Als der letzte Gang noch günstig war

Beerdigungskosten Johann Bächle 1964

Fünf Quittungen, fein säuberlich zusammen geheftet, gingen fast unter im Konvolut. Schriftstücke, Dokumente und Fotos aus dem Keller, die ich - wie schon gebloggt - jetzt in eine Ordnung brachte. Auf den zweiten Blick erwiesen sich die Zettel als die Belege der Ausgaben für die Beerdigung meines Vaters Johann (2. Mai 1899 - 5. April 1964). Ingesamt kostete die Bestattung rundum  315 Mark und 40 Pfennig - kein Vergleich mit den heutigen Summen! Es ist sicherlich nicht respektlos zu titeln: Als der letzte Gang noch günstig war.

Der größte Einzelposten: 262 Mark, abgerechnet am 8. April 1964 von Leichenschauer und Amtsbote Scheck, sozusagen für ein Servicepaket - 145 Mark dem örtlichen Schreiner für den Sarg, 15 Mark an den Leichenschauer, 25 Mark der Leichenfrau, 50 Euro dem Totengräber, schließlich 20 Mark dem Kirchenchor, fünf Mark der Mesnerin und zwei Mark fürs Läuten der Kirchenglocken. Ganz neu für mich waren Stolgebühren, die das Katholische Pfarramt Mühlacker erhob: Neun Mark für die Beerdigung eines Erwachsenen, bestehend aus sechs Mark für den Geistlichen und zwei Mark für die Kirchenpflege sowie fünf Mark für die Stillmesse (3,50 Mark Geistlicher, 50 Pfennig Ministranten und eine Mark für Kirchenpflege). Nachgeschaut und schlau gemacht: Stolgebühren erheben Pfarreien für kirchliche Handlungen wie zum Beispiel Taufe, Hochzeit oder Beerdigungen. Der Begriff leitet sich von der "Stola" ab, die der Pfarrer bei solchen Handlungen trägt. 

Die Beerdigung fiel spartanisch aus. Die Totengräber erhielten im Gasthaus „Ochsen“ bei Ehmendörfers ein Vesper für 12,20 Mark. Zehn Mark verlangte die örtliche Gärtnerei Robert Mannhardt für eine Schale.

Was auf dem Dorf ein Ladengeschäft, einst firmierend unter Kolonial- oder Gemischtwarenhandlung, alles vorhalten musste, zeigt ein weiterer Beleg. So findet sich eine Quittung des Gemischtwarenladens von Hedwig Frick, die eine breite Palette von Waren anbot (Gebäude heute Knittlinger Straße 1/2) für eine Sarggarnitur, bestehend aus Decke und Kissen für 17 Mark und 20 Pfennig. Der Einkaufsladen hatte für uns nicht nur den Zweck, Waren des täglichen Bedarfs zu erstehen, Frau Frick und ihr Ehemann Otto verfügten über eines der seinerzeit wenigen Telefone (Nummer 6008) im Ort und machten daraus eine Art öffentlicher Sprechstelle gegen Gebührenersatz. Ein Glücksfall!

Rarität im Ort: ein Telefon

Ich erinnere mich, dass wir bei Fricks telefonierten, so auch an jenem Sonntag, den 5. April 1964, als mein Vater auf dem Sofa lag in unserer Wohnung Herzenbühlgasse 25 (das marode Gebäude wurde später durch einen Neubau ersetzt) und nicht mehr ansprechbar war, eigentlich nur noch röchelte. Ich musste zwei- oder dreimal zu Fricks, um dem Arzt anzurufen. Und erlebte als 13 1/2-Jähriger zum ersten Mal, wie sich ein Mensch - und dazu noch mein Vater - sich von dieser Welt verabschiedete. Der Eintrag im Sterberegister des Standesamtes der Gemeinde Lienzingen - Sterbeurkunde Nr. 5/1964 vom 6. April 1964 -  unterschrieben von Bürgermeister Richard Allmendinger, gibt als Sterbestunde 15 Uhr 45 an. Der Sonntag war grau, als mein Vater seinem Krebsleiden erlag, von dem ihn auch eine längere Behandlung im Mühlacker Krankenhaus an der Erlenbachstraße nicht hatte heilen können.

Knittlinger Straße 1/2 in Lienzingen. Einst Gemischtwarengeschäft Frick
19 Mappen Familienarchiv

Krautkonserven als Trommel

Apropos das  Ladengeschäft von Hedwig Frick. Dort gab es auch offenes Sauerkraut in einer großen Konserve. Wir Jungen entdeckten, dass dieses Gefäß etwa die Größe einer Trommel hatte, besorgten uns ein leeres, drehten es um, befestigten daran eine Schnur, die wir uns um den Hals legten. So trugen wir stolz das gerundete Blech vor dem Bauch und zogen damit durch den Flecken. Freilich hauten wir nicht mit Trommelschlägern, sondern mit Holzscheiten auf den Metallboden. Fürchterlich laut waren die so erzeugten Töne, vor allem aber - um es vorsichtig zu schreiben -  disharmonisch. Uns gefiel es, doch man legte uns doch relativ rasch das gerade „gelernte“ Handwerk.

Ein Blick ins Heimatbuch Lienzingen (2016, Seite 210, Verlag Regionalkultur) ergibt, dass Lienzingen in den fünfziger Jahren an der Hauptstraße (heute Friedenstraße und Knittlinger Straße) sechs Lebensgeschäfte hatte. In einem Protokoll des Lienzinger Gemeinderats von 1952 steht der Hinweis, Anna Lindauer habe zum 2. April 1952 ihren Laden aufgegeben, der von Hedwig und Otto Frick weitergeführt werde. Letztlich bestand er bis Ende der Sechziger Jahre - und mit ihm das bunte Angebot, darunter auch Salben und Tabletten. 

Bis ins Jahr 1776 zurück

Zurück zu meinem Fundus. Inzwischen ist er sortiert in 19 Mappen, ergänzt durch zwei Fotoalben. Jetzt folgt die Feinarbeit. Dazu gehört auch, die vor allem 1966/67 von mir zusammengetragenen Daten meiner Vorfahren, überwiegend väterlicherseits, in ein spezielles Computerprogramm einzugeben. Das ist inzwischen geschehen. 92 Personen sind erfasst, die Liste reicht zurück bis ins Jahr 1776. Meine Bächles bestehen - grob  beschrieben - aus zwei Linien: Bächle und Müller. Die Familien wohnten überwiegend in Neusatz im Bühlertal in Mittelbaden, meinen Großvater Dionys zog es 1890 in den Südschwarzwald in die heutige Stadt Titisee-Neustadt. Mein Vater blieb, nachdem er in der Nazizeit seine Freiheit verlor, in Vaihingen und landete schließlich durch Heirat im August 1950 in Lienzingen. Lückenhaft sind noch die anderen Linien des neu geschaffenen Stammbaums. Dass die Recherche beim Bächle-Zweig so ertragreich war, verdanke ich den Katholischen Pfarrämtern und Bürgermeisterämtern in Neusatz, Neustadt und Bühl. 

Dass aber das Ahnen-Erfassen jetzt plötzlich so schnell klappte, verdanke ich den guten Hinweisen auf der Internetseite von Erhardt Stiefel. Ein Besuch auf dieser Homepage lohnt sich - nicht nur für Ahnenforscher.

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Kommentare

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Erhardt Stiefel am :

Hallo Herr Bächle, ich habe diesen Beitrag in ihrem Blog mit großem Interesse gelesen. Sehr schön geschrieben. Weil ich 1960/61 auch in Lienzingen wohnte, ist mir so manches wieder eingefallen. Danke auch für die Anmerkung über meine website im letzten Satz.
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