An den Gedanken könnte ich mich gewöhnen

Ausschnitt aus dem Cover des Buches JOACHIM GAUCK - Winter im Sommer – Frühling im Herbst, Erinnerungen, erschienen im Verlag Siedler. Aus diesem Band las Gauck kürzlich in der Kelter in Mühlacker

Heute Mittag, am Katz-Verkaufsstand bei Schramml in Mühlacker-Enzberg, flackerte plötzlich ein Gespräch über die Bundespräsidentenwahl auf. Ganz kurz zwar, aber immerhin so lange, dass gegenseitig die Sympathie für Joachim Gauck klar wurde. Die Menschen beschäftigt, wer ihr Staatsoberhaupt werden soll. Ich stimme dem SPD-Vorsitzenden Siegmar Gabriel höchst selten zu, aber diesmal traf er ins Schwarze: Gauck bringe ein ganzes Leben ins Amt, Wulff eine politische Karriere. Die bürgerlichen Medien wie WELT und FAZ sympathisieren unverhohlen für den Pfarrer und früheren Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde: Der Überraschungskandidat der SPD und der Grünen für das Amt des Bundespräsidenten verkörpert die Werte, die in der Zukunft zählen werden. So die FAZ. Und in der WELT steht: Es war sein erster Auftritt nach der Kandidatur – und Gauck überzeugte. Er sprach über die Politik, wie er sie sich vorstellt. Die WELT kommentierte ganz klar, warum Gauck ihrer Meinung nach die bessere Wahl wäre. Inzwischen findet sich auf YouTube die Berliner Rede Gaucks zur Freiheit am 21. April 2009 vor dem Brandenburger Tor.

CDU, CSU und FDP hatten sich schnell auf Christian Wulff festgelegt. Ich habe dazu gebloggt. Und wer auf die Internetseiten der CDU Niedersachsen klickt, reibt sich verwundert die Augen und überlegt, ob die Präsidentenwahl womöglich schon war und man das selbst gar nicht gemerkt hatte. Denn die Landes-Union kürte schon den Nachfolger von Wulff als Ministerpräsident. So wenig Respekt vor der Entscheidung der Bundesversammlung gibt es selten, denn diese tagt wirklich erst am 30. Juni. Das Fell des Bären sollte erst verteilt werden, wenn dieser erlegt ist. Ein Grundsatz, den auch Parteien beherzigen sollen.

Zwar geht Wulff mit besseren Chancen ins Rennen, weil CDU, CSU und FDP über eine deutliche Mehrheit in der Bundesversammlung verfügen. Doch schon gibt es erste Stimmen vor allem aus dem freidemokratischen Lager, die sich auch Gauck gut als Präsident vorstellen können. Gauck, der das bürgerliche Lager spaltet?

Mit Thomas Bareiß schmückt sich ein baden-württembergischer CDU-Bundestagsabgeordneter auf seiner Internetseite mit Joachim Gauck.

Stimmen zur Präsidentenwahl sammelt die Merkel-Biografin Margaret Heckel ("So regiert die Kanzlerin") auf ihrer Twitter-Seite. Dass die Linken den früheren DDR-Bürgerrechtler nicht wählen wollen, ehrt diesen - und zeigt wieder einmal ganz klar, welch Geistes Kind und politische Nachfahren die Linken sind. Die direkte Linie wird deutlich: SED, dann PDS, die in der Partei Die Linke aufging.

Am 30. Juni fällt die Entscheidung, wer neuer Präsident wird. Im Vorfeld ist nicht mit offenen Karten gespielt worden, selbst mögliche Kandidaten in der Union litten unter dem Mangel an Transparenz.

Ob sich die CDU Niedersachsen zu früh freute? Ist zum Glück nicht auszuschließen. Und mit Gauck bekämen wir zwar wieder einen Seiteneinsteiger mit allen Risiken für die Berliner Polit-Macht-Zentralen, aber vor allem eine Schlüsselfigur der jüngsten deutschen Geschichte. Ich könnte mich an diesen Gedanken gewöhnen. Schließlich müssen wir CDU-Mitglieder nicht immer so denken, wie es die da oben in Berlin vorgeben. Und einen exzellenten Bundespräsidenten würde Gauck auch abgeben.


Mehr Transparenz, bitte

Pressestatement der Vorsitzenden von CDU, CSU und FDP zur Nominierung des gemeinsamen Kandidaten zur Wahl des Bundespräsidenten, Christian Wulff, heute, von links Horst Seehofer, Angela Merkel, Christian Wulff, Guido Westerwelle. Copyright: CDU

Okay, in drei Tagen einen Nachfolge-Kandidaten für den überraschend zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler zu präsentieren, ist eine Leistung, die in unsere schnelllebige Zeit passt. Christian Wulff soll nun unser aller Präsident werden. Allerdings konnte dem Zuschauer der Berliner Bewerber-Suche ganz schwindlig werden, so schnell wechselten die Favoriten. Wer die elektronischen Medien verfolgte, sah gestern Abend schon das Damen-Doppel von der Leyen und Merkel an des Staates Spitze. Doch kaum war der heutige Tag erst einige Stunden alt, liefen schon die ersten Feeds durch die Twitter-Welt, die Bundesarbeitsministerin sei aus dem Rennen. Plötzlich war Wulff da. Und am Abend verkündeten die Vorsitzenden von CDU, CSU und FDP, der niedersächsische Ministerpräsident sei ihrer aller Kandidat. Und versuchten dabei den Eindruck zu vermitteln, als sei dieser dies schon immer gewesen.

Man merke sich: Transparenz ist bei Personalentscheidungen für Spitzenpositionen nicht gefragt. Kein Wort darüber, was letztlich die ausschlaggebenden Gründe für Wulff waren. Demokratie lebt doch von Offenheit. Da ist die Personalauswahl auf lokaler Ebene auch für die Bürger durchschaubarer als die in der Bundeshauptstadt. Haben die da oben in Berlin Angst, die Offenlegung eines politischen Abwägungsprozesses würde ihnen als Schwäche ausgelegt? Ist es denn besser, dass nun wieder nach Herzenslust spekuliert wird, ob die Bloggerwelt die "Zensurursula" verhinderte, ob man neben Merkel nicht noch eine zweite Protestantin an der Staatsspitze wollte oder ob zwei Frauen ganz vorne manchen Männern einfach zu viel Weiblichkeit war?

So wird eben nicht mit offenen Karten gespielt. Verkündet wird nur das Ergebnis, aber nicht der Weg dazu. Doch: Was gab den Ausschlag? Nicht nur mich würde das interessieren. Das Pressestatement von Merkel, Seehofer und Westerwelle war zu dünn. Wir sind nur noch das Publikum im Saal, das der Verkündung dessen beiwohnt, was hinter den Kulissen ausgemauschelt wurde.

Aber so geht es ja nicht nur dem staunenden Volk. Oder haben Sie in den vergangenen Tagen etwas von den Bundestagsfraktionen gehört? Nein! Die hat niemand gefragt, wen sie wollen. Ausgemacht haben alles die Parteichefs und die Ministerpräsidenten der Union. Weshalb haben wir dann so viele Bundestagsabgeordneten? Zum Abnicken jener Entscheidungen, die ihnen vorgesetzt wurden. Nur noch formal sind die Vertreter dann in der Bundesversammlung erforderlich. Aber hier unterscheiden sich Union, Freidemokraten und Sozialdemokraten nicht.

Zurück zu Wulff. Er hatte ja selbst von sich einst gesagt, nicht kanzlertauglich zu sein. Aber präsidententauglich ist er wohl schon. Nur: Wen nimmt die Union eigentlich, wenn Merkel womöglich auch noch irgendwann hin schmeißen muss? Mögliche Thronanwärter sind kaltgestellt oder ausrangiert, haben wie Koch resigniert. Dabei kommt es bei der CDU doch immer auf den Kanzler an. Ob da Mappus wieder schneller ran muss als ihm lieb ist? Nur mal so gefragt . . .


Soziale Aufgaben nicht als erste Sparopfer sehen

Die CDA Enzkreis/Pforzheim will sich stärker auch um Kommunalpolitik kümmern. CDA steht für Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft, eine Vereinigung der CDU, hat sich aber bundesweit eher einen Namen gemacht als CDU-Sozialausschüsse. Das, was manche als linken Flügel der Union bezeichnen, versteht sich selbst als soziales Gewissen der Partei. Das ist gerade in einer Zeit gefordert, in der die Sparzwänge der öffentlichen Hand dazu verleiten, die sozialen Aufgaben der Kommunen als erste Sparopfer zu sehen. Eine Politik, die nicht sachgerecht ist. Darüber waren wir uns gestern Abend bei einem Gesprächsabend der Kreis-CDA einig, zu dem ich als Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion Enzkreis als Referent eingeladen war. Natürlich auch als bekennendes Mitglied der Sozialausschüsse und früherer Kreisvorsitzender.

Ein weiteres aktuelles Thema, das Enzkreis und Stadt Pforzheim derzeit gemeinsam berührt: Die Diskussion um die Übernahme aller Zuständigkeiten für die Arbeitslosenhilfe auf Stadt- und Landkreis (Option). Aus der vom CDA-Kreisvorsitzenden Norbert Scheuble (Pforzheim) geleiteten Gesprächsrunde kam die Beschwerde, dass für Arbeitslosengeld-Bezieher der Kontakt mit dem Jobcenter der Arbeitsagentur in Pforzheim oft zu unpersönlich sei. Derzeit sind das Arbeitslosengeld sowie das sogenannte Fordern und Fördern der arbeitslosen Menschen in der Zuständigkeit der Arbeitsagentur, die Leistungen für Wohnung und Heizung bei den Stadt- und Landkreisen. Beides in eine Hand zu bekommen und damit einen einzigen Adressaten für die Betroffenen zu schaffen, wird in der CDA als Vorteil gewertet. Wichtig war mir die Forderung an den Bund, die Vorgaben für Stadt- und Landkreise, die diese gesamte Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch II übernehmen, nicht zu eng zu fassen, sondern einen Gestaltungsraum zu lassen. Im September werde sich der Sozial- und Kulturausschuss des Kreistags in einer Sondersitzung mit dem Thema beschäftigen und dabei auch Erfahrungen von Landkreisen hören, die schon jetzt eine allumfassende SGB-II-Kompetenz haben.

Der Abend war eine gute Gelegenheit, frühere Aktivitäten der vor 39 Jahren in der Pforzheimer Gaststätte "Eintracht" gegründeten Kreis-CDA Revue passieren zu lassen. Unser Eindruck: Damals war im CDU-Kreisverband mehr los, es gab weitaus interessantere Diskussionen, die Mitglieder fühlten sich stärker einbezogen und gefordert. Hier trugen auch die früheren Pforzheimer Stadträte Hella Marquardt und Robert Weiß ihre eigenen Erfahrungen bei. Fragen beschäftigten die Runde im Zusammenhang mit dem Scheitern des Haushaltsplanes 2010 der Stadt Pforzheim: Kann es sich die CDU als stärkste Fraktion in einer schwierigen finanziellen Lage der Stadt Pforzheim erlauben, den Etat abzulehnen? Ist das den Bürgern zu vermitteln? Eher nicht, lautete der Tenor der Debatte. Ach ja, auch eine Personalentscheidung der Enzkreis-CDU spielte noch eine Rolle: die Nominierung des Landtagskandidaten. Die Union schade sich selbst, wenn sie jung und weiblich zum entscheidenden Kriterium mache und keine Inhalte. So verflache das Profil auch von Fraktionen. Ob denn "von oben" nur pflegeleichte Abgeordnete gewünscht seien?

Eine breite Themenfeld, das in der dreistündigen Gesprächsrunde "beackert" wurde. Ein für mich interessanter Abend mit CDA-Kollegen, die sich eines bewahrt haben: eine eigene Meinung.