Frühzeitig informieren, Klatsche vermeiden - Resultat einer Studie
Mehr als 80 Prozent der Deutschen wollen in den Kommunen mehr gefragt werden und mitreden auch jenseits von Wahlen, fand das Forschungsinstitut „Soko“ heraus, das im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung bundesweit 2000 Wahlberechtigte telefonisch zu „ausgewählten Aspekten“ der Kommunalpolitik befragte. Das Ergebnis findet sich auf elf Seiten, die die Stiftung unter dem Titel „Gute Beteiligung stärkt die lokale Demokratie“ veröffentlichte. Interessante Ergebnisse, die allerdings nicht unerwartet kommen. Zudem entwickelte sie ein Zwei-Minuten-Video (oben) zum Thema.
Die Wertschätzung der Landräte, Bürgermeister und der etablierten Parteien sei bei Bürgern, die sich ausreichend beteiligt fühlen, höher als bei denjenigen, die dieses Gefühl nicht haben. Der Akteur Bürgermeister erreicht 73,7 Prozent Wertschätzungsgrad, wenn die Menschen den Eindruck hegen, dieser lege großes Gewicht auf frühzeitige Information, Meinung und Beteiligung der Bürger (fehlt das, schafft er nur 55,8 Prozent). Deutliche Zustimmungswerte erzielen auch die „Politiker vor Ort“ in den Gemeinderäten und Kreistagen bei Bürgern, die sich mitgenommen fühlen: Eine Differenz von 13 Prozenten zwischen Beteiligungsmuffeln und Beteiligungsfans errechneten die Forscher bei den Sympathisanten von CDU/CSU - um so viel sind die Beteiligungsfans unter den Kommunalpolitikern beliebter (bei Freien Wählern und FDP jeweils gut fünf Prozent Unterschied, bei der SPD 8,2 Prozent).
Eigentlich logisch. Spannend die Frage, welche Beteiligungsformen sich die Menschen wünschen. Ich nehme die Resultate der Gruppe Kommunen mit 5000 bis 50.000 Einwohnern - sie unterscheiden sich in der Tendenz von den Ergebnissen in Dörfern einerseits, großen Städten andererseits gering. Nummer 1 auf der Wunschliste der Bürger als Instrument der Beteiligung ist - ich bin baff! - die öffentlichen Ratssitzung. Zu denen aber sich meist immer nur wenige Besucher „verirren“.
Selbst der Versuch der CDU-Fraktion im Gemeinderat von Mühlacker, die Bürgerfragestunden auszubauen, scheiterte an der Realität. Einmal im Vierteljahr sollte eine angesetzt werden, so die alte Regelung (meist wurde sie vergessen) - nach unserem Antrag stand sie mehr als drei Monate lang vor jeder Ratssitzung auf der Tagesordnung. Ein Versuch, der an mangelndem Interesse grandios scheiterte.
Platz 2 auf der Hit-Wunsch-Liste der Befragten in der Größengruppe von Mühlacker: Politikersprechstunden (habe ich eigentlich ständig, selbst beim Einkaufen). Rang 3: repräsentative Befragungen (in Mühlacker 2016 erfolgt - und wie werden die Ergebnisse in den Entscheidungsprozess zu einer neuen Stadthalle einbezogen? Kaum!) Es folgen Bürgerbeteiligungen übers Internet (wäre mit der neuen Stadt-App möglich, doch diese sollte ganz schmal gestrickt werden, um die Lokalzeitungen nicht zu verärgern) und Bürgerworkshops (ähnlich unserer Zukunftswerkstätten). Das baden-württembergische Instrument der Einwohnerversammlung (zwei jährlich in Mühlacker) ward nicht abgefragt worden.
Obwohl wir in Mühlacker einiges an Beteiligungsformen zu bieten haben (so auch ein Jugendforum) passieren dann Rückschläge. Denn zu viel Themen drehen zuerst nichtöffentlich die erste Runde, weil sie nach der Gemeindeordnung in den Ausschüssen für den Gemeinderat vorberaten werden - wir können rechtlich diese Vorberatungen hinter verschlossenen Türen machen, müssen dies aber nicht tun.
Rezept gegen Bürgerverdruss
Weshalb muss die Öffentlichkeit vor der Tür bleiben, wenn sich Investoren für das Ziegeleiareal vorstellen oder Lidl seinen neuen Plan für einen Standort an der Goethestraße präsentiert? Das verschließt sich mir. Und bei den Plänen für ein Gewerbegebiet in den Welschen Wiesen gab es dann in Form des Bürgerprotestes in Eckenweiher und Bannholz eine heftige Klatsche für OB und Gemeinderat. Natürlich geschah alles streng nach den Vorschriften, doch die Bürger fühlten sich bei einem Meinungsbildungsprozess ausgegrenzt. Frühzeitige Information heißt das Rezept gegen Bürgerverdruss.
Dass sich 55,3 Prozent nicht ausreichend an Entscheidungsprozessen vor Ort beteiligt fühlen (in Großstädten gar 65,8 Prozent) werten die Autoren der Bertelsmann-Studie als Warnsignal für Politik und Verwaltung in den Kommunen. Bürger wünschen sich mehr Beteiligung an der Entscheidungsfindung. Der dadurch entstehende Aufwand lohnt sich nach Meinung der Studien-Macher, denn mehr Beteiligung steigert die Zustimmung zu etablierten Parteien und Bürgermeistern, ergo stärkt dieser Aufwand die lokale Demokratie insgesamt.
Der Rat der Experten: frühzeitig informieren, Bürger auch aufsuchen und aktivieren, mehr Qualität und Transparenz durch verbindliche Spielregeln.
Indessen: Das Interesse an Kommunalpolitik steigt mit Alter und Bildungsgrad der Befragten. Es ist bei den über 75-Jährigen doppelt so groß wie das der bis 25-Jährigen. Bei den Befragten mit Hauptschulabschluss sind 53,2 Prozent interessiert, bei den mit Fachhochschulreife oder Abitur gut 70 Prozent.
Trotzdem steht an der Spitze der kommunalen Aufgabenlisten, so das Resultat der Umfrage, mit 94,7 Prozent die Gewährleistung guter Chancen für Kinder und Jugendliche. Nummer 2: Kinderbetreuung mit 73,6 Prozent. Nummer 3: Sport- und Freizeitangebote (63,9 Prozent), Nummer 4: Bildung und Schulen (59,7 Prozent).
Aus Sicht der Befragten wird einzelnen Themen unterschiedliche Relevanz beigemessen. So werden Mobilität, bezahlbarer Wohnraum, Integration und Nachhaltigkeit in größeren Kommunen als wichtiger beurteilt als in kleineren Kommunen, während die Bewältigung des demographischen Wandels für die Befragten in kleineren Kommunen wichtiger ist als in größeren Kommunen.
Auf einem Mittelplatz
Abgefragt worden war auch, in welche Personengruppe sie großes oder sehr großes Vertrauen haben: 14 Gruppen waren genannt. Auf Rang 7 landen die Bürgermeister nach (in dieser Reihenfolge) Feuerwehr (1.), Erzieherinnen, Polizei, Pflegekräfte, Ärzte und Lehrer. Auf Platz 8 wir Kommunalpolitiker wie Stadt- und Kreisräte. Gleich danach auf dem 9. Platz die Landräte. Geringeres Vertrauen wird bescheinigt Unternehmern, Landespolitiker, Bundespolitiker, Europapolitiker und (auf dem letzten Rang) Versicherungsvertreter.
Hier elf Seiten Studie als PDF zum Herunterladen: AK_3_Kommunalpolitik_2019_korr2.pdf
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