Die Schuldigen? Anträge!
Die neue Taktik von Verwaltungschefs, den Gemeinderäten den Schneid abzukaufen, ihre gesetzlich verankerten Rechte wahrzunehmen? In der jüngsten Ausgabe des Staatsanzeiger findet sich auf Seite 10 ein Beitrag mit ähnlichem Tenor: In Nürtingen und Freiburg beklage die Verwaltung, Anträge und Anfragen hielten vom Tagesgeschäft ab. Doch Arne Pautsch, Professor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg, hält dagegen: Antragsflut sei im Interesse der lokalen demokratischen Willensbildung, selbst wenn sie zunächst vor allem Mehrarbeit für die Verwaltung verursache.
Der Gemeinderat ist die Vertretung der Bürger und das Hauptorgan der Gemeinde, steht in § 24, 1 der Gemeindeordnung Baden-Württemberg. Er legt die Grundsätze für die Verwaltung der Gemeinde fest und entscheidet über alle Angelegenheiten der Gemeinde, soweit nicht der Bürgermeister kraft Gesetzes zuständig ist oder ihm der Gemeinderat bestimmte Angelegenheiten überträgt. Der Gemeinderat überwacht die Ausführung seiner Beschlüsse und sorgt beim Auftreten von Mißständen in der Gemeindeverwaltung für deren Beseitigung durch den Bürgermeister. Um nicht zum zahnlosen Tiger zu machen, verschaffte ihm der Landtag notwendige Instrumente: das Auskunfts-, Informations- und Antragsrecht. Nicht nur das: Die Verwaltungsspitze darf nicht nach Taktik und eigenem Gutdünken den Gemeinderat unterrichten - sie ist dazu verpflichtet.
Zum Rund-um-Paket kommunale Selbstverwaltung - Verfassungsrang! - gehören nicht nur die fest besoldeten Menschen im Rathaus, sondern auch jene, die ihre Freizeit für diese Arbeit opfern - ehrenamtlich.
Das zunehmende Gejammere, Anträge und Anfragen kämen obendrauf und verhinderten die Erledigung anderer Aufgaben, verraten, dass die Rechte des Gemeinderats wohl als störend empfunden werden. Solche Litaneien sollen den Ratsmitgliedern ein schlechtes Gewissen einreden, sie vom schnellen Schreiben eines Antrags abhalten, auf dass nur noch die Verwaltung die Beratungspunkte bestimmt. Eine Selbstverwaltung mit Schlagseite. Natürlich werden solche Verwaltungschefs dies heftigst von sich weisen, aber dann sollen sie ihre Dauer-Kritik wie in den vergangenen Monaten in Mühlacker einstellen. Anfragen und Anträge kommen nicht so quasi auf 100 Prozent drauf - sie gehören zu diesen 100 Prozent.
Natürlich ist nicht jeder Antrag aus dem Gemeinderat prickelnd, aber dies gilt auch für manche Verwaltungsvorlagen. Fraktionen wollen auch politische Botschaften unters Volk bringen, greifen von Bürgern vorgebrachte Anliegen auf, möchten Gutes für die Stadt erreichen - oder werden initiativ, wenn sie zu wichtigen Themen über Woche und Monate nichts mehr hören von der Verwaltung wie bei uns zeitweise über Stadthalle, Ziegelei und anderes. Apropos anderes. Wie lange muss auf die Realisierung kleinerer Wohngebiete wie Pferchäcker in Lienzingen und Bauerngewand in Mühlhausen gewartet werden?
Der Gesetzgeber baute eine Bremse ein: Zu Punkten, die der Gemeinderat in den sechs Monaten zuvor behandelt hat, besteht kein Anspruch, dass ein neuer Antrag auf die Tagesordung kommt - wenn das trotzdem geschieht wie jüngst braucht sich niemand zu beklagen. Doch wer als Verwaltung offensiv informiert, macht manche Anträge aus dem Gremium überflüssig.
Dass wir uns nicht falsch verstehen: Manche Fraktionsanträge wären verzichtbar, doch es kommt auch hier auf die Sicht des jeweiligen Betrachters und seinen Übezeugungen an. Daraus als Verwaltung eine Dauer-Kritik am Rat abzuleiten, wie es chic zu werden scheint, ist ebenfalls verzichtbar. Anträge sind auch nicht mal schnell geschrieben, sie sollen durchdacht sein, müssen in der Fraktion rückgekoppelt werden und jemand muss sie dann ausformulieren. Kostet alles Zeit. Oder sind Ergebnisse von Lokalterminen der Fraktion wie bei der CDU jüngst in der Lienzinger Straße - eine Stunde lang Zuhören bei Nieselregen.
Gleiches gilt für Anfragen: Wer als Gemeinderatsmitglied die Menschen in der Stadt mit ihren auch persönlichen Anliegen ernst nimmt, wird morgens beim Bäcker wegen eines fehlenden Straßenbelags angesprochen, macht dann heimwärts einen Umweg, nimmt die Stelle gleich in Augenschein, fotografiert zur besseren Orientierung der Verwaltung und packt dann alles in eine Mail. Oder hört sich in der Mühlackerstraße das ständige Klappern der in der Fahrbahn eingebrachten Abdeckung eines Regenüberlaufbeckens an, weil die Anlieger bei der Stadtverwaltung das Problem zwar vorbringen konnten, aber es nicht gelöst bekamen. Nun wird Hilfe bei einem Stadtrat gesucht, der mit seinem Handy ein kleines Video macht und dieses mit einer Anfrage ans Rathaus schickt. Ich wollte dieses Dauergeräusch auch nicht vor meinem Schlafzimmer haben. Weitere Beispiele gefällig? Lassen wir es dabei bewendet sein. Manches ist auch mit einem Anruf auf kurzem Weg zu erledigen, manchmal bedarf es jedoch eines Nachhakens wie beispielsweise bei von Anwohnern angemahnten Grünpflegearbeiten im Heidenwäldle.
Das alles gehört zum 100-Prozent-Auftrag eines Gemeinderatsmitglieds, wie ich ihn verstehe. Mit dem entscheidenden Unterschied: Wir erledigen das im Bürgerauftrag ehrenamtlich in unserer Freizeit. Unsere Adressaten im Rathaus sind hauptamtlich tätig - sie leiden sicher nicht unter Langeweile, sind auch sonst gut ausgelastet, das ist unbestritten
Doch die kommunale Selbstverwaltung braucht Haupt- und Ehrenamt gleichermaßen. Menschen, die sich engagieren und Verantwortung tragen. Hier Gegensätze zu konstruieren, wäre falsch. Alle wollen doch das Beste für ihre Stadt und das demokratische Gemeinwesen stärken. Mit oder ohne Anträge.
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