ÖPNV-Ausbau-Befürworter: Eher weiblich, akademisch gebildet, Bus- und Bahnfahrer

Stadtradeln - eine Aktion, die dafür warb, sich öfters in den Sattel des Stahlrosses zu schwingen

Was ist dem Autofahrer zuzumuten? Weshalb sind die "Coussins berlinois" in Frankreich als Tempohemmer in den Ortschaften so beliebt, während deutsche Ordnungsämter wie in Mühlacker die Berliner Kissen in den verschiedenen Varianten - plateauförmige oder in runder Form - ablehnen? Brauchen wir mehr Tempo 30? Was wird überhaupt akzeptiert? Eine Einbahnstraße mehr als Zweirichtungsverkehr oder umgekehrt? Wie viel sind uns zusätzliche Stadtbuslinien wert? In kommunalen Gremien spielen die Antworten eine wichtige Rolle. Eine bundesweite Umfrage hatte zwar andere Fragestellungen, aber  es ging letztlich um Akzeptanz von Maßnahmen auch der - auch örtlichen - Verkehrspolitik.

Meinungsforscher befragten knapp 7000 deutsche Haushalte, davon jeden Zehnten in Baden-Württemberg, nach der Einstellung zu acht verschiedenen Maßnahmen. In Berlin legten sie jetzt die Ergebnisse vor. Und siehe da - wer hätt's gedacht? - persönliche Interessen spielen doch eine stärkere Rolle als quasi übergeordnete (allgemeine) Überzeugungen.

Diese acht Maßnahmen gehen auf die Kosten des Autofahrens und -besitzes (höhere Parkkosten in Innenstädten, höhere Dieselbesteuerung) aus oder schränken die Nutzung des Autos ein (autofreie Innenstädte, Fahrverbote für Fahrzeuge, die Grenzwerte überschreiten, Ausweisung von Fahrradwegen, wenn nötig auf Kosten von Autoparkplätzen). Wenig überraschend, so die Verfasser der Studie,  unterscheidet sich die Zustimmung zur Erhöhung der Dieselbesteuerung zwischen Fahrern von Benzin- und Diesel-Pkw. Für Fahrer von ausschließlich privat genutzten Diesel-Pkw beträgt die Differenz zu Haushalten ohne Auto -1,43 Skalenpunkte, für Haushalte mit dienstlich genutzten Fahrzeugen beträgt sie -1,23 Skalenpunkte. Bei dieser Maßnahme gibt es hingegen keinen auffälligen Unterschied zwischen Fahrern von Benzinern und Haushalten ohne Auto.

 

Die Nutzung des ÖPNV geht, so steht es in der Studie, im Gegensatz dazu mit einer tendenziell höheren Zustimmung zu den Maßnahmen einher. Dies gilt besonders für zwei Maßnahmen: autofreie Innenstädte und höhere Parkkosten in Innenstädten. So liegt die Zustimmung unter Haushaltsvorständen, die in den sieben Tagen vor der Befragung den ÖPNV genutzt haben, für autofreie Innenstädte um 0,33 Punkte über der Zustimmung jener Haushalte, die den ÖPNV nicht genutzt haben, für höhere Parkkosten in Innenstädten um 0,27 Punkte höher. Auch zwischen einer guten Anbindung an den ÖPNV und der Zustimmung zu einigen Maßnahmen finden sich positive Zusammenhänge. So ergibt sich für Haushaltsvorstände, für die die Taktung an der nächstgelegenen Haltestelle fünf bis zehn Minuten beträgt, eine um 0,19 Punkte höhere Zustimmung zu höheren Parkkosten in Innenstädten und für eine erhöhte Dieselbesteuerung um 0,24 Punkte - ein Resultat, das Enzkreis und Verkehrsverbund Enzkreis/Pforzheim (VPE) aufmerksam lesen sollten.

Befürworter des Ausbaus von Bahn&Bus sind eher weiblich, akademisch gebildet, nutzen bereits heute den ÖPNV und leben in Orten mit einer sehr guten ÖPNV-Anbindung.

Die von der Stiftung Mercator geförderte Studie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) und des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung zeigt: Eine Mehrheit befürwortet eine Neuaufteilung des öffentlichen Raums zugunsten von Fahrrad und den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) auch auf Kosten von Parkplätzen und Fahrspuren für den Autoverkehr. Für höhere Parkgebühren, eine Verteuerung von Dieseltreibstoff und vollständig autofreie Innenstädte spricht sich hingegen nur eine Minderheit aus.

Die wichtigsten Ergebnisse (im O-Ton Pressemitteilung):

  • Rund 69 Prozent der Befragten stimmen einer Ausweisung gesonderter Fahrstreifen für Busse und Bahnen zu, nur 10 Prozent sind dagegen. Den Ausbau von Fahrradwegen auf Kosten von Autoparkplätzen befürworten 50 Prozent, 28 Prozent lehnen diesen Vorschlag ab.
  • Der Ausbau der Infrastruktur für Elektromobilität erhält mit 66 Prozent ebenfalls eine hohe Zustimmungsrate, rund 12 Prozent der Befragten sprechen sich dagegen aus.
  • Drastischere Eingriffe in die Autonutzung werden dagegen kritischer gesehen: Zwar ist rund die Hälfte der Befragten dafür, dass Fahrzeuge, die Schadstoffgrenzwerte überschreiten, ein Fahrverbot erhalten. Für eine höhere Besteuerung von Dieselautos sprechen sich jedoch nur 36 Prozent aus. Ein generelles Verbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor ab 2035 befürworten nur 28 Prozent.
  • Höhere Parkkosten in Innenstädten halten nur 21 Prozent der Befragten für wünschenswert, 57 Prozent sind gegen diese Maßnahme. Auch die Vision von autofreien Innenstädten erhält mehr Ablehnung als Zustimmung.

Die Zustimmung zu den betrachteten verkehrspolitischen Maßnahmen ist in Westdeutschland durchschnittlich deutlich höher als in Ostdeutschland.

„Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass sich die Menschen in Deutschland grundsätzlich eine andere Verkehrspolitik und eine Förderung alternativer Verkehrsformen wünschen“, sagt RWI-Wissenschaftler Mark Andor, einer der Autoren der Studie. Grundsätzlich! „Für gravierendere Einschränkungen des Autoverkehrs findet sich aber derzeit keine Mehrheit.“ Ko-Autorin Lisa Ruhrort, Wissenschaftlerin am WZB, ergänzt: „Eine Mehrheit ist offenbar überzeugt, dass Fahrrad und ÖPNV zukünftig mehr Platz in den Städten brauchen – auch wenn dafür der Platz für den Autoverkehr verringert werden muss. Dies ist ein Hinweis auf eine gesellschaftliche Veränderung: Das Auto wird nicht mehr als ‚heilige Kuh‘ der Verkehrspolitik behandelt, sondern als ein Verkehrsmittel unter anderen.“

Betrachtet man die Ergebnisse aller acht Maßnahmen, sagen die Wissenschaftler, wird deutlich, dass Pkw-Besitzer allen genannten Maßnahmen ablehnender gegenüberstehen als Haushalte, in denen kein Auto zur Verfügung steht. "Im Allgemeinen deuten die empirischen Ergebnisse nicht auf eine starke Heterogenität in Bezug auf Einkommen hin." Eine Ausnahme bildet die Frage nach höheren Parkkosten in Innenstädten. Hier steigt die Ablehnung mit sinkendem Nettohaushaltseinkommen. Dies kann dadurch erklärt werden, dass Haushalte mit geringerem Einkommen von höheren Parkkosten relativ stärker belastet würden als einkommensstärkere Haushalte.


Hier die Dokumentation zur Studie: rwi-materialien_131.pdf

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