Bei Verspätung gibt's (nicht mehr) Geld

AVG-Stadtbahn neben dem TGV

Hinkt der Verkehrsverbund Pforzheim/Enzkreis (VPE) dem Karlsruher Verkehrsverbund (KVV) in Sachen Mobilitätsgarantie hinter her? Oder können wir vom KVV lernen? Allein zwischen Stutgart und Karlsruhe liegen drei Verbünde, mittendrin der VPE, der  momentan keine Notwendigkeit sieht, dem Beispiel der Nachbarn im Westen zu folgen und die Mobilitätsgarantie für Fahrgäste auszubauen. Dies antwortete Landkreis Karl Röckinger auf meine Anfrage als Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion Enzkreis. Trost aus dem Landratsamt: „Der VPE wird dessen ungeachtet weiterhin sein Augenmerk auf eine hohe Pünktlichkeit richten und bei Bedarf die Mobilitätsgarantie anpassen.“

Die Verbundgeschäftsführer in Baden-Württemberg hätten im Jahre 2009 beschlossen, allen Fahrgästen eine Mobilitätsgarantie zu geben, so der Enzkreis-Landrat. „Hauptbestandteil der Festlegungen war, dass Besitzer von Erwachsenenzeitkarten bei einer möglichen Verspätung am gewünschten Zielort von mindesten 30 Minuten eine Taxi auf Kosten der Verkehrsverbünde nehmen können.“  Damit sei ermöglicht worden, dass den ÖPNV-Kunden in Baden-Württemberg grundsätzlich eine Beförderung garantiert werden könne, auch wenn einmal die Busse und Bahnen ausfallen oder ihre Pünktlichkeit nicht einhalten können. 

Auch der VPE habe eine solche Mobilitätsgarantie wie fast alle Verkehrsverbünde im Jahre 2010 schon eingeführt. Die Garantien hätten unterschiedliche Ausprägungen und seien den hiesigen Verhältnissen angepasst. So erstatte der VPE Taxikosten bis 50 Euro, der KVV bis 80 Euro, das sei der Größe der Verbundgebiete geschuldet. 

Der KVV erstattet neuerdings pauschal 1,50  Euro  bei einer tatsächlich eingetretenen Verspätung von mehr als 30 Minuten und bezieht bei Ausfall der letzten Verbindung des Betriebstages auch Einzelfahrscheine und Tageskarten ein, schreibt Röckinger. Der VPE halte  eine solche Regelung wegen des ohnehin schon sehr preisgünstigem Tarifniveaus, den damit verbunden Verwaltungskosten und dem geringen Kundennutzen für unangebracht. So koste  ein Einzelfahrschein Kurzstrecke zum Beispiel 1,30 Euro beziehungsweise als normaler Einzelfahrschein zwei Euro.
 
Die etwas erweiterte Mobilitätsgarantie des KVV dürfte nach Meinung des Landrats vor allem vor dem Hintergrund weiterhin teilweise massiver Verspätungen und Zugausfälle zu sehen sein, die es im Gebiet des VPE mit einem sehr hohen Anteil des regionalen Busverkehrs so nicht geben. „Die VPE-Kunden erhalten Informationen über die Mobilitätsgarantie im VPE-Tarifinfoprospekt, der 30.000-fach aufgelegt wird, in den VPE-Beförderungsbestimmungen unter Paragraf 19 Mobilitätsgarantien und Kundenrechte, im VPE-Internetauftritt und selbstverständlich bei jedem VPE-Verkehrsunternehmen.“
 
Wie der VPE mitteile, so Röckinger, wurden seit dem Jahre 2010 nur 78 Fälle über die Mobilitätsgarantie des VPE abgewickelt. Dies sei sicherlich ein Zeichen, wie zuverlässig der regionale ÖPNV im VPE ist. Dabei seien leider 59 Prozent der Beschwerden über das größte Verkehrsunternehmen des KVV, nämlich über die Albtal-Verkehrsgesellschaft (AVG). Leider sei es bisher der AVG nicht gelungen, die Pünktlichkeit ihrer Stadtbahnen so zu verbessern, dass ihr Beschwerdeanteil an den Gesamtbeschwerden im VPE geringer wurde, beklagte der Landrat.
Also: Nichts Neues in der Mitte zwischen VVS und KVV. Oder: Warten wir mal ab.

Die Kreisverwaltung und ihre gezielte Informationspolitik

Das Landratsamt lässt sich ungern stören
Der immense Informationsvorsprung der Verwaltung ohne Teilhabe der Bürger birgt immer die Gefahr, dass die Bürger sich nur als beliebig gesteuerte Objekte fühlen. Das schrieb schon 2006 der damalige Bremer  Landesbeauftragte für den Datenschutz, Sven Holst. Aber auch gewählte Vertreter der Bürger bewegen sich mit der Verwaltung nicht immer auf Augenhöhe, denn  die Verwaltung hat gegenüber der Politik oft einen Informationsvorsprung - andererseits verfügt sie bei der Umsetzung der vorgegebenen politischen Ziele traditionell über weitgehende Entscheidungsfreiheiten. So Rafael Häcki im Blog Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht. Er beleuchtet zwar den Informationsvorspung der eidgenössischen Verwaltung, doch bestehen viele Parallelen zu unserem Land.  haushaltssteuerung.de, eine Internetplattform der öffentlichen Haushalts- und Finanzwirtschaft, sieht die Aufgabe der Verwaltung in der  Politikvorbereitungsfunktion, die der Entscheidungsunterstützung der Politik diene. Doch wann setzt diese Vorbereitungsfunktion ein?  Die Verwaltung liefere der Politik Informationen. "Die Verwaltung nimmt damit selbst eine quasi-politische Funktion wahr, denn die Selektion der Informationen an sich, die an die Politik gereicht werden, ist bereits Politik. Hierbei verfügt die Verwaltung regelmäßig über einen Informationsvorsprung gegenüber der Politik, den sie aus ihrer Vollzugstätigkeit gewinnt." Ein etwas sperriger Text, aber er bringt es auf den Punkt: Verwaltung steuert über ihre Informationspolitik die Gremien. Drei Beispiele aus dem Enzkreis: 
  • Die Verwaltung startete ein Interessensbekundungsverfahren unter freien Trägern zur Schaffung weiterer Werkstattplätze für seelisch kranke Menschen, legte die Kriterien der Entscheidung fest und nahm eine erste Auswahl vor. Obwohl die Vergabe in die Zuständigkeit des Kreistags fällt, stellte die Verwaltung allein schon durch eigenmächtige Vorgabe der Kriterien die Weichen, ohne den Kreistag einzubeziehen, der zufällig durch Informationen aus dem Kreis der freien Träger von dem Verfahren erfuhr.
  • 2016 sprach die Kreisverwaltung einige Monate lang mit der Stadtverwaltung Pforzheim über eine finanzielle Beteiligung des Enzkreises am geplanten Zentrum für Präzisionstechnik an der Hochschule Pforzheim. Erst durch die öffentlichen Beratungen im Gemeinderat von Pforzheim erfuhr der Kreistag davon, der sich dann allein schon durch die Nicht-Information mit der Entscheidung schwer tat. Die Verwaltung erzeugte Druck, indem sie behauptete, das Zeitfenster für eine Entscheidung schließe sich noch vor Weihnachten 2016  in puncto Antragstellung bei der  L-Bank (es ist ein mit EU-Mittteln gefördertes Projekt). Das Fenster blieb dann doch noch fast sechs Monate offen. Und zur letzten Frist Ende Mai 2017 gibt es nun doch noch eine allerletzte Frist bis Juli 2017, weil die Stadt Pforzheim ihren finanziellen Anteil nicht darstellen kann. Was alles geht, wenn die Verwaltung will. Der Kreistag entschied am 6. April 2017 - innerhalb der letzten Frist, die sich dann doch als die vorletzte erwies. Der Kreistag als Spielball des Zeitdrucks  nach Verwaltungsansage?
  • Im vergangenen Oktober klopfte die Kreisverwaltung beim Regierungspräsidium Karlsruhe wegen einer eventuellen Fusion der beiden Kreisberufsschulen in Mühlacker an. Obwohl der Kreistag erst 2014 einen Schulentwicklungsplan verabschiedet hat, der von weiterhin zwei selbstständigen Schulen (kaufmännisch/gewerblich) ausging, blieb der Kreistag außen vor (wie zumindst eine der beiden Schulen auch). Nach gut fünf Monaten erreichten die Informationen eher zufällig die Gremien. Der Landrat versucht nun, das in die öffentliche Debatte geratene Thema wieder einzufangen und spricht von einer ergebnisoffenen Prüfung. Zweifel sind erlaubt. Wie schreibt Häcki? Die Selektion der Informationen an sich, die an die Politik gereicht werden, ist bereits Politik. Oder ganz banal: Nimmt die Verwaltung den eigenen Schulentwicklugsplan nicht ernst? Schulentwicklung_berufliche_Schulen_Anlage_A_-_B_-_C.pdf
Gerade diese Erfahrungen mit der Selektionspolitik der Kreisverwaltung müssen  dazu führen, dass der Kreistag sich wehrt und wenn dies nur darin besteht, einen Antrag ins Aus zu schicken. Bis die Verwaltungsspitze verinnerlicht, dass die von den Bürgern gewählten Vertreter von Anfang an einzubeziehen sind. Dann wäre es eine Politik auf Augenhöhe. Die Nachteile durch den Informationsvorsprung der Verwaltung würden zwar nicht beseitig, aber etwas entschärft. Das Primat der Politik muss hergestellt werden. Weder Bürger noch ihre Vertreter sollen sich nur als beliebig gesteuerte Objekte fühlen.