Baugebiete weggekreuzt

Bürgerentscheid

Seit in den Kommunen Baden-Württembergs geplante Baugebiete in Bürgerentscheiden weggekreuzt werden können, gibt es Rufe aus den Rathäusern, dieses Element der direkten Demokratie wieder abzuschaffen. Allerdings fehlt in der Landespolitik die Mehrheit, die seit 1. Dezember 2015 bestehende Regelung zu streichen. So will eine Bürgerinitiative Freiburgs neuen Stadtteil Dietenbach kippen. Mit Spannung wird das Ergebnis des Bürgerentscheids im Februar 2019 erwartet. Besteht genügend Akzeptanz, die Pläne von Gemeinderat und Stadtverwaltung der Breisgau-Metropole in einer Zeit akuten Wohnraummangels umzusetzen? Just um diese Neubauakzeptanz drehte sich die Regionalkonferenz in Stuttgart, veranstaltet vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), dem Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung und dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung gemeinsam mit dem Verband Region Stuttgart. Freibugs Baubürgermeister Professor Dr. Martin Haag - übrigens ein gebürtiger Mühlackerer - wagte jedenfalls keine Prognose zum Ausgang des Bürgerentscheids. 

Wir brauchen mehr Bauland, so Gunther Adler (SPD), Staatssekretär im Bundesinnenministerium, bei der Tagung. Dazu Aufstockung und Dachgeschossausbau. Gegen Wohnungsnot hilft nur Bauen, betont Esslingens Baubürgermeister Wilfried Wallbrecht (Freie Wähler). Doch der Widerstand wächst. Wer ein Häusle hat, will sich kein neues vor die Augen setzen lassen. Bürgerentscheide werden zum Volkssport, beklagt Peter Bresinski vom Verband kommunaler Wohnbauunternehmen Baden-Württemberg beim Kongress. Und Ottmar Wernicke von Haus und Grund in Stuttgart unternimmt einen Ausflug in die Semantik: Flächenverbrauch ist das falsche Wort. Fläche bleibt, sie wird nicht verbraucht oder gefressen, sondern umgenutzt.

Die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger ist beim Wohnungsbau, insbesondere bei der Nachverdichtung, die entscheidende Voraussetzung,  betont der Staatssekretär aus Berlin und verweist auf eine am selben Tag vorgelegte Studie mit 13 Fallbeispielen. Das Gutachten zeigt eindrucksvoll, dass qualitätsvoller und bezahlbarer Wohnungsbau im Rahmen der Innenentwicklung dann möglich ist, wenn er von einer engen Kooperation mit allen Beteiligten und einem offenen Dialog begleitet wird. Ähnlich argumentiert eine CDU-Politikerin: Wir müssen eine breite Akzeptanz für städtebauliche Entwicklungen schaffen und Vorurteile ausräumen helfen. Wir müssen gemeinsam an Ideen für eine integrierte Stadt- und Gemeindeentwicklung arbeiten und für deren Umsetzung werben, so Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau des Landes Baden-Württemberg. Ziel dürfe nicht sein, Projekte mit Zwang durchzusetzen. Stattdessen müssten die Bürger stärker eingebunden, Interessen frühzeitig diskutiert und abgewogen werden. In Mannheim etwa sei die Beteiligung bei der Aktivierung von brachliegenden Konversionsflächen erfolgreich verlaufen, im früheren Benjamin-Franklin-Village etwa entstehe jetzt Wohnraum für 10 000 Menschen.

Frust klingt bei Wallbrecht durch. Die Stadt habe das  Verfahren zum neuen Flächennutzungsplan (FNP) mit dem klaren Schwerpunkt Innenentwicklung schon vor sechs Jahren auf den Weg gebracht und mittlerweile 600 000 Euro für die von externen Büros moderierte Bürgerbeteiligung ausgegeben, so der Bürgermeister. Die Region habe diese intensive Einbindung der Bevölkerung als vorbildlich gelobt, aber in Esslingen sei er gesteinigt worden. Ackerbauflächen würden bis auf den letzten Blutstropfen verteidigt, Bürgerinitiativen wehrten sich nach wie vor gegen die Bebauung der innerstädtischen Flächen. Trotz aller Bemühungen: Ich kann nicht feststellen, dass die Bürgerbeteiligung zur Befriedung geführt hat. Der Flächennutzungsplan hat bis heute keine Akzeptanz. Trotzdem geht der Bürgermeister davon aus, dass der FNP in den nächsten Wochen beschlossen wird.

 

 

Regionalkongress in Stuttgart, im Haus der Sparkassenakademie

Aktivierung von Innenentwicklungspotenzialen in wachsenden Kommunen – Erhebung und Erprobung von Bausteinen eines aktiven Managements, so der Titel einer 23-seitigen Broschüre mit Forschungsergebnissen an Beispielen, unter anderem aus Offenburg und Aalen. Zentrales Anliegen des Forschungsfeldes ist es dabei, einen sogenannten "Innenentwicklungsmanager für den Wohnungsbau" zu erproben. Er soll Kontakt zwischen Planern, Eigentümern und Investoren herstellen und Moderator sein bei Verhandlungen zur Aktivierung von Innenentwicklungsflächen, zentrale fachliche Argumente für die Innenentwicklung aufbereiten und federführend den Dialog mit Nachbarschaft und Bürgerschaft bei der Planung und Realisierung von Wohnungsbauvorhaben pflegen. (Seiten 2, 4 und 5 Aktivierung von Innenentwicklungspotenzialen in wachsenden Kommunen)

Innenentwicklung vor dem Bauen auf der grünen Wiese, ist Konsens der Politik. Die Bundesregierung will im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie bis zum Jahr 2020 eine Reduktion der Flächenneuinanspruchnahme auf von 70 auf 30 ha pro Tag erreichen. Doch die selbstbewusste, organisationsfähige und artikulationsstarke Bürgerschaft wird zu einem Problem für die Handlungsfähigkeit der Kommunen bei der Umsetzung von Wohnungsbauvorhaben.  So die Erkenntnis der Forscher.

Ihre Empfehlung:  
Weg von der „Frontalveranstaltung“,  bei  denen  Verwaltung und/oder Investor das Vorhaben vom Podium  „herab“  erklären  wollen  und  von  Beginn  an eine konfrontative Stimmung entsteht. Wichtig ist, dass stattdessen eine gleichberechtigte Kommunikation zustande kommt. Wichtig  ist  indes,  dass  Bürgerbeteiligung  nicht  nur  auf  der  programmatischen Ebene, sondern vor allem bei der Qualität der  Umsetzung  ernster  genommen  und  professioneller  durchgeführt  wird.  Dies  betrifft  auch  die  Moderation,  die  Darstellung  des  Vorhabens  und  der    weiteren    Planungsgrundlagen    (Verkehrsströme,  Parkplatzbedarf,  Kleinklima  etc.).  
Die  politischen  Vertretungen müssten  sich sehr  viel  bewusster  von  einzelnen  Interessengruppen  abgrenzen,  so  dass  auch  in  dieser  Hinsicht  Rollenklarheit  herrscht:  Der  Stadtrat  vertritt  das  städtische  Gesamtinteresse und führt, um Nachbarschaftsinteressen  einzubeziehen, Beteiligungsverfahren  zu  Wohnungsbauvorhaben  durch.  Eine  bewusst  auf  die  Einbindung  von  Partialinteressen  fokussierte  Beteiligung  schützt  auch  die  politischen  Vertretungen  vor  dem  Anspruch,  jede  Meinungsäußerung  und  jedes  Ergebnis  einer  Bürgerveranstaltung berücksichtigen zu müssen.
Davon  ausgehend  empfiehlt  sich  die  Aufstellung  von  Beteiligungsrichtlinien,  in  denen  explizit  solche  Grenzziehungen  vorgenommen  werden  und  der  Stadtrat  im  Wege  der  Diskussion  eine  klare  Arbeitsteilung   zwischen   Ratsdiskussionen   und   Beteiligungsverfahren   definiert.   Dies   dient   der  Stärkung der repräsentativen Organe in der Kommune  und  erteilt all  denjenigen  eine  Absage,  die  glauben,  als  Einzelperson  oder  eng  umrissene  Gruppe die Bürgerschaft vertreten zu können. (S. 96, Erfolgsfaktoren für Wohnungsbauvorhaben im Rahmen der Innenentwicklung von dynamischen Städten)

Thomas Kiwitt, Planungsdirektor beim Verband Region Stuttgart, fordert bei dm Regionalkongress  zusätzliche Instrumente, um das Problem der häufig kleinteiligen Eigentümerstrukturen bei größeren Flächen zu lösen. Wer aus der Eifel in die Region zieht, muss dort zwei Einfamilienhäuser verkaufen, um hier in eine Vierzimmerwohnung zu ziehen. Die beschlossenen Flächen sollten endlich auch entwickelt werden, so Kiwitt. Im Flächennutzungsplan sind die Flächen für Wohnungsbau ausgewiesen, die auch bei Umweltprüfungen am besten eingestuft worden sind, Gebiete, die auch vernünftig an den Nahverkehr angeschlossen werden können. Bei der Frage, ob die Kirchtürme zu hoch seien, verwies Kiwitt darauf, dass die gesetzlich vorgesehene Form der Bürgerbeteiligung nicht in die kleinteilige Landschaft der Region passe. Die Meisten wohnen nicht in der Gemeinde, in der sie arbeiten. Es werden aber nur diejenigen befragt, die in der Kommune wohnen. Dies könne nicht die Grundlage einer erfolgreichen Bürgerbeteiligung sein. Es müssten auch die Einpendler aktiv miteinbezogen werden.
 
Freiraumqualität wichtiges Standortkriterium
Die benötigten Fachkräfte werden nur kommen, wenn die Region etwas zu bieten hat, sagte Kiwitt. Die Freiraumqualität sei deshalb ein ganz wichtiges Standortkriterium, das beim Wohnungsbau berücksichtigt werden müsse. Deswegen würden die Standorte definiert, die ökologisch vertretbar umgesetzt werden könnten. Kiwitt führte weiter aus: Der Verband weist im Regionalplan Vorranggebiete für den Wohnungsbau aus. Diese liegen an Standorten mit guter Anbindung an den Schienennahverkehr. Hier kann auch eine Mindestdichte von den Kommunen eingefordert werden. Dies sei der einzige effektive „Hebel“ für bezahlbaren Wohnraum, der auf regionaler Ebene zur Verfügung stehen würde und der Steuerungsansatz des Verbands.


Aber wenn dann ein Bürgerentscheid die gut gemeinten Pläne für drei Jahre aufs Abstellgleis schiebt…?

 

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