Eine kleine gelbe Fläche und ihre große Geschichte

Mobiler Hühnerstall auf den besten Böden

Wir befinden uns im Jahre 2019 nach Christus. Ganz Mühlacker ist im Regionalplan 2015 mit bunten Strichen, dünne und dicke, gerade und schrägen, mit Kreisen und Flächen, sogenannte Restriktionen und Nutzungsarten, belegt... Ganz Mühlacker? Nein! Eine gelbe Fläche ist fast frei davon. Südlich des Gewerbegebiets Waldäcker (blau) und der B10, im Osten der Markung. Ein von unbeugsamen Mitgliedern bestehender Gemeinderat hörte nicht auf,  Änderungswünschen für dieses längliche, etwas unförmige Rechteck Widerstand zu leisten, zuletzt  2016. Aber das Leben mit der schönen gelben Fläche beidseits  der Fuchsensteige ist nicht leicht. Was tun damit, fragen sich die Stadträte. Nichts, sagt eine Mehrheit von ihnen. Dort könnnte ein Gewerbe- und Industriegebiet entwickelt werden. Doch das will diese Mehrheit nicht. Wie kam dann dieses gelbe Rechteck in den Regionalplan?

Das Wie zeigt die Antwort der Stadtverwaltung auf meine Anfrage S19-010-60-23-62. Am 13. November 2001 stimmen im Rahmen des  Stadtentwicklungsplans (STEP) 2020 genau 26 Stadträte für eine gewerbliche Entwicklung beidseits der Fuchsensteige, drei sind dagegen, einer enthält sich der Stimme. Vorausgegangen war 1988 eine Studie des Regionalverbandes Nordschwarzwald, bei der dieser Standort mit 383 die höchste Punktzahl erhielt - gefolgt von Schönenberger Tal/West (342) und Hart (340).

Also gelangte die gelbe Fläche bei Lug-Fuchsensteige in den Regionalplan,  der damals im Aufstellungsverfahren war und der heute noch gültig ist.  Am 7. Juli 2015 votierte der Gemeinderat mit 13 gegen 11 Stimmen und zwei Enthaltungen dagegen, dieses gelbe Rechteck im Regionalplan  zum Vorranggebiet Landwirtschaft aufzustufen, denn dann wäre dort nur noch eines möglich gewesen: Ackerbau.

Ausschnitt aus der Raumnutzungskarte des Regionalplanes 2015

Die Entscheidung am 13. November 2001 fiel nicht vom Himmel. Vorgeschaltet im Juni und Juli 2001: Bürgerversammlungen in Kernstadt und allen Stadtteilen. Zustimmend für einen Gewerbepark Fuchsensteige meldeten sich Besucher zu Wort, andere sahen ihn kritisch. Kontrovers eben verlief die Debatte. Wie heute auch gab  es Stimmen, die den Bedarf an weiteren Gewerbeflächen bezweifelten (wenn dem so gewesen wäre, müssten die Waldäcker heute von gähnender Leere und ohne Arbeitsplätze sein - tatsächlich sind sie ausgebucht).

Der Gemeinderat entschied sich also klar für Lug-Fuchsensteige. Aber das war es dann auch. Mit jeder in die Zeitung getragenen Kritik an dem Standort schrumpfte die Mehrheit, bis sie kippte. Fraktionen setzten auf Applaus und Stimmen mit einem strammen Nie-und-nimmer-kommt-das-Gelände-für-uns-in-Frage. Garantien wie in Stein gemeißelt. Davon lässt sich schwer abkommen. Ja, so hieß es nun, mit der Bebauung der Waldäcker sei der Sprung über die B10 nicht inklusive gewesen. Wirklich nicht?

Was mir noch im Gedächtnis war, bestätigte jetzt die Stadtverwaltung auf meine Anfrage. Im geltenden Generalentwässerungsplan wurde ein Plangebiet „Waldäcker 3“ mit ca. 25 Hektar bereits berücksichtigt (Trennsystem bzw. „dezentrale Regenwasserbehandlung“ analog Lug/Osttangente).  Auch der Ableitungssammler für das Schmutz-/Mischwasser aus den heutigen Waldäckern zur Kläranlage ist ausreichend leistungsfähig (derzeit max. 50% hydraulische Auslastung) für die aus einem Gewerbegebiet o.g. Größe zusätzlich zu erwartenden Schmutzwassermengen.

Finanzielle Vorleistungen, die offenbar niemand mehr interessieren. In den Sand gesetzt.
Etwa ein Hektar der Fläche im gelben Rechteck gehört der Stadt, die in diesem Bereich jede angeboten Fläche, auch im Hinblick auf notwendige Tauschflächen, erwirbt. Der Preis orientiert sich an den Bodenrichtwerten, ergänzend enthalten die Kaufverträge eine sogenannte  Nachzahlungsverpflichtung. Dies bedeutet, dass wenn die Grundstücke aufgrund einer geänderten Nutzung an Wert gewinnen die Stadt die Differenz zwischen Ankaufswert und dem neuen Wert den früheren Eigentümern erstattet.

Das Hauptargument gegen die Überbauung: die dort vorhandenen guten Böden. Die Ackerzahlen liegen laut Stadtverwaltung im Bereich Lug-Fuchsensteige zwischen 67 und 89 (überwiegend 70 bis 80), im Bereich Waldäcker-Ost bei 76 und 81. Ein erheblicher Unterschied der Bodenqualitäten beider Gebiete ist nicht gegeben, heißt  es im Rathaus. Deshalb wundert, dass just jene, die die hohe Bodenbonität als das entscheidende Argument gegen ein Gewerbegebiet Lug-Fuchsensteige ins Feld führen, die Bebauung von Waldäcker-Ost unbekümmert weiterplanen. Derweilen auf gutem Ackerland an Fuchsensteige & Co. das Federvieh pickt - dank mobiler Hühnerställe.

Kommt es darauf an, wie man sich  die Dinge zurechtlegt? Der Blick ins Protokollbuch des Gemeinderates zum angeblich nie geplanten Sprung über die B10 beseitigt Zweifel. Ein damaliger und heutiger Stadtrat wird quasi amtlich zitiert mit "Er stellt fest, dass zumindest igrendwann die  Straße beim Gebiet Waldäcker nach Süden übersprungen werden müsse." (GR 26.11.2002, Seite 179, § 200). Paradox: Jede(r) im Gemeinderat weiß, dass sich ein als dringend bezeichnetes Gewerbegebiet am schnellsten in Lug-Fuchsensteige realisieren lässt. Doch dass die Jetzt-brauchen-wir-schnell-ein-Gewerbegebiet-Rufer wie etwa die FDP oder ein Kommentator in den Redaktionsstuben da nicht ran wollen, kann zweierlei bedeuten: Sie fürchten entweder den heftigen Gegenwind oder der Bedarf ist doch nicht so nachhaltig wie behauptet.

Die FW als drittstärkste Fraktion hat sich eh schon mit nahendem Wahltermin von den 25 Hektar verabschiedet, denen sie 2018 noch zugestimmt hatte und lehnt inzwischen - bis auf Waldäcker-Ost - gleich alle Standorte rundweg ab.

Und der OB? Der glaubt wohl nicht mehr an einen Erfolg. Und die CDU? Ich habe mich jahrelang für Lug-Fuchsenssteige ausgesprochen, sehe aber bei fehlender Mehrheit keine Chance auf Realisierung - zumindest einer meiner Fraktionskollegen lehnt ebenfalls ab. Ein Antrag der CDU scheiterte am 22. Januar 2019 im Gemeinderat - auch am Nein des OB. Wort und Tat. Da half auch nicht, dass bei einer Umfrage des Gewerbe-, Handels- und Verkehrsvereins Mühlacker (GHV) Anfang 2019 die Mehrheit seiner Mitglieder für Lug-Fuchsensteige votierte.

Warten auf den neuen Gemeinderat oder den neuen Regionalplan 2021, 2022? Schau m'r mal.

Das ist die Geschichte vom kleinen gelben Rechteck östlich von Mühlacker in der bunten Raumnutzungskarte des Regionalplanes 2015. Was tun damit, fragen sich immer noch die Stadträte. Nichts, sagt eine Mehrheit von ihnen. Bis auf Weiteres jedenfalls! Aber die Welschen Wiesen kommen als Notnagel auch nicht in Frage. Sage nicht nur ich.

S19-010-60-23-662_Lug-Fuchsensteige.pdf

Update 20. Mai 2019, Antwort der Stadtverwaltung: S19-049-60_Mobile_Huehnerstaelle.pdf

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