entwicklung der Stadt freigehalten. Nur eine Mehrheit des Gemeinderats verschmäht den Standort und die Stadtverwaltung setzt sich nicht aktiv für ihn ein.  Dabei könnte ohne Änderung des Regionalplanes sofort ins Flächennutzungs- und Bebauungsplanverfahren eingestiegen werden. Man müsste nur wollen.

„Einen Schlag ins Gesicht“ der Anwohner der Lienzinger Straße nannte ein Leserbriefschreiber jetzt im MT die Pläne, Craiss auch noch erweitern zu lassen. Diese Reaktion ist allzu verständlich.

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